Menfe (Memphis, Mempi)
Die alte Königsstadt am Unterlauf des Nil liegt an der Grenze von Ober- und Unterägypten, weshalb sie auch »Waage der Länder« genannt wird (IV, 684;V, 1506 u.ö.). »Schwindelnd alt« ist Menfe, eine Gründung des ägyptischen ›Urkönigs‹ Meni (Menes), der auch den Tempel des Ptach gebaut hat (IV, 746), des alten, meist als Mumie dargestellten Gottes (IV, 751), dem Menfe den Namen »Haus des Gewickelten« oder »Stadt des Gewickelten« verdankt (V, 1293, 1506 u.ö.). Zu Josephs Zeit hat Theben der alten Stadt schon längst den Rang abgelaufen. Menfe ist eine »gewesene Königin, das Grab seiner Größe, eine Weltstadt mit schnoddrig abgekürztem Todesnamen« (IV, 749).
Dieser Name ist ein »keck zusammengezogener Grabesname«, eine Zusammenziehung von »›Men-nefru-Mirê‹, ›Es bleibt die Schönheit Mirê's‹«, dem Namen einer Grabstätte, die sich einst König Mirê (d.i. Pepi I.) in der Nähe seines Palastes hatte erbauen lassen (IV, 747). Auch die Lage der Stadt westlich des Nils korrespondiert mit ihrem Grabesnamen: »Der Westen, das ist der Westen, nämlich die Totenstadt nach unserer Sprache«, erklärt Bata, ein Bäckermeister in Menfe, dem Jaakobssohn, und »die Toten von Menfe reisen nicht über den Fluß wie anderwärts, sondern die Stadt der Lebenden liegt im Westen schon ebenfalls« (IV, 758).
Diese Verbindung von Tod und Leben, ›schwindelnd‹ hohem Alter und ›gewecktester Gegenwart‹ (IV, 746) gefällt Joseph. Menfe ist nach Per-Sopd, Per-Bastet und On die vierte Stadt, die er nach seinem »Eintritt in Scheol« (IV, 720) kennenlernt (IV, 746-760), und »der riesigste Menschenpferch«, den er bis dahin gesehen hat (IV, 746). Eine Großstadt von mehr als hunderttausend Einwohnern mit vornehmen Villenvierteln, stillen Tempelbezirken, breiten »Sphinxalleen« und »baumbepflanzte[n] Ehrenstraßen« und einem Gewirr von »Enggassen, in denen es kochte und roch von handelndem, wandelndem, sich plackendem und schwatzendem Kleinvolk« (IV, 746 f.).
Der Anblick des bunten Gewimmels weckt in Joseph die Erinnerung an Empfindungen, die ihm von früher her, vom nächtlichen Blick auf Hebron und das Erbbegräbnis Machpelach vertraut sind (vgl. IV, 78): »Frömmigkeit, deren Quelle der Tod ist«, vermischt mit der Sympathie für das wimmelnde Leben. »Das war eine feine und liebliche Vermischung, ihm eigentümlich gemäß und in geheimer Entsprechung stehend zu dem doppelten Segen, als dessen Kind er sich fühlte – und auch zum Witz als Sendboten hin und her zwischen diesem und jenem« (IV, 748).
Das »rippenmagere Volk der Massenquartiere« (IV, 747) hat, so scheint es ihm, dieselbe Art von Witz, erkennbar schon daran, wie sie die »Todesumständlichkeit« ihrer Stadt »fidel zu ›Menfe‹ vereinfacht hatten«, und an einer bestimmten unverschämten Art, die Brauen hochzuziehen (IV, 748). Ihre »Spottlust« hat nicht nur mit ihrer »gleichförmigen Menge« zu tun (ebd.), sondern auch mit dem politischen Bedeutungsverlust ihrer Stadt, mit der »Seelenstimmung überholten Altertums«, die anderswo, in Per-Sopd zum Beispiel, Vergrämtheit hervorbringt, hier aber »zur Lustigmacherei wurde und zum mokanten Zweifel an aller Welt und sich selber« (IV, 749).
Seit seinem ersten Aufenthalt in der großen Stadt hat Joseph »was übrig für Menfe, dessen Tote nicht übers Wasser zu reisen brauchen, weil's schon selber im Westen liegt« (IV, 760; V, 1507). Die allgegenwärtige Verbundenheit von Tod und Leben und die gewitzte Sinnesart der kleinen Leute von Menfe sind die »eigentlichen« und »tiefer bestimmend[en]« Gründe für seinen späteren Entschluss, in der »witzigen Grabes-Großstadt« (V, 1509) Wohnung zu nehmen (vgl. V, 1506-1509).
Der alte Gott Ptach, seine löwenköpfige Gemahlin Sachmet und beider Sohn Nefertêm sind die ›Dreiheit von Menfe‹ (IV, 750). Hauptattraktion aber ist Chapi (Apis), der »große Stier, die ›lebende Wiederholung‹ des Herrn«. Er lebt im »Lampendämmer seines Kapellenstalles« im Ptach-Tempel und wird dem Volk beim Apis-Opfer regelmäßig vorgeführt, »daß es leben sähe den Gott und man ihm Opfer brächte« (IV, 752). Joseph wird Zeuge einer solchen Veranstaltung und lernt dabei den Bäckermeister Bata kennen, der ihm allerlei Fragen zu Glauben und Gebräuchen der Ägypter beantwortet (IV, 752-760).
Von Menfe aus reisen die Midianiter und Joseph mit dem Lastkahn des Schiffers Thot-nofer in neun Tagen nach Theben (IV, 761-765). Auf Handelsfahrten, die Joseph als Gehilfe Mont-kaws unternimmt, kommt er gelegentlich auch bis Menfe (V, 934).
Schon bald nach seinem Amtsantritt als ›des Königs Oberster Mund und Herr seiner Vorräte‹ siedelt Joseph nach Menfe um (V, 1506-1509). Pharao schenkt ihm in der feinsten Gegend der Stadt »ein lachendes Lebenshaus mit Garten, Empfangshalle, Brunnenhof und allen Bequemlichkeiten jener späten Frühe« samt großer Dienerschaft, und Joseph setzt nun, wie er es versprochen hatte, den Herrn über sein einstiges Gefängnis Zawi-Rê, Mai-Sachme, als Hausverwalter ein (V, 1510-1512).
Sein Amtssitz liegt in der Stadtmitte, und so fährt er, »begleitet von Läufern, verherrlicht von Menfes Leuten mit seinem Namen Adôn, in einem leichten Wagen hin und her zwischen dem prächtigen Gartenhause, dem Mai-Sachme vorstand, und seinem Amtshause im Zentrum der Stadt, wo dreihundert Schreiber arbeiteten, und sammelte in die Scheuer, daß es eine kaum noch verzeichenbare Fülle war« (V, 1535).
Band IV: 21, 684, 686, 724, 726, 729, 743 f., 746-761, 764 f., 772, 776, 778, 888.
Band V: 934, 1008, 1038, 1293, 1305, 1310 f.,1330, 1334, 1495, 1506-1510, 1513, 1521, 1530, 1535, 1584-1586, 1594, 1605, 1616, 1626, 1633, 1648, 1664, 1692, 1696, 1700, 1737, 1751, 1756, 1768, 1771, 1779, 1787, 1807, 1814.
Vgl. Karte von Ägypten. – Zu Menfes Namen vgl. TMs Gewährsmann Erman/Ranke, 75. – Abb.: Die ›Dreiheit von Memphis‹ (Ptach, Sachmet, Nefertem). Dritte Tafel des Papyrus Harris.