E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann
Clara
ist die Verlobte von Nathanael und Lothars Schwester. Sie und Lothar, als Kinder verwaist, wurden von der verwitweten Mutter Nathanaels aufgenommen. »Clara und Nathanael faßten eine heftige Zuneigung zu einander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte« (27). Als Nathanael zum Studium nach G. zieht, sind sie bereits verlobt.
»Für schön konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Schönheit verstehen«, Architekten aber loben »die reinen Verhältnisse ihres Wuchses« (27 f.). Vor allem aber hat sie die »lebenskräftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes Gemüt, einen gar hellen scharf sichtenden Verstand« (28). Das Übersinnliche und Geheimnisvolle dagegen entspricht ihrem Charakter nicht, deshalb wird sie »von vielen kalt, gefühllos, prosaisch gescholten«, vor allem von ihrem Verlobten, der sich »dunklen Mächten« unterworfen sieht (28 f.). Seine schwärmerischen und grausigen Phantasien stoßen sie ab. Trotzdem ist sie sehr geduldig mit ihm. Mit psychologischem Scharfsinn erläutert sie ihm immer wieder, dass die Ursache für seine Neigung, den Advokaten Coppelius für den ›Sandmann‹ zu halten, in ihm selbst liege: Der »Dämon« existiere »nur in seinem eignen Innern« (30).
Als Nathanael zu einem zweiwöchigen Urlaub in seine Vaterstadt kommt, fliegt sie ihm voll »Entzücken« in die Arme (29). Aber mit der Zeit wird immer deutlicher, dass sie »ihren Unmut über Nathanael´s dunkle, düstere, langweilige Mystik nicht überwinden« kann, »und so entfernten beide im Innern sich immer mehr von einander, ohne es selbst zu bemerken« (30).
Nachdem Nathanael seine alptraumhafte Dichtung vorgetragen hat, kommt es zum Eklat: Clara fordert ihn ruhig, aber ernst auf, das Gedicht ins Feuer zu werfen, woraufhin er sie als »lebloses, verdammtes Automat« beschimpft (32). Lothar, der seine Schwester nicht leiden sehen kann, mischt sich in den Streit ein. kann Erst im letzten Augenblick kann Clara ein Duell zwischen den beiden jungen Männern verhindern.
Aber sie ist nicht nachtragend. Als Nathanael nach seinem Zusammenbruch in G. nach Hause kommt, ist sie wieder überglücklich, ihn zu sehen, und glaubt, er sei nun endlich wieder gesund. Als der Umzug der Familie aufs Land bevorsteht (vgl. Nathanael), möchte sie mit Nathanael den Ratsturm besteigen, um noch einmal »in das ferne Gebirge hinein« zu schauen (48). Oben angekommen, will der verwirrte Nathanael sie vom Turm stoßen. Ihr Bruder rettet sie, und Nathanael stürzt sich selbst in die Tiefe.
Später – so hat der Erzähler gehört – hat sie geheiratet, »zwei muntre Knaben« bekommen und doch noch das häusliche Glück gefunden, das »ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte« (49).
Coppelius, Advokat
In Nathanaels Kindheit ein häufiger Gast im Haus der Eltern, von dem der erwachsene Nathanael in seinem Brief an seinen Freund Lothar ausführlich erzählt, nachdem er diesem Schrecken seiner Kindertage in dem Wetterglas-Händler Coppola wiederbegegnet zu sein glaubt.
Coppelius war nach seiner Erinnerung ein großer breitschultriger Mann mit »einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen«, der das »schiefe Maul« oft zu einem hämischen Lachen verzog. Für Nathanael und seine Schwestern war er »überhaupt widrig und abscheulich« (15). Vor allem seine haarigen Fäuste waren den Kindern so sehr zuwider, dass sie alles, »was er damit berührte, nicht mehr mochten« (16). Nathanael ist sich sicher, dass der Alte das wusste und es ihm eine Freude war, den Kindern jede schöne »Näscherei« madig zu machen, indem er sie berührte (16).
Als der etwa zehnjährige Nathanael sich eines Nachts im Arbeitszimmer seines Vaters versteckt hatte, um einen Blick auf den berüchtigten Sandmann zu werfen, von dem die Mutter und die Amme seiner kleinen Schwester gesprochen hatten, sah er Coppelius beim Vater eintreten. Seither hielt er ihn für den Sandmann, der für ihn durch diese Verbindung nun nicht mehr nur ein »Popanz aus dem Ammenmärchen« war, sondern das, was Coppelius in den Augen des Kindes war: »ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, wo er einschreitet Jammer – Not – zeitliches, ewiges Verderben bringt« (16).
Die weitere Schilderung dieser Begegnung ist entsprechend alptraumhaft. Coppelius, so schreibt Nathanael, habe ihm Glutkörner in die Augen streuen wollen und nur dem Flehen seines Vaters habe er es zu verdanken gehabt, dass ihm weiter nichts passiert sei. Danach sei der Mann über ein Jahr lang verschwunden, dann aber wieder und »zum letztenmale« bei der Familie aufgetaucht (19). In dieser Nacht sei der Vater bei einer Explosion im Arbeitszimmer gestorben, und Coppelius sei erneut und endgültig verschwunden.
Nun glaubt Nathanael, inzwischen Student in der Universitätsstadt G., Coppelius in dem Wetterglashändler Coppola erkannt zu haben, der eines Tages an seiner Tür steht, um ihm seine Waren feilzubieten. Nach Claras Brief und einem Besuch in der Heimatstadt verwirft er diese Idee jedoch wieder und kauft dem Händler bei dessen erneuten Besuch sogar ein »Taschenperspektiv« ab. Der Leser allerdings bleibt verunsichert angesichts der unheimlichen Dinge, die dem Helden widerfahren: Als er von dem Besuch in der Heimat nach G. zurückkehrt, ist das Haus, in dem er wohnt, abgebrannt, und das von Coppola erworbene Fernglas sorgt dafür, dass Nathanael der »Automate« Olimpia verfällt; und deren Vater, Professor Spalanzani, spricht in der Aufregung um den Verlust seiner »Automate« von Coppola als Coppelius.
Am Ende, als Nathanael, erneut von Coppolas »Taschenperspektiv« in Raserei versetzt, Clara vom Ratsturm herabstürzen will, ist plötzlich auch der seit dem Tod des Vaters verschwundene Coppelius zur Stelle. Er ist, wie der Erzähler zu berichten weiß, »eben in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten«. Da steht er in der Menge vor dem Ratsturm, und als die Leute auf den Turm steigen wollen, um sich des »Rasenden zu bemächtigen, da lachte Coppelius sprechend: ›ha ha – wartet nur, der kommt schon herunter von selbst« (49). Kaum hat Nathanael Coppelius in der Menge entdeckt, stürzt er sich in die Tiefe, und als er »mit zerschmettertem Kopf auf dem Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewühl verschwunden« (49).
Coppola, Guiseppe
Er taucht mehrmals bei Nathanael auf und gibt sich als Wetterglashändler aus. Nathanael glaubt in ihm einen Doppel- und Wiedergänger des Advokaten Coppelius zu erkennen, des unheimlichen Alchimisten, den er als Kind mit dem »Sandmann« identifiziert und für den frühen Tod seines Vaters verantwortlich gemacht hatte.
Coppola tritt an einem 30. Oktober, um 12 Uhr, zum ersten Mal in Nathanaels Studierstube in G., um ihm seine Ware anzubieten. Nathanael droht ihn die Treppe hinabzuwerfen und bleibt aufgewühlt und unter einem »tödlichen Eindruck« zurück (11). In einem Brief an Lothar schildert er seinen Eindruck: »Er war anders gekleidet, aber Coppelius Figur und Gesichtszüge sind zu tief in mein Innerstes eingeprägt, als daß hier ein Irrtum möglich sein sollte« (20). Bald darauf glaubt er dann doch, sich geirrt zu haben: »überdem hört man es auch seiner Aussprache an, daß er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich dünkt, kein ehrlicher« (24).
Als Coppola dann aber einigeZeit später erneut bei ihm erscheint, »das weite Maul zum häßlichen Lachen« verzogen, wird Nathanael erneut unsicher. Dieses Mal bietet der Alte ihm Brillen und Ferngläser – »sköne Oke – sköne Oke« – feil. Aus den Brillen, die er auf dem Tisch verteilt, scheinen Augen, »flammende Blicke« und »blutrote Strahlen in Nathanael´s Brust« zu schießen (35). Als er den Alten am Arm packt, verliert die Szene ihre Surrealität. Nathanael beruhigt sich und denkt, »daß der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen« sei und Coppola wohl doch »ein höchst ehrlicher Mechanicus und Opticus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltgänger und Revenant sein könne« (35 f.). Der Krämer kann ihm jetzt ein kleines Fernglas verkaufen und bricht im Hausflur in lautes Gelächter aus über den gelungenen Handel. Während Nathanael sich einredet, er habe sich sicher mit dem Preis über den Tisch ziehen lassen, ist es »als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer« (36).
Bei einem Blick durch das Fernglas nimmt Nathanael Olimpia plötzlich lebendig wahr, und seine Besessenheit nimmt ihren Anfang. Als er dann um ihre Hand anhalten will, trifft er auf Spalanzani und Coppola, die sich heftig um Olimpia streiten, und seine düsteren Ahnungen werden bestätigt: Aus Coppolas Mund kommt Coppelius‘ Stimme, und Spalanzani, der dem mit der – nun augenlosen – »Automate« flüchtenden Coppola nachsieht, nennt ihn stammelnd Coppelius und deutet an, dass er ihm, Nathanael, die Augen gestohlen habe, um Olimpias Blick zu beleben.
Lothar
ist der Bruder von Clara und Freund von Nathanael. Er und Clara, als Kinder verwaist, wurden von Nathanaels Mutter kurz nach dem Tod ihres Mannes aufgenommen. Lothar teilt Claras Ansicht über Nathanaels grausig mystische Geschichten und ergreift bei Konflikten ihre Partei. Als Clara und Nathanael sich nach dem Vortrag von Nathanaels Gedicht heftig streiten, steigert sich Lothars »Unmut, den er wider den träumerischen Nathanael lange im Herzen getragen«, zum Zorn, und die Auseinandersetzung eskaliert derart, dass die beiden jungen Männer sich zum Duell verabreden (32 f.). Nach Claras Eingreifen versöhnen alle drei sich wieder. Sie treffen erst nach Nathanaels Zusammenbruch in G. wieder zusammen.
Als Nathanael und Clara den Ratsturm besteigen, wartet er unten, stürmt aber, als er Claras Schreie hört, nach oben und rettet die Schwester vor dem verwirrten Nathanael (49).
Mutter
Obwohl Nathanaels Mutter zum Zeitpunkt der erzählten Ereignisse noch lebt (und ihren Sohn überlebt), ist von ihr fast ausschließlich in Nathanaels Rückblicken auf seine Kinderjahre die Rede. Die unheimlichen Geschehnisse, die ihrem erwachsenen Sohn zustoßen, werden ihr nach Möglichkeit verschwiegen, »denn man wußte, daß sie nicht ohne Entsetzen an ihn [Coppelius] denken konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab« (34).
Nathanael beschreibt sie in seinen Rückblicken als fürsorgliche und liebevolle Mutter, deren »Frohsinn« und »heiteres unbefangenes Wesen« sich allerdings immer dann »in traurigen, düstern Ernst« verwandelte, wenn der Besuch des »Sandmanns« bevorstand (16). An diesen Abenden hatte sie die Kinder immer mit den Worten: »Der Sandmann kommt« ins Bett geschickt (12). Ihren neugierigen und von den Erzählungen der Kinderfrau geängstigten Sohn hatte sie zu beruhigen versucht: »Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind«, das sei nur so eine Redensart (12 f.), und nach Nathanaels nächtlicher Begegnung mit Coppelius hatte sie ihm versichert, er werde nie wieder kommen (18).
Als Coppelius nach einem Jahr dann doch wieder auftauchte, habe sie, wie Nathanael sich erinnert, zu weinen begonnen. Wenig später habe er sie dann bewusstlos neben der Leiche des Vaters liegend gefunden.
Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie die verwaisten Geschwister Clara und Lothar, mit denen sie weitläufig verwandt ist, bei sich aufgenommen (19).
Nathanael
ist der tragische und romantische Protagonist der Geschichte. Er studiert in G., ist mit Clara verlobt und ihrem Bruder Lothar befreundet.
Als der Wetterglashändler Coppola in sein Zimmer tritt, wird ein Kindheitstrauma Nathanaels wieder lebendig. In ihm glaubt er nämlich den Advokaten Coppelius zu erkennen, den er in seiner Kinderzeit mit dem grausigen »Sandmann« gleichgesetzt und für den Tod seines Vaters verantwortlich gemacht hatte (vgl. Sandmann und Coppelius). Die Erscheinung dieses Mannes deutet er als »schweres Unheil« (20) und ist sich sicher, »daß ein dunkles Verhängnis wirklich einen trüben Wolkenschleier über mein Leben gehängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiße« (18).
Die Bestimmtheit, mit der »Clara die Existenz des Dämons nur in seinem eignen Innern« fest macht, scheint ihn kurzfristig zu beruhigen (30). Ein Brief an Lothar macht deutlich, dass er sich ihre Argumente zu eigen macht. Auch findet er selbst noch weitere Gründe, die dafür sprechen, »daß der Wetterglashändler Giuseppe Coppola keineswegs der alte Advokat Coppelius« sein kann (24). Bei einem Besuch in der Heimatstadt reagiert er dann aber »erzürnt« auf Claras seelenkundliche Erklärungen (30). Sein »Verdruß« über ihr »kaltes prosaisches Gemüt stieg höher«, bis er sich innerlich immer mehr von ihr entfernt, »ohne es selbst zu bemerken« (30). Die Situation spitzt sich zu, und es kommt zu einem heftigen Streit, in den auch Lothar sich einmischt. Ein drohendes Duell der Freunde kann Clara im letzten Moment noch verhindern. Zurück in G., bezieht Nathanael ein neues Zimmer, weil seine alte Unterkunft aus ungeklärten Gründen abgebrannt ist. Aus seinem Fenster kann er nun in die Wohnung seines Professors Spalanzani im Haus gegenüber schauen, bei dem er seit einiger Zeit »Collegia« für Physik hört (24).
Bei einem neuerlichen Besuch des Wetterglashändlers schämt er sich »seiner kindischen Gespensterfurcht« und kauft ihm ein »Taschenperspektiv« (4) ab, mit dem er fortan Spalanzanis ›Tochter‹ Olimpia beobachtet (35 f.). Als er sie das erste Mal sieht, ist sie ihm noch »ganz unheimlich« (25). Aber seit er sie durch das Taschenperspektiv beobachtet und »immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpia´s Augen«, die zuvor so tot und starr wirkten, »feuchte Mondesstrahlen auf« (36). Bei einer Feier im Hause des Professors entwickelt sich Nathanaels Interesse für Olimpia zu einer Besessenheit. Er besucht sie fortan täglich und kann ihre Zuhörerqualitäten nicht genug loben. Die Bedenken seines Freundes Siegmund, dass die Gleichförmigkeit Olimpias, die an ein aufgezogenes Räderwerk erinnert, ihnen allen unheimlich sei, weist Nathanael von sich: »Nur dem poetischen Gemüt entfaltet sich das gleich organisierte!« (42)
Clara und seine Familie verblassen in seinem Bewusstsein so sehr, dass er plant, um Olimpias Hand anzuhalten. Bei dieser Gelegenheit trifft er jedoch auf Spalanzani und Coppola, die sich heftig um Olimpia streiten. Nun sieht Nathanael seine Befürchtungen wegen des Wetterglashändlers doch wieder bestätigt: Coppola spricht mit Coppelius‘ Stimme und flüchtet mit der mechanischen, augenlosen ›Automate‹ Olimpia, die er sich unter den Arm geklemmt hat. Als Nathanael sieht, wie Spalanzani mit einem Paar blutiger Augen nach ihm wirft, gerät er vollends außer sich: Er versucht, den Professor zu erwürgen, und wird daraufhin »nach dem Tollhause« gebracht (45).
Wieder zu Hause, scheint er sich zu erholen. Es werden Vorbereitungen für seine Hochzeit mit Clara und den Umzug der gesamten Familie auf ein von der Mutter ererbtes Landgut getroffen. Als er aber mit seiner Braut auf dem Ratsturm steht, um einen letzten Blick ins Gebirge zu werfen, greift er in seiner Tasche »mechanisch« nach Coppolas Fernglas und schaut hindurch. Als er sich umdreht und Clara ansieht, »zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern«, und er versucht, sie vom Turm zu werfen (48). Lothar kann seine Schwester retten. Der immer noch tobende Nathanael sieht Coppelius unten in der Menge stehen und stürzt sich in die Tiefe.
Olimpia
ist die ›Automate‹ von Professor Spalanzani und Coppelius, die als Spalanzanis Tochter ausgegeben und zum Objekt von Nathanaels Besessenheit wird.
Zu ihrer Einführung in die Gesellschaft gibt Professor Spalanzani ein großes Fest, auf dem sie »sehr reich und geschmackvoll gekleidet« auftritt (38). Sie ist nicht sehr gesprächig und seufzt »bloß immer wieder: ›Ach, Ach!‹« (38). Sie spielt aber hervorragend Klavier und trägt »ebenso eine Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor« (38). Ihre Musik ist allerdings auch gekennzeichnet durch »unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und eben so ist ihr Tanz«, wie Siegmund feststellt (42). Nathanael hält dagegen, dass nur ihm, dem poetischen Gemüt, sich das »gleich organisierte« entfalte (42). Ihre wenigen Worte scheinen ihm »als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis« (42).
Derart überzeugt von ihren Qualitäten ist er aber nicht von Anfang an. Bei seiner ersten Begegnung mit ihr wird es ihm wegen ihrer starren Augen noch »ganz unheimlich« (25). In seinem neuen Zimmer, das ihrem gegenüber liegt, schaut er zwar immer öfter, aber nur »flüchtig über sein Compendium herüber nach der schönen Bildsäule, das war Alles« (34). Durch das kleine Fernrohr von Coppola scheint es ihm aber plötzlich, als kehre Leben in Olimpias Augen. Seine anfängliche Faszination entwickelt sich auf besagtem Fest zur Besessenheit, und er spricht »hoch entflammt und begeistert von seiner Liebe in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia.« (39 f.). Bei seinen nun täglich erfolgenden Besuchen trägt er ihr alles, »was er jemals geschrieben« hat, vor, und sie ist ihm eine »herrliche Zuhörerin« (42 f.). Denn im Gegensatz zu seiner Verlobten Clara, die immer weiter aus seinem Bewusstsein schwindet, zeigt sie keinerlei Anzeichen von Langeweile.
Als Nathanael um ihre Hand anhalten will, muss er erkennen, dass sie eine »leblose Puppe« ist (45). Während eines Streits entreißt Coppola sie dem Professor mit Gewalt und flüchtet mit ihr über die Treppe, so dass »die häßlich herunterhängenden Füße der Figur auf den Stufen hölzern klapperten und dröhnten« (45).
Sandmann
Nathanael und seine Geschwister sind, wie er in einem Brief an Lothar schreibt, als Kinder oft mit den Worten: »Nun Kinder […] der Sandmann kommt« von der Mutter zu Bett geschickt worden (12).
An eben diesen Abenden habe er stets eine außergewöhnlich bedrückte Stimmung der Eltern bemerkt. Auf seine neugierigen Fragen, wie der Sandmann denn aussehe, habe seine Mutter nur geantwortet: »wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand hineingestreut« (13). Von der Kinderfrau seiner jüngsten Schwester habe er dann aber erfahren, dass der Sandmann ein »böser Mann« sei, »der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett´ gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen«. Die bringe er dann in den Halbmond, und seine Kinder fräßen dort »der unartigen Menschenkindlein Augen auf« (13).
Von diesen Phantasien in seiner Neugier beflügelt, habe er sich eines Tages im Arbeitszimmer seines Vaters versteckt und den Advokaten Coppelius eintreten sehen, den er von gelegentlichen Mittagessen her gekannt habe und der den Kindern zutiefst zuwider gewesen sei. Fortan habe er Coppelius für den Sandmann gehalten, und durch diese Gleichsetzung mit dem verabscheuten Advokaten sei der Sandmann in seiner Vorstellung auch nicht mehr der »Popanz aus dem Ammenmärchen«, sondern »ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, wo er einschreitet, Jammer – Not – zeitliches, ewiges Verderben bringt« (16).
Siegmund
Studienfreund von Nathanael aus G., der mit ihm die Vorlesungen bei Spalanzani besucht. Beide sind zu dem Fest eingeladen, auf dem Olimpia in die Gesellschaft eingeführt werden soll.
Siegmund kann nicht verstehen, dass Nathanael sich in Olimpia verliebt hat: »sage, wie es dir gescheiten Kerl möglich war, dich »in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu vergaffen«. Allen anderen sei sie unheimlich. Er begreift aber recht schnell, wie ernst »es mit dem Freunde stand« und versichert ihn seines Rückhalts (41).
Nathanael spürt das aufrichtige Wohlwollen seines Freundes und weist ihn nicht ab. Siegmund ist es auch, der versucht, Nathanael daran zu hindern, Professor Spalanzani umzubringen. Aber »so stark er war«, er »vermochte nicht den Rasenden zu bändigen« (45). Später, als Nathanael in seinem Vaterhaus wieder aus seinem Wahn erwacht, ist »Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in großer Not,« auch wieder da (47). Er hindert Nathanael beim Abschied daran, zu viel über die Geschehnisse zu sprechen, »aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen möchten ihm zu hell und flammend aufgehen« (48).
Spalanzani, Professor
Professor der Physik in G., bei dem Nathanael studiert. Seiner Familie beschreibt er ihn in einem Brief als kleinen rundlichen Mann »italienischer Abkunft« mit »aufgeworfnen Lippen, kleinen stechenden Augen« und feiner Nase (24). Er gleiche dem Alchimisten »Cagliostro« (24). Seine Tochter Olimpia, in die Nathanael sich verliebt, ist, wie er später erfährt, nur eine »Automate«, die Spalanzani – wohl zusammen mit Coppola – gebaut hat. Mit einer pompösen Feier, zu der auch Nathanael eingeladen ist, führt er sie in die Gesellschaft ein. »Professor Spalanzani schien hoch erfreut über das Verhältnis seiner Tochter mit Nathanael«, und ermutigt Nathanael in seinen Annäherungsversuchen (43).
Als Nathanael Olimpia mit einem Verlobungsring in der Tasche seine Aufwartung machen will, trifft er Spalanzani und Coppola in einem heftigen Streit an. Die beiden zerren an Olimpia, zuletzt flüchtet Coppola mit der augen- und leblosen Puppe. Spalanzani zetert ihm nach und nennt ihn dabei Coppelius. Er fordert Nathanael auf, den Flüchtigen aufzuhalten, und stammelt etwas von Augen, die er ihm, Nathanael, gestohlen habe (45). Als er schließlich mit einem Paar blutiger Augen nach ihm wirft, gerät Nathanael völlig außer sich und versucht, den Professor zu erwürgen.
Nach diesem Vorfall verlässt Spalanzani die Stadt, »um der Kriminaluntersuchung wegen des der menschlichen Gesellschaft betrüglicherweise eingeschobenen Automats zu entgehen« (47).
Vater
Nathanael erinnert sich gern an die gemeinsamen Abende in seiner Kindheit, an denen die Familie sich nach dem Essen im väterlichen Arbeitszimmer um den großen runden Tisch versammelte. »Der Vater rauchte Tabak und trank ein großes Glas Bier dazu. Oft erzählte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet darüber so in Eifer, daß ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzünden mußte, welches mir denn ein Hauptspaß war« (12).
An einigen Abenden aber, so erinnert Nathanael sich, saß er nur »stumm und starr in seinem Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, daß wir alle wie im Nebel schwammen« (12). An solchen Abenden, an denen die Kinder mit der Begründung, der »Sandmann« werde kommen, früh zu Bett geschickt wurden, erwartete der Vater, wie Nathanael eines Nachts feststellte, den Advokaten Coppelius, den er seitdem für den Sandmann hielt.
Sein Vater, so erinnert er sich später, habe sich benommen, als sei Coppelius »ein höheres Wesen, dessen Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten müsse« (16). Er habe sie bei alchimistischen Versuchen beobachtet und mit Erschrecken festgestellt, dass sein Vater dabei ganz verändert ausgesehen habe: »wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbückte, da sah er ganz anders aus. […] Er sah dem Coppelius ähnlich« (17). Als Coppelius ein Jahr später wieder unangekündigt auftauchte, schien der Vater nicht überrascht, versprach aber, dass es das letzte Mal sein würde. In dieser Nacht aber kam er bei einer Explosion in seinem Arbeitszimmer ums Leben. Der elfjährige Nathanael fand ihn mit »schwarz verbranntem gräßlich verzerrtem Gesicht« (19).