Stechlin, Adelheid von
Domina zu Kloster Wutz, ältere, unverheiratete Halbschwester von Dubslav und Patentante von Woldemar. Zu Beginn der Romanhandlung ist sie 75 Jahre alt, aber, Czako zufolge, »wohl konserviert« (7/93). Sie ist groß und sehr schlank, und der »hohe hagere Hals« lässt sie »noch herrischer erscheinen«, als sie ohnehin ist (7/95). Dubslav fühlt sich von ihr »zeitlebens schlecht behandelt« (5/56). Er mag sie nicht und beschreibt sie als »halb Königin Elisabeth, halb Kaffeeschwester« (ebd.). Unter den vier Stiftsdamen, die außer ihr auf Kloster Wutz leben, hat Adelheid wechselnde Lieblinge (vgl. 7/94); am wichtigsten scheint ihr aber der Verwalter zu sein, Rentmeister Fix, von dem sie in einem fort spricht (vgl. 5/56).
Adelheid hat von der Mutter her ererbtes Vermögen und hilft auch Dubslav finanziell, aber nicht aus Liebe, sondern nur »aus einem allgemeinen Stechlinschen Familiengefühl« und aus Sorge, der Besitz könne durch Überschuldung in andere Hände geraten (1/12). Anders als sein Vater steht Woldemar gut mit Adelheid und besucht sie jedes Mal, wenn er in der Nähe ist. Sie ihrerseits liebt ihren Neffen und unterstützt auch ihn finanziell. Dubslav ist sich darüber im Klaren, dass es ohne sie »überhaupt gar nicht gegangen« wäre und dass Vater und Sohn ihr daher dankbar sein müssen (5/56 f.).
Adelheid hat »einen guten Verstand« (32/343), sie versteht »zu rechnen und anzuordnen« und ist »unter Umständen auch voller Interesse für ganz bestimmte Personen und Dinge« (7/95). Sie ist »eine gute Wirtin«, wenn ihr auch die Fähigkeit abgeht, Tischgespräche zu leiten (8/105). »Was aber […] den Verkehr mit ihr so schwer machte, das war die tiefe Prosa ihrer Natur, das märkisch Enge, das Mißtrauen gegen alles, was die Welt der Schönheit oder gar der Freiheit auch nur streifte.« (7/95) Entsprechend ist sie keineswegs erfreut zu hören, dass Woldemar sich eine Braut gewählt hat, die in London geboren ist und eine Schweizerin zur Mutter hat (vgl. 16/188). In der Hoffnung, dass er sich noch nicht endgültig entschieden hat, ist ihr Rat an Woldemar: »Heirate heimisch und heirate lutherisch« (16/190). Ihrer Überzeugung nach liegt ihre Heimat, die Mittelmark, nämlich »nicht so bloß äußerlich in der Mitte«, sondern ihre Bewohner zeichnen sich dadurch aus, dass sie »auch in allem die rechte Mitte haben und halten« (16/189).
Im Vorfeld des Besuches von Armgard und Melusine macht Dubslav sich Sorgen, was für einen Eindruck Adelheid wohl auf die vornehmen Damen machen wird (vgl. 26/295). Denn man sieht ihr an, »daß sie nur immer vorübergehend in einer höheren Gesellschaftssphäre gelebt hatte, sich trotzdem aber zeitlebens der angeborenen Zugehörigkeit zu eben diesen Kreisen bewußt gewesen war« (7/95). Dieser Hang seiner Schwester zum Dünkel ist Dubslav unangenehm, am meisten ängstigt ihn aber der Gedanke an Adelheids Angewohnheit, »wenn sie sich einigermaßen behaglich zu fühlen anfing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das Kamingitter zu stellen und die Wärme von unten her einzusaugen« (26/298).
Tatsächlich hinterlässt Adelheid keinen guten Eindruck bei Armgard und Melusine, wenn auch aus anderen Gründen. Melusine beschreibt sie Graf Barby gegenüber als »zurückgeblieben, vorweltlich« (32/341); und auch Dubslav stellt einmal fest: »Ich gelte schon für leidlich altmodisch, aber du, du bist ja geradezu petrefakt.« (31/336) Kloster Wutz, wo Adelheid lebt, entspricht dieser Geisteshaltung: Im Dreißigjährigen Krieg schwer zerstört, ist nun alles heruntergekommen und verfallen; auf dem Wirtschaftshof sieht man »wirr durcheinander geworfene, von Baum und Strauch überwachsene Trümmermassen«, und in die Mauerreste sind »die Wohnungen der Klosterfrauen eingebaut« (7/91 f.). Nur eine einzige hohe Giebelwand eines früheren Gebäudes steht noch, »wie bereit, alles unter ihrem beständig drohenden Niedersturz zu begraben« (7/92). Adelheid ist denn auch, als sie die heitere Melusine erstmals trifft, »wie gelähmt«, und eine innere Stimme raunt ihr zu: »Ja, dies Leichte, das du nicht hast, das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das ist eben das Gegenteil davon.« (26/299)
Als Dubslav erkrankt und Adelheid nach Stechlin kommt, fühlt Dubslav schon bei der Meldung ihrer Ankunft eine massive Verschlechterung seines Gesundheitszustandes (vgl. 39/410), und es dauert nicht lange, bis er die Schwester nicht mehr ertragen kann und sie so schnell wie möglich wieder loswerden möchte. Adelheid wird »von Tag zu Tag rechthaberischer und herrischer«, sie will ihm den Katzenpfötchenthee der Buschen »wegdisputieren« und ereifert sich über die Alte und ihre »Hexenkünste« (39/413). Dubslav lässt die kleine Agnes kommen, weil er weiß, wie sehr Adelheid sich durch ihre Gegenwart beleidigt fühlen wird. In der Tat ist Adelheid entrüstet und sieht in den roten Strümpfen, die Agnes strickt, »ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit« (39/418). Sie erwägt sogar die Möglichkeit, dass Dubslav der Vater des Kindes sein könnte, und reist kurz darauf ab (vgl. 39/420). Ihr Bruder ist zunächst froh darüber, stellt dann aber fest, dass ihre Gegenwart doch besser war als die Einsamkeit. Zwar war ihr Besuch »sehr unbequem gewesen, aber sie besaß doch nebenher einen guten Verstand, und in allem, was sie sagte, war etwas, worüber sich streiten und ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen Witzen abbrennen ließ« (40/426).
Fromm ist die Domina nach Armgards Einschätzung »wohl eigentlich nicht« (32/340), aber auf ihre Tugend hält sie sich einiges zugute. Dubslav erinnert sich, dass die Schwester seinerzeit einen reizenden Verehrer »durch ihre Tugend weggegrault« hat, »bloß weil er über ein schon halb abgestorbenes ›Verhältnis‹ und eine freilich noch fortlebende Spielschuld verfügte« (23/266). Melusine jedenfalls kann den Ton »sittlicher Überheblichkeit« nicht ertragen, in dem Adelheid spricht (44/453). »Sie waren eben Antipoden: Stiftsdame und Weltdame, Wutz und Windsor, vor allem enge und weite Seele.« (44/452)
Nach Dubslavs Tod ist es Adelheid, die den Barbys »kurz und förmlich die Anzeige von dem Ableben ihres Bruders« macht (43/444).