Hathor
Die schöne, kuhäugige Hathor, Gattin des Atum-Rê, ist Liebes- und Muttergöttin und nah mit Eset verwandt. Das Volk ruft sie als Isis und Isis als Hathor an (V, 976). Ihr Kopfschmuck, den auch die Damen vom Hathoren-Orden (s.u.) tragen, ist die Goldhaube mit Kuhhörnern und Sonnenscheibe (IV, 869, V, 946, 1015 u.ö.).
Einer »alten Geschichte« zufolge hatte Hathor einst in Gestalt der löwenköpfigen Sachmet »unter den Menschen gewütet [...], sie zu vernichten«, und konnte an der »völligen Austilgung unseres Geschlechtes« nur dadurch gehindert werden, »daß Rê sie durch eine sehr schöne List betrunken machte mit gerötetem Blutbier«. Zu Ehren dieser (sonst der Sachmet selbst zugeschriebenen) Geschichte gibt es in Ägypten das »große Bierfest«, bei dem die »Kinder Ägyptens« Bier in »ganz unzuträglichen Mengen« trinken. Die ausschweifendsten Gelage spielen sich am Heiligtum der Göttin in Dendera ab, »wohin man zu diesem Zweck wallfahrtete und die geradezu ›Sitz der Trunkenheit‹ hieß als Haus der Herrin der Trunkenheit« (V, 967).
In Theben gibt es den »vornehmen Hathoren-Orden«, dessen Schutzherrin »Pharao's Große Gemahlin« Teje und dessen »Oberin« Nes-ba-met ist, die Gattin des ›Ersten Propheten‹ Amuns, Beknechons. Dem Orden gehören viele Damen der ersten Gesellschaft an, darunter auch Mut-em-enet. Ihre Bezeichnung als ›Hathoren‹ ist Ausdruck des Machtanspruchs Amuns, der sich den alten Sonnengott Atum-Rê ›einverleibt‹ hat, weshalb auch seine Gattin Mut sich der Gemahlin Atum-Rês, »der bezwingenden Hathor«, gleichgesetzt hat (V, 945). Die feinen Damen des Hathoren-Ordens heißen »Amuns irdische Haremsfrauen«, die bei Festen in Amuns Südlichem Frauenhaus in der Maske der »Sonnengemahlin«, das Kuhgehörn mit der Sonnenscheibe auf dem Kopf, für Amun singen und tanzen (V, 945 f.; vgl. auch 1245 f.).
Obwohl Jaakob dem »äffischen Ägypterland« mehr als distanziert gegenübersteht, nutzt er doch bei seiner Werbung um Rahel den Vergleich mit ägyptischen Göttinnen für Komplimente. Sie sei »reizend wie Hathor von Ägypterland, wie Eset, schön wie eine junge Kuh«, sagt er ihr. Der Erzähler findet das galant (IV, 257; vgl. auch 264). – Nachdem Rahel Joseph zur Welt gebracht hat, versteift Jaakob sich darauf, in ihr »eine himmlische Jungfrau und Muttergöttin zu sehen, eine Hathor und Eset mit dem Kind an der Brust – in dem Kinde aber einen Wunderknaben und Gesalbten, mit dessen Auftreten der Anbruch gelächtervoller Segenszeit verbunden war« (IV, 349).
Band IV: 257, 264, 349, 833, 869 f., 891.
Band V: 918, 931, 945 f., 967, 976, 1015 f., 1071, 1211, 1246, 1248, 1251, 1299, 1314. 1389, 1497.
Zu Hathor vgl. Erman (30-32, 67); über ihre Angleichung an bzw. Gleichsetzung mit Isis, Sachmet und Mut fand TM Hinweise bei Erman/Ranke (296), ebenso die Geschichte ihres Wütens unter den Menschen als Sachmet (304-305). – Die Erfindung des ›Hathoren-Ordens‹ stützt sich auf Erman/Rankes Hinweise zur Rolle der Frauen ranghoher Beamter beim Tempeldienst (331 f.); die Information, dass es in den Familien der Gaufürsten Sitte war, »dass die Frauen sich als Priesterinnen der Hathôr bezeichnen« (Erman/Ranke, 332), wird TM mit Blick auf Mut-em-enet, die er aus »altem gaufürstlichen Geblüt« (V, 1007) entstammen lässt, besonders interessiert haben.
Abb: (1) Hathor auf einem bemalten Kalksteinrelief aus dem Grab Sethos I. (19. Dynastie). – (2) Hathor in Gestalt einer Kuh (Hathor-Kapelle im Totentempel Thutmosis III. in Deir el-Bahari).