Laban
Nach dem Segensbetrug flieht Jaakob nach Mesopotamien zu seinem Onkel Laban, dem Bruder seiner Mutter Rebekka, und bleibt dort 25 Jahre (IV, 246). Laban lebt im nördlichen Mesopotamien in der Nähe von Charran (Haran). Die Stadt war einst die Zwischenstation gewesen auf Abrahams großer Wanderung von Ur in Chaldäa nach Kanaan. Hier war ein Zweig der Sippe, darunter Abrahams Bruder Nachor und dessen Sohn Bethuel, Labans Vater, zurückgeblieben, während Abraham nach Kanaan weitergezogen war. Laban bewirtschaftet hier mit seiner Frau Adina, seinen beiden Töchtern Lea und Rahel und seinem Gesinde, darunter Abdcheba und Iltani, einen Hof.
Er ist ein kräftiger, muskulöser Mann mit vollem ergrautem Haar und mit den breiten Händen »eines besitzhaltenden, in düster-erdhafte Gedanken eingeschränkten Mannes«, ein rechter »Erdenkloß«. Eines seiner Augen ist »blinzelnd zugezogen« und zwischen den Augen trägt er »ein Paar böser Zeichen«. Dies und ein »ausgesprochen unterweltlicher Zug um den Mund, ein gelähmtes Hängen des Mundwinkels im schwarzgrauen Bart, das einem saueren Lächeln ähnelte«, stimmt Jaakob von Anfang an bedenklich (IV, 233).
Die Bedenken verstärken sich, als Jaakob erfährt, dass Laban einst beim Bau seines Hauses sein erstgeborenes Söhnchen lebend im Fundament begraben hat, um »Segen und Gedeihen auf Haus und Wirtschaft herabzuschwören« (IV, 236). Auch verwahrt er im Keller seines Hauses eine ganze Reihe von kleinen tönernen Götzenfiguren, seine Teraphim. Das sind »Hausgeister und Wahrsagemännlein«, an denen er »innig hing und mit denen der finstere Mann sich in jeder wichtigeren Angelegenheit hier unten beredete« (IV, 253). Jaakob ist über die »Bildung des Hauses« enttäuscht, er hatte sie sich »fortgeschrittener gedacht« (IV, 254) und zumal von einem »Großneffen Abrahams« einen »aufgehellteren Gottessinn« erwartet (IV, 253). Aber Laban, »obgleich am Quell und Ausgangspunkt der geistlichen Geschichte sitzend, oder eben weil er dort sitzen geblieben war«, hat von der »Glaubensüberlieferung der westlichen Verwandten« nur mehr verschwommene Vorstellungen, ist ganz ein »Untertan Babels und seines Staatsglaubens« und wirft sogar Jaakobs Gott mit Mardug, dem babylonischen Staatsgott, »ganz töricht« zusammen. (IV, 253).
Labans Hof wirft nicht viel ab, denn sein Herr ist ein »düsterer Mann, den Göttern nicht wohlgefällig, ohne Zutrauen zu seinem Glück und darum auch wenig erfolgreich bisher in seinen Unternehmungen« (IV, 250). Er hat aber einen ausgeprägten Geschäftssinn und beruft sich gern auf die »Härten des Wirtschaftslebens«, um die Knebelverträge zu rechtfertigen, die er mit seinem Neffen und künftigen Schwiegersohn Jaakob schließt und in seinem Keller bei den Teraphim in einer tönernen Kassette verwahrt: »Du bist auf mich angewiesen, so will ich dich beuteln« (IV, 243). In Wahrheit weiß Laban sich auf Jaakob angewiesen, denn er nimmt Isaaks Segen entgegen seinen Äußerungen sehr ernst (IV, 250) und erhofft sich von dem Gesegneten eine Hebung seines Wohlstands. Diese Hoffnung trügt nicht, Jaakob erweist sich als ein »Glücksbringer« (IV, 272): Er findet mit Hilfe des Wassergottes Ea-Oannes eine Quelle (IV, 258 f.), die Laban von drückenden Abgaben an Ischullanus Söhne, die »Bänker in Charran«, für die Nutzung ihres Wasser-Kanals befreit (IV, 260), er baut ihm ein durchdachtes Bewässerungssystem, legt einen Teich und einen großen Nutzgarten an, und dank seines züchterischen Geschicks vergrößern Labans Schaf- und Ziegenherden sich um ein Vielfaches.
Schon vor Ablauf des ersten Sieben-Jahres-Kontrakts ist Laban ein wohlhabender Mann, und die Fruchtbarkeit seiner Äcker und Herden überträgt sich gar auf ihn und Adina selbst, denn die schon alternde Adina wird unverhofft wieder schwanger und bringt innerhalb von drei Jahren drei Söhne zur Welt: Beor, Alub und Muras (IV, 283).
Dank weiß er Jaakob für sein Wirken nicht (IV, 257, 279). Laban ist ein »Mann ohne Herz und Sympathie«, ein Geizkragen mit ausgeprägtem »Hang zur Übervorteilung des Nächsten« (IV, 267), der für die erlisteten Vorteile nur seiner eigenen Klugheit Dank weiß (IV, 271). Der »Finstere, Segenlose« (IV, 273) bringt es allenfalls zu einiger Achtung und einer unbestimmten Scheu vor dem Gesegneten, die wohl auch der Grund sind dafür, dass er sich nach Jaakobs Flucht, beim Wiedersehen auf dem Gilead, trotz seiner anfänglich wutschnaubenden Empörung über die Flucht so eigentümlich friedfertig verhält und größten Wert darauf legt, in Frieden von ihm Abschied zu nehmen (IV, 366).
In den fünfundzwanzig Jahren von Jaakobs Anwesenheit aber beutet er seinen »Glücksbringer« nach Strich und Faden aus. Der weiß sich freilich zu wehren. Dass Jaakob einen Anteil an dem Wachstum für sich abzweigt und so die »freilich noch dünne Grundlage seines späteren Wohlstandes zu legen« beginnt, duldet Laban halbwegs stillschweigend, um ihn bei Laune zu halten und weil er erkennt, dass er dabei »fast immer noch günstiger zu dem Seinen kam, als er auf eigene plumpe Faust dazu gekommen wäre« (IV, 273 f.). Bei dem Abkommen über die gesprenkelten Schafe allerdings (IV, 353-358) erkennt der »schwerfällig berechnende Mann« seinen Nachteil nicht und spielt unwissentlich die Rolle des betrogenen Betrügers (IV, 355), die Jaakob ihm von langer Hand zugedacht hat, nicht aus Rachegelüsten, »sondern schlechthin, weil es sich so gehörte, daß zuletzt der betrügerische Teufel spottgründlich betrogen war« (IV, 326).
Der grausamste Betrug, den Laban seinem Schwiegersohn antut, ist die Vertauschung der geliebten Braut Rahel gegen Lea in der Hochzeitsnacht (IV, 293-315), die dem armen Jaakob die Seele spaltet (IV, 325). Hatte er schon seine Reise zum Onkel als Reise in die Unterwelt, ins »Nimmerwiederkehr-Land« Kurnugia gedeutet, so betrachtet er seinen Schwiegervater fortan »gebildeterweise« als einen Teufel, einen »Schwarzmonddämon und schlimmen Drachen« der Unterwelt, aus der es Rahel, seine ›befreite Ischtar‹, herauszuführen gilt (IV, 159).
Rahel übernimmt diese Sicht auf den Vater. Deshalb hat sie kein schlechtes Gewissen, als sie ihm vor der Flucht nach Kanaan seine Teraphim stiehlt, »damit sie ihm nicht Auskunft gäben über die Pfade der Flüchtigen« (IV, 363), und bleibt später, als Laban Jaakobs Tross einholt und das Lager verzweifelt nach den Teraphim durchsucht, ungerührt auf ihrem Diebesgut sitzen (IV, 370-373).
Nach seinem Eintritt in Potiphars Hauswesen ist Joseph von der »Wiederkehr des Väterlichen« ganz erfüllt: »Er war Jaakob, der Vater, eingetreten ins Labansreich, gestohlen zur Unterwelt, unmöglich geworden zu Hause, flüchtig vor Bruderhaß« (IV, 819). Später wird er Echnaton und seiner Mutter Teje zu beider Vergnügen das »Stückchen« von den gesprenkelten Schafen erzählen, davon, wie Laban, der Teufel, »in die Patsche gelegt« worden ist »vom Geist des anschlägigen Gottes« (V, 1432), d.h. vom Geist des »Gott-Schalks« Hermes, den Joseph zwar bis dahin nicht gekannt hat, dessen Geist aber, wie er Echnaton mit dem »Stückchen« beweisen will, »unter den Meinen immer zu Hause war und mir vertraut ist« (V, 1429).
Peteprês Eltern, Huij und Tuij, haben sich in Josephs Augen mit der Verschneidung ihres Sohnes »labanmäßig« (IV, 875) aufgeführt, »waren im Alten verharrt, gerade indem sie dem Weltneuen ein Zugeständnis zu machen versuchten« (IV, 875).
Labans Charakterisierung als Teufel und Dämon der Unterwelt wie auch Jaakobs Reise zu Laban als Höllenfahrt stützt sich vermutlich auf Jeremias I (317 u. ö.).
Abb.: (1) Götzenbildchen aus Khorsabad. – (2) Tönerne Kassette des Nabopolassar zur Aufbewahrung von Tontafeln.