Emtelai (Amathla)
So hieß die Mutter Abrahams, des ›Urvaters‹. Zumindest heißt sie so – oder auch Amathla – in den Geschichten, die Eliezer seinem Zögling Joseph erzählt, Geschichten, die nach dem Gesetz der ›rollenden Sphäre‹ (vgl. IV, 188-194) von oben herab kommen, »so, wie ein Gott Mensch wird«: sie »verbürgerlichen gleichsam und werden irdisch, ohne daß sie darum aufhörten, auch droben zu spielen und in ihrer oberen Form erzählbar zu sein« (IV, 436).
In dieser ›oberen Form‹ der Geschichte brachte Emtelai ihren Sohn heimlich in einer Höhle zur Welt, weil Nimrod alle neugeborenen Knaben zu töten befohlen hatte, und ließ ihn dort allein. Ein Engel säugte ihn, und als Emtelai zur Höhle zurückkehrte, fand sie das Kind nicht mehr und irrte suchend umher. Dies, so der Erzähler, gebe der Geschichte »Wahrheitsgepräge«: »irgendwo und -wie war es richtig. Mütter irren und suchen immer; sie haben viele Namen, aber sie irren umher auf den Fluren und suchen ihr armes Kind, das man ins Untere entführt, gemordet, zerstückelt hat« (ebd.).
Bei den Namen für Abrahams Mutter ist Eliezer nach Vermutung des Erzählers »vielleicht eine freie Übertragung und träumerische Zusammenarbeitung unterlaufen«, denn die Namen passten besser auf den säugenden Engel, der auch »die Gestalt einer Ziege« gehabt haben mag (ebd.).
Der Name Emtelai mutet Joseph »träumerisch« an, »denn unzweideutig bedeutete der Name: ›Mutter meines Erhöhten‹, schlecht und recht also ›Gottesmutter‹« (ebd.).
TM verarbeitet in dieser anspielungsreichen Passage Legendenmaterial aus Talmud und Midrasch, das er bei Gorion II (33-41, 46) und Braun (I, 279 f.) vorfand, und folgt zudem der bei Braun (ebd.) vorgebildeten Kombination der Legende von Abrahams Höhlengeburt mit dem Kronos-Zeus-Mythos, die Abraham und Emtelai/Amathla teils mit Kronos und Gaia, teils mit Zeus und Rhea identifiziert.
Die Bemerkung, der Name der Mutter passe besser auf den Engel (nach Gorion war es Gabriel), der vielleicht eine Ziege gewesen sei, spielt auf die (ebenfalls von Braun I, 280 erwähnte) Ähnlichkeit des Namens Amathla/Emtelai mit dem Namen der Ziege (oder Nymphe) Amaltheia an, die den in einer Höhle vor Kronos versteckten Zeus säugte. Deshalb ist dann auch vom »Ziegenengel« die Rede (IV, 437).
Die Rede von der suchend umherirrenden Mutter und dem ›gemordeten‹ oder ›zerstückelten‹ Kind ist zudem Anspielung auf Ischtar, die nach Tammuz-Adonis (ihrem Geliebten, Bruder oder Sohn) sucht, und schließlich auch auf Isis, die ihren von Set zerstückelten Gatten und Bruder Osiris sucht.