Pfaffrath, Siegfried
Sohn von Anna und Friedrich Wilhelm Pfaffrath, älterer Bruder von Dietrich Pfaffrath, Neffe von Judejahn. Er ist die Hauptfigur des Romans und übernimmt in den meisten der ihn betreffenden Abschnitte die Rolle eines Ich-Erzählers. Die prägende Erfahrung seiner Jugend war die »Reichsschule« der NSDAP, die er auf Wunsch seines Onkels Judejahn, zeitweise gemeinsam mit dessen Sohn Adolf (II, 451), besuchte und vor der er dann in die Wehrmacht floh (II, 396). Aus dem Kriegsgefangenenlager, in dem er gegen Kriegsende interniert war, hatte er Kürenberg einen Brief geschrieben und um Beispiele der Zwölftonmusik gebeten, die für ihn eine »neue Welt« war, »ein Tor, das ihn aus dem Käfig ließ« und von der Denkwelt seiner »Sippe« befreite, »in die geboren zu sein er immer nur entsetzlich empfunden hatte« (II, 395 f.). Inzwischen ist er Komponist (II, 394), seine erste größere Arbeit, ein Septett, trug den Titel »Variationen über den Tod und die Farbe des Oleanders« und wurde nicht aufgeführt (II, 394). Nun hält er sich in Rom auf, wo seine erste Symphonie im Rahmen eines Musikkongresses uraufgeführt werden soll; Dirigent ist Kürenberg.
Zu Beginn des Romans befindet Siegfried sich im Konzertsaal bei einer Probe. Er rechnet damit, dass seine Musik auf Ablehnung stoßen wird, was ihn deprimiert (II, 396). Nach der Probe trinkt er an der Piazza della Rotonda am Pantheon einen Grappa und beobachtet die Menschen und verwilderten Katzen (II, 397 ff.). Dabei sieht er auch seinen Onkel Judejahn, den er seit 13 Jahren nicht mehr getroffen hat, erkennt ihn aber nicht (401 f.).
Am Abend ist er zum Essen bei den Kürenbergs eingeladen. Dabei stellt sich heraus, dass Ilse Kürenberg aus seiner Heimatstadt stammt (II, 432). Siegfried erinnert sich daran, dass sein Vater Kürenbergs Hilfeersuchen für ihren von den Nazis verfolgten Vater abgelehnt hat (II, 434). Kürenberg ermutigt ihn zu neuen, experimentellen Kompositionen, die der »Straße« und dem »Tag«, der Alltagswirklichkeit, abgelauscht sind, – »vielleicht finden Sie den neuen Klang!« (II, 440)
Bei der Rückkehr in sein Hotel an der Fontana di Trevi findet Siegfried in seinem Zimmer seinen Vetter Adolf Judejahn vor, den er seit der »Junkerschule« (II, 451) nicht mehr gesehen hat. Beim Anblick seiner Soutane wird ihm bewusst, dass er Priester nur »aus sicherer Entfernung« mag; sie »berufen sich auf Gott, um zu herrschen« (II, 453). Von Adolf erfährt er, dass seine Familie und sein Onkel Judejahn und dessen Frau in Rom sind (II, 457). Siegfried will seine Eltern nicht sehen, Adolf dagegen glaubt, seinen Eltern helfen zu sollen. Die beiden Vettern verabreden sich für den nächsten Tag an der Engelsbrücke (II, 470).
Am Morgen geht Siegfried zu einer Messe, steht aber »außerhalb der Gemeinde, und das vorbedacht« (II, 481). Er sieht sein Bild in der Zeitung und freut sich, auch wenn die Zeitung am nächsten Tag nur noch »Einwickelpapier oder von anderer Nützlichkeit« sein wird (II, 482). Zur Probe kommt er absichtlich zu spät, er fürchtet sich vor seiner Musik und vor Kürenberg. Beim Anblick einer Reinmachefrau im Foyer muss er »an den Schoß des Weibes« denken und daran, »daß sie Kinder hatte«, und empfindet Ekel vor »dem feuchten und warmen Leben« und der »Lebensgier, zu der wir verdammt sind« (II, 493).
Vor dem Treffen mit Adolf geht er zum Tiberufer und beobachtet einen schönen Knaben, den zwei hässliche Strichjungen mit »ordinäre[n] und böse[n]« Gesichtern verfolgen und zu Boden werfen (II, 504). Siegfried sieht in ihm einen gefallenen Ganymed, »rauh angepackt, nicht von Adlerfängen, von scheußlichen unreinen Geiern, Zeus-Jupiter war tot, auch Ganymed war wohl tot« (II, 505). Er geht mit ihm in eine Zelle des Badeschiffes (II, 507), entkleidet ihn und bewundert »glücklich und traurig« seine Schönheit, wagt aber nicht, ihn zu berühren. Im nächsten Moment drängt sich einer der beiden Strichjungen nackt in die Zelle, und der schöne Knabe schlüpft zur Tür heraus, während Siegfried voller Abscheu und Selbsthass den abstoßenden Jungen umarmt und seinen Mund auf dessen »gemeinen käuflichen Mund« drückt (II, 508).
Zum Treffen mit Adolf an der Engelsbrücke geht er widerwillig; Adolf lässt ihn an »alle Bedrückung der Jugend denken« (II, 501) und an die Familie, die ihnen beiden trotz aller Distanzierung vom »Judejahn-Pfaffrath-Klingspor-Mief« anhaftet »wie ein Schweiß auf der Haut, den kein Bad wegbringt« (II, 502). Erneut diskutieren beide über die richtige Haltung zu ihren Eltern und deren fatalem Erbe und über die Frage, ob und wie sie es besser machen könnten als sie (II, 515-519). Beide werfen sich gegenseitig vor, dass sie mit ihrem Tun – Adolf mit seinem geistlichen Amt und Siegfried mit seiner Kunst – die Welt und die Menschen nicht ändern werden. Siegfried gesteht sich ein, dass seine Musik keine Antworten zu geben vermag und dem musikalischen Laien unverständlich bleiben muss, glaubt aber dennoch, dass sie auf geheimnisvolle Weise »mit der gleichfalls geheimnisvollen Macht der Zeit« korrespondiert und »vielleicht mit der Zeit zu großen Veränderungen beitragen« könnte (II, 518). Am Ende des Gesprächs schenkt er Adolf seine Karte für das Konzert.
Während des Konzerts bleibt er hinter der Bühne und schleicht sich gegen Ende an die Türen zur Galerie, auf der die Zuhörer »nach Gassenjungenweise« pfeifen (II, 538), während im Parkett geklatscht und nach dem Komponisten gerufen wird (II, 539). Doch Siegfried ist der »Beifall zuwider«, er zeigt sich dem Publikum nicht (II, 541), sondern kehrt ins Dirigentenzimmer zurück, wo Kürenberg ihm zu dem Erfolg gratuliert. Als seine Eltern, sein Bruder und Judejahn den Raum betreten, ist ihm »wie einem Hund zumute, den die Hundefänger mit ihren Netzen umstellt haben« (II, 543). Er verschwindet unauffällig und trifft sich auf der Straße mit Adolf.
Die Vettern gehen über die Piazza del Popolo, die nach einer Kundgebung übersät ist von Flugblättern, »die den Menschen einen neuen Frühling versprechen« (II, 544). Sie diskutieren über die Notwendigkeit von Idealen. Adolf hält sie für sinnvoll, Siegfried sieht darin nur »ein Bündel Heu, das an einer Stange einem Esel vorgehalten wird, damit er den Wagen weiterzieht« (II, 545). Statt Verheißungen sieht er Sinn nur darin, »hier etwas Glück, hier etwas Freude zu finden« (II, 546). Er führt Adolf in die Schwulen-Bar, in der Laura arbeitet. Als er bemerkt, dass Adolf von ihr bezaubert ist (553), trifft er für ihn eine Verabredung mit ihr für denselben Abend, »Gott würde nichts dagegen haben, die Kirche brauchte es nicht zu erfahren« (II, 553). Später geht er mit beiden durch die nächtliche Stadt und verabschiedet sich von ihnen an der Santa Maria degli Angeli.
Am nächsten Tag wird ihm vom römischen Bürgermeister der Musikpreis verliehen, aus diplomatischen Gründen nur der halbe (II, 568 f). Er weiß, dass Kürenberg sich dafür eingesetzt hat, und ist ihm dankbar. Er muss an seinen Vater denken: »mein Vater würde einen ganzen Tag stolz auf mich sein, weil der Bürgermeister mir den halben Preis verliehen hatte, aber mein Vater würde nie begreifen, warum der Bürgermeister mich auszeichnete.« Mit dem Preisgeld möchte er nach Afrika reisen, um dort »die schwarze Symphonie des schwarzen Erdteils« zu schreiben (II, 569).
Bei einem Essen in einem Restaurant an der Piazza Navona nimmt er Abschied von Kürenberg, den er als seinen ›einzigen wirklichen Freund‹ betrachtet. Kürenberg rät ihm, nach Mogador zu gehen. »Der Name Mogador klang gut. Er klang schwarz genug. Mogador war eine alte maurische Festung. Aber da die Mauren nicht mehr mächtig sind, konnte ich gut und gern in ihrer alten Festung wohnen« (II, 573).