Moosbrugger, Christian
Moosbrugger ist ein ›Fall‹, der die Öffentlichkeit beschäftigt. »Moosbrugger hatte eine Frauensperson, eine Prostituierte niedersten Ranges, in grauenerregender Weise getötet« (18., 68). Er ist ein starker, hilfloser Mann (wie Büchners Woyzeck), 34 Jahre alt, Zimmermann. Sein Gesicht ist »von Gott mit allen Zeichen der Güte gesegnet« (68). Ulrich bemüht sich darum, ihn kennenzulernen, und erfährt seine Geschichte, die einfühlend erzählt wird. Moosbrugger war ein armer Hütebub, dann auf Wanderschaft; unterwegs sieht er, mit Abneigung, viele Mädchen und Frauen, an die er nicht heran kann. Er ist sehr einsam. Ihm verschwimmen die Grenzen zwischen Innen und Außen, er kann seine Gewaltphantasien angesichts von Frauen nicht bändigen. Er hat schon mehrmals gemordet und war in Gefängnissen und »Irrenhäusern« (59., 237, 243). Er hat sich allerlei Wissen angeeignet und ist eitel. Seine Person ist ihm wichtig. Manchmal hört er Geister (18., 70; 59., 239).
Sein Prozess wegen »Lustmordes« an der Prostituierten Hedwig endet mit einem Todesurteil. Ulrich wohnt der letzten Verhandlung bei, Moosbrugger erklärt, er sei zufrieden, aber nur, um am Schluss auszurufen, man habe »einen Irrsinnigen verurteilt« (18., 76).
Ulrich meint, Moosbruggers Irrsinn sei »bloß ein verzerrter Zusammenhang unsrer eignen Elemente des Seins« (18., 76). Als Ulrich von seinem Vater zum Grafen Stallburg geschickt wird, benutzt er die Gelegenheit, um für den Mörder zu sprechen. Moosbrugger sei geisteskrank und daher zu Unrecht zum Tode verurteilt worden (20., 85).
Später spricht Graf Leinsdorf ihn auf der Fahrt zur ersten Sitzung der Vaterländischen Aktion darauf an und sieht in dem »schrecklichen Kerl« das »unfaßbar Persönliche und Gnadenbedürftige, das jeder Christenmensch in sich hat« (43.,176). Er stellt darum eine weitere ärztliche Untersuchung in Aussicht. Moosbrugger wird in ein anderes Gefängnis verlegt, die Hinrichtung ist aufgeschoben (53., 211).
Kapitel 59 heißt: »Moosbrugger denkt nach« (235). Immer wieder versucht er, Gedanken und Wörter aus seinen Wirrnissen herauszufiltern. Die gelehrten Männer, die sich mit ihm berufsmäßig beschäftigt haben, hasst er und beneidet sie um ihre Wortgewandtheit (236). Moosbrugger wünscht sich nicht, verschont zu werden, er will darauf bestehen, dass man ihn töte (236, 242).
Das folgende Kapitel enthält einen »Ausflug ins logisch-sittliche Reich« (60., 242), in dem Ulrich über die Sachverständigen, Juristen, Mediziner, Psychiater spottet, die sich nicht einigen können, ob Moosbrugger »teilweise krank« bzw. »teilweise gesund«, also »teilweise zurechnungsfähig« sei oder nicht (243).
Kapitel 110 heißt »Moosbruggers Auflösung und Aufbewahrung« (530). »Wenn man Moosbruggers Fall des individuell Romantischen entkleidete, das nur ihn und die paar Menschen anging, die er ermordet hatte, so blieb von ihm nicht mehr als ungefähr das übrig, was sich in dem Verzeichnis von zitierten Schriften ausdrückte, das Ulrichs Vater seiner jüngsten Zuschrift an seinen Sohn beigelegt hatte« (533). So sitzt Moosbrugger »als die wilde eingesperrte Möglichkeit einer gefürchteten Handlung wie eine unbewohnte Koralleninsel inmitten eines unendlichen Meeres von Abhandlungen, das ihn unsichtbar umgab« (534).
Ulrich wird von Arnheim befragt, ob er, wenn er könnte, Moosbrugger vor der Hinrichtung befreien würde. Er verneint spontan und wägt dann ab (121., 636). Auf dem Heimweg denkt er wieder an Moosbrugger. Alle Leute interessieren sich für ihn. Aber Ulrich blickt »aus dem Bild des Mörders nichts Fremderes [an] als aus anderen Bildern der Welt« (122., 653).
Auch Clarisse will Moosbrugger kennenlernen (III, 7., 19.). Es gelingt ihr, in Begleitung von Ulrich, ihrem Bruder und General Stumm, das »Irrenhaus« zu besichtigen, aber zu Moosbrugger kommen sie nicht.