Danzmann, Leslie
Witwe eines Marineoffiziers, Freundin von Lisbeth Cresspahl aus der gemeinsamen Zeit in der Rostocker Töchterschule; Anfang der vierziger Jahre Hausdame von Cresspahls Kurier »Fritz« in dessen Villa in Rande, dann zwangsverpflichtet ins Arbeitsamt Gneez; im Sommer 1945 Cresspahls Sekretärin im Bürgermeisteramt; nach Cresspahls Verhaftung Arbeit im Dezernat für Wohnraum in Gneez, 1946 entlassen, Arbeit in der Fischfabrik Gneez; kurze Zeit Redakteurin für die Zeitung der CDU.
102 Um den 20. September 1931 besucht Lisbeth sie in ihrem Ferienort Graal an der Ostsee, um von dort aus heimlich zu ihrem Bräutigam Heinrich Cresspahl nach Richmond zu reisen. Vorher schreibt sie vom Frühstück bis zum späten Nachmittag Ansichtskarten, die Leslie Danzmann nach und nach an ihre Eltern schicken soll. Leslie bringt Lisbeth zum Bahnhof, »eine bleichhaarige Dame im Tennisdreß«, die ihre Freundin »nicht hatte warnen mögen«.
909-912 Im Herbst 1942 lebt sie als »Hausdame« in einer Villa am Deich von Rande. Der Besitzer, der sich Fritz nennt, arbeitet in Berlin im Luftwaffenforschungsamt, kommt nur an wenigen Wochenenden nach Rande und trifft sich dann mit Heinrich Cresspahl. Er kann sie nicht davor bewahren, dienstverpflichtet zu werden: Sie muß im Arbeitsamt Gneez ausländische Zwangsarbeiterinnen beraten. Diese Zeit ist »die schlafsüchtigste in ihrem Leben. Das Arbeiten war so ungewohnt.« Der Jugoslawin Dunja, vor der sie Angst hat, muss sie in regelmäßigen Abständen neue Arbeitsstellen vermitteln. – Über den Leiter des Arbeitsamtes beschafft Leslie Blanko-Reisegenehmigungen für Heinrich Cresspahl.
941-945 Am 1. April 1968 bekommt Gesine einen Brief von Leslie Danzmann. Sie wohnt jetzt in Jerichow in einem Zimmer am Markt. Sie berichtet von der Wirkung des Briefes, den Gesine im Sommer 1967 an die Gemeindeverwaltung Rande geschrieben hat (vgl. 8, 382-385). Der Brief sei in einer Parteisitzung behandelt worden, man habe Kliefoth wegen seines Briefwechsels mit Gesine befragt. Zu ihr seien sie auch gekommen wegen des Gerüchts, dass sie ein Verhältnis mit Cresspahl gehabt habe (»Die Leute sagen, ich wäre mit ihm in ein Bett gegangen. Er wollte nicht«), und hätten wissen wollen, ob sie mit Gesine in Briefkontakt stehe. Sie berichtet Neuigkeiten aus Jerichow: »Der Ziegeleiweg soll umbenannt werden. In Cresspahlweg. Und an euer Haus soll eine Tafel«, weil Cresspahl im Krieg für die Briten und gegen die Nazis spioniert habe, was Leslie nicht glauben könne, obwohl es in der Zeitung gestanden habe. – »Ich hab sehr an dir gehangen, noch als du gar kein Kind mehr warst. Du warst doch das Kind von Lisbeth. Ich hätt dich wohl großziehen mögen; Cresspahl gab dich nicht ab. [...] Und du hattest die Frau Abs, das ist wohl deine Mutter geworden. Ich wollt nur, daß du einmal weißt, ich wär es auch gern gewesen. Nicht Cresspahls wegen, deinetwegen. [...] Es mag von meinem früheren Leben übrig sein, daß ich wenigstens nicht vergessen werden will. Nicht von dir. Hab ja keine Kinder gehabt.«
993 Arbeitet im Sommer 1945 als Sekretärin des von den Engländern als Bürgermeister von Jerichow eingesetzten Cresspahl.
1208 Nach Cresspahls Inhaftierung am 22. Oktober 1945 wird auch Leslie verhaftet.
1267-1269 Nach ihrer Freilassung arbeitet sie im Dezernat für Wohnraum in Gneez, »wobei die Ortsfremde die neue Verwaltung gegen die Wut der Einheimischen abdecken sollte«. – Gesine Cresspahl und Hanna Ohlerich beobachten im Juni 1946, wie ein betrunkener Rotarmist Leslie Danzmann die »Schnürstiefel ihres Fritz« abnimmt, die sie in Ermangelung anderen Schuhwerks unter langen Hosen versteckt trägt, und ihr dafür seine »Filzklamotten« nachwirft. Gesine, die ihr übelnimmt, dass sie, anders als ihr Vater, freigelassen worden ist (vgl. 1463), lacht darüber.
1280 Im Sommer 1946 werden Leslie Danzmann, Pastor Brüshaver, Peter Wulff, Dr. Kliefoth und Frau Uhren-Ahlreep für einige Stunden festgenommen und verhört. Der Zweck dieser Aktion bleibt undeutlich. Eine der Fragen, die ihnen gestellt werden, deutet darauf hin, dass die Sowjets Cresspahl in einen Zusammenhang mit Waffengeschäften des Geheimrats Hähn in den zwanziger Jahren bringen möchten.
1437 Nach der Ausgabe von Interzonenpässen im Oktober 1946 gehen viele Einwohner in den Westen. »Unverhofft wurden in Gneez Zimmer leer über Nacht, ganze Wohnungen, wunderbar schüttete Leslie Danzmann Einweisungen aus über die Flüchtlinge.«
1460-1462 Die »feinen Familien« von Gneez, die Knoops, die Marjahns und Lindsetters klatschen über Leslie Danzmann: Sie sagen ihr »eine düstere Zukunft« voraus, weil sie sich »auch mit den neuen Ämtern« (der sowjetischen Verwaltung) einlässt: »Leslie Danzmann, alte mecklenburgische Familie, englische Großmutter, Witwe eines Kapitänleutnants, eine Dame. Kam gegen Mitte des Krieges an im gneezer Winkel, mietete eine der modernsten Villen dicht an der See, lebte völlig comme il faut als Hausdame eines Herrn, der etwas zu tun gehabt hatte mit dem Reichsluftfahrtministerium in Berlin. Vergab sich nichts. Erste Klasse.«
Dass sie von den Nationalsozialisten dienstverpflichtet wurde, hält man ihr als ›höhere Gewalt‹ zugute, aber dass sie bei den Sowjets arbeitet, nimmt man ihr übel: »Daß Eine nichts besitzt als eine verflossene Pension und nie eine solide Arbeit gelernt hat, Klavierunterricht oder Arztgattin, was soll denn das für eine Entschuldigung sein!«
Sie weigert sich, in die SED einzutreten: »Aber was sollen die Nachbarn von mir denken, Herr Jendretzky!« Daraufhin wird sie aus dem Wohnungsamt entlassen und muss in der Gneezer Fischkonservenfabrik arbeiten, was ihr die »feinen Familien« gönnen: »Nun kam sie jeden Arbeitstag morgens zu Fuß von der See, mit dem Milchholerzug nach Gneez, steht bis abends an einem stinkenden Tisch, nimmt Flundern aus, kocht Brühe. Nein, sie klagte nicht. Darin gehörte sie noch dazu. Wie Frauen in der Fischfabrik reden, eine Hausfrau von Welt denkt sich das leicht. Was sie für den weiblichen Geschlechtsteil sagen, das weiß man. Das kleidet eine gebildete Dame jedoch nicht in Worte. [...] Sind eben Arbeiterinnen, nich? [...] Das hatte Leslie Danzmann nun davon.«
Dass Leslie aus der Fischfabrik nichts mitgehen lässt, ist den ›feinen Damen‹ aber auch nicht recht. Von ihren Arbeitskolleginnen, den »Proletenfrauen«, spreche sie anerkennend. Eine von ihnen, Wieme Wohl, habe ihr helfen wollen, einen Aal aus der Fabrik zu schmuggeln, aber sie habe das strikt abgelehnt: »der Aal gehöre ihr nicht. So ginge es einer, die sich fallen ließ aus den Sitten von Anstand und Eigentum!«
1463 Wenn Gesine Leslie Danzmann auf dem Bahnhof trifft, hält sie Abstand zu ihr. Leslie glaubt, dass es an dem Fischgeruch liegt, den sie an sich hat. Aber Gesine hat andere Gründe: Sie »wollte diese Danzmann strafen. Die war freigelassen worden, ihr Vater nicht. Die hatte ihr keine Nachricht gebracht von ihm. Die konnte ihn auch verraten haben.«
1534 Am Tag der Währungsreform am 24. Juni 1948, will Leslie Frau Lindsetter die 200 Mark zurückzahlen, die sie sich eine Woche vorher von ihr geliehen hatte, um ein Pfund Butter zu kaufen. Aber »die würdige Patriarchin wies die Summe von sich« und verlangt ein Vielfaches nach dem amtlichen Umtauschwert.
1781 Erleidet weiterhin fortgesetzt Demütigungen: In der Fischkonservenfabrik wird ihr zu Unrecht Unterschlagung vorgeworfen. Sie kündigt und schreibt eine Zeitlang Prozessberichte für die »Neue Union«, eine Zeitung der CDU. Ihre Kolumne »›Blick in den Gerichtssaal‹ machte sie für eine Weile bekannt in fast allen Städten Mecklenburgs; dann holte sie ein, was in den Akten über ihren Lebenslauf geschrieben stand. Nun war Leslie Danzmann zu haben, zu beliebigem Stundenlohn.«
Sie wird Verkäuferin bei Hünemörder, der mit »ein paar Pfund Pinnen und Nägel« aus dem Lüneburgischen zurückgekommen ist und damit ein Eisenwarengeschäft in Gneez aufmachen will. Der Verkauf der begehrten Mangelware dauert nur zwei Stunden, Hünemörder wird festgenommen und wegen des unerlaubten Vertriebs »kontingentierten Handelsgutes« angeklagt. Auch Leslie Danzmann wird verhaftet und »ein paar Tage einbehalten unter dem gneezer Landgericht, ohne Auskunft über eine Anklage, und mit der Säuberung der Zellen und Gänge beschäftigt. Wie sie sagt, ist sie entlassen worden auf die Stunde, da sie die Hafträumlichkeiten in Schick hatte.«
Vgl. auch 104. 105. 967. 1066. 1076-1077. 1170. 1204-1206. 1220. 1455. Anhang XVII.