Stechlin, Woldemar von
Sohn von Dubslav und Neffe von Adelheid von Stechlin. Woldemar ist Rittmeister beim ersten Regiment der Gardedragoner in Berlin und zu Beginn der Romanhandlung 32 Jahre alt. Als Freund von Rex und Czako und als späterer Ehemann von Armgard ist er das Bindeglied zwischen dem Stechliner und dem Berliner Personal des Romans.
Woldemar ist allseits beliebt, für Czako »der beste Kerl der Welt« (2/21), und Rex schätzt an ihm seine »sittliche Natur« (6/85). Rex weiß außerdem, dass Woldemar in seinem Regiment »Liebling bei jedem« ist, auch der Oberst halte große Stücke auf ihn, »und die Prinzen machen ihm beinah den Hof« (2/22). Ebenso im Haus der Barbys. Auch hier hat man sich an Woldemar »rasch attachiert, und die freundlichen Gefühle, denen er bei dem alten Grafen sowohl wie bei den Töchtern begegnete, wurden von allen Hausbewohnern geteilt«, so auch von Hedwig, die, wenn er kommt, aus dem Fenster schaut und sagt: »So einen, – ja, das lass' ich mir gefallen.« (12/146) Graf Barby mag an Woldemar, dass er »so was Ruhiges und Gesetztes« hat und »immer schlicht und natürlich« ist (11/133).
Darüber hinaus hat Woldemar diplomatisches Geschick und kommt mit den unterschiedlichsten Menschen und Gesprächssituationen zurecht. So versucht er, Dubslav in seinen Tiraden gegen Adelheid zu bremsen (vgl. 5/56), interveniert bei Rex und Krippenstapel (vgl. 5/72); er hat sogar eine Technik entwickelt für den Fall, dass er auf Kloster Wutz die wenig kommunikative Triglaff als Tischdame hat (vgl. 8/106); und während des Weihnachtsbesuches bemüht er sich redlich, »die der Tante so mißfällige Konversation auf andres überzulenken« (27/305). Dank seiner Höflichkeit kommt er auch mit den reizbaren Künstlern Wrschowitz und Cujacius zurecht, und Melusine findet, dass Lorenzen auf seinen »Zögling« stolz sein kann (29/318).
Rex wundert sich daher sehr, als Czako, nachdem er Dubslav kennengelernt hat, bemerkt, er hätte nicht gedacht, dass Woldemar so einen »famosen Alten haben könnte« (2/21). Er habe durchaus nichts gegen Woldemar, erklärt Czako, nur passe dieser »nicht recht an seine Stelle« (ebd.). Gewisse Zweifel an Woldemars Charakterstärke sprechen sich in Czakos Worten aus, der weiter ausführt, Woldemar könne mit all den Prinzen in seinem Regiment nicht mithalten, wenn er es auch versuche und gewisse »Gefühlsluxusse, Gesinnungsluxusse und, wenn es sein muß, auch Freiheitsluxusse« mitmache (2/23). »Richtige Prinzen können sich das leisten, die verbebeln nicht leicht. Aber Stechlin! Stechlin ist ein reizender Kerl, aber er ist doch bloß ein Mensch.« (Ebd.)
Auch Dubslav ist sich keineswegs sicher, wie es um Woldemars politische Gesinnung bestellt ist, wenn er ihm auch »einen stark liberalen Zug« attestiert (35/365); sehr sicher ist er dagegen, dass Woldemar »all den Unsinn« von Lorenzen hat (41/437). Die Zukunftsvorstellung von einem rauschendem Leben des jungen Paares auf Stechlin, die Dubslav zeichnet, ist vor dem Hintergrund von Woldemars ruhigem und bescheidenem Wesen wenig realistisch, zeugt aber auch davon, wie schlecht der Vater den Sohn einschätzen kann (41/437 f.). Lorenzens weit nüchternere Vorhersage – »nach einem halben Jahre lenkt der Neuerer wieder in alte Bahnen und Geleise ein« – erweist sich am Ende des Romans als zutreffend (41/439).
Melusine wendet sich nach Armgards Verlobung ebenfalls an Lorenzen, denn bei aller Sympathie für ihren künftigen Schwager ist sie der Ansicht, dass er Unterstützung braucht: »Er ist feinen Sinnes, und wer fein ist, ist oft bestimmbar. Er ist auch nicht geistig bedeutend genug, um sich gegen abweichende Meinungen, gegen Irrtümer und Standesvorurteile wehren zu können. Er bedarf der Stütze.« (29/320) Dass Melusines Einschätzung richtig ist, beweisen Woldemars etwas dünkelhafte Aussagen über seinen Freund Czako (vgl. 9/115 f.), und selbst über Rex, dem er sich überlegen glaubt, weil der nur dem Zweiten Garderegiment angehört, nicht wie er dem ersten (vgl. 9/116). Sogar Adelheid ist überrascht, dass Woldemar ihr »mit solchem Vorurteil« und »solchen Überheblichkeiten« kommt (9/117). Ansonsten betreffen Adelheids Sorgen aber eher die Widerstandskräfte ihres ›armen Woldemars‹ in der Nähe der verführerischen Melusine (vgl. 31/337): »Der is ja solcher Eva gegenüber von Anfang an verloren. Eh' er noch weiß, was los ist, ist er schon umstrickt, trotzdem er doch bloß ihr Schwager ist.« (31/338)
Der mangelnden Charakterfestigkeit gesellt sich eine gewisse Steifheit hinzu. So antwortet Woldemar seinem Vater auf die Frage nach möglichen Heiratsplänen: »[M]eine Wünsche haben ein bestimmtes Ziel, und ich darf sagen, mich beschäftigen diese Dinge« (5/57). Dubslav mokiert sich ausführlich über die Wendung ›sich beschäftigen‹ in diesem Zusammenhang und hätte von seinem Sohn gerne etwas gehört, »was ein bißchen wie Leidenschaft aussieht« (5/57 f.). Davon ist bei Woldemar aber auch nach Verlobung und Hochzeit nichts zu spüren. Melusine jedenfalls findet es »geradezu unerhört«, dass er zu Beginn der Hochzeitsreise mit verklärtem Gesicht die Besichtigung der Sixtinischen Madonna für den nächsten Vormittag ankündigt, weil es ihrer Ansicht nach »eine Beleidigung ist, sich auf eine Madonna so extrem zu freuen, wenn man eine Braut oder gar eine junge Frau an der Seite hat« (35/366). Armgard spottet in einem Brief von der Hochzeitsreise auch ein wenig über Woldemars Bildungseifer, ihr fröhlicher Brief macht aber sehr deutlich, dass sie selbst auch Spaß daran findet (vgl. 38/400 f.), und bestätigt damit auch, dass Woldemar die für ihn richtige der Schwestern gewählt hat, auch wenn die meisten anderen Figuren Melusine viel interessanter finden. Dass Melusine genau das ist, was Dubslav »brauchte, wobei ihm das Herz aufging«, erkennt Woldemar schon vor dem Weihnachtsbesuch (26/293). Dubslav selbst hat allerdings seinerzeit auch ein ›junges blasses Fräulein‹ geheiratet, Woldemar tritt also in diesem Punkt in des Vaters Fußstapfen (vgl. 23/266).
So wenig realistisch die Zukunftsvisionen sind, die Dubslav sich für Woldemar ausmalt, so gut kennt dieser umgekehrt seinen Vater. Als Dubslav sich als Kandidat für die Konservativen aufstellen lässt, hat Woldemar Sorge, er könne, weil er kein Politiker ist, »zur komischen Figur werden«, und »dieser Gedanke, war ihm, der den Vater schwärmerisch liebte, sehr schmerzlich« (17/192). Woldemar ist »so durchdrungen davon«, dass ein Sitz im Reichstag nicht das Richtige für Dubslav gewesen wäre, dass er, obwohl er »als Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war«, am Ende froh über die Wahlniederlage ist (21/239). Für eine kleine Verstimmung sorgt Dubslavs Antwortbrief auf die Nachricht von der Verlobung, den Woldemar etwas unpassend findet. Doch er überwindet dieses Gefühl rasch, »und am dritten Tag las er alles schon mit einer gewissen Freudigkeit. Ganz der Alte; jede Zeile voll Liebe, voll Güte, voll Schnurrigkeiten« (26/293).
Dubslavs Tod trifft Woldemar hart, umso mehr als er und Armgard noch auf Hochzeitsreise sind und erst verspätet per Brief von Melusine davon erfahren (vgl. 45/457). Schon wenige Monate später freut sich Woldemar jedoch sehr, als Armgard erklärt, nach Stechlin umziehen zu wollen. Der Abschied aus dem Regiment fällt ihm nicht schwer: »Liebenswürdig und bescheiden wie er war, stand ihm längst fest, daß er nicht berufen sei, jemals eine Generalstabsgröße zu werden, während das alte märkische Junkertum, von dem frei zu sein er sich eingebildet hatte, sich allmälig in ihm zu regen begann.« (46/461)