tâm

Das hebräische Wort ›tâm‹ bedeutet soviel wie ›redlich‹: »Von Jaakob hatte es immer geheißen, er sei ›tâm‹, nämlich ›redlich‹ und wohne in Zelten.« (V, 1508; vgl. Genesis 25,27). Diese Übersetzung hält der Erzähler für fraglich. Das Wort ›tâm‹ sei »ein seltsam oszillierendes Wort, das mit ›redlich‹ sehr schwach übersetzt ist, denn sein Sinn umfaßt beides, das Positive und Negative, das Ja und das Nein, Licht und Finsternis, Leben und Tod« (ebd.). Um dieses Oszillieren näher zu erklären, kommt er auf die Formel ›Urim und Tummim‹ zu sprechen, in der sich das Wort ›tâm‹ wiederfinde, und resümiert, ›tâm‹ und ›Tummim‹ identifizierend, folgendermaßen: »Tâm oder Tummim ist das Helle und Finstere, das Oberweltliche und Unterweltliche zugleich und im Austausch – und Urim nur das Fröhliche, in Reinkultur davon abgesondert« (ebd.; zu den Einzelheiten s. Urim und Tummim). Eben dies sei Jaakobs Fall. Das zeige allein schon der Umstand, »daß er den Hauptteil seines Lebens in der Unterwelt, nämlich bei Laban, verbrachte, und mit ›redlich‹ sind die Mittel, mit denen er dort golden und silbern wurde, mehr als ungenau bezeichnet. ›Urim‹ war er gewiß nicht, sondern eben ›tam‹, nämlich ein Weh-Frohmensch, wie Gilgamesch.« (V, 1509)

Auch Joseph ist »tâm« (ebd.). So nennen ihn auch die Brüder, nachdem sie in Menfe, noch ohne ihn zu erkennen, vor ihm gestanden haben: »Er war ›tâm‹, die Brüder einigten sich auf diese Kennzeichnung. Er war zweideutig, doppelgesichtig und ein Mann des Zugleich, schön und mächtig, ermutigend und beängstigend, gütig und gefährlich. Man wurde nicht klug aus ihm, wie man eben aus der Eigenschaft ›tâm‹ nicht klug wird, in der Ober- und Unterwelt sich begegnen. […] Tâm – es gab gar keine andre Vokabel dafür. Ein Mann des Wendepunktes und der Vertauschung der Eigenschaften, der oben und unten zu Hause war. Ein Handelsmann war er ja auch, und ins Kaufmännische war schon der Diebstahl einschlägig, was ganz zur Zweideutigkeit stimmte.« (V, 1616 f.) Die Anspielungen auf Hermes im letzten Satz verweisen auf den Zusammenhang von ›tâm‹ und ›Tummim‹ mit Josephs Hermes-Natur und dem doppelten Segen.

Durchaus nicht ›tâm‹ dagegen finden die Brüder Josephs »kurz gestalteten Haushalter«, Mai-Sachme, der sei »ein angenehm phlegmatischer Mann […] – nicht tâm, sondern eindeutig freundlich und ohne Dorn« (V, 1628).

Dass der Hund, mit dem der junge Jaakob die Schafe hütet, Tam heißt und spitze Ohren hat wie der Hermes-Verwandte Anubis (IV, 204), ist ein mythologischer Scherz am Rande.

TM stützt sich bei der Explikation des Begriffs und seines Zusammenhangs mit dem Begriffspaar ›Urim und Tummim‹ auf Jeremias (I, 316). Näheres bei Urim und Tummim.

Letzte Änderung: 01.04.2015  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück