Ellernklipp. Nach einem Harzer Kirchenbuch (1881)

Theodor Fontane: Ellernklipp. Nach einem Harzer Kirchenbuch. Hrsg. von Christine Hehle und Christina Salmen. Berlin: Aufbau 2012 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 5).

Bocholt, Baltzer (Haidereiter)

Gräflicher Heidereiter (Forstbeamter) in Emmerode im Nordharz, gebürtiger Westfale, in jungen Jahren Soldat, durch Heirat »über seinen Stand hinaus« vermögend geworden (1/7), ein stolzer Mann, der eher Scheu und Respekt als Zuneigung erregt und in dessen Gegenwart selbst seine Hausgenossen stets ein Gefühl »lastenden Druckes« empfinden (6/46). Der Tod seiner Frau nach elf Ehejahren liegt bei Beginn der Erzählung zwei Monate zurück. Auf Pastor Sörgels Bitte nimmt er die kleine Hilde Rochussen, deren Mutter eben gestorben ist, als Pflegekind auf und erzieht sie gemeinsam mit seinem Sohn Martin.

Als Hilde ihn an ihrem Konfirmationstag in der Kirche aus Mitgefühl küsst, weil alle ihn wegen der Erschießung eines Wilddiebs meiden, »wär er jeden Augenblick für sie gestorben« (5/45), und als sie zur jungen Frau heranwächst, beginnt er, sie zu begehren, ohne es sich recht einzugestehen (vgl. 6/48). Er gibt ihr ein eigenes Zimmer und die Stellung einer »Tochter vom Hause« (6/49).

Einige Tage nach seinem 49. Geburtstag belauscht er Martin und Hilde, die sich für ein Stelldichein auf Kunerts Kamp verabreden (vgl. 11/84 f.). Er brennt vor Eifersucht, die er auf einem langen Gang niederzukämpfen versucht, die ihn aber übermannt, als er Martin unverhofft auf Ellernklipp begegnet. Beide ringen miteinander, und Baltzer Bocholt stößt seinen Sohn von der Klippe. Aus der Tiefe glaubt er den Ruf »Vater« zu hören (12/92). Die Tat verschafft ihm Erleichterung, seine einzige Sorge ist, dass Martin nicht tot sein könnte (vgl. 13/96 f.). Am nächsten Tag organisiert er selbst die Suche nach dem Verschwundenen, bei der das Elsbruch, in das Martin gestürzt ist, ausgespart wird. In der Nacht geht er heimlich an die Stelle, um den Sohn zu verscharren, bringt es aber nicht über sich (vgl. 13/100). Zu Hause angekommen, bricht er zusammen und liegt in einem schweren Fieber.

Drei Jahre später ist er mit Hilde verheiratet (vgl. 14/103 f.). Dass beider Kind todkrank ist, kränkt seine Eitelkeit (vgl. 16/117), und die Diagnose des Ilseburger Arztes Schliephake macht ihn weniger betrübt als verdrossen (vgl. 16/119). Auf dem in Gesellschaft von zahlreichen Leuten aus Emmerode zurückgelegten Heimweg vom Arztbesuch, der über Ellernklipp führt, glaubt er wieder tief unten aus dem Elsbruch die Rufe seines Sohnes zu hören, lässt die anderen vorgehen und erschießt sich (vgl. 17/123 f.). Hilde lässt ihn in einem Einzelgrab und sein in derselben Nacht gestorbenes Kind im Grab seiner ersten Frau beerdigen (vgl. 18/127 f.).

Bocholt, Martin

Sohn des Haidereiters, etwa gleichaltrig mit Hilde, die er schon als Kind innig liebt und als junger Mann von Herzen begehrt. Am Abend des 49. Geburtstags seines Vaters tauschen beide einen ersten Kuss (vgl. 9/74), und einige Tage später bittet er sie, heimlich belauscht vom Haidereiter, um ein Stelldichein auf Kunerts Kamp. Nach dem Zusammensein mit Hilde trifft er auf Ellernklipp unverhofft auf seinen Vater, der ihn nach kurzem Ringen von der Klippe stößt (vgl. 12/92). Martins Körper wird nie gefunden, weil bei der Suche niemand das unterhalb der Klippe gelegene Elsbruch, eine verrufene moorige Gegend, zu betreten wagt. Im Dorf heißt es, Martin sei vor dem strengen Vater geflohen und zu den Preußen gegangen (vgl. 13/99). Später wird er für tot erklärt (vgl. 14/106).

Borstelkamm

Pastor in Emmerode, Nachfolger des alten Sörgel, ein Strenggläubiger, der aber »zugleich in solcher Freudigkeit und Milde des Glaubens stand«, dass Grissel meint, er sei »Sörgel un Melcher all in een« (18/134). Auch Hilde schätzt ihn und erfährt von ihm die Hintergründe von Bocholts Tod.

Doris

Magd von Pastor Sörgel. Sie überbringt den Brief, in dem er Bocholt Baltzer zu einer Unterredung über Hilde bittet.

Emmerode, Adalbert Ulrich Graf von

Hildes leiblicher Vater, dessen Vaterschaft durch die Verheiratung ihrer Mutter mit dem Holzfäller Jörge Rochussen »zugedeckt« wurde (1, 10). Er fiel im Mai 1757 im Siebenjährigen Krieg (vgl. 4/34). Sein Vater konnte den Verlust des Sohnes nicht verwinden und starb wenig später (vgl. 9/70).

Emmerode, Gräfin von

Mutter des im Siebenjährigen Krieg gefallenen jungen Grafen von Emmerode, des leiblichen Vaters von Hilde Rochussen, mithin Hildes Großmutter, der das unstandesgemäße Enkelkind allerdings immer schon »ein Stachel im Fleisch« war (1/10). Pastor Sörgel erwartet von ihr deshalb auch keine Hilfe für das verwaiste Kind (vgl. 1/7). Erst nach dem Tod des Haidereiters nähert sie sich ihrer Enkeltochter an und hat jede Woche eine Plauderstunde mit ihr (vgl. 18/131 f.). Sie pflegt Umgang mit Melcher Harms, den sie für einen ›Erleuchteten‹ hält (8/57).

Grissel

Baltzer Bocholts Magd, eine »stattliche Person von über dreißig« Jahren (1/6), Tochter eines Küsters und Lehrers (vgl. 2/15), die Bocholt nach dem Tod seiner Frau den Haushalt führt und an Hilde Aufgaben einer Mutter versieht. Dass der Haidereiter der inzwischen 18-jährigen Hilde die Stellung der »Tochter vom Hause« (6/49) gibt und Grissel aus ihrem bis dahin gemeinsam mit Hilde bewohnten Zimmer in eine Kammer hinter der Küche umquartiert, kränkt sie tief, und nur der Umstand, dass Hilde gar nicht daran denkt, das »Frölen« zu spielen, sondern ihr das Regiment überlässt, stimmt sie wieder versöhnlich (vgl. 7/51). Als sie aber erfährt, dass Hilde Melcher Harms‘ religiöse Lehren ihren Unterweisungen vorzieht, kühlt ihr Verhältnis zu ihrem Ziehkind merklich ab und ist fortan von »Neid und Eifersucht« bestimmt (7/52). Erst nach der Geburt des Kindes hält sie wieder zu ihr (vgl. 15/109).

Harms, Melcher (Kamm-Melcher)

Kuhhirte in Emmerode, zu Beginn der Geschichte etwa 60 Jahre alt, wegen des großen Kamms, mit dem er sein langes Haar zusammenhält, »Kamm-Melcher« genannt (2/17). Er ist ein Heiler und Konventikler, der eine aus pietistischen und spiritistischen Strömungen gespeiste Privatreligion pflegt. Die Gräfin Emmerode hält ihn für einen Erleuchteten und lässt ihn oft ins Schloss holen, im Dorf hält man eher Abstand von ihm (vgl. 8/56). Hilde aber sucht seine Nähe, besucht ihn oft auf seinen Bergweiden und lässt sich seine Glaubensgrundsätze erklären und Geschichten erzählen.

Er wacht eine Nacht lang am Bett des fiebernden Haidereiters (vgl. 13/101), der ihn fortan aus Furcht, er könne im Fieber gesprochen und sich verraten haben, meidet (vgl. 15/110). Auch Hilde darf ihn nicht mehr sehen. Als sie ihn, das Verbot missachtend, mit ihrem kranken Kind aufsucht, rät er ihr, den Arzt Schliephake in Ilseburg aufzusuchen (vgl. 15/113). Hilde wählt den Spruch »Ewig und unwandelbar ist das Gesetz«, den sie einst von ihm hörte, zu ihrem Grabspruch (18, 134).

Hilde

Pflegekind des Haidereiters. Sie entstammt einem Verhältnis ihrer Mutter Muthe Rochussen mit dem jungen Grafen Emmerode, von dem sie das »helle Rothhaar« geerbt hat (1/10). Als die Mutter stirbt, nimmt Baltzer Bocholt sie als Pflegekind an. Sie wächst mit dessen etwa gleichaltrigem Sohn Martin auf, der sie von Anfang an liebt und mit Spielen und Geschenken verwöhnt. Vor dem Haidereiter fürchtet sie sich, besonders seit er den Wilddieb Maus-Bugisch erschossen hat. Als sie aber sieht, dass man ihn deswegen in der Kirche schneidet, geht sie zu ihm und küsst ihn und gewinnt damit sein Herz (vgl. 5/45).

Nach ihrem 18. Geburtstag gibt Baltzer Bocholt ihr Stellung und Aufgaben einer »Tochter vom Hause« (6/49), die sie aber kaum wahrnimmt, sondern weiterhin Grissel das Regiment im Haus überlässt (vgl. 7/51). Sie verträumt gern den Tag und besucht oft den alten Kuhhirten und Konventikler Melcher Harms auf der Bergweide, der ihr seine Privatreligion näherbringt. Schon als Kind ist sie »immer müd« (2/16) und voller »Sehnsucht in die Weite« (2/17), »languissant«, wie die Offiziere auf Schloss Emmerode die erwachsene Hilde nennen (14/108). Sie ist Martin von Herzen zugetan, ist sich aber nicht sicher, ob er es ist, der ihre Sehnsucht nach Glück und Liebe erfüllen kann (vgl. 7/52). Sie trifft sich heimlich mit ihm auf Kunerts Kamp (vgl. 13/98), wo sie ihn zum letzten Mal sieht.

Drei Jahre später ist sie mit dem Haidereiter verheiratet (vgl. 14/103 f.), »aus Furcht und Dankbarkeit hat sie ja gesagt«, so Melcher Harms (14/107). Ihr erstes und einziges Kind ist schwer krank. Es stirbt in derselben Nacht wie sein Vater (vgl. 18/127). Hilde lässt Bocholt in einem Einzelgrab und das Kind im Grab seiner ersten Frau beerdigen (vgl. 18/127 f.).

Danach verfällt sie in Schwermut und Todessehnsucht, aus der weder Pastor Sörgel noch Melcher Harms ihr heraushelfen können. Nur die neuerdings regelmäßigen Treffen mit der alten Gräfin geben ihr einigen Trost (vgl. 18/131). Nach dem Weihnachtsfest lebt sie kurze Zeit auf, stirbt aber schon im Frühsommer. Ihrer Verfügung gemäß wird sie im Grab von Bocholts erster Frau neben ihrem Kind begraben, und auf ihrem Grabstein wird kein Name, sondern nur der Spruch eingegraben, den sie von Melcher Harms gehört hatte: »Ewig und unwandelbar ist das Gesetz.« (18/134).

Die Lebensdaten ihrer Mutter (1735-1767) und ihres leiblichen Vaters (1733-1757) lassen vermuten, dass sie zu Beginn der Erzählung ungefähr 9 oder 10 Jahre alt ist (vgl. 4/33 f.).

Joost

Baltzer Bocholts Knecht, ein biederer treuer Mann. Wenn er mehr als einige Worte spricht, ist er selber erstaunt.

Maus-Bugisch

Wilddieb, den Baltzer Bocholt in Notwehr erschießt (vgl. 5/41 f.).

Rochussen, Erdmuthe (Muthe)

Hildes früh verstorbene Mutter, Witwe eines armen Holzschlägers. Mit der Heirat »sollte was zugedeckt werden« (1/10), das Liebesverhältnis Muthes mit dem jungen Grafen von Schloss Emmerode, Hildes leiblichem Vater, der 1757 im Siebenjährigen Krieg fiel (vgl. 4/34). Bevor sie stirbt, nimmt sie ihren Ehering ab und legt ihn zu dem ihres verstorbenen Mannes. Sie hat nicht »mit den beiden Ringen wie mit einer Lüge vor ihren Gott hintreten wollen«, meint Pastor Sörgel (1/10).

Die Erwähnung ihrer Grabinschrift erlaubt eine Datierung der Geschichte: Ihr Tod, mit dem die Erzählung beginnt, fiel auf den 30. September 1767 (4/33).

Schliephake

Arzt in Ilseburg, den Hilde und Baltzer Bocholt mit ihrem kranken Kind aufsuchen. Nach der Untersuchung schickt er Hilde mit dem Kind fort, um dem Vater zu sagen, dass das Kind sterben wird (vgl. 16/117). Als der ungläubige und entrüstete Haidereiter auf seine Gesundheit und die Jugend seiner Frau hinweist, bekommt er Bescheid, dass es nicht darauf, sondern auf das Herz ankomme: »Und wo Freude wohnt, da giebt es Leben, und wo Leid wohnt, da giebt es Tod. Und das Leid hat eine große Gevatterschaft: Angst und Noth und Kummer und Reu.« (16/118)

Sörgel

Pastor in Emmerode, der dafür sorgt, dass Hilde nach dem Tod ihrer Mutter beim Haidereiter unterkommt. Er gibt ihr und Martin Konfirmandenunterricht. Jahre später, schon achtzigjährig, traut er Hilde und Baltzer Bocholt. Er stirbt einige Monate nach dem Tod des Haidereiters. Sein Nachfolger ist Borstelkamm.

© Anke-Marie Lohmeier 2014 – Alle Rechte vorbehalten.