Poggenpuhl, Therese Pogge von
Die älteste Tochter der Familie, 30 Jahre alt, hat aller Armut zum Trotz ein ausgeprägtes Standesbewusstsein. Sie hält, wie ihre jüngste Schwester Manon spöttelnd bemerkt, »die Poggenpuhls für einen Pfeiler der Gesellschaft« (8/63) und sieht ihre Hauptaufgabe darin, »die Poggenpuhlsche Fahne hochzuhalten und sich […] in die Welt, in die die Poggenpuhls nun ‘mal gehörten, einzureihen« (1/9). Sie verkehrt in den »Generals- und Ministerfamilien der Behren- und Wilhelmstraße«, wo sie mit mokanten Bemerkungen über das Verhalten der »seinwollenden Aristokratie« ihre kleinen Erfolge feiert (1/9 f.). Bei ihrer eigenen Familie kommt sie damit weniger gut an. Auch ihre reiche Tante Josephine in Adamsdorf, die sie im »vorletzten Sommer« (1886) nach Pyrmont begleitet hatte, findet ihren Adelsstolz »etwas übertrieben und hat auch seinerzeit Auseinandersetzungen mit ihr darüber gehabt« (9/75).
Stets wacht sie darüber, dass die Familienmitglieder sich standesgemäß benehmen. Insbesondere die Mutter, die Thereses Vorstellungen von ›Vornehmheit‹ so gar nicht genügt, muss sich manche Krittelei anhören (vgl. z.B. 8/60, 15/119 f.). Der Umgang Manons mit der reichen, noch dazu »nicht-christlichen« Bankiersfamilie Bartenstein (1/11) ist ihr zwar ein Dorn im Auge, aber sie hat doch auch genug Realitätssinn, um anzuerkennen, dass ihrer Familie von den Bartensteins manche Hilfe zuteil wird, weshalb sie »schließlich auch froh war, daß sie existierten« (2/21). Bei der Wahl der Trauerkleider für Onkel Eberhards Beerdigung allerdings versagt ihr Realitätssinn. Die »Trauerhauben mit einer tiefen Stirnschneppe«, die sie für sich und ihre Schwestern besorgt hat, sind, wie Manon bemerkt, geeignet, sie »ins Ridiküle« fallen zu lassen (13/102). Schloss und Park in Adamsdorf imponieren ihr so sehr, dass sie sich zuletzt sogar »bis zu hoher Anerkennung der Tante« versteigt, dies freilich nicht wegen deren charakterlicher Qualitäten, sondern weil, wie sie meint, in ihrem Auftreten »alles Frühere«, d.h. alles Bürgerliche, »bis auf den letzten Rest getilgt« sei (14/109).
Der Erzähler urteilt über sie nachsichtiger, als seine häufigen Hinweise auf ihren Standesdünkel vermuten lassen: Zwar scheine sie, so heißt es gleich zu Beginn, »von allerhand kleinen Künsten eigentlich nur die eine, sich in einem Schaukelstuhle gefällig zu wiegen, gelernt zu haben; in Wirklichkeit aber war sie geradeso lebensklug wie die beiden jüngeren Schwestern und bebaute nur ein sehr andres Feld« (1/9). Friederike, deren Urteilen einiges Gewicht zukommt, sieht es ähnlich: Therese »thut wohl ein bißchen groß, aber eigentlich is es doch auch nich schlimm« (9/67).
Auch Therese hat an dem ästhetischen Diskurs über Realismus teil, der sich subtextuell durch den Roman zieht (vgl. die Hinweise bei Sophie und Leo): In ihrem Disput mit Manon über den Adamsdorfer Park und den Berliner Tiergarten beklagt sie mit Bezug auf Letzteren »die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht«, und nennt sie »cynisch«. Sie halte dafür, »daß die Kunst verhüllen soll« (14/109).