Stechlin, Dubslav von
Vater von Woldemar und Halbbruder von Adelheid von Stechlin. Er ist Major a. D., 66 Jahre alt und »der Typus eines Märkischen von Adel, aber von der milderen Observanz, eines jener erquicklichen Originale, bei denen sich selbst die Schwächen in Vorzüge verwandeln« (1/8). Humor und Selbstironie zeichnen ihn aus, wie er »seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen« macht (ebd.). Die Romanhandlung spielt während des letzten Lebensjahres dieses Adeligen, dessen schönster Wesenszug »eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität« ist (ebd.).
Als Jugendlicher war Dubslav »lieber im Sattel als bei den Büchern«, hat deshalb erst im dritten Anlauf sein »Fähnrichsexamen« bestanden und danach seine militärische Laufbahn bei den brandenburgischen Kürassieren fortgesetzt, »bei denen selbstverständlich auch schon sein Vater gestanden hatte« (ebd.). Da seine Dienstjahre »im wesentlichen Friedensjahre« waren, hat er nie selbst gekämpft (vgl. 1/9). Nach der Geburt seines Sohnes Woldemar und dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864, bei dem er aber wiederum nicht »zur Aktion« kam, hat er sich auf den Familienbesitz Schloss Stechlin zurückgezogen, wo er »glückliche Tage, seine glücklichsten« verlebte, »aber sie waren von kurzer Dauer«, da schon ein Jahr darauf seine Frau starb (ebd.). Abgeschreckt von den drei Ehen seines eigenen Vaters, lehnte Dubslav es ab, sich erneut zu verheiraten, und lebt seitdem allein (vgl. ebd.).
Er hat »einen Bismarckkopf«, sieht aber nicht ein, warum oder bei wem er sich dafür bedanken sollte, denn die Stechline sind seiner Meinung nach »auch nicht von schlechten Eltern« (1/10), wenn auch inzwischen »Leute von schwachen Mitteln, die sich nur eben noch« halten (1/11). Von den drei Frauen, die sein Vater in der Hoffnung auf eine »gute Partie« geheiratet hat, hat nämlich »nur die erste das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt« (1/11); und der Erbonkel mütterlicherseits, dem Dubslav seinen ungeliebten pommerschen Vornamen verdankt, hat ihn »schließlich schändlich im Stich gelassen« (1/10). Deshalb ist er auf finanzielle Hilfe angewiesen. Die bekommt er zum einen von Baruch Hirschfeld, der ihm Geld leiht und sich darüber freut, dass der Alte nicht um die hohen Zinsen feilscht (vgl. 1/12), zum anderen von seiner um zehn Jahre älteren Halbschwester Adelheid, die gegen den Bruder zwar »viel einzuwenden« hat, sich aber Sorgen macht, der Familienbesitz könne sonst womöglich eines Tages verloren gehen (ebd.).
Zwischen den Geschwistern herrscht tatsächlich ein starkes »Gefühl der Entfremdung«, sie sehen einander kaum (1/13), und Dubslav findet, dass Adelheid ihm in seiner langen Einsamkeit seit dem frühen Tod seiner Frau kein Trost war, sondern »immer bloß herbe wie 'n Holzapfel« (36/369). Regelmäßigen Umgang hat er daher nur mit Pastor Lorenzen und – seltener – mit Lehrer Krippenstapel, allenfalls noch mit Oberförster Katzler, aber alle drei »kamen nur, wenn sie gerufen wurden«, und so bleibt ihm nur sein Diener Engelke, »der in jedem Augenblicke Red' und Antwort stand« (1/13). Und wenn Dubslav auch eigentlich »nicht sehr für Freundschaften« ist, weil er zu sehr sieht, »was jedem einzelnen fehlte« (19/218), so empfindet er, der sich »gern was vorplaudern« lässt und selbst so gern plaudert (1/8), die fehlende Geselligkeit doch als Mangel. Dubslav ist ein gewandter und witziger Redner, seine scherzhafte Bemerkung über Czakos angebliche Redseligkeit klingt wie das eigene Programm: »Schweigen kleid't nicht jeden. Und dann sollen wir uns ja auch durch die Sprache vom Tier unterscheiden. Also wer am meisten red't, ist der reinste Mensch.« (2/24) In seinen Krankheitstagen ans Haus gefesselt und ohne Gesellschaft, wird ihm rasch »eine gewisse Verarmung fühlbar« (40/426).
Die andere Armut, die finanziellen Schwierigkeiten nämlich, sind auch an seinem Haus sichtbar, das seiner Meinung nach kein Schloss, sondern »nur ein alter Kasten« ist (1/10): An der Rampe bröckelt der Kalk (vgl. 1/7), die Veranda hat eine schadhafte Markise und die preußische Fahne auf dem Aussichtsturm ist verschlissen (vgl. 1/14). Engelkes Idee, die Fahne zu reparieren, indem er einen roten Streifen annäht, lehnt Dubslav aber entschieden ab und drückt damit zugleich seine politische Haltung aus: »Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was rotes dran nähst, dann reißt es gewiß.« (Ebd.)
Dass er in Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs lebt, ist ihm voll bewusst. Die aufkommende Sozialdemokratie, die er mit der roten Farbe assoziiert, hält er aber für einen gefährlichen Irrweg, und das umso mehr, als er selbst, wie Czako bemerkt, im Leibe hat, »was die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie« (21/244). Der Arzt Moscheles mit seiner roten Krawatte und seinen Reden über den sozialdemokratischen Abgeordneten Torgelow ärgert Dubslav sehr (vgl. 38/394 f.); und er erhofft sich denn auch, dass sein Sohn Woldemar seine Begeisterung für das ›Neue‹ wieder ablegen, sich rückbesinnen und zu der Ansicht kommen wird, dass die Alten, auch wenn es ihnen selbst schlecht geht, »immer noch mehr Herz für die Torgelowschen im Leibe haben als alle Torgelows zusammengenommen« (41/439).
Dass Dubslav sich als Kandidat für die Konservativen aufstellen lässt, ist aber weniger seinem politischen Interesse geschuldet als der Tatsache, dass man ihn darum bittet: »Eigentlich mag ich nicht, aber ich soll« (2/24). Adelheid kommentiert die Kandidatur mit den Worten, ihr Bruder bilde sich sicher ein, ein Opfer zu bringen, aber im Grunde gehe es hier nur um »Eitelkeiten« (16/190). Tatsächlich kann Dubslav mit dem, »was sie jetzt das Parlamentarische nennen«, nicht viel anfangen (28/312). Woldemar macht sich Sorgen, der Vater könne durch die Kandidatur »zur komischen Figur werden« (17/192), denn er ist überzeugt, dass Dubslav zwar in geselliger Runde »mit viel gutem Menschenverstand und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung über allerhand politische Dinge zum besten geben«, nicht aber »im Reichstage fach- und sachgemäß sprechen« kann (21/239). Das mag auch daran liegen, dass Dubslav eine Neigung hat, »fünf gerade sein zu lassen« (1/8), und letztlich überhaupt »nicht vieles ernsthaft« nimmt (30/333). Er plaudert gern, hört gern anderer Leute freie Meinung, »je drastischer und extremer, desto besser«, und dabei liegt es ihm fern zu wünschen, dass »sich diese Meinung mit der seinigen deckte«, beinahe im Gegenteil (1/8). Er ist davon überzeugt, dass es ›unanfechtbare Wahrheiten‹ gar nicht gibt, »und wenn es welche giebt, so sind sie langweilig« (ebd.).
So erklärt sich auch, dass Dubslav Pastor Lorenzen die Erziehung seines Sohnes überlassen hat, obwohl er mit dessen politischen Anschauungen nicht übereinstimmt. Dubslav hält Lorenzen nämlich trotzdem für sehr klug und ist insgeheim auch gar nicht sicher, ob an den neuen Ideen des Pastors nicht doch etwas »dran« ist (23/266). Woldemar ist überzeugt, dass sein Vater im Grunde ein Liberaler ist, wenn er auch darüber lachen würde, »er lacht über nichts so sehr wie über Liberalismus«, doch Woldemar kennt niemanden, »der innerlich so frei wäre« wie Dubslav, der zwar ›ein echter alter Junker‹ ist, »aber doch auch wieder das volle Gegenteil davon« (12/136).
In den Augen des Sohnes ist Dubslav »die Güte und Liebe selbst« (26/294). Woldemar vergleicht ihn mit Graf Barby und findet bei beiden »keine Spur von Selbstsucht«, seinen Vater hält er aber für »ausgiebiger und wohl auch origineller« (12/136). Czako nennt Dubslav einen »famosen Alten« (2/21), und für Melusine, ist er »hors concours und geht noch über Woldemar hinaus« (32/343). Auch in Stechlin ist Dubslav sehr beliebt. Dass er von Gundermanns Intrigen gegen ihn nichts bemerkt hat, liegt, Uncke zufolge, an seiner eigenen Güte: »Herr Major denken immer das Gute von 'nem Menschen, weil Sie so viel zu Hause sitzen und selber so sind.« (28/313)
Zu den wenigen Dingen, die Dubslav nicht ertragen kann, gehören »Dünkel und Überheblichkeit« (1/8), »Polizeimaßregeln« (5/62) und »Prinzipienreitereien« (37/383). Die »Anzettelungen« von Koseleger und Ermyntrud Katzler gegen Krippenstapel und Lorenzen ärgern ihn deshalb sehr (37/392). Seiner Überzeugung nach sind alle Worte, »die von Herzen kommen«, gute Worte, und wenn sie ihm helfen, dann frage er »nicht viel danach, ob es sogenannte ›richtige‹ Worte sind oder nicht« (37/391). Umgekehrt betont auch Lorenzen in der Grabrede, dass Dubslav zwar »ein Alter« zu sein schien, »in dem, wie er Zeit und Leben ansah«, dass er aber »für die, die sein wahres Wesen kannten«, kein Alter war, »freilich auch kein Neuer. Er hatte vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz.« (43/448 f.)
Schwarz-Weiß-Rot war die Fahne des Deutschen Reiches seit 1871, vgl. Kommentar S. 554.