Die Poggenpuhls (1895/96)

Theodor Fontane: Die Poggenpuhls. Herausgegeben von Gabriele Radecke. Berlin: Aufbau 2006 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 16) – Nachweise von Zitaten erfolgen unter Angabe der Kapitel- und Seitenzahl (z.B. 1/8 = 1. Kapitel, S. 8).

Die Datierung der erzählten Geschichte ist nicht ganz eindeutig (zu den Datierungsproblemen vgl. den Kommentar, S. 137-140). Der Tod des Majors Alfred von Poggenpuhl bei der Schlacht von Gravelotte am 18. August 1870 (vgl. 1/6), die Auskunft, dass die »erst etliche Monate nach dem Tode des Vaters« (1/7), also Ende 1870 oder Anfang 1871 geborene Manon inzwischen siebzehn Jahre alt ist (vgl. 1/10), und der Beginn der Geschichte an einem 3. Januar (vgl. 2/13) sprechen dafür, dass wir uns im Jahr 1888 befinden, die Romanhandlung also von Anfang Januar bis Mitte September 1888 dauert (einige Tage nach dem Tod Eberhards von Poggenpuhl). Die im Weiteren genannten Datierungen stützen sich auf diese Annahme.

Bartenstein, Flora

Eine Freundin Manons, die im Roman nicht selbst, sondern nur in den Gesprächen der Poggenpuhls in Erscheinung tritt. Sie ist die Tochter einer reichen jüdischen Bankiersfamilie, die den Poggenpuhls gelegentlich aus Geldverlegenheiten hilft. Manon träumt davon, Flora mit Leo zu verheiraten, und preist sie ihrem Bruder ausgiebig an. Sie sei »ein kluges und schönes Mädchen« (8/65) und habe, anders als ihre Eltern, einen »ausgesprochen romantischen Sinn«, von dem Manon hofft, dass er sie von der Armut der Poggenpuhls ablenken und für »das Maß unsrer historischen Berühmtheit« einnehmen könnte (11/88).

Bob

Ein in Schloss Adamsdorf lebender Kater, ein »wunderschönes großes Tier«, das, obwohl sonst »mißtrauisch und eifersüchtig«, Sophie gleich bei ihrer Ankunft schnurrend um die Beine streicht und ihr sogar auf den Schoß springt, was nach Auskunft ihrer Tante Josephine »eine Liebeserklärung« ist (10/77). Auch in den folgenden Tagen hält er »in seinem Attachement aus« und »geht darin ein wenig zu weit, denn seine Zärtlichkeitsbezeigungen haben immer etwas Ueberfallartiges. Mit einemmal springt er mich an, immer noch die Tigernatur« (10/78).

Kater Bob hat Seltenheitswert, denn Katzen kommen in Fontanes Erzählwelt kaum vor, ganz im Unterschied zu Hunden, unter denen insbesondere Hector (»Vor dem Sturm«) und Rollo (»Effi Briest«) den Status vollgültiger Romanfiguren haben. – Vgl. dazu die kleine Studie von Rolf Zuberbühler: »Ja, Luise, die Kreatur.« Zur Bedeutung der Neufundländer in Fontanes Romanen. Tübingen: Niemeyer 1991 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 60).

Friederike

Altes Dienstmädchen der Poggenpuhls, eine »treue Seele, die noch den gnädigen Herrn gekannt und als Vertraute der Frau Majorin alles Glück und Unglück des Hauses und zuletzt auch die Uebersiedelung von Stargard nach Berlin mit durchgemacht hatte« (1/8). Ihr Reich ist die Küche, wo sie auch, auf dem Hängeboden, schläft. Sie hält den kleinen Haushalt der Familie verlässlich in Ordnung, nur beim Staubwischen verfährt sie, »so gewissenhaft sie sonst war, ziemlich obenhin«, weil es »die drei Fräuleins doch nie zufriedenstellte« (2/14). Mit dem Bildnis des »Hochkirchers« steht sie, obwohl sie den »Familienkultus« um den Ahnen mitmacht, »auf einer Art Kriegsfuß«, weil es beim Staubwischen so oft herabfällt, und knüpft daran ihre eigenen Betrachtungen (vgl. 2/15 f.).

Wie die meisten Dienerfiguren in Fontanes Erzählwelt verkörpert auch Friederike eine ›natürliche‹, unverbildete Menschlichkeit. Sie hat, wie Sophie in einem ihrer Briefe schreibt, das »Herz«, das doch die »Hauptsache« sei (10/83). Es leitet auch ihre treffsicheren Urteile über die Familienmitglieder, die in ihren Augen zwar alle, mit Ausnahme der Majorin, einen »Nagel« haben, aber doch menschlich geblieben sind, selbst Therese. Deshalb ist sie trotz der kargen Lebensverhältnisse froh über ihre Stelle bei den Poggenpuhls, für die sie »doch immer ein Mensch« sei, ganz anders als bei dem »reiche[n] Volk […], wo ich früher war, und gar kein Mensch nich« (9/67).

In den Augen der Majorin, für die sie, zu Thereses Missfallen, eine Vertraute ist, mit der sie sich aussprechen kann, ist die »schlichte Treue« Friederikes »das Allerschönste […], das Schönste für den, der sie gibt, und das Schönste für den, der sie empfängt«. Denn »solch altes Hausinventar wie die Friederike, die will nichts als helfen und beistehn und fordert weiter nichts, als daß man mal ›danke‹ sagt« (8/60).

Klessentin, Manfred von

Ehemaliger Regimentskamerad Leos, »noch von den Kadetten her« (7/50), den Leo unvermutet in dem Restaurant wiedertrifft, in dem er und seine Schwestern nach dem Theaterbesuch mit Onkel Eberhard zu Abend essen. Er hat die militärische Laufbahn an den Nagel gehängt und ist, teils aus Neigung, teils aus materieller Not, Schauspieler geworden. Die mit dieser Berufswahl verbundene Abweichung von aristokratischen Standesnormen, denen er mit seinem das Adelsprädikat tilgenden Künstlernamen (»Herr Manfred«) gleichwohl Genüge tut, scheint er ebenso gelassen zu nehmen wie den Umstand, dass er bisher nicht über kleine Nebenrollen hinausgekommen und auch sicher ist, »daß ›Herr Manfred‹ kein großer Künstlername werden wird« (7/53 f.). Er hofft darauf, eine »sogenannte gute Partie« zu machen, und würde dann »keinen Augenblick zögern«, dem Theater den Rücken zu kehren. Er sei zwar gern Schauspieler, aber eine »Tiergartenvilla mit einem Delphinbrunnen, der immer plätschert und den Rasen bewässert«, wäre ihm lieber, was Eberhard von Poggenpuhl eine »gesunde Reaktion« nennt (7/54). Während Therese auf Klessentins ehrliche Selbstauskünfte erwartungsgemäß reserviert reagiert, begegnen ihm die übrigen Poggenpuhls, besonders Onkel Eberhard, mit vorurteilsloser Offenheit und regem Interesse.

Klessentin ist das Gegenstück zu Leo, ein nüchterner ›Realist‹, der, anders als Leo, seine triste Lage auch ohne »Fata morgana« aushält (vgl. 4/32).

Nebelung

Portier des Mietshauses in der Großgörschenstraße, in dem die Poggenpuhls wohnen und in dem er mit seiner Familie, der »kränkliche[n], immer verärgerte[n] Frau« (15/115), der vierzehnjährigen Tochter Agnes und zwei halbwüchsigen Jungen, im Parterre wohnt. Er ist neugierig und faulenzt gern, »seine Frau mußte sich dafür quälen« (15/114). Die Poggenpuhls nötigen dem »etwas groben und gegen die ›Adelspackage‹ stark eingenommenen« Mann (1/7) bei mehreren Gelegenheiten widerstrebenden Respekt ab. Besonders die Anzeige von Eberhard von Poggenpuhls Tod, in der alle Berliner Poggenpuhls namentlich genannt sind, beeindruckt ihn, auch wenn er sich über die Namen lustig macht – »Na, so was von Poggen; ich hör‘ es ordentlich quaken« (15/115) – und »aufrichtig unwirsch« ist darüber, »daß ihm das ›pauvre Volk da oben‹ mit einmal als etwas Besonderes aufgezwungen werden sollte« (15/116). Trotzdem trägt er den von der Beerdigung heimkehrenden Damen den Koffer in die Wohnung hinauf und bekommt von Sophie ein Markstück zugesteckt, das er in seiner Portiersloge auf den Tisch wirft: »Da, Mutter, das muß in die Sparbüchse. Pogge von Poggenpuhl... Un noch dazu von Sophiechen... Jungferngeld; das heckt.« (15/117)

Pogge‹ ist das niederdeutsche Wort für ›Frosch‹; ›Poggenpuhl‹ bedeutet ›Froschteich‹.

Nebelung, Agnes

Die vierzehnjährige Tochter des Portiers Nebelung, die »nicht bloß bleichsüchtig, sondern wegen ihrer Figur und ihrer Vorliebe für die ›Jungfrau von Orleans‹ auch fürs Theater bestimmt« ist (15/114), hat, anders als ihr Vater, den sie »ordinär« findet (15/115), eine Schwäche für den Adel. Bei Leos Besuch nimmt sie »dicht neben dem Trottoir Aufstellung«, um den schneidigen Leutnant zu sehen (3/21), und bei der Rückkehr der Poggenpuhls von Eberhards Beerdigung steht sie, »wie wenn es sich um ihr Auftreten etwa als Mondecar oder irgend sonst ein spanisches Hoffräulein gehandelt hätte, schlank und aufrecht in der offenstehenden Hausthüre« und begrüßt die Majorin mit einem »gut einstudierten Hofknicks« (15/116).

»Mondecar«: Eine Figur aus Schillers »Don Carlos«, Hofdame der Königin (»Marquisin von Mondekar«).

Nottebohm, August

Vermieter der Poggenpuhls, ehemals Maurerpolier, jetzt Rentier, ein »brave[r] und behäbige[r] Mann«, der der Majorin schon vor mehreren Jahren zugesichert hat, dass er die Miete nicht steigern werde. Er betrachtet die Familie als Glücksbringer, weil die Wohnungen seines Hauses seit deren Einzug niemals leerstanden und seine Mieter »immer reputierliche Leute« waren (1/6). Im Deutsch-Französischen Krieg stand er im Bataillon des Majors von Poggenpuhl und hat von der Schlacht bei Gravelotte, in der der Major fiel, eine Kugel zurückbehalten, »aber der Doktor sagt: sie würde schon mal ’rausfallen und dann hätt’ ich ein Andenken« (ebd.).

Poggenpuhl, Albertine Pogge von (geb. Pütter)

Mutter von Wendelin, Therese, Sophie, Leo und Manon, Witwe des Majors Alfred von Poggenpuhl und Schwägerin Eberhards von Poggenpuhl. Sie entstammt einer »angesehenen, aber armen Predigerfamilie« (1/5). Ihr im Deutsch-Französischen Krieg 1870 gefallener Mann hat ihr außer einer schmalen  Witwenpension (vgl. 1/11) nichts hinterlassen, so dass sie ihre fünf Kinder unter großen Entbehrungen großziehen musste. Gut sieben Jahre vor dem Beginn der Romanhandlung (Januar 1888), am Michaelistag 1881, ist sie mit ihren drei Töchtern von »Pommersch-Stargard« nach Berlin in eine noch mauerfeuchte Neubauwohnung in der Großgörschenstraße umgezogen, »deren einziger wirklicher Vorzug in ihrer großen Billigkeit« und in der Zusicherung des Vermieters, Rentier Nottebohm, besteht, »daß die Frau Majorin nie gesteigert werden würde« (1/6). Die beiden Aussichten der Wohnung – nach vorn auf den Matthäifriedhof, nach hinten auf die Rückfronten der Kulmstraße und »Schulzes Bonbonfabrik« (1/5) – kommen der 57-jährigen Majorin entgegen, die vordere, weil »die etwas sentimental angelegte Dame« gern vom Sterben spricht, die hintere, weil sie an Husten leidet und »aller Sparsamkeit ungeachtet zu gutem Teile von Gerstenbonbons und Brustkaramellen« lebt (I, 5). Ihr entbehrungsreiches Leben hat sie nicht bitter, sondern demütig gemacht, hat ihr freilich auch alle Lebenslust genommen, so dass sie eine Teilhabe an den Unternehmungen ihrer Kinder ablehnt (vgl. 6/47) und die Ermunterungen ihres lebenszugewandten Schwagers Eberhard mit Verweis auf ihr Alter abwehrt: »es ist nichts mehr für mich« (9/71).

Anders als ihre Kinder, die, wie das alte Dienstmädchen Friederike feststellt, alle einen »Nagel« haben (9/67), ist die Majorin von adeligem Hochmut weit entfernt. Dem Standesdünkel ihrer Tochter Therese setzt sie eine Haltung »stille[r] Ueberlegenheit« entgegen, »die das Leben und das Bewußtsein gibt, die Kämpfe des Lebens ehrlich durchgefochten zu haben« (15/119). Ihren nach Thereses Meinung zu vertrauten Umgang mit Friederike verteidigt sie energisch (vgl. 8/60) und begegnet Thereses herabsetzenden Äußerungen über Bürgerliche mit sanftem Tadel: »Ich habe nur sorgen und entbehren gelernt. Das ist meine Schule gewesen. Viel Vornehmes ist dabei nicht herausgekommen, nur Demut. Aber Gott verzeih es mir, wenn ich etwas Unrechtes damit sage, die Demut, wenn sie recht und echt ist, ist vielleicht auch eine Eigenschaft, die sich unter dem Adel sehen lassen kann.« (15/119 f.)

Poggenpuhl, Alfred Pogge von

Verstorbener Ehemann Albertine von Poggenpuhls, Vater ihrer fünf Kinder und Bruder Eberhard von Poggenpuhls, ein Major, der im Deutsch-Französischen Krieg in der Schlacht bei Gravelotte (18. August 1870) »ehrenvoll gefallen« ist. Seiner Familie hat er »nichts als einen guten alten Namen und drei blanke Krönungsthaler« hinterlassen (1/6), aus denen seine Witwe anlässlich der Konfirmation Manons drei Broschen für die drei Töchter fertigen ließ (vgl. 1/6 f.). – Bei der Nennung der bisherigen »Größen« der Familie, des »Hochkirchers« und des »Sohrschen«, vergisst Manon, wie ihre Mutter anmerkt, »einen dritten, deinen Vater«. Darauf Manon: »Ja, meinen Vater, den hatt' ich vergessen. Sonderbar. Väter werden fast immer vergessen.« (15/121)

Poggenpuhl, Balthasar Pogge von (›Der Hochkircher‹)

Vorfahre der Poggenpuhls, der für den »historisch bedeutendsten Moment aus dem Leben der Familie« sorgte. Er ist auf einem Ölbild festgehalten, einer »Kunstschöpfung dritten oder vierten Ranges«, die im Wohnzimmer der Poggenpuhls über dem Sofa hängt. Es handelt sich um den nächtlichen »Ueberfall« der Österreicher auf die Preußen bei Hochkirch (1758) im Siebenjährigen Krieg, bei dem Major Balthasar von Poggenpuhl, »in Unterkleid und Weste, von Stiefeln keine Rede, dafür ein Gewehr in der Hand«, den Kirchhof »eine halbe Stunde hielt, bis er mit unter den Toten lag« (2/14). Mit diesem Bild, das, »wohl in Würdigung seines Familienaffektionswertes«, in einen »breiten und stattlichen Barockrahmen gefaßt« ist, steht Friederike, das alte Dienstmädchen der Poggenpuhls, »auf einer Art Kriegsfuß«, weil der Nagel, an dem es hängt, sich beim Abstauben sehr häufig aus der noch mauerfeuchten Wand löst. »Gott«, sagt sie, »daß er da so gestanden hat, nu ja, das war ja vielleicht ganz gut. Aber nu so gemalen ... es sitzt nich und sitzt nich.« (2/15)

Poggenpuhl, Eberhard Pogge von

Bruder des gefallenen Majors von Poggenpuhl, Schwager der Majorin und Onkel ihrer fünf Kinder. Der Generalmajor a. D. ist 67 Jahre alt (vgl. 15/114) und lebt mit seiner Frau Josephine von Poggenpuhl, einer geborenen Bürgerlichen und verwitweten Freifrau von Leysewitz, auf Gut Adamsdorf im schlesischen Riesengebirge. Er unterstützt die Familie seines Bruders nach Kräften, hat dafür allerdings nur ein bescheidenes Budget zur Verfügung. Durch die (kinderlos gebliebene) Ehe mit Josephine ist er zwar zu einigem Vermögen gekommen, über das er aber nur begrenzt verfügen kann, weil der Besitz seiner Frau nach deren Tod an die Familie ihres ersten Mannes zurückfallen wird (vgl. 12/95 f.). Das erklärt seinen bedachtsamen Umgang mit Geld, den ihm sein Neffe Leo in Unkenntnis der Gründe als »Knauserei« auslegt (4/31). In den ersten Januartagen kommt er in geschäftlichen Angelegenheiten nach Berlin, steigt im »Fürstenhof« am Potsdamer Platz ab und besucht seine Schwägerin an deren Geburtstag (4. Januar) in der Großgörschenstraße. Am Abend führt er seine drei Nichten und Leo ins Theater aus, in dem »Die Quitzows« gegeben werden, und lädt sie anschließend zum Souper in ein Theaterrestaurant ein. Dort treffen sie Manfred von Klessentin, einen früheren Kameraden Leos, nun Schauspieler, der den restlichen Abend mit ihnen verbringt. Am nächsten Tag reist er mit Sophie, die ihrer Tante einige Monate lang Gesellschaft leisten soll, nach Adamsdorf zurück. Alles Weitere erfährt man aus Sophies Briefen. Am Sedanstag (2. September), an dem er eine Rede auf den Kaiser halten muss, erkrankt er an Typhus und stirbt sieben Tage später. Am 12. September wird er in der Leysewitzschen Kirchengruft beerdigt.

Eberhard von Poggenpuhl ist ein in seiner ständischen Identität ruhender, dabei vorurteilsloser und Neuem aufgeschlossener Charakter, wie etwa seine Offenheit und Jovialität im Umgang mit Manfred von Klessentin und dessen unstandesgemäßem Beruf zeigen (vgl. 7/51-58; 9/72-74). Die Majorin nennt den Schwager einen »echten Edelmann«, er sei »ein sehr feiner und sehr gütiger Mann« (4/30). Seine Sympathie mit den Quitzows, die einst gegen die Hohenzollern opponierten, gefällt ihr weniger: »Alles habt ihr [Poggenpuhls] von den Hohenzollern, und sowie die Standesfrage kommt, steht ihr gegen sie.« (6/47) Eberhard will zwar festgestellt wissen, dass die Poggenpuhls ihrem Landesherrn, »[w]enn es gilt«, stets treu dienen, wie der »Hochkircher«, der »Sohrsche« und sein Bruder Alfred beweisen, räumt dann aber ein: »wenn stille Tage sind, so wie jetzt, dann sticht uns wieder der Hafer, und wir freuen uns der alten Zeiten, wo's noch kein Kriegsministerium und keine blauen Briefe gab und wo man selber Krieg führte. Man soll es wohl eigentlich nicht sagen, und ich sag‘ es auch nur so hin, aber eigentlich muß es damals hübscher gewesen sein. Die Bürger brauten das Bernauer und das Cottbusser Bier, und wir tranken es aus.« (6/47) Leos Hoffnung, dass solche Zeiten adeliger Freiheit noch einmal wiederkehren, teilt er freilich nicht. Er ist sich darüber im Klaren, dass der Adel sein politisches Gewicht längst verloren hat: »Wir sind nicht mehr dran. Was jetzt so aussieht, ist bloß noch Aufflackern...« (ebd.)

»Die Quitzows« ist ein Stück von Ernst von Wildenbruch, dessen Uraufführung am 9. November 1888 – wegen Bauarbeiten am Königlichen Schauspielhaus im Königlichen Opernhaus Unter den Linden – stattfand (vgl. Kommentar, S. 226). Die eingangs erwähnten Schwierigkeiten der historischen Datierung der Poggenpuhl-Geschichte hängen u.a. auch mit dem Uraufführungsdatum dieses Stückes zusammen, denn danach müsste die Romanhandlung auf 1889 oder 1890 zu datieren sein, wogegen wiederum andere Datierungen sprechen (vgl. Kommentar, S. 137-140).

Poggenpuhl, Josephine Pogge von (geb. Bienengräber, verw. Freifrau von Leysewitz)

Ehefrau von Eberhard von Poggenpuhl auf Adamsdorf in Schlesien. Sie stammt »aus einer einfachen bürgerlichen Familie, die klein und arm anfing und es nachher zu Reichtum brachte« (12/95). Inzwischen ist ihre Vermögenslage, von der Leo und Therese sich übertriebene Vorstellungen machen, eher bescheiden, wie sie Sophie bei deren Aufenthalt in Adamsdorf auseinandersetzt, um die entsprechend bescheidene Unterstützung zu erklären, die ihr Mann der Familie seines Bruders zukommen lässt. Sie war in erster Ehe mit dem verarmten Freiherrn von Leysewitz verheiratet, der von dem Geld, das sie in die Ehe brachte, das ehemals seiner Familie gehörende Schloss Adamsdorf kaufte. Als später ihr Vermögen verloren ging, konnte ihr Mann den Verkauf des Gutes nur dank einiger unwarteter Erbschaften verhindern. Auf diese Weise ist der Besitz »wieder Leysewitzisch geworden« (ebd.). Sie und ihr zweiter Mann Eberhard von Poggenpuhl »haben nur den Nießbrauch; Schloß, Gut, Vermögen, alles fällt zurück, und weil es so ist, habe ich haushalten gelernt« (12/96). Durch sparsame Lebensführung hat sie im Laufe der Jahre aus den Erträgen des Gutes wieder ein »bescheidenes Privatvermögen« von 17 000 Talern angesammelt, über das sie frei verfügen kann (vgl. 14/112 f.).

Thereses und Leos Vorbehalte gegen die Tante – Therese ist sie nicht vornehm genug, für Leo kann sie als ehemalige »Bourgeoise« und »bloß angeheiratet[e]« Adelige (4/32) nicht bestehen – kann Sophie nicht nachvollziehen (10/77). Sie lernt die Tante als eine liebenswürdige und gütige Person kennen und nennt sie eine »herrliche Frau« (10/77). Diese Wahrnehmung wird am Ende vollauf bestätigt: Nach Eberhards Tod überschreibt Josephine ihrer Schwägerin die Zinsen ihres Privatvermögens, die das Jahreseinkommen der Majorin um etwa 600 Taler verbessern werden und bedenkt auch ihre Söhne mit einmaligen Zahlungen (Wendelin bekommt 1000, Leo 500 Taler). Für ihre »teure Sophie« behält sie sich »Sonderentschlüsse« vor (14/113).

Poggenpuhl, Leo Pogge von

Der jüngere Sohn der Familie, »ein junger Dachs von kaum zweiundzwanzig« (1/11) und »Sekondleutnant im Grenadier-Reg[iment] von Trzebiatowski« in Thorn (15/115), in dem schon sein Vater Alfred von Poggenpuhl gedient hat und dem auch sein älterer Bruder Wendelin angehört. Zum Geburtstag der Mutter am 4. Januar reist er, vom Bruder mit dem nötigen Reisegeld versehen, nach Berlin und verbringt zwei Tage mit der Familie. Am ersten Abend geht er mit seinen beiden jüngeren Schwestern aus, am zweiten Abend nimmt er an dem Theaterabend mit Onkel Eberhard teil und reist am darauffolgenden Morgen wieder ab.

Die Hoffnung der drei Schwestern, dass ihre beiden Brüder den »Ruhm der Familie womöglich noch zu steigern« vermögen, hat mit Blick auf Wendelin einige Berechtigung, weniger allerdings mit Blick auf Leo. Denn das »Leochen«, dessen höchstes Ziel »Schneidigkeit« ist, ist ein »Leichtfuß« (9/68), »Thunichtgut« und »Flausenmacher« (9/67), den »das Gespenst der Entlassung wegen beständig anwachsender Schulden« immer begleitet (1/12). Dafür aber hat er »das Herz auf dem rechten Fleck«: »Du taugst nichts, aber du bist ein lieber Kerl«, sagt die Mutter (8/63). Deshalb ist er nicht nur ihr Liebling, sondern der »Liebling aller« und zugleich das »Angstkind« der Familie, das beständig vor finanziellen »Katastrophen« bewahrt werden muss (1/12).

Er selbst hat die Gabe, solche drohenden Katastrophen leicht zu nehmen und immer auf »Wunder« (in Gestalt von Geldspenden des Bruders oder Onkels) zu hoffen: »Wenn das Wunder gestern war, warum soll es nicht auch heute sein oder morgen oder übermorgen« (4/29). Seine eher triste Wirklichkeit nimmt er zwar zur Kenntnis, verschönt sie sich aber kraft seiner Phantasie und malt sich insbesondere die Zukunft in den buntesten Farben aus. Allerdings ist er kein unreflektierter Phantast. Seiner idealisierenden ›Korrekturen‹ am Wirklichen ist er sich vielmehr jederzeit bewusst: »Wer was hat,« erklärt er seiner Mutter, »nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie's wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt, der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana sag‘ ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang gelebt und gehofft und hat wieder Kourage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.« (4/32) Dem Tadel der Mutter, dass er zu wenig für sein Fortkommen arbeite, hält er seinen »heiteren Sinn« entgegen, der sei »besser als alles Arbeiten«, denn: »Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk‘ ich, ich kriege doch auch noch was.« (4/33) Für den Fall, dass daraus nichts wird, weiß er schon Rat: »dann muß ich nach Afrika« (5/36).

Auch seine Beziehung zu Esther Blumenthal, der »schönen schwarzen Jüdin« in Thorn (5/36), von der er Friederike und Manon erzählt, ist eine solche »Fata morgana«: Eigentlich wisse sie, so gesteht er Friederike, »kein Sterbenswort« von seiner Zuneigung, und er sage »das auch bloß alles so, weil einem immer das Messer an der Kehle sitzt, und da malt man sich denn so was aus und tröstet sich und denkt, ›mal wirst du doch wohl rauskommen aus all dem Elend‹« (5/36; vgl. auch 11/90). Während er in der Küche die letzten Reste aus einem halben, fast nur noch aus roter Schale bestehenden Edamer herausschabt, erklärt er Friederike, dass man genau so leben müsse: »immer so die kleinen Freuden aufpicken«, bis das »große Glück« komme. »Und wenn es nicht kommt, dann hat man wenigstens die kleinen Glücke gehabt.« (5/39)

Den Plänen seiner Schwester Manon, ihn mit Flora Bartenstein zu verheiraten, begegnet er mit freundlicher Gleichmütigkeit, hinter der vielleicht auch ein gut Teil Resignation steckt. – Bei der Abreise schenkt er Friederike, die ihm den Koffer zum Droschkenstand getragen hat, aller Geldknappheit zum Trotz »einen richtigen preußischen Taler« und wehrt ihren Protest ab: »wenn es nach mir ginge, so nähm‘ ich gleich den ausgehöhlten Edamer, der doch wohl noch da ist, und schüttete ihn dir voll lauter Goldstücke« (9/67).

Mit seinen Bemerkungen über die »Realisten« und das »Glück« der Phantasie (4/32), den Trost des ›Ausmalens‹ (5/36) und das ›kleine Glück‹ eines fast ausgehöhlten Edamers (5/38 f.), in denen sich eine kleine Poetik des Realismus (samt der sie fundierenden Lebensanschauung) versteckt, trägt Leo maßgeblich zu dem poetologischen Subtext des Romans bei, wie er ähnlich auch in Sophies Berichten über ihre Malerei oder in Manons und Thereses Disput über den Adamsdorfer Park und den Tiergarten präsent ist.

Poggenpuhl, Manon Pogge von

Das siebzehnjährige »Nesthäkchen« der Familie ist, im Unterschied zu ihrer Schwester Sophie, »ganz ohne Begabung«, hat aber »dafür die Gabe, sich überall beliebt zu machen« (I/10). Auch ist sie geschickt in der Herrichtung ihrer Kleider und »versteht es, aus ein bißchen Tüll und einem Rosaband ein Feenkostüm zu machen« (10/83). Anders als ihre standesbewusste Schwester Therese verkehrt sie in bürgerlichen Häusern, »vor allem in Bankiershäusern, unter denen sie die nicht-christlichen bevorzugte« (1/10 f.), darunter insbesondere das Haus der Bartensteins, mit deren Tochter Flora sie befreundet ist. Durch diese Verbindung verschafft sie Sophie regelmäßig kleine Aufträge, die die schmale Kasse der Familie aufbessern. »Manonchen ist immer fidel« (5/34), ein unbekümmertes junges Mädchen, das sich um aristokratische Prätentionen eher wenig schert. Sie möchte ihren Bruder Leo mit der reichen Flora zusammenbringen und findet Thereses Einwände gegen eine solche Verbindung »kleinlich und altmodisch und ganz überholt« (2/20 f.). Leos Engagement für Esther Blumenthal, Tochter eines jüdischen Kommerzienrats in seiner Garnisonsstadt Thorn, sieht sie mit Sorge (vgl. 8/63-66). Ihr Briefwechsel mit dem Bruder (vgl. 11/83-90) dreht sich denn auch ganz um die Frage: »Esther oder Flora« (11/85). Einen »Nagel«, wie ihn die Poggenpuhls nach Friederikes Beobachtung »alle haben, bloß die Frau nich« (9/67), hat freilich auch Manon. Eine Verbindung Leos mit einem bürgerlichen Mädchen ist für sie nur bei großem Reichtum der Braut und öffentlichem Ansehen ihrer Familie akzeptabel und neu geadelte Bürger sind ihr eher zuwider, »denn ich hasse alles Halbe, was es doch am Ende bleibt« (8/66). – Als Onkel Eberhard stirbt, bedauert sie »trotz aller Verehrung und Liebe für den Onkel«, eine für den Tag der Beerdigung angesetzte Soirée bei Bartensteins zu versäumen (13/101). Bei der Nennung der bisherigen »Größen« der Familie, dem »Hochkircher« und dem »Sohrschen«, vergisst sie, wie ihre Mutter anmerkt, ihren Vater zu nennen. Darauf Manon: »Ja, meinen Vater, den hatt' ich vergessen. Sonderbar. Väter werden fast immer vergessen.« (15/121)

Poggenpuhl, Rittmeister Pogge von (›Der Sohrsche‹)

Vorfahre der Familie, dessen Ölbildnis in der »guten Stube« der Poggenpuhls über dem Sofa hängt. Er war Rittmeister im Sohrschen Husarenregiment, weshalb er in der Familie meist nur »der Sohrsche« genannt wird. Er ist »der einzige Poggenpuhl, der je in der Kavallerie gestanden« hat. In der ersten Schlacht der Befreiungskriege, der Schlacht bei Großgörschen (1813), hatte er ein Karree gesprengt und dafür den Orden »Pour le Mérite« erhalten (1/8).

Poggenpuhl, Sophie Pogge von

Die zweitälteste Tochter der Familie hat etwas, »was die Poggenpuhls bis dahin nicht ausgezeichnet hatte: Talente« (1/10). Sie musiziert, malt, zeichnet, schreibt Gedichte zu Familienfesten, weiß überdies, wie man einen Hasen spickt, und bewährt sich auch als Nachhilfelehrerin, die »nicht einmal vor Physik und Spektralanalyse« zurückschreckt (1/11). Für die gewinnbringende Anwendung dieser Talente sorgt Manon, die ihrer Schwester in den meist kinderreichen Bankiersfamilien, in denen sie verkehrt, regelmäßig Aufträge verschafft. Auf diese Weise ist Sophie zur »Hauptstütze der Familie« geworden, die die kleine Witwenpension der Majorin regelmäßig aufbessert. Anders als ihre ältere Schwester Therese ist sie frei von Standesdünkel, hält es mit dem ›Natürlichen‹ und weiß: »Das Herz bleibt doch die Hauptsache.« (10/83) Das alte Dienstmädchen der Poggenpuhls, Friederike, urteilt kurz und bündig: »Sophiechen ist ein Prachtstück« (5/34).

In Adamsdorf, wo sie sich auf Einladung von Onkel und Tante mehrere Monate, von Januar bis September, aufhält, bekommt ihr künstlerisches Talent größere Aufgaben. Anders als ursprünglich geplant (sie sollte das Poggenpuhlsche Wappen für neue Wappenteller malen), wird sie mit der Ausmalung der protestantischen Kirche des Dorfes betraut (vgl. 10/82), was sie »stolz und glücklich« macht (10/79). In Briefen berichtet sie der Mutter von ihrem Leben in Adamsdorf (vgl. Kap. 10 und 12). Als der Onkel am Sedanstag (2. September) an Typhus erkrankt, übernimmt sie »trotz Widerspruch des Arztes« die Pflege (13/100). Nach seiner Beerdigung fährt sie mit der Mutter und den Schwestern nach Berlin, wird aber, dem Wunsch der Tante folgend, schon bald nach Adamsdorf zurückkehren. »Sophie, so äußerte sich die Tante, sei so gut und so klug und so bescheiden, daß ihre Nähe ihr ein Bedürfnis geworden sei« (14/110). Bemerkungen Josephines gegenüber der Majorin lassen annehmen, dass sie ihre »teure Sophie« vermutlich als Erbin ihres kleinen Privatvermögens einsetzen wird (14/113).

Sophie malt ›nach der Natur‹, bezieht ihre Bildmotive aus eigenen Anschauungen (vgl. z.B. 12/94, 97), und ihre brieflichen Berichte vom Fortgang ihrer Arbeit an der Adamsdorfer Kirche, von einzelnen Bildmotiven und von ihren Gesprächen mit dem Onkel darüber ergeben eine kleine Poetik des poetischen Realismus Fontanescher Prägung (vgl. 10/82; 12/92-94, 97 f.). Deren lebenspraktischer Kern wird in Leos Bemerkungen über seinen ›poetischen‹ Umgang mit seiner tristen Wirklichkeit reflektiert. Dass Therese dagegen »die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht«, eher »cynisch« findet, passt ins Bild (14/109).

Poggenpuhl, Therese Pogge von

Die älteste Tochter der Familie, 30 Jahre alt, hat aller Armut zum Trotz ein ausgeprägtes Standesbewusstsein. Sie hält, wie ihre jüngste Schwester Manon spöttelnd bemerkt, »die Poggenpuhls für einen Pfeiler der Gesellschaft« (8/63) und sieht ihre Hauptaufgabe darin, »die Poggenpuhlsche Fahne hochzuhalten und sich […] in die Welt, in die die Poggenpuhls nun ‘mal gehörten, einzureihen« (1/9). Sie verkehrt in den »Generals- und Ministerfamilien der Behren- und Wilhelmstraße«, wo sie mit mokanten Bemerkungen über das Verhalten der »seinwollenden Aristokratie« ihre kleinen Erfolge feiert (1/9 f.). Bei ihrer eigenen Familie kommt sie damit weniger gut an. Auch ihre reiche Tante Josephine in Adamsdorf, die sie im »vorletzten Sommer« (1886) nach Pyrmont begleitet hatte, findet ihren Adelsstolz »etwas übertrieben und hat auch seinerzeit Auseinandersetzungen mit ihr darüber gehabt« (9/75).

Stets wacht sie darüber, dass die Familienmitglieder sich standesgemäß benehmen. Insbesondere die Mutter, die Thereses Vorstellungen von ›Vornehmheit‹ so gar nicht genügt, muss sich manche Krittelei anhören (vgl. z.B. 8/60, 15/119 f.). Der Umgang Manons mit der reichen, noch dazu »nicht-christlichen« Bankiersfamilie Bartenstein (1/11) ist ihr zwar ein Dorn im Auge, aber sie hat doch auch genug Realitätssinn, um anzuerkennen, dass ihrer Familie von den Bartensteins manche Hilfe zuteil wird, weshalb sie »schließlich auch froh war, daß sie existierten« (2/21). Bei der Wahl der Trauerkleider für Onkel Eberhards Beerdigung allerdings versagt ihr Realitätssinn. Die »Trauerhauben mit einer tiefen Stirnschneppe«, die sie für sich und ihre Schwestern besorgt hat, sind, wie Manon bemerkt, geeignet, sie »ins Ridiküle« fallen zu lassen (13/102). Schloss und Park in Adamsdorf imponieren ihr so sehr, dass sie sich zuletzt sogar »bis zu hoher Anerkennung der Tante« versteigt, dies freilich nicht wegen deren charakterlicher Qualitäten, sondern weil, wie sie meint, in ihrem Auftreten »alles Frühere«, d.h. alles Bürgerliche, »bis auf den letzten Rest getilgt« sei (14/109).

Der Erzähler urteilt über sie nachsichtiger, als seine häufigen Hinweise auf ihren Standesdünkel vermuten lassen: Zwar scheine sie, so heißt es gleich zu Beginn, »von allerhand kleinen Künsten eigentlich nur die eine, sich in einem Schaukelstuhle gefällig zu wiegen, gelernt zu haben; in Wirklichkeit aber war sie geradeso lebensklug wie die beiden jüngeren Schwestern und bebaute nur ein sehr andres Feld« (1/9). Friederike, deren Urteilen einiges Gewicht zukommt, sieht es ähnlich: Therese »thut wohl ein bißchen groß, aber eigentlich is es doch auch nich schlimm« (9/67).

Auch Therese hat an dem ästhetischen Diskurs über Realismus teil, der sich subtextuell durch den Roman zieht (vgl. die Hinweise bei Sophie und Leo): In ihrem Disput mit Manon über den Adamsdorfer Park und den Berliner Tiergarten beklagt sie mit Bezug auf Letzteren »die Vorliebe für das Natürliche, das die moderne Kunst als ihr gutes Recht ansieht«, und nennt sie »cynisch«. Sie halte dafür, »daß die Kunst verhüllen soll« (14/109).

Poggenpuhl, Wendelin Pogge von

Der älteste Sohn der Familie, ein »Premier über dreißig« (1/11), tritt im Roman nicht auf, ist nur in den Gesprächen und Briefen der Familienmitglieder präsent. Die Hoffnung der drei Schwestern, dass ihre beiden Brüder den »Ruhm der Familie« steigern werden, ist bei Wendelin, anders als bei Leo, nicht unberechtigt. Wendelin, »Premierleutnant im Grenadier-Reg[iment] von Trzebiatowski« in Thorn (15/115), in dem schon sein Vater gedient hat und dem auch sein jüngerer Bruder Leo angehört, ist »klug, nüchten, ehrgeizig«, und nach den Bemerkungen, die Therese bei ihren Besuchen in dem »militärexcellenzlichen Hause« aufgefangen hat, »konnte sich's bei Wendelin eigentlich nur noch darum handeln, ob er demnächst in das Kriegsministerium oder in den Generalstab abkommandiert werden würde« (1/12). Auch Leo ist überzeugt, dass sein Bruder, »dieser Musterknabe«, der »das Talent hat, bei seiner Wasserkaraffe sich Herr von ungezählten Welten zu fühlen«, seinen Weg machen wird – wenn auch »in ewiger Askese« (4/31).

Wendelin gibt seinem jüngeren Bruder Geld, damit er zum Geburtstag der Mutter nach Berlin reisen kann (vgl. 2/19). In Leos Augen denkt er dennoch »mehr an sich als an die Familie«. Er helfe zwar regelmäßig, aber es müsse »immer was sein, was ihm zugleich in aller Augen zu Vorteil und Ehre gereicht«, und sobald er Gefahr laufe, bei Vorgesetzten anzuecken, sei »es mit allem Familiengefühl und aller Bereitwilligkeit rasch vorbei«. Auch achte er die Taten der Poggenpuhls, des »Hochkirchers« und des »Sohrschen«, die den Familienstolz begründen, eher gering, halte sie für bloße militärische »Alltagsarbeit«. Er heiße zwar Poggenpuhl, so Leo in einem Brief an Manon, »aber er ist keiner, oder doch ganz auf seine Weise, die von der unsrigen sehr abweicht« (11/89). Auch Sophies Bemerkung, dass Wendelin »immer nur Pflichtbriefe« nach Hause schreibe, deutet auf ein eher kühles Verhältnis zur Familie hin.

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