Wolfgang Koeppen: Der Tod in Rom (1954)

Aufhäuser

Vater von Ilse Kürenberg. Der reiche jüdische Kaufhausbesitzer war ein Bibliophiler, seine Sammlung umfasste Erstausgaben der Klassiker und Romantiker. Er wurde beim »ersten kleinen Judenboykottag« verhaftet, am »großen Judentag« (II, 434) wurde sein Kaufhaus in Brand gesetzt. Später wurde er festgenommen und in der Haft erschlagen. Seine Büchersammlung landete im Hitlerjugendheim, wo sie schließlich »von Bomben zerrissen« wurde (II, 434).

Austerlitz

Waffenschieber, der unter diesem Namen operiert. Er gilt als »korrekt und vertrauenswürdig« (II, 513), hat gute Beziehungen zu allen Regierungen und ist sehr kreditwürdig. In einem abgedunkelten und stark geheizten Zimmer empfängt er Gottlieb Judejahn, während er von einer Kinderschwester mit entkeimter und erhitzter Milch versorgt wird, dem einzigen Getränk, das er zu sich nimmt (II, 512). Obwohl Judejahn ein alter Kunde ist, verschweigt er ihm Entwicklungen »auf dem wichtigen deutschen Markt«, denn er hält ihn für »einen Mann der zweiten Linie […], der zur Stunde noch nicht am Zug war«. Er erwähnt jedoch, dass einige hochrangige Militärs »wieder am Werk« seien (II, 514). Er überreicht Judejahn eine neue schallgedämpfte Pistole und überlässt sie ihm als Muster.

Burschen

Zwei Strichjungen, die Siegfried am Tiberufer dabei beobachtet, wie sie einen schönen Knaben verfolgen und zu Boden werfen. Sie sind hässlich, haben eine »fleckige und kranke Haut« und »ordinäre und böse Gesichter« (II, 504). Als sie Siegfried an der Uferbrüstung bemerken, lockt einer von ihnen ihn mit einer obszönen Geste zu sich. Siegfried sind sie »sehr widerlich«, dennoch fühlt er sich ihnen durch »Herkunft und Erziehung in unterweltlicher Weise« verbunden (II, 505). Er geht mit dem schönen Knaben in eine Zelle des Badeschiffs (II, 507), doch bevor er sich ihm nähern kann, drängt sich »der übelste der Burschen« nackt in die Zelle, und während der Knabe zur Tür hinausschlüpft, küsst Siegfried voller Ekel den »gemeinen käuflichen Mund« des »verkommenen Jünglings« (II, 508).

Chauffeur

Fährt Judejahns Wagen, ein ›braungesichtiger‹ Mann »in militärähnlicher Livree« (II, 401). Er chauffiert Judejahn durch die Stadt, und unter anderem zur Engelsburg, wo er »in militärischer Haltung neben seinem Fahrzeug« steht (II, 504). Er ist stets verfügbar und »wie durch eine Teufelsdroge unermüdlich« (II, 550).

Dichter

Amerikanischer Dichter, der »ein Romstipendium hat und das ganze Jahr an einem Sonett feilt, das dann in der Zeitschrift einer kleinen Universität gedruckt wird« (II, 552). Trägt spitze Schuhe, eine Röhrenhose und eine »Directoirefrisur«. Am Abend nach dem Konzert spricht er Siegfried in der Schwulen-Bar an, um mit ihm über seine Musik zu sprechen, die ihn »ehrlich bewegt« hat (II, 553).

Judejahn, Adolf

Sohn von Eva und Gottlieb Judejahn, Cousin Siegfried Pfaffraths, Diakon und angehender Priester. Er verbrachte seine Kindheit, zeitweise gemeinsam mit Siegfried (II, 451), in einer »nationalsozialistischen Erziehungsburg […], aus der sie ihren Führernachwuchs holen wollten« (II, 458). Zum Ende des Krieges schickten die Erzieher die Kinder mit dem Zug nach Hause. Adolfs Zug wurde von Tieffliegern beschossen, er blieb unverletzt und traf einen jüdischen Jungen aus einem anderen zerstörten Zug, der aus einem Konzentrationslager kam. Adolf teilte sein Essen mit dem Jungen und deckte den Frierenden mit seiner Uniformjacke zu. »Er tat es nicht aus Mitleid« (II, 461). Am darauffolgenden Morgen setzte er sich in die Dorfkirche eines nahen Ortes, »weil ihr Tor offen stand, und weil sonst kein Tor offenstand« (II, 462). Er »glaubte den Menschen nicht mehr. Er wollte dem Herrn dienen« (II, 463).

In Rom sucht Adolf seinen Vetter Siegfried in dessen Hotel auf. Beide hadern mit ihren Eltern, die sich in der NS-Zeit schuldig gemacht haben, aber anders als Siegfried fühlt Adolf sich verpflichtet, seinen Eltern zu helfen, auch wenn er nicht daran glaubt, »sie erlösen« zu können (II, 469). Beide verabreden sich für den nächsten Tag an der Engelsbrücke (II, 470).

Am nächsten Tag besucht er den Petersdom. Die Via della Conciliazione erinnert ihn an das Nürnberger Parteitagsgelände (II, 497). Der Dom schüchtert ihn ein. Er hat Zweifel an der Kirche und an seiner Berufung zum Priester. Erst der Anblick von Michelangelos Pietà gibt ihm wieder Zuversicht. Er »wollte lieben, auch wenn er sich zur Liebe zwingen musste« (II, 501).

In der Engelsburg beobachtet er unerkannt seinen Vater, der »seine Notdurft in das Loch für den ärmsten Gefangenen« verrichtet (II, 509). Der Anblick erschüttert ihn tief. An der Engelsbrücke trifft er Siegfried, dem er von seiner Begegnung mit dem Vater berichtet. Siegfried lädt ihn zu einem Eis ein (II, 512), beide streiten über den richtigen Umgang mit den Eltern. Am Ende des Gesprächs schenkt Siegfried seinem Vetter seine Konzertkarte.

Adolf besucht seine Mutter in ihrem Hotelzimmer. Sie begegnet ihm kalt und ablehnend, weil sie seinen Beruf verachtet. Als Judejahn überraschend den Raum betritt, begrüßt er seinen Sohn nicht. Adolf beobachtet das Wiedersehen seiner Eltern und betet für sie. Am Ende drückt Judejahn ihm Geld in die Hand mit der Bemerkung, er solle sich damit betrinken oder mit einem Mädchen ausgehen, »wenn du noch ein Mann bist« (II, 526).

Beim Konzert versucht Adolf, Siegfrieds Musik zu begreifen, und erkennt »Gegensätzliches, wohltuenden Schmerz, lustige Verzweiflung« (II, 538). Als er am Ende nicht weiß, ob er applaudieren soll, sieht er seinen begeistert applaudierenden Vater und versteht die Welt nicht mehr. »Adolf ahnte nichts von der Existenz des kleinen Gottliebs in seinem Vater, und so konnte er Judejahns Verhalten nicht enträtseln« (II, 540 f.).

Nach dem Konzert gehen Adolf und Siegfried durch die nächtliche Stadt und diskutieren über die Notwendigkeit politischer Ideale. Siegfried führt ihn in die Schwulenbar, in der Laura arbeitet. Ihr Lächeln bezaubert Adolf (553). Siegfried möchte ihn »vom bittersüßen Trank kosten« lassen (II, 555) und trifft für ihn eine Verabredung mit Laura. Als Gottlieb Judejahn kurz darauf das Lokal betritt und erkennt, daß Laura seinen verachteten Sohn ihm vorzieht, läuft er blaurot an (II, 557), verlässt aber die Bar, ohne Adolf angesprochen zu haben (II, 559 f.). Später begleiten Adolf und Siegfried Laura durch die Nacht. An der Santa Maria degli Angeli verabschiedet Siegfried sich, und Adolf steht lange mit Laura am Kirchengemäuer. Er »versuchte, das Lächeln zu greifen«, erschrickt aber und läuft davon (II, 568).

Am nächsten Morgen geht er in der Santa Maria degli Angeli zur Beichte (II, 570) und gibt das Geld seines Vaters beim Verlassen der Kirche einer Bettlerin. Im Garten der Diokletiansthermen sieht er plötzlich seinen Vater mit blaurotem Gesicht heranwanken und der Länge nach hinschlagen. Er holt den Priester aus der Kirche, damit er dem sterbenden Judejahn die letzte Ölung erteilt, und betet für den Vater (II, 578 f.).

Judejahn, Eva (geb. Klingspor)

Ehefrau von Gottlieb Judejahn, Mutter von Adolf Judejahn und Schwester von Anna Pfaffrath. Sie ist ungeschminkt, trägt die Haare geknotet, ein »Frauenschaftsweib« (II, 412).

Nach dem Krieg hat sie nicht um ihren zunächst totgeglaubten Mann getrauert, »den sie als Held in Walhall« sah, sondern »um Großdeutschland«, um die »germanische Weltbeglückungsidee, das tausendjährige Reich« (415). Sie nimmt ihrem Mann übel, dass er im Krieg nicht gestorben ist (II, 545), und verzeiht ihm zwar seine eheliche Untreue, nicht aber »Rassenverrat und Blutsverrat« (II, 417), die er ihrer Meinung nach mit seiner Arbeit in einem arabischen Staat begeht.

Sie ist mit ihrer Schwester und ihrem Schwager Friedrich Wilhelm Pfaffrath nach Rom gereist, um ihren Mann wiederzusehen, aber als die Pfaffraths zu Judejahn ins Hotel fahren wollen, weigert sie sich mitzukommen. Sie sieht ihre Ehe als beendet an, da »der Bund sich von selbst gelöst hatte, als Hitler starb« (II, 486). Auch ihren Sohn Adolf verachtet sie, weil er Priester geworden ist, denn sie glaubt nur an das völkische Leben, »und für den wider das völkische Leben Frevelnden gab es allein den Tod« (II, 487).

Am nächsten Tag besucht Adolf sie in ihrem Hotelzimmer. Sie überschüttet ihn mit Vorwürfen und gerät in Rage über ihren Mann und darüber, dass er, wie sie mutmaßt, den »Führer« verraten hat (II, 524 f.). Als dann Judejahn selbst das Zimmer betritt, beruhigt sie sich. Beide versichern sich, dass die Juden an allem schuld seien, und sind sich einig in der Verachtung ihres Sohnes. Judejahn verspricht weiterzukämpfen, aber Eva sieht schon »den Tod hinter ihm stehen« (II, 526). Judejahn befiehlt ihr abzureisen, packt ihre Sachen und führt sie aus dem Zimmer.

Am Bahnhof will sie Judejahn überreden mitzukommen, denn sie glaubt an einen triumphalen Empfang (II, 532), doch Judejahn bleibt in der Stadt, während ihr Zug »sie nordwärts zu den Alpen« trägt (II, 533).

Judejahn, Gottlieb

Ehemaliger SS-General, Ehemann von Eva Judejahn, Vater von Adolf Judejahn. Er hasst seinen Vornamen, denn »er wollte nicht Gott lieb sein und ließ sich in der Familie und unter Freunden Götz rufen, während er dienstlich und amtlich G. Judejahn zeichnete« (II, 416). Wuchtige Erscheinung, »breit die Schultern, gehoben der Brustkorb, gerundet und elastisch wie ein praller Boxball der Bauch und stämmig die Schenkel« (II, 401).

Er ist Sohn eines Volksschullehrers, der ihn als Kind oft prügelte, was er nicht vergessen kann. Der Erzähler deutet wiederholt einen psychischen Zusammenhang zwischen Judejahns Brutalität und Machtbesessenheit und der Angst des gedemütigten ›kleinen Gottfried‹ an. 1915 wollte Judejahn in den Krieg ziehen, wurde aber nicht angenommen. 1917 bekam er sein Notabitur und wurde zu einem Offizierskurs geschickt (II, 411). »In Hitlers Dienst wurde Judejahn bürgerlich, arrivierte, setzte Speck an, trug hohe Titel, heiratete und verschwägerte sich mit dem Märzveilchen« Friedrich Wilhelm Pfaffrath (II, 412). Im Krieg war er SS-General, nach dem Krieg flüchtete er und wurde Truppenausbilder und Waffenkäufer in einem arabischen Staat. Bei den Nürnberger Prozessen wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt (II, 413). Seine Familie hielt ihn lange für tot, bis er »in einer schwachen Stunde« (II, 412) seinem Schwager ein Lebenszeichen schickte, worauf Pfaffrath das Treffen in Rom arrangierte.

Judejahn wohnt in Rom in der Via Veneto »in einem Botschafter- und Ministerhotel« (II, 407). Als es Zeit ist, zum Hotel der Pfaffraths zu gehen, in dem das Wiedersehen stattfinden soll, überkommt ihn Angst – trotz seines Mottos »Ich weiß nicht, was Furcht ist« (II, 406). Auf dem Weg zu dem Hotel macht er viele Umwege und kehrt in mehreren Gasthäusern ein, darunter auch in der Bar, in der Laura an der Kasse sitzt, auf die er sogleich ein Auge hat. Schließlich erreicht er das Hotel, ein von Deutschen bevorzugtes Haus, sieht auf dem Parkplatz die »Symbole des deutschen Wiederaufstiegs, das Stromlinienblech des deutschen Wirtschaftswunders«, das ihm imponiert (II, 430), und beobachtet in der Hotelhalle durch eine Glastür seinen Schwager mit Frau und Sohn inmitten von Landsleuten (II, 430). Dabei fühlt er sich seinerseits beobachtet, sieht aber nur einen Priester, der ebenfalls durch die Glastür starrt (II, 441, 442). Es ist Adolf (II, 467), aber Vater und Sohn erkennen sich nicht. Judejahn verlässt das Hotel, ohne die auf ihn wartenden Verwandten gesprochen zu haben: »Er floh den Anblick der Bürger«, ist sich sicher, dass sie ihm nach anfänglichem Jubel »das Netz ihrer Bürgerlichkeit übergeworfen« hätten (II, 443). Später trifft er telefonisch eine neue Verabredung mit seinem Schwager für den nächsten Tag in seinem Hotel, wo sie ihn »in all seinem Glanz sehen« sollen (II, 444).

Er geht durch das nächtliche Rom, kommt am ehemaligen Palast Mussolinis vorbei (II, 446), kehrt erneut in eine Gaststätte ein, wo er zwei Deutsche trifft, »Galgenvögel, verlorene Haufen«, die, wie er feststellt, im Krieg in einem ihm unterstellten Bataillon gedient haben (II, 455). Später stößt er an der Fontana di Trevi auf einen deutschen Frauenchor, der »Am Brunnen vor dem Tore« singt (II, 468; vgl. auch 467). Zuletzt geht er noch einmal zu der Bar, in der Laura arbeitet. Die Bar wird gerade geschlossen, aber Judejahn traut sich nicht, Laura anzusprechen, und redet sich ein, sie sei eine Jüdin (II, 473 f.). Zurück im Hotel, fühlt er sich klein und machtlos und steigert sich in Hass gegen Laura, die er sich nun nicht nur als Jüdin, sondern als Hure denkt, eine »magere geile jüdische Hure«. Er »brauchte eine Frau, um sie zu hassen, er brauchte für seine Hände, für seinen Leib einen anderen Leib, ein anderes Leben, das zu hassen und zu vernichten war, nur wenn man tötete, lebte man« (II, 475).

Am Morgen empfängt Judejahn die Pfaffraths im Schlafrock und lässt sie »wie Bittsteller« dastehen (II, 488). Als er erfährt, dass sein Sohn Adolf Priester wird, gerät er in Wut, hat sich aber rasch wieder in der Gewalt und revanchiert sich für die ›Schmach‹ mit einem Zeitungsartikel über Siegfried und seine »unmännliche Beschäftigung« mit Musik (II, 490 f.). Aber Pfaffraths zeigen sich stolz auf den Sohn, und so »blieb Judejahn mit dem frommen Sprößling blamiert« (II, 491). Er lehnt das Angebot ab, mit den Verwandten nach Monte Cassino zu fahren, denn »Schlachtfelder, höhnte er, die still und kampflos lagen«, interessierten ihn nicht (II, 491). Um Größe zu demonstrieren, inszeniert er einen Anruf bei der Botschaft des arabischen Landes, für das er arbeitet, und tut so, »als ob er tyrannische Befehle erteile und über Krieg und Frieden vorerst im Nahen Osten entscheide«, was ihm bis auf Dietrich Pfaffrath alle glauben (II, 492).

Am nächsten Tag besucht er die Engelsburg, wo sein Sohn Adolf ihn unerkannt beobachtet (II, 509), und hat dann ein Treffen mit dem Waffenhändler Austerlitz, den er für einen »Wohltäter der Menschheit« hält, weil er für den Fortbestand von Kriegen sorgt (II, 513). Austerlitz überlässt ihm eine schallgedämpfte Pistole als Muster (II, 515). Nach einer Spazierfahrt mit der zufällig aufgelesenen Laura, mit der er sich für den Abend verabredet (II, 522), besucht Judejahn seine Frau Eva in ihrem Hotelzimmer, wo er auf seinen Sohn trifft, den er mit Nichtachtung straft. Er verspricht seiner Frau, demnächst nach Deutschland zu kommen und weiter für den Faschismus zu kämpfen, und befiehlt ihr abzureisen. Er gibt ihr Geld für die Reise, packt ihre Sachen zusammen und bringt sie zum Bahnhof. Beim Verlassen des Hotelzimmers steckt er Adolf Geld zu und rät ihm verächtlich, sich damit zu betrinken oder mit einem Mädchen auszugehen (II, 526).

Am Abend besucht er kurzentschlossen das Konzert, er will »Zeuge der Familienentartung« werden (II, 533). Siegfrieds Musik irritiert ihn, sie blockiert sein Denken (II, 536). Aber am Ende applaudiert er am lautesten und empfindet das Pfeifen aus der Galerie als »ungehöriges Benehmen« gegen die reichen und von ihm verachteten »Herrschaften im Parkett« (II, 540). Er geht mit den Pfaffraths zum Dirigentenzimmer, wo er Ilse Kürenberg »mit entkleidenden Blicken« mustert (II, 543). Er spricht mit seinen Verwandten darüber, wie er sich seine Rückkehr nach Deutschland vorstellt, und prahlt von »neuer Kampfzeit und neuer Bewegung« (II, 550).

Anschließend trifft sich die ganze Familie, teils unfreiwillig, in der Schwulen-Bar, wo Laura ihre Verabredung zurücknimmt und Judejahn auf den nächsten Morgen vertröstet (II, 555). Als er erkennt, dass Adolf der Grund für ihre Absage ist, erfasst ihn ohnmächtige Wut, sein Sohn hat »ihn bei einer Hure ausgestochen« (563). In der Nacht in seinem Hotelzimmer erfüllt ihn »dumpfes Brausen« und ein »roter Nebel« verdeckt seinen Blick (II, 567 f.); hier kommt ihm der Gedanke, Ilse Kürenberg zu töten (II, 568; vgl. II, 576).

Am nächsten Morgen trifft er Laura und geht mir ihr in ein Hotel in der Nähe des Bahnhofs (II, 573). Er schläft mit ihr und phantasiert sich dabei erneut in die Vorstellung hinein, dass sie eine Jüdin sei, die man »liquidieren« müsse. »Man hatte den Führer verraten. Man hatte nicht genug liquidiert« (II, 575). An Lauras Stelle tötet er dann aber Ilse Kürenberg, die er zufällig an einem Fenster des gegenüberliegenden Hotels stehen sieht. Er schießt das das ganze Magazin der schallgedämpften Pistole leer, die er von Austerlitz erhalten hat, trifft sie mit dem letzten Schuss, »des Führers Befehl war vollstreckt« (II, 576). Er geht aus dem Hotel und will sich im Thermenmuseum verstecken, durch das er, taumelnd, mit blaurotem Gesicht und »roten Nebel« vor Augen, irrt (II, 577 f.). Im Garten des Museums bricht er schließlich zusammen. Sein Sohn Adolf, der sich zufällig ebenfalls im Museumsgarten aufhält, sorgt dafür, dass ein Priester dem Sterbenden die Letzte Ölung erteilt (II, 579). »Die Zeitungen meldeten noch am Abend Judejahns Tod, der durch die Umstände eine Weltnachricht geworden war, die aber niemand erschütterte.« (II, 580)

Dieser Satz, mit dem der Roman endet, ist eine Anspielung auf den letzten Satz von Thomas Manns »Tod in Venedig«: »Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem Tode.« – »Märzveilchen« (auch ›Märzgefallene‹) nannten frühe Parteimitglieder der NSDAP abschätzig jene Mitglieder, die der Partei nach den Märzwahlen 1933 in großer Zahl beigetreten waren.

Klingspor

Geburtsname der Schwestern Anna Pfaffrath und Eva Judejahn (II, 502).

Knabe

Ein schöner Junge, den Siegfried am Tiberufer beobachtet. Zwei hässliche Strichjungen verfolgen ihn und werfen ihn zu Boden. Siegfried, der seine Schönheit bewundert, sieht in ihm einen gefallenen Ganymed, »rauh angepackt, nicht von Adlerfängen, von scheußlichen unreinen Geiern, Zeus-Jupiter war tot, auch Ganymed war wohl tot« (II, 505). Er geht mit ihm in eine Zelle des Badeschiffes (II, 507), aber sogleich drängt sich einer der beiden Strichjungen nackt in die Zelle, und der schöne Knabe schlüpft zur Tür heraus (II, 508).

Kürenberg

Berühmter Dirigent, Ehemann von Ilse Kürenberg, »unfreiwillig freiwillige[r] Langemarckstürmer« im Ersten Weltkrieg (II, 405). 1934 war er als Generalmusikdirektor in derselben Stadt tätig, in der Friedrich Wilhelm Pfaffrath, damals Oberpräsident der Provinz, jetzt Oberbürgermeister, mit seiner Familie lebte und lebt; seine Ehe mit Ilse, der Tochter des jüdischen Kaufhausbesitzers Aufhäuser, verhinderte seine Berufung nach Berlin (II, 420) und zwang ihn in die Emigration (II, 404 f.). Dort hatte ihn 1944 ein Brief aus einem englischen Kriegsgefangenenlager erreicht, in dem Siegfried Pfaffrath ihn um »Notenbeispiele der neuen Musik« (der Zwölftonmusik) gebeten hatte (II, 405). Er ist nach Rom gekommen, um die Uraufführung von Siegfrieds Sinfonie zu dirigieren. Dass Siegfried der Sohn des Mannes ist, den er vor seiner Emigration vergeblich um Hilfe für seinen jüdischen Schwiegervater gebeten hatte, erfährt er erst in Rom bei einem Abendessen mit Siegfried, lässt sich davon aber nicht in seiner freundschaftlichen Haltung zu Siegfried beirren (II, 434).

Seit dem Kriegsende führt er mit seiner Frau ein Nomadenleben (II, 433), das sie von Konzert zu Konzert führt. Er hat, so Siegfrieds Wahrnehmung, ein »festes ernstes Männergesicht« (II, 431), in den Augen seiner Frau ist er »ergraut, ziemlich kahl, doch mit hellen Augen in seinem guten festen Gesicht, ein wenig stämmig in der Gestalt« und »wirkte verschlossen, deutender gesagt, fest in sich ruhend und im Geistigen lebend« (II, 404). Die Kürenbergs führen eine Ehe ohne Streit (ebd.). Sie lieben gutes Essen und sie »liebten die Antike« (II, 405).

Für den Abend laden sie Siegfried zum Essen ein (II, 404), das sie in dem Zimmer ihres Hotels in der Bahnhofsgegend selbst zubereiten (II, 431-440). Nach dem Essen, bei dem nicht gesprochen wird, reden sie zunächst über Rom (II, 435) und dann über Siegfrieds Musik. Kürenberg erwartet von Siegfrieds Kompositionen »eine Überraschung, eine noch nie gesprochene Sprache« und rät ihm, sich nicht in den Elfenbeinturm zurückzuziehen, sondern sich ins Leben zu begeben und dabei dennoch einsam zu bleiben (II, 439 f.).

Nach dem Konzert trifft er im Dirigentenzimmer auf die Pfaffraths und Judejahn. Friedrich Wilhelm Pfaffrath schwätzt von »der guten Zeit von neunzehnhundertdreiunddreißig« (II, 543) und bietet ihm ein Gastspiel »im alten, zwar noch zerstörten, aber bald wiederhergestellten Theater« an (II, 544). Kürenberg gibt »höflich sachliche Antwort«, seine Frau lotst ihn aus dem Zimmer (ebd.).

Er lässt seine Verbindungen spielen, um zu erreichen, dass Siegfried den Musikpreis zugesprochen bekommt, aus diplomatischen Gründen allerdings nur den halben (II, 566 f.). Zur Feier des Preises und zum Abschied – sein Abflug nach Australien zum nächsten Konzert steht bevor – lädt er Siegfried am nächsten Tag in ein Restaurant an der Piazza Navona ein. Als er von Siegfrieds Plan erfährt, mit dem Preisgeld nach Afrika zu reisen, empfiehlt er ihm, »nach Mogador zu gehen« (573). Währenddessen wird seine Frau, die an diesem letzten Treffen nicht teilnimmt, von Judejahn erschossen (II, 576).

Kürenberg, Ilse

Frau des berühmten Dirigenten Kürenberg. Sie stammt aus derselben Stadt, in der Friedrich Wilhelm Pfaffrath in den dreißiger Jahren mit seiner Familie als Oberpräsident der Provinz lebte und deren Oberbürgermeister er jetzt ist; sie ist die Tochter des jüdischen Warenhausbesitzers Aufhäuser, für den ihr Mann bei Pfaffrath vergeblich um Hilfe nachgesucht hatte und der später von den Nationalsozialisten ermordet wurde (II, 420, 434). Dass Siegfried ein Sohn Pfaffraths ist, erfährt sie erst in Rom (II, 434). Kürenberg war um ihretwillen emigriert, beide lebten lange in England und führen jetzt ein Nomadenleben, das sie rund um die Welt, von Konzert zu Konzert, führt.

Siegfrieds Musik, die Kürenberg in Rom zur Uraufführung bringen will, gefällt ihr nicht, sie beunruhigt sie, es »war ein Ton da, der sie wehmütig machte. […] Sie wollte nicht leiden. Nicht mehr. Sie hatte genug gelitten« (II, 403). Nachdem sie beim gemeinsamen Kochen mit Siegfried erfahren hat, dass Siegfried der Sohn jenes Friedrich Wilhelm Pfaffrath ist, der sich geweigert hatte, ihren Vater vor der Verfolgung zu retten (II, 433-435), fällt es ihr schwer, ihn unvoreingenommen zu betrachten. »Dieser junge Mann aus meiner Stadt schreibt Symphonien, und sein Großvater hat vielleicht am Spinett gesessen oder die Flöte gespielt, aber sein Vater hat meinen Vater erschlagen« (II, 439). Später macht sie sich deswegen Vorwürfe, nimmt sich ihre innere Abwehr gegen Siegfried übel und fragt sich, ob sie damit nicht ihrerseits demselben Ressentiment, derselben »Simplizität des in Gruppen Denkens« aufsitzt wie einst ihre Verfolger (II, 567).

Beim Konzert sitzt sie in der Loge neben Adolf Judejahn, den sie zwar als katholischen Geistlichen erkennt, der ihr aber trotzdem »wie der rebellierende Luther« vorkommt (II, 535). Erneut kann sie Siegfrieds Musik wenig abgewinnen und weiß jetzt, warum: »Es war zu viel Tod in diesen Klängen« (II, 535), sogar »eine perverse Hingabe an den Tod« (II, 536). Am Ende applaudiert sie nicht, sondern hält »die Hände ruhig im Schoß« (II, 540). Sie geht zu ihrem Mann ins Dirigentenzimmer und gratuliert Siegfried mit kalter Hand (II, 542). Als die Pfaffraths und Gottlieb Judejahn den Raum betreten, fühlt sie sich, als »bräche eine Mauer auf, hinter der man Gespenster eingemauert hatte« (II, 543). Besonders Judejahn fällt ihr auf, »der Mann der Endlösung, der sie mit entkleidenden Blicken ansah« (II, 543). Sie bittet ihren Mann, mit ihr fortzugehen.

Zurück im Hotelzimmer badet sie und stellt sich nackt ans offene Fenster, spürt den Wind und hat das Gefühl, standgehalten zu haben: »Sie hatte dem Sturm widerstanden« (II, 567). Am nächsten Tag steht sie erneut, eingehüllt in einen weißen Frisiermantel, am Fenster, wo Judejahn sie von einem Hotelfenster gegenüber aus zufällig entdeckt und erschießt (II, 576).

Laura

Kassiererin in einer Homosexuellen-Bar in der Via Veneto. Ihr »liebliches Lächeln war in der Straße berühmt« und ist der Grund dafür, dass der Barbesitzer sie, obwohl sie nicht rechnen kann, nicht entlässt, denn sie zieht die Gäste an, und niemand betrügt sie, weil jeder sich »durch Lauras stilles Lächeln beschenkt« fühlt (II, 423).

Als Judejahn sich zufällig in die Bar verirrt, hat er sogleich ein Auge auf sie, traut sich aber zunächst nicht, sie anzusprechen (II,423 f., 473 f.). Erst am nächsten Tag lädt er sie zu einer Spazierfahrt ein und trifft mit ihr eine Verabredung für den Abend (II, 522). Am Abend aber arrangiert Siegfried ein Treffen mit ihr und Adolf Judejahn. Die Unbeholfenheit und Unschuld Adolfs, der, gebannt von ihrem Lächeln, den Blick nicht von ihr lassen kann, rühren sie, sie »sah sich selber als ein Geschenk, und es freute sie, daß sie etwas zu verschenken hatte« (II, 554). Sie willigt in das Treffen und vertröstet Judejahn, der wenig später das Lokal betritt, auf den nächsten Vormittag; seine Wut schmeichelt ihr (II, 555). Nach Schließung der Bar begleiten Adolf und Siegfried sie auf ihrem Heimweg, und nachdem Siegfried sich verabschiedet hat stehen Laura und Adolf lange am Gemäuer der Diokletiansthermen im schwachen Schein des Ewigen Lichts an der Santa Maria degli Angeli, »und sie versuchten in diesem Licht ihre Seelen zu erkennen« (II, 565). Aber schließlich erschrickt Adolf und läuft davon (II, 568).

Am nächsten Morgen geht Laura mit Judejahn in ein Hotel in der Nähe des Bahnhofs. Sie freut sich auf das Geschenk, das sie sich von ihm erhofft, und denkt enttäuscht an Adolf: »sie war so froh gewesen mit ihm in der Nacht, aber der Priester war weggelaufen, er hatte die Sünde gescheut, und Laura hatte geweint, und jetzt hielt sie sich an den Alten« (II, 572). Der allerdings wirft sie sofort aufs Bett und nimmt sie mit roher Gewalt, doch am Ende ist sie ihm »dankbar, weil er sie befriedigt und ihr Lust geschenkt hatte« (II, 575). Von der Gefahr, in der sie schwebt, ahnt sie nichts. Als Judejahn am Fenster die Schüsse auf Ilse Kürenberg abfeuert, wirft sie sich verängstigt aufs Bett, bedeckt ihren Kopf mit dem Kopfkissen und ist »anzusehen wie der kopflose schöne Leib der kopflosen Aphrodite Anadyomene« (II, 576).

Leiter der Musikabteilung

Mit dem »Leiter der Musikabteilung eines bedeutenden Senders« (II, 494) macht Ilse Kürenberg Siegfried während der Generalprobe bekannt. Für Siegfried sieht er aus »wie ein großer gefangener und überaus melancholischer Vogel«. Er spricht nur Französisch, und Siegfried, der nicht versteht, was er von ihm will, schämt sich, »ungebildet dazustehen«, und gibt seine Zustimmung, ohne zu ahnen, worum es geht (II, 494 f.).

Männer

Ehemalige Mitglieder der österreichischen SS (II, 456), auf die Judejahn in einer Kellergaststätte an der Via Nazionale, in der »Deutsche Küche« und »Pilsener Bier« angeboten werden, zufällig stößt (II, 453). Im Krieg waren sie Teil einer »Truppe verruchter Kerle«, die Judejahn unterstellt war (455). Später steigt Judejahn zu ihnen in ihr Auto und lässt sie zum Bahnhof fahren. Als er bemerkt, dass die Fahrt nicht zum Bahnhof geht, und befürchtet, dass die Männer ihn umbringen und ausrauben wollen, gibt er ihnen brüllend Befehle. Die Männer »erkannten die Stimme ihres Herrn« (II, 464), halten an, und Judejahn springt aus dem Wagen.

Pfaffrath, Anna (geb. Klingspor)

Frau Friedrich Wilhelm Pfaffraths, Schwester Eva Judejahns (II, 415) und Mutter von Siegfried und Dietrich Pfaffrath. Sie ist mit Mann, Schwester und jüngstem Sohn nach Rom gekommen, wo die Familie den totgeglaubten Judejahn treffen will. Sie steigen in einer »von Deutschen bevorzugten Herberge« ab (417) ab.

Wie sich bei der ersten Wiederbegegnung mit Judejahn zeigt, erliegt auch Anna Pfaffrath den Wirkungen von Macht und Autorität, die Judejahn demonstriert: Wie ihr Mann und ihr jüngerer Sohn empfindet auch sie »ein Wohlempfinden, eine Lust im Mark, ein wollüstiges Schneiden im Bauch und in den Genitalien« (II,490) und ist sofort »wieder gefangen von des Schwagers Größe« (II, 492). Beim Picknick auf dem Schlachtfeld am Monte Cassino lauscht sie wie die anderen den »lustige[n] Anekdoten aus dem großen Morden« (II, 508).

Siegfrieds Musik bleibt ihr fremd, denn sie »entfernte sich von aller Vorstellung, die Pfaffraths von Musik hatten« (II, 536).

Pfaffrath, Dietrich

Jüngerer Sohn von Anna und Friedrich Wilhelm Pfaffrath, Bruder Siegfrieds. Er ist mit seinen Eltern und seiner Tante Eva Judejahn nach Rom gekommen, wo die Familie seinen totgeglaubten Onkel Gottlieb Judejahn treffen will. Dietrich ist strebsam und fleißig, er »bereitete sich selbst auf der Familienreise und schönen Italienfahrt auf die Große Juristische Staatsprüfung vor« (II, 475). Er ist Mitglied einer Burschenschaft. In der ersten Nacht in Rom schläft er über einem heimlich gekauften Erotikmagazin ein. »Machtlos war er gegen den Trieb, aber mächtig trieb es ihn zu den Mächtigen, denen er dienen wollte, um im Haus der Macht zu sitzen« (II, 476).

Beim ersten Treffen mit dem Onkel spürt Dietrich, »dass die große Zeit des Onkels für immer vorbei sei«, und fürchtet, dass diese Verwandtschaft seine Karriere bedrohen könnte (II, 492). Dietrich, so prognostiziert der Erzähler, wird auf eine Beamtenkarriere setzen und nur im Fall des Misslingens wird er »blind hinter einer falschen Fahne marschieren, wird er bedenkenlos in jeden falschen Krieg ziehen« (II, 493). Alle Menschen in seiner Umgebung beurteilt er danach, ob sie ihm für seine Karriere nützlich oder schädlich sein können, so auch seinen Vetter Adolf: »Vielleicht wirst du Kardinal. Man muß sich gut mit dir stellen« (II, 527).

Die Musik seines Bruders bleibt ihm fremd. »Er ist ein Neutöner«, flüstert er seinen Eltern zu, was »schmähend« gemeint ist, aber gleichzeitig ist er beunruhigt von dem Gedanken, Siegfried könnte »am Beginn einer großen Laufbahn« stehen (II, 537). Auch der Umstand, dass Siegfried sich nach dem Konzert dem Publikum nicht zeigt, irritiert ihn (II, 541). Im Dirigentenzimmer gratuliert er ihm mit verkniffenem Mund und meint, er »hätte es nun wohl geschafft« (II, 543).

Beim anschließenden Drink vor der Schwulenbar, zu dem Judejahn die Familie eingeladen hat, beobachtet Dietrich die vorbeigehenden Frauen voller Begierde, aber da er schnell ausrechnet, dass er sie sich nicht leisten kann, verlegt er sich darauf, sie zu hassen und sich über ihr aufreizendes Äußeres zu entrüsten (II, 560).

Pfaffrath, Friedrich Wilhelm

Ehemann von Anna Pfaffrath, Vater von Siegfried und Dietrich Pfaffrath und Schwager Gottlieb Judejahns. Im Dritten Reich, dem er sich gleich zu Beginn bereitwillig angedient hatte (sein Schwager Judejahn nennt ihn »Märzveilchen« und »Karriereschleicher«; II, 412), war er Oberpräsident (Regierungspräsident) einer deutschen Provinz, in deren Verwaltungsstadt er nach dem Krieg als demokratisch gewählter »Oberbürgermeister und angesehener Bundesbürger« lebt (II, 413). Er hat »seinen ledergebundenen Goethe im Bücherschrank«, daneben »Steuerkommentare« (II, 414). Mit Frau, Schwägerin und Sohn Dietrich ist er nach Rom gekommen, um seinen totgeglaubten Schwager Gottlieb Judejahn zu treffen, dem er bei dessen Rückkehr nach Deutschland behilflich sein möchte (vgl. II, 412, 418).

Während er in seinem Hotel, einer »von Deutschen bevorzugten Herberge« (II, 417), vergeblich auf Judejahn wartet, denkt er über seine Söhne nach: Mit Dietrich ist er zufrieden, Siegfried jedoch ist in seinen Augen »aus der Art geschlagen« (II, 419), seine Musik hält er für »Surrealismus, Kulturbolschewismus und negroide Neutönerei« (II, 420). Dennoch erblickt er in Siegfrieds unverhoffter Anwesenheit in Rom einen »Fingerzeig«, der eine »Möglichkeit zu Aussprache und Versöhnung« bedeuten könnte (II, 419).

Nachts wird er von einem Alptraum geplagt, in dem Judejahn die Hauptrolle spielt (II, 477). Beim ersten Wiedersehen mit dem Schwager am darauffolgenden Tag empfindet auch er – wie seine Frau und Sohn Dietrich – »ein Wohlempfinden, eine Lust im Mark, ein wollüstiges Schneiden im Bauch und in den Genitalien« angesichts der Macht und Autorität, die Judejahn mit seinem Wutanfall demonstriert (II, 490). Und auch bei Judejahns (inszeniertem) Telefongespräch mit der diplomatischen Vertretung des arabischen Staates, für den er arbeitet, ist Friedrich Wilhelm »wieder gefangen von des Schwagers Größe« (II, 492).

Beim anschließenden Picknick mit der Familie auf dem Schlachtfeld von Monte Cassino lauscht er den Erzählungen anderer Deutscher von der Schlacht, berichtet selbst vom Grabenkrieg in Verdun (II, 507), man spricht vom fairen Krieg und erzählt »lustige Anekdoten aus dem großen Morden« (II, 508).

Die Pfaffraths besuchen das Konzert und sind von Siegfrieds Symphonie enttäuscht, denn sie »entfernte sich von aller Vorstellung, die Pfaffraths von Musik hatten« (II, 536). Sie fürchten einen Skandal und sehen sich ängstlich um, aber die Leute »machten das übliche Konzertgesicht nachdenklichen Musikgenusses« (II, 537). Den Applaus können sie sich nicht erklären und vermuten, dass es »eine entartete, erschreckend verdorbene und blind in den eigenen Untergang taumelnde Gesellschaft sein (mußte), die nun ihres Sohnes Musik feierte« (II, 541). Beim anschließenden Besuch im Dirigentenzimmer trifft Friedrich Wilhelm auf Kürenberg, dem er einst jede Hilfe gegen die NS-Verfolgung abgeschlagen hatte, spricht mit ihm unverfroren von der »guten Zeit von neunzehnhundertdreiunddreißig« (II, 543) und bietet ihm ein Gastspiel in der Stadt an, aus der Kürenberg einst mit seiner Frau fliehen musste (II, 544). Dass Ilse Kürenberg ihn nicht beachtet und ihren Mann bittet, mit ihr fortzugehen, empfindet er als beleidigend. Schließlich steht die Familie alleine im Raum, auch Siegfried ist gegangen (vgl. II 547).

Beim anschließenden Drink vor der Schwulenbar, zu dem Judejahn die Familie eingeladen hat, entrüstet Pfaffrath sich über die anrüchige Atmosphäre an der Via Veneto (vgl. II, 560). Einen erneuten Wutausbruch seines Schwagers über die politischen Verhältnisse in Westdeutschland lässt er schweigend über sich ergehen, denn »Friedrich Wilhelm Pfaffrath war schmählich wehrlos gegen jeden Schreier, wenn er nur das Nationale genügend betonte« (II, 561). Dieses Mal allerdings »packte ihn ein befremdendes leichtes Grauen vor Judejahns Fahnen, die wieder rauschen sollten«, und es scheint ihm plötzlich, »als sei er in jungen Jahren vom Weg abgekommen, als habe es einen anderen Pfad für ihn und für Deutschland gegeben als die Heerstraße, die Pfaffrath gegangen war« (II, 562). Und in der »Verwandlung der Nachtstunde« fragt er sich sogar, »ob Siegfried mit seiner Symphonie vielleicht die bessere Heimat gesucht« und in den für ihn so »mißklingenden Tönen vielleicht Zwiesprache mit seiner jungen Seele gehalten hatte.« (II, 562) Der Erzähler ist allerdings überzeugt, dass er sich nach einem ordentlichen Nachtschlaf »wieder makellos fühlen« wird (ebd.).

»Märzveilchen« nannten frühe Parteimitglieder der NSDAP abschätzig jene Mitglieder, die der Partei nach den Märzwahlen 1933 in großer Zahl beigetreten waren.

Pfaffrath, Siegfried

Sohn von Anna und Friedrich Wilhelm Pfaffrath, älterer Bruder von Dietrich Pfaffrath, Neffe von Judejahn. Er ist die Hauptfigur des Romans und übernimmt in den meisten der ihn betreffenden Abschnitte die Rolle eines Ich-Erzählers. Die prägende Erfahrung seiner Jugend war die »Reichsschule« der NSDAP, die er auf Wunsch seines Onkels Judejahn, zeitweise gemeinsam mit dessen Sohn Adolf (II, 451), besuchte und vor der er dann in die Wehrmacht floh (II, 396). Aus dem Kriegsgefangenenlager, in dem er gegen Kriegsende interniert war, hatte er Kürenberg einen Brief geschrieben und um Beispiele der Zwölftonmusik gebeten, die für ihn eine »neue Welt« war, »ein Tor, das ihn aus dem Käfig ließ« und von der Denkwelt seiner »Sippe« befreite, »in die geboren zu sein er immer nur entsetzlich empfunden hatte« (II, 395 f.). Inzwischen ist er Komponist (II, 394), seine erste größere Arbeit, ein Septett, trug den Titel »Variationen über den Tod und die Farbe des Oleanders« und wurde nicht aufgeführt (II, 394). Nun hält er sich in Rom auf, wo seine erste Symphonie im Rahmen eines Musikkongresses uraufgeführt werden soll; Dirigent ist Kürenberg.

Zu Beginn des Romans befindet Siegfried sich im Konzertsaal bei einer Probe. Er rechnet damit, dass seine Musik auf Ablehnung stoßen wird, was ihn deprimiert (II, 396). Nach der Probe trinkt er an der Piazza della Rotonda am Pantheon einen Grappa und beobachtet die Menschen und verwilderten Katzen (II, 397 ff.). Dabei sieht er auch seinen Onkel Judejahn, den er seit 13 Jahren nicht mehr getroffen hat, erkennt ihn aber nicht (401 f.).

Am Abend ist er zum Essen bei den Kürenbergs eingeladen. Dabei stellt sich heraus, dass Ilse Kürenberg aus seiner Heimatstadt stammt (II, 432). Siegfried erinnert sich daran, dass sein Vater Kürenbergs Hilfeersuchen für ihren von den Nazis verfolgten Vater abgelehnt hat (II, 434). Kürenberg ermutigt ihn zu neuen, experimentellen Kompositionen, die der »Straße« und dem »Tag«, der Alltagswirklichkeit, abgelauscht sind, – »vielleicht finden Sie den neuen Klang!« (II, 440)

Bei der Rückkehr in sein Hotel an der Fontana di Trevi findet Siegfried in seinem Zimmer seinen Vetter Adolf Judejahn vor, den er seit der »Junkerschule« (II, 451) nicht mehr gesehen hat. Beim Anblick seiner Soutane wird ihm bewusst, dass er Priester nur »aus sicherer Entfernung« mag; sie »berufen sich auf Gott, um zu herrschen« (II, 453). Von Adolf erfährt er, dass seine Familie und sein Onkel Judejahn und dessen Frau in Rom sind (II, 457). Siegfried will seine Eltern nicht sehen, Adolf dagegen glaubt, seinen Eltern helfen zu sollen. Die beiden Vettern verabreden sich für den nächsten Tag an der Engelsbrücke (II, 470).

Am Morgen geht Siegfried zu einer Messe, steht aber »außerhalb der Gemeinde, und das vorbedacht« (II, 481). Er sieht sein Bild in der Zeitung und freut sich, auch wenn die Zeitung am nächsten Tag nur noch »Einwickelpapier oder von anderer Nützlichkeit« sein wird (II, 482). Zur Probe kommt er absichtlich zu spät, er fürchtet sich vor seiner Musik und vor Kürenberg. Beim Anblick einer Reinmachefrau im Foyer muss er »an den Schoß des Weibes« denken und daran, »daß sie Kinder hatte«, und empfindet Ekel vor »dem feuchten und warmen Leben« und der »Lebensgier, zu der wir verdammt sind« (II, 493).

Vor dem Treffen mit Adolf geht er zum Tiberufer und beobachtet einen schönen Knaben, den zwei hässliche Strichjungen mit »ordinäre[n] und böse[n]« Gesichtern verfolgen und zu Boden werfen (II, 504). Siegfried sieht in ihm einen gefallenen Ganymed, »rauh angepackt, nicht von Adlerfängen, von scheußlichen unreinen Geiern, Zeus-Jupiter war tot, auch Ganymed war wohl tot« (II, 505). Er geht mit ihm in eine Zelle des Badeschiffes (II, 507), entkleidet ihn und bewundert »glücklich und traurig« seine Schönheit, wagt aber nicht, ihn zu berühren. Im nächsten Moment drängt sich einer der beiden Strichjungen nackt in die Zelle, und der schöne Knabe schlüpft zur Tür heraus, während Siegfried voller Abscheu und Selbsthass den abstoßenden Jungen umarmt und seinen Mund auf dessen »gemeinen käuflichen Mund« drückt (II, 508).

Zum Treffen mit Adolf an der Engelsbrücke geht er widerwillig; Adolf lässt ihn an »alle Bedrückung der Jugend denken« (II, 501) und an die Familie, die ihnen beiden trotz aller Distanzierung vom »Judejahn-Pfaffrath-Klingspor-Mief« anhaftet »wie ein Schweiß auf der Haut, den kein Bad wegbringt« (II, 502). Erneut diskutieren beide über die richtige Haltung zu ihren Eltern und deren fatalem Erbe und über die Frage, ob und wie sie es besser machen könnten als sie (II, 515-519). Beide werfen sich gegenseitig vor, dass sie mit ihrem Tun – Adolf mit seinem geistlichen Amt und Siegfried mit seiner Kunst – die Welt und die Menschen nicht ändern werden. Siegfried gesteht sich ein, dass seine Musik keine Antworten zu geben vermag und dem musikalischen Laien unverständlich bleiben muss, glaubt aber dennoch, dass sie auf geheimnisvolle Weise »mit der gleichfalls geheimnisvollen Macht der Zeit« korrespondiert und »vielleicht mit der Zeit zu großen Veränderungen beitragen« könnte (II, 518). Am Ende des Gesprächs schenkt er Adolf seine Karte für das Konzert.

Während des Konzerts bleibt er hinter der Bühne und schleicht sich gegen Ende an die Türen zur Galerie, auf der die Zuhörer »nach Gassenjungenweise« pfeifen (II, 538), während im Parkett geklatscht und nach dem Komponisten gerufen wird (II, 539). Doch Siegfried ist der »Beifall zuwider«, er zeigt sich dem Publikum nicht (II, 541), sondern kehrt ins Dirigentenzimmer zurück, wo Kürenberg ihm zu dem Erfolg gratuliert. Als seine Eltern, sein Bruder und Judejahn den Raum betreten, ist ihm »wie einem Hund zumute, den die Hundefänger mit ihren Netzen umstellt haben« (II, 543). Er verschwindet unauffällig und trifft sich auf der Straße mit Adolf.

Die Vettern gehen über die Piazza del Popolo, die nach einer Kundgebung übersät ist von Flugblättern, »die den Menschen einen neuen Frühling versprechen« (II, 544). Sie diskutieren über die Notwendigkeit von Idealen. Adolf hält sie für sinnvoll, Siegfried sieht darin nur »ein Bündel Heu, das an einer Stange einem Esel vorgehalten wird, damit er den Wagen weiterzieht« (II, 545). Statt Verheißungen sieht er Sinn nur darin, »hier etwas Glück, hier etwas Freude zu finden« (II, 546). Er führt Adolf in die Schwulen-Bar, in der Laura arbeitet. Als er bemerkt, dass Adolf von ihr bezaubert ist (553), trifft er für ihn eine Verabredung mit ihr für denselben Abend, »Gott würde nichts dagegen haben, die Kirche brauchte es nicht zu erfahren« (II, 553). Später geht er mit beiden durch die nächtliche Stadt und verabschiedet sich von ihnen an der Santa Maria degli Angeli.

Am nächsten Tag wird ihm vom römischen Bürgermeister der Musikpreis verliehen, aus diplomatischen Gründen nur der halbe (II, 568 f). Er weiß, dass Kürenberg sich dafür eingesetzt hat, und ist ihm dankbar. Er muss an seinen Vater denken: »mein Vater würde einen ganzen Tag stolz auf mich sein, weil der Bürgermeister mir den halben Preis verliehen hatte, aber mein Vater würde nie begreifen, warum der Bürgermeister mich auszeichnete.« Mit dem Preisgeld möchte er nach Afrika reisen, um dort »die schwarze Symphonie des schwarzen Erdteils« zu schreiben (II, 569).

Bei einem Essen in einem Restaurant an der Piazza Navona nimmt er Abschied von Kürenberg, den er als seinen ›einzigen wirklichen Freund‹ betrachtet. Kürenberg rät ihm, nach Mogador zu gehen. »Der Name Mogador klang gut. Er klang schwarz genug. Mogador war eine alte maurische Festung. Aber da die Mauren nicht mehr mächtig sind, konnte ich gut und gern in ihrer alten Festung wohnen« (II, 573).

Priester

Ein Deutsch sprechender Priester in der Kirche Santa Maria degli Angeli, bei dem Adolf Judejahn am Morgen nach dem Konzert die Beichte ablegt. Sein Gesicht ist »müde und abweisend« (II, 571). Adolf vermutet, dass dies daher rührt, dass viele deutsche Touristen bei ihm Beichten über Dinge ablegen, die sie sich zu Hause nicht zu beichten trauen. Kurze Zeit später ruft Adolf ihn zu seinem sterbenden Vater, damit er ihm die Letzte Ölung erteilt (II, 579).

Reisegruppe

Die deutsche Reisegruppe steht an der Fontana di Trevi, die Frauen der Gruppe singen »Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum« (II, 467). In seinem nahegelegenen Hotel hört Siegfried den Gesang. Als ein Anwohner sich gestört fühlt und zu seinem Fenster heraus schimpft, brüllt ein Mann der Gruppe: »Fresse, alter Makkaroni« (II, 467). Anschließend trifft die Polizei ein, die aber, unsicher was zu tun sei, wieder abrückt. Judejahn stößt zu der Gruppe und überbringt einen »Gruß der Heimat im leider verräterisch gesonnenen Land der deutschen Sehnsucht« (II, 468).

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