Chapi

Der Name Chapi wird im Roman in drei Bedeutungen verwendet:
(1) als Name des Flusses Nil
(2) als Name des Nilgottes
(3) als Name des heiligen Stiers im Ptach-Tempel zu Menfe.

Die Namensidentität spiegelt das allen drei Bedeutungen gemeinsame Konzept nährender Fruchtbarkeit: Chapi, der Stier, die ›lebende Wiederholung‹ des Schöpfergottes Ptach in Memphis, ist ein Inbild der Fruchtbarkeit und schwarz wie der Schlamm des Stromes Chapi, des ›Überwallenden‹ und ›Anschwellenden‹, der mit seinen jährlichen Überschwemmungen die Äcker nährt. Und Chapi, der Gott mit dem weiblich gerundeten Bauch und halb männlicher, halb weiblicher Brust, ist Zeugender und Nährender in einem.

Alle drei, der Stier, der Strom und sein Gott, sind Lebensspender und Ernährer, weshalb z.B. Bata, der Bäckermeister von Menfe, den ganzen Tag nichts mehr essen muss, wenn er Chapi, den Stier, beim Apis-Fest gesehen hat (IV, 757). Deshalb ruft auch z.B. das Volk von Menfe, wenn es Joseph, ›den Ernährer‹, durch die Straßen fahren sieht, »Chapi! Chapi!« (V, 1505) und sieht »in träumerischem Wörtlichnehmen einiger seiner Titel«, eine »Art von Nil-Gottheit« in ihm, »ja, eine Verkörperung Chapi's selbst, des Erhalters und Lebensspenders« (V, 1758). Und nicht zufällig hat Joseph den Empfangssaal seines Amtshauses in Menfe mit vielen Darstellungen des Nilgottes ausschmücken lassen (V, 1598).

Der enge Zusammenhang zwischen den Dreien wird zudem sprachlich durch den wechselweisen Austausch ihrer Attribute signalisiert (vgl. z. B. IV, 692: »Chapi, der starke Stier, der Gottesstrom«). Dennoch haben die drei Erscheinungsformen Chapis ihre je eigene erzählerische Präsenz.

Chapi, der Fluss (Nil, Jeôr, Hapi)

»Du sprichst vom ›Land des Schlammes‹, als wär's ein Dreckland«, tadelt der alte Midianiter seinen naseweisen Jungsklaven Joseph, und hebt an zu einem Lob der Kultur Ägyptens und seiner Fruchtbarkeit. »Wovon aber ist's fruchtbar? Von wegen des Gottesstromes, einzig von seinetwegen. Denn es hat seinen Regen und sein Manneswasser nicht am Himmel, sondern auf Erden, und der Gott ist's, Chapi, der starke Stier, der breitet sich sanft darüber hin und steht segensreich darüber eine Jahreszeit lang, zurücklassend die Schwärze seiner Kraft, daß man drin säen kann und erntet hundertfältige Frucht. Du aber redest, als sei's eine Mistgrube« (IV, 684 f.). Mit seinen jährlichen Überschwemmungen ist »Chapi, der Ernährer« (V, 1529) die Lebensgrundlage Ägyptens.

Grund genug für seine Vergöttlichung, die nicht nur den gleichnamigen Flussgott und den heiligen Stier von Menfe betrifft, sondern auch Beziehungen zu dem ›Ersten des Westens‹, zu Osiris, herstellt. Denn dessen Tod und Wiederkehr wiederholen sich »im Gleichmaß der Gezeiten« des Gottesstromes, weiß der alte Midianiter zu berichten. »Zählst du die Tage der Winterzeit, da der Strom klein ist und das Land trocken liegt, so sind's zweiundsiebzig, und die Zweiundsiebzig sind's, die mit Set, dem tückischen Esel, verschworen waren und in die Lade brachten den König. Aber aus dem Unteren geht er hervor zu seiner Stunde, der Wachsende, Schwellende, Schwemmende, der Sichvermehrende, der Herr des Brotes, der alle guten Dinge zeugt und alles leben läßt, mit Namen ›Ernährer des Landes‹« (IV, 692).

Diese enge Verknüpfung des Nils mit Osiris steigert sich in Mythen und Sagen zur Identifikation beider dergestalt, dass das Nilwasser selbst als Osiris, seine Abnahme in der Trockenzeit als Abstieg in die Unterwelt und seine Schwemme als Wiederauferstehung des Gottes gedacht werden (V, 1577). Das nimmt der Erzähler zum Anlass, sich auf den aufgeklärten Modernen hinauszuspielen. Er mokiert sich ausgiebig über die »höchst kindische[n] Vorstellungen« der Ägypter von einem unterirdischen Ursprung des Nilwassers und spielt dann (seine Rolle als moderner Mythenerzähler ironisierend) den Mythos gegen die Naturwissenschaft aus, indem er eine besserwisserische ›Aufklärung‹ über die Herkunft des Nilwassers aus den »äthiopischen Alpen« und über die meteorologischen Ursachen der jährlichen Überschwemmungen folgen lässt (V, 1578 f.).

Selbst der aufgeklärte Pharao Echnatôn huldigt jener ›kindischen‹ Vorstellung und erklärt sich den Regen, der in den ›Fremdländern‹ fällt, damit, dass der Nil dort »an den Himmel gesetzt« sei, damit »er auf ihre Leute herabfalle«, während er in Ägypten »aus der Erde quillt und die Wüste düngt, daß wir essen« (V, 1457).

Für die Ägypter fließt jeder Fluss, der nicht wie der Nil von Süden nach Norden fließt, verkehrt herum, während man anderswo, am Euphrat zum Beispiel, »im Gegenteil fand, der Strom Ägyptens fließe verkehrt« (IV, 773 f.).

Vgl. Karte von Ägypten. – Jeôr ist der hebräische Name des Nils (vgl. IV, 713, 729; V, 948, 1292, 1474). – Die Beschreibung der Beziehung zwischen dem Nil und Osiris stützt sich vermutlich auf Mereschkowskij (S. 70 f. u. pass.); vgl. auch Erman, S. 40-42. – Die Identifizierung des Apis-Namens ›Chapi‹ mit dem Namen des Nils beruht nach Assmann auf einem Missverständnis. Tatsächlich haben beide Namen »nicht das Geringste miteinander zu tun, und ebensowenig gibt es eine Beziehung zwischen Nil und Apis-Stier« (Assmann II, 98).
 

Chapi, der Flussgott

Die Erscheinung des Nil-Gottes verbildlicht die mann-weibliche Doppelnatur des Flusses als »Erhalters und Lebensspenders« (V, 1758). In Josephs Amtssitz in Menfe ist »Chapi, der Überwallende«, vielfach abgebildet, »menschengestaltig, mit verhülltem Geschlecht, eine Brust männlich, die andre vom Weibe, den Königsbart am Kinn, Sumpfpflanzen auf dem Haupt, auf den Handflächen das Gabenbrett mit Blüten des Dickichts und schlanken Wasserkrügen« (V, 1598).

Um diese Bildvorstellung und die ihr zugewiesene Idee der »Vollkommenheit des Zwiegeschlechtlichen« (IV, 875) ist es dem Erzähler zu tun. Darüber hinaus findet die Figur des Nil-Gottes, anders als der Nil selbst, im Roman kaum Erwähnung.

Die Beschreibung des Nilgottes folgt der (hier reproduzierten) Abbildung bei Erman/Ranke (S. 514). – Nach Erman (S. 16 f.) hat der Nil-Gott »im Kreise der Götter eigentlich nur eine dienende Stellung; in den Tempeln steht er in der Tracht der Schiffer und Fischer als ein halbweibliches Wesen vor den großen Göttern und überreicht ihnen die Erzeugnisse seiner Flut.« – Vermutlich hatte diese Gottheit kein eigenes Heiligtum und auch keinen Mythos, keine eigene Geschichte, sondern ist eher als einfache Personifikation des Flusses zu denken. – Über die Bedeutung der zwiegeschlechtlichen Darstellung des Nil-Gottes sind sich die Fachleute keineswegs so sicher wie der Erzähler. Erman bemerkt kurz und trocken: »weshalb man ihn so [...] darstellt, weiß ich nicht« (S. 441, Anm. 1 zu S. 17). – Abb: Der Nilgott (Schemazeichnung nach typischen Darstellungen).

Chapi, der Stier

Der heilige Stier von Menfe ist die ›lebende Wiederholung‹ des Herrn« von Menfe, des alten Gottes Ptach, »erzeugt von einem Lichtstrahl des Himmels in einer Kuh, die nachher nie wieder gebar« (IV, 752). Er bringt seine Tage im »Lampendämmer seines Kapellenstalles« im Ptach-Tempel, hinter »Bronzetüren im Hintergrunde eines himmeloffenen Säulenhofs« zu und wird dem Volk beim Apis-Opfer regelmäßig vorgeführt, »daß es leben sähe den Gott und man ihm Opfer brächte« (ebd.). Joseph wird bei seinem ersten Aufenthalt in Menfe Zeuge einer solchen Veranstaltung und lernt dabei den Bäckermeister Bata kennen, den er über Glauben und Gebräuche der Ägypter ausfragt (IV, 752-760).

»Ungeheuer schön« ist Chapi, wie er da von zwei Pflegern in »Schurzen aus gefälteltem Goldstoff« vorgeführt wird, die ihn »beiderseits an vergoldeten Stricken« halten (IV, 755): Schwarz, stark, mit einer scharlachroten Schabracke angetan, die einer der Pfleger ein wenig anhebt, um dem Volk den weißen Fleck an seiner Flanke zu zeigen, »in dem man das Abbild der Mondsichel zu erkennen hatte« (IV, 755 f.). Das ist das Zeichen des Osiris, zu dem Chapi dann auch selbst wird, wenn er stirbt und »Usar-Chapi« (IV, 692, 758) oder »Serapis« (V, 969) heißt. Nach seinem Tod wird er einbalsamiert und im »ewigen Hause der Gottesstiere« beigesetzt (IV, 757).

Joseph-Usarsiph findet das alles »zum Sinnen und Lachen«: »Da heißt ihnen Chapi nun die lebende Form des Ptach, und eine solche, meine ich, kann Ptach wohl brauchen, da er selber offenkundig gewickelt ist und ist eine Leiche. Sie aber ruhen nicht, bis sie auch die lebende Form gewickelt haben und haben einen Usir ebenfalls aus ihr gemacht und eine Gottesmumie, eher ist's ihnen nicht recht. Ich aber habe was übrig für Menfe, dessen Tote nicht übers Wasser zu reisen brauchen, weil's schon selber im Westen liegt, – diese große Stadt, so voller Menschen, die bequem seinen Grabesnamen zusammenziehen« (IV, 760).

Einige Jahre später, bei seiner zweiten Fahrt in die ›Grube‹, wird er selber »am Seile geführt [...] wie Chapi, die lebende Wiederholung des Ptach, in seinem Tempelhofe zu Menfe, ein Gefangener Ägyptenlandes, wie jener Rindsgott; denn zwei vom Gesinde Peteprê's hielten die Enden seiner Armfessel und führten ihn so vor sich her« (V, 1305).

Vgl. Erman, S. 26, 333, 386, 397 (Apis) und 384 f. (Serapis). – Wie schon erwähnt, beruht die Identifizierung des Apis-Namens ›Chapi‹ mit dem Namen des Nils nach Assmann auf einem Missverständnis. Tatsächlich haben beide Namen »nicht das Geringste miteinander zu tun, und ebensowenig gibt es eine Beziehung zwischen Nil und Apis-Stier« (Assmann II, 98). – Abb.: Bronzefigur des Apis (um 600 v. Chr.).

Letzte Änderung: 02.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück