Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Erneuert von Hugo von Hofmannsthal (1911)
Bei der Aktualisierung des Moralitätenspiels griff Hofmannshal sowohl auf die englische Quelle »Everyman« (um 1495) als auch auf Hans Sachs’ Version (1549) des traditionsreichen Stoffes zurück (ausführliche Informationen über Stoffgeschichte und Quellen bietet die Kritische Ausgabe; IX, 108 ff.). Weil das »allen Zeiten gehörige und allgemeingültige Märchen« vom Jedermann »im toten Wasser des gelehrten Besitzstandes« treibe, erklärt Hofmannsthal in seiner kurzen Vorrede zum »Jedermann«, wolle er es »abermals in Bescheidenheit aufzeichnen«, damit es wieder zum ›lebendigen Besitz des deutschen Volkes‹ werde (IX, 33).
Gott (Gott der Herr)
Spricht zu Beginn des Stücks von seinem Thron herab und beklagt sich über die Gottlosigkeit der nur am Diesseits orientierten und geistig blinden Menschen, die den Bund mit ihm aufgekündigt haben und sich nur noch um sich selbst kümmern. Er will deshalb »Gerichtstag« (IX, 36) über sie halten und ruft den Tod zur Hilfe. Er soll Jedermann ausrichten, dass er sofort eine »Pilgerschaft« antreten und dazu sein »Rechenbuch« mitbringen muss (ebd.).
Erzengel Michael
Gehört nicht zu den handelnden Figuren und taucht – wohl aufgrund eines Versehens Hofmannsthals – im Spieltext nicht auf, wird aber in der Liste der Dramatis Personae genannt. Er sollte ursprünglich in der Anfangszene gemeinsam mit dem Tod erscheinen (vgl. IX, 289).
Tod
Nimmt Gottes Auftrag, die Menschen für ihre Gottlosigkeit zur Rechenschaft zu ziehen, vergnügt an: »Herr, ich will die ganze Welt abrennen / Und sie heimsuchen Groß und Klein, / Die Gotts Gesetze nit erkennen / Und unter das Vieh gefallen sein.« (IX, 36) Während des Banketts, das Jedermann für seine Freunde ausrichtet, tritt er von hinten an ihn heran und stellt ihn zur Rede: »Ei Jedermann! ist so fröhlich dein Mut? Hast deinen Schöpfer ganz vergessen?« (IX, 63) Seine Mission verkündet er kalt und überlegen, ohne Erbarmen und Mitleid: »Nun ist Geselligkeit am End / Ring nit vergebner Weis die Händ / Schleun dich, jetzt geht’s vor Gottes Thron / Dort empfängst deinen Lohn. / Wie, hat dich Narren wollen bedünken / Das Erdengut und dies dein Leben / Wäre dir alles zu Eigen gegeben?« (IX, 65) Jedermanns Bitte, ihm Aufschub zu gewähren, lehnt er ab. Er gesteht ihm aber zu, sich binnen einer Stunde ein Geleit in den Tod suchen zu dürfen: »Meinshalb, ich tret dir aus dem Gesicht, / Nur merk vertu nit diese Frist / Und nütz sie klüglich als ein Christ.« (IX, 66) Nachdem Jedermann vergeblich versucht hat, seinen Freund und seine Vettern als Wegbegleiter zu gewinnen, tritt der Tod nochmals kurz in Erscheinung, um ihn zu ermahnen (vgl. IX, 77) und taucht dann wieder auf, als Jedermann an seinem Grab steht (vgl. IX, 94).
Teufel
Kommt herbeigesprungen, als ›Werke‹ und ›Glaube‹ betend auf den reuigen Jedermann warten, der soeben dem Mönch gefolgt ist, um die Beichte abzulegen und das Sterbesakrament zu empfangen. Er wundert sich zwar, dass Jedermann dem Mönch folgt, ist sich aber trotzdem sicher, ihn in der Hand zu haben, weil es keinen größeren Sünder gebe: »Sitzt einer hier unter euch allen, / Der ins Gesicht mir tät bestreiten, / Daß dieser Mensch mir ist verfallen! / Ein prächtig Schwelger und Weinzecher, / Ein Buhl, Verführer und Ehebrecher, / Ungläubig als ein finstrer Heide, / In Wort und taten frech vermessen / Und seines Gottes so vergessen / Wie nicht das Tier auf seiner Weide, / Witwen und Waisen Gutsverprasser, / Ein Unterdrücker, Neider, Hasser!« (IX, 92) ›Werke‹ und ›Glaube‹ verwehren ihm den Weg zu Jedermann und erklären ihm, dass Gott dem gläubigen Sünder verzeiht, weil »die tiefe Reu [...] von Grund die Seel umschafft« (IX, 93). Als er die Sterbeglocke hört und sieht, wie ›Werke‹ und ›Glaube‹ auf die Knie gehen, hält er sich die Ohren zu und geht (vgl. IX, 93).
Jedermann
Ist ein reicher Mann, der sich immer »fröhliche Tag« machen will (IX, 36). Er ist stolzer Besitzer des vornehmsten Hauses der Stadt, hat einen »Landsitz« und Ländereien, die ihm reichlich Pachtzinsen einbringen (vgl. IX 36 f.). Um Haus und Hof kümmern sich mehrere Angestellte, die er ruppig herumkommandiert; die Verwaltung überlässt er seinem Hausvogt. Er selbst konzentriert sich auf die schönen Seiten des Lebens. Für seine Geliebte lässt er einen Lustgarten anlegen, der mit allem Luxus ausgestattet werden soll (vgl. IX, 46 f.).
Jedermann und sein Gesell treffen auf ihrem Weg zu dem Grundstück, auf dem der Lustgarten entstehen soll, zuerst auf den armen Nachbarn, der sie anbettelt. Jedermann beachtet ihn nicht weiter, gibt ihm aber eine Münze. Als der Mann sich beschwert und anstelle der Münze sein »nachbarlich Bruderteil« einfordert (IX, 38), erzürnt Jedermann sich und erklärt ihm die Logik eines Besitzenden, der seinen Verpflichtungen gerecht werden muss: »Auch kosten mich meine Häuser gar viel, / Pferde halten, Hund und Hausgesind / [...] Das braucht mehr Pfleg als ein klein Kind, / [...] ›Ein reicher Mann‹ ist schnell gesagt, / Doch unsereins ist hart geplagt.« (IX, 40) Er stellt zwar nicht in Abrede, dass die Reichen den Bedürftigen helfen sollten, plädiert aber für eine Solidarität in Grenzen: »Ist alls schon recht, muß nur dafür / Ein Fug und ein Gesetz auch walten / Und jeglich Teil daran sich halten. [...] Wär all mein Geld und Gut gezählt / Und ausgeteilt auf jeglichen Christ, / Der Almosens bedürftig ist, / Es käm mein Seel nit mehr auf dich / Als dieser Schilling sicherlich.« (Ebd.)
Im Anschluss an die Begegnung mit dem armen Nachbarn, der den Schilling schließlich annimmt und geht, treffen sie auf einen Schuldknecht, der, gefolgt von seiner Frau und seinen Kindern, zum Kerker geführt wird. Als Jedermann erfährt, dass er der Gläubiger des Mannes ist, wäscht er seine Hände in Unschuld als einer, »der diese Sach nit kennt« (IX, 42). Er verweist auf eigenverantwortliches Handeln und auf die Anonymität des Wirtschaftssystems: »Wer hieß dich Geld auf Zinsen nehmen? / Nun hast du den gerechten Lohn. / Mein Geld weiß nit von dir noch mir / Und kennt kein Ansehn der Person.« (Ebd.) Auf die Vorwürfe des Schuldners und seiner Frau, die ihn an christliche Solidarität und das Jüngste Gericht gemahnen, reagiert er gelassen und ohne Empathie (vgl. IX, 45). Er lobt das geltende Wirtschaftssystem, das jeden Menschen »einer kleinen Gottheit gleich« mache (IX, 44).
Der Zwischenfall mit dem Schuldner ist ihm zwar eine »erzverdrießlich Sach« (IX, 45), trotzdem weist er seinen Gesellen am Schluss der Szene an, zumindest für die Frau und die Kinder Sorge zu tragen, wenn diese ihn nur nicht mit ihrer »Not« und ihrem »Gejammer« behelligen (IX, 45). Nach einer Besichtigung des Lustgartens ist ihm jetzt nicht mehr zumute, so dass er seinem Freund aufträgt, das zum Kauf Notwendige zu veranlassen.
Er begrüßt unterdessen seine eben eintreffende Mutter, um deren Gesundheit er besorgt ist, für die er aber »wahrlich nit viel Zeit hat« (IX, 47). Im Gespräch mit ihr, die um sein Seelenheil besorgt ist und ihn zum rechten Glauben bekehren möchte, verteidigt er seine Lebensführung und übt Kritik an der Kirche, insbesondere am Machtmissbrauch der Priesterschaft, an den Ablasszahlungen und an Teilen der Lehrpraxis (vgl. IX, 48 f.) Er möchte nicht schon in jungen Jahren an den Tod denken, sondern die »irdischen Freuden« genießen (IX, 49), weil die Zeit der »Buß und Einkehr« noch früh genug komme (ebd.). Das ihm lästige Gespräch kann er erst beenden, als er seiner Mutter verspricht, eines Tages in den Stand der Ehe einzutreten (vgl. IX, 51).
Obwohl er nach dem Gespräch zunächst durch die Ankunft seiner Buhlschaft abgelenkt wird, die ihn zu seinem eigenen Bankett abholen will, zeigt er sich stark verändert. Als er seine Gäste begrüßt, ist er ahnungsvoll und nachdenklich (»Seid allesamt willkommen sehr, / Erweist mir heut die letzte Ehr«; »Sie sitzen ja alle im Totenhemd!« IX, 55). Seine Freunde kommen ihm plötzlich »mächtig fremd« (ebd.) vor, und er hinterfragt seine bisherige profitorientierte Lebensführung: »Wie ihr da seid hereingelaufen, / So könnte ich euch alle kaufen / Und wiederum verkaufen auch, / Daß es mir nit so nahe ging / Als eines Fingernagels Bruch.« (IX, 56) Nachdem er einen Becher Glühwein getrunken hat, ist seine Irritation kurzzeitig überwunden (vgl. IX, 60), doch als alle Gäste ein fröhliches Lied anstimmen, hört er ein dumpfes Glockenläuten und unheimliche Stimmen, die seinen Namen rufen. Während die anderen von alledem nichts wahrnehmen, ist ihm klar, dass es »nichts guts bedeuten« kann (IX, 61). Gerade in dem Moment, da er sich wieder bei Kräften fühlt und seiner Buhlschaft verspricht, am nächsten Tag einen Arzt aufzusuchen, tritt der Tod von hinten an ihn heran. Als er von dessen Mission erfährt, bettelt er ängstlich um Erbarmen und Aufschub, damit er sein »Schuldbuch« noch in Ordnung bringen und in sich gehen könne (IX, 64). Der Tod kennt aber kein Mitleid, willigt lediglich in seine Bitte ein, sich binnen einer Stunde eine Begleitung in den Tod suchen zu dürfen.
Jedermann bittet daraufhin seinen guten Gesellen und seine Vettern um ihr Weggeleit, doch niemand ist dazu bereit. Anstatt die ihm verbleibende Zeit nun »klüglich« als ein »Christ« zu nutzen (IX, 66), wie es ihm der Tod geraten hat, lässt er seine Reichtümer aus dem Haus schaffen, um diese mitzunehmen. Doch auch sein Reichtum, personifiziert in der Figur des Mammon, verwehrt ihm die Gefolgschaft, schlimmer noch: Er entlarvt sein Eigentum als substanzlose irdische Leihgabe und kehrt die Besitzverhältnisse um, so dass Jedermann schließlich stumm und hilflos als Sklave seines Geldes dasteht (IX, 79 f.), bis ihm ›Werke‹ (die Personifikation der ›Guten Werke‹ im christlichen Sinn) ihr Geleit anbietet.
Mit ihrem Erscheinen weiß Jedermann zunächst nichts anzufangen, versteht dann aber, dass sie die verpasste Möglichkeit einer christlich-solidarischen Lebensführung darstellt: »Hättest erkannt in deinem Sinn, / Daß ich nit völlig häßlich bin, / Wärest bei mir verblieben viel / Und fern der Welt und bösem Spiel! [...] Bei Armen wärest eingegangen / Recht als ihr Bruder, heiliger Weis, / Und göttlich Leid und irdischen Schmerz / Die hättest zu lieben angefangen / Und aufgegangen wäre dein Herz.« (IX, 83) Obwohl er einsichtig ist und Reue zeigt, kann die schwache ›Werke‹ ihm nicht helfen, sie muss ihre Schwester ›Glaube‹ zu Hilfe rufen, von der er sich schließlich bekehren lässt, weil sie ihn davon überzeugt, dass Gott den gläubigen, reuigen Sünder nicht straft. Er versinkt daraufhin in ein tiefes Gebet, das ›Glaube‹ zufriedenstellt und ›Werke‹ zu neuer Kraft verhilft, so dass sie den um seine Seele buhlenden Teufel abwehren können, während er die Beichte ablegt und das Sterbesakrament empfängt. »In einem weißen langen Hemde, einen Pilgerstab in der Hand«, tritt er mit verklärtem Gesicht wieder zu ihnen und ist zum Sterben bereit: »Nun gebet mir treulich eure Händ, / Ich hab empfangen das Sakrament. / Gesegnet sei, der mich das hieß tun / Und also guten Rat mir sprach. / Nun seid bedankt, daß ihr auf mich / Geharret habet sorglich / Mit andächtigem Beten. / Und nun laßt uns die Reis antreten. / Leg jeder die Hand an diesen Stab / Und folge mir zu meinem Grab.« (IX, 94)
Mutter
Jedermanns alte Mutter rechnet jeden Tag mit dem Tod, der ihr Leben und Denken bestimmt. Sie vertritt ein altkirchliches Glaubensmodell, das auf Rechtfertigungslehre, Werkgerechtigkeit und Partikulargericht gründet. Um das Seelenheil ihres diesseitsorientierten Sohnes ist sie deshalb sehr besorgt: »Wie aber, wenn beim Posaunenschall / Du von deinen Reichtümern all / Ihm sollst eine klare Rechnung geben / Um ewigen Tod oder ewiges Leben?« (IX, 49) Im Gespräch mit ihm versucht sie, ihn zu einer Umkehr zu Gott und zu einem Leben im Sinne ihres Glaubens zu bewegen: »Wer recht in seinem Leben tut, / Den überkommt ein starker Mut / Und ihn erfreut des Todes Stund / Darin ihm Seligkeit wird kund.« (Ebd.) Ihre Bemühungen sind aber vergebens. Erst als ihr unvermählter Sohn ihr verspricht, dass er eines Tages noch das Sakrament der Ehe empfangen werde, ist sie beruhigt: »Dein Vorsatz ist noch klein und schwach, / Zielt doch auf eine heilige Sach / Und daß du so geantwortet hast / Nimmt von der Brust mir schwere Last« (IX, 51).
Die »Flöten und Schalmein« (IX, 52), die sie hört, als er ihr eine gute, sanfte Nachtruhe wünscht, deutet sie zunächst als Zeichen ihres eigenen bevorstehenden Todes (ebd.). Als sie aber in der Nacht spazieren geht und ein »herrlich Klingen« hört, als »täten alle Engel singen« (IX, 88), weiß sie dies sofort als Ankündigung des Todes ihres nunmehr bekehrten Sohnes zu deuten und zeigt sich versöhnt: »Ich hörs und weiß im Herzen mein / das sind die himmlischen Schalmein. / So singen sie vor Gottes Thron: / Das geht auf meinen lieben Sohn. / Ich spür zu dieser nächtigen Stund / Ist seine Seele worden gesund.« (IX, 89)
Gesell, Guter
Jedermanns guter Gesell sieht seinen Freund aufgrund seines Reichtums grundsätzlich im Recht und im Vorteil: »Hast Fortunati Säckel in der Hand, / Dann ist die Sach schon recht bewandt. / Ja, bei dir gilts: gewünscht ist schon getan, / Du hasts danach, drum steht dirs an.« (IX, 38) Er genießt das Leben an der Seite seines mächtigen und vermögenden Freundes, fungiert als dessen kapitalistisches Gewissen, ist immer »zur Stell« (IX, 62) und kommentiert das Geschehen aus rationaler Sicht. Er hat weder Mitleid mit dem armen Nachbarn noch mit dem Schuldknecht, für dessen Lage er nur sarkastische Worte findet (vgl. IX, 44).
Als er am Schluss der Bankettszene versteht, dass Jedermann sterben wird, zeigt er sich betrübt und verspricht leichtfertig, dass er ihn »geradewegs hinab zur Höll« begleiten würde (IX, 67). An Jedermanns wahrem Anliegen gehen seine Freundschaftsbekundungen aber vorbei. Während Jedermann darauf aus ist, ihn mit in den Tod zu nehmen, verspricht er ihm, sich vertrauensvoll um sein Erbe zu kümmern, das, wie er vermutet, auf die Buhlschaft übergehen soll (IX, 67 f.). Als Jedermann seine Bitte deutlicher formuliert und ihn an seine Beteuerung erinnert, ihn sogar auf dem Weg in die Hölle begleiten zu wollen, verweigert er ihm sein Geleit und zieht das dahergesagte Versprechen zurück: »Richtig, so war meine Red, Hand aufs Herz! / Aber die Wahrheit zu vermelden / Ist jetzo nicht Zeit für dergleichen Scherz, / Ist fast bereits ernsthaft die Sachlag. « (IX, 69) Jedermanns Versuche, ihn doch noch zu überzeugen, prallen an ihm ab. Schließlich reißt er sich von ihm los und rennt mit der Erkenntnis davon, dass »Scheiden« »recht weh« tut (IX, 71).
Hausvogt, Der
Jedermanns Hausvogt hat das Hausgesinde unter sich, nimmt die Weisungen seines Herrn stumm entgegen und führt sie beflissen aus. Jedermanns erste Äußerung im Spieltext gilt der Delegation diverser Aufgaben an seinen Vogt (vgl. ebd.), der ihm einen prallen »Säckel Geldes« bringen und das Bankett vorbereiten soll (vgl. IX, 37). Auf Jedermanns Geheiß lässt er die Knechte am Ende des Spiels die Geldtruhe aus dem Haus tragen, flüchtet aber mit ihnen, als er die Gestalt des Todes erblickt (vgl. IX, 77).
Koch, Der
Im Gespräch mit Jedermann, der ihn anweist, am nächsten Morgen ein prächtiges Frühstück aufzutischen, merkt er an, dass die Reste vom Vortag noch für »zwei kalte Gäng« ausreichen würden (IX, 37). Daraufhin weist Jedermann ihn schroff und arrogant zurecht: »Du Esels-Koch bist so vermessen, / Soll ich eine Bettlermahlzeit essen?« (Ebd.)
Nachbar, Ein armer
Jedermanns ehemaliger Nachbar, der »auch einst bessre Tag gekannt« (IX, 38), bettelt Jedermann an, als er auf dem Weg zu seinem Lustgarten ist. Den Schilling, den Jedermann ihm gibt, lehnt er aber ab. Er möchte, dass er seinen vollen Geldbeutel brüderlich, wie »ein Christ« (IX, 39), mit ihm teilt: »Bist allermaßen mächtig reich. / Teilst du den Beutel auf gleich und gleich, / Dir bleiben die Truhen voll im Haus, / Dir fließen Zins und Renten zu.« (Ebd.) Nachdem Jedermann ihm erklärt hat, warum er den Beutel nicht mit ihm teilen kann und der Schilling sein »gebührend richtig Teil« ist (IX, 40), nimmt er den Schilling am Ende doch und geht (vgl. ebd.).
Schuldknecht, Ein
Ein Schuldner Jedermanns, der, gefolgt von seiner Frau und seinen verwahrlosten Kindern, von zwei Bütteln in den Kerker geführt wird, weil er sich mit einem Hauskredit übernommen hat und den Forderungen seines Gläubigers nicht nachkommen kann. Als er auf seinem Weg ins Gefängnis Jedermann begegnet, geht er ihn barsch an und gibt ihm die Schuld für sein Schicksal: »Bist doch der selbige Jedermann, / In dessen Namen und Antrag / beschehn ist wider mich die Klag! / Daß ich in einen Turm wird bracht / Geschieht allein durch deine Vollmacht.« (IX, 42) Gemeinsam mit seiner Frau bemitleidet er sich in seiner aussichtlosen Lage, verflucht das Geld als des »Satans Fangnetz« (IX, 43) und verurteilt Jedermanns unchristliches Verhalten zutiefst (vgl. IX, 42).
Weib (Schuldknechts Weib)
Die Frau des Schuldners fordert Erbarmen und Mitleid von Jedermann, wie es sich für einen guten Christen gehöre. Sie verteufelt das Geld als moderne Ersatzreligion (vgl. IX, 44), versteht es als »Pfennig, den eins leiht / Dem Nächsten um Gottes Barmherzigkeit« (IX, 43), und lenkt das Gespräch von der materialistischen Auslegung von Schulden auf die religiöse Bedeutung von Schuld: »Hast du kein Ehr und kein Gewissen, / Trägst du mit Ruh der Waisen Fluch / Und denkst nit an dein eigen Schuldenbuch, / Das du mußt vor den Richter bringen, / Wenns kommt zu den vier letzten Dingen?« (Ebd.) Jedermann gewährt ihr und ihren Kindern am Ende zwar ein Unterkommen, will aber von »Hader, Bitternis und Klag« nichts wissen (IX, 45).
Buhlschaft
Jedermanns lebenslustige Geliebte erscheint, gemeinsam mit »Spielleuten und Buben« (IX, 52), um ihn zu seinem eigenen Bankett abzuholen. Er begrüßt sie mit Komplimenten und Liebesschwüren, sie findet ihn aber verändert und ist besorgt: »War doch, eh ich zu dir trat, / Als ob dir jemand nahe tat / Und wär dein helle Stirn und Wangen / Von einer Trübnis überhangen« (ebd.). Während sie sich ihrer Liebe versichern, kommt Jedermann scheinbar zufällig auf den Tod zu sprechen, von dem sie nichts wissen will: »Das Wort allein macht mir schon bang, / Der Tod ist wie die böse Schlang, / Die unter Blumen liegt verdeckt, / Darf niemals werden aufgeweckt« (IX, 53). Als er während des Banketts durch sein sonderbares Verhalten auffällt und fortwährend vom Tod spricht, versucht sie, die Situation zu normalisieren (»Ich bitt euch laßt das Singen nit stocken.« IX, 61), ist dann aber wieder hilflos besorgt und bittet die Gäste um Rat. Als Jedermann von Stimmen berichtet, die ihn rufen, nimmt sie ihm das Versprechen ab, am nächsten Tag einen Arzt aufzusuchen (vgl. IX, 63).
Vetter, Dicker
Der ungehobelte und einfältige Vetter verschweigt nicht, dass er von Jedermanns Gastfreundschaft profitieren und sich deshalb auch nicht von dessen seltsamen Launen vertreiben lassen will: »Das schafft Ihr nicht so leicht, Potz Maus, / Dazu ist Euer Koch zu gut, / Auch geht der Wein recht warm ins Blut, / Freu mich, daß ich hier seßhaft bin.« (IX, 56). Jedermanns melancholische Stimmung bezeichnet er schlicht als »eine Trockenheit im Hirn« (IX, 57), zu deren Bekämpfung er einen Heiltrunk aus heißem Wein, Zimt und Ingwer empfiehlt (vgl. IX, 58). Nachdem Jedermann einen Becher Glühwein getrunken hat und wieder froh zu sein scheint, stimmen der dicke und der dünne Vetter gemeinsam ein Minnelied an (vgl. IX, 60 f.), das aber unterbrochen wird, als Jedermann irritiert und verängstigt von Glocken und Stimmen berichtet, die er wahrnimmt.
Als Jedermann ihn über seinen nahen Tod in Kenntnis setzt und um sein Weggeleit bittet, findet der dümmliche Vetter kaum Worte, weiß ihm aber eine klare Absage zu erteilen: »Nur eins musst dir gesagt sein lassen / Mich bringst einmal nit in die Gassen« (IX, 74).
Vetter, Dünner
Gemeinsam mit dem dicken Vetter kommentiert er Jedermanns verändertes Verhalten während des Banketts und mischt sich in das Gespräch der Fräuleins über einen Chalcedon-Stein und andere Mittel gegen die Melancholie ein (vgl. IX, 58). Als Jedermann geheilt scheint, stimmt er mit dem dicken Vetter ein Minnelied an (vgl. IX, 60 f.), um die Stimmung zu heben. Als Jedermann Glockenläuten und Stimmen wahrnimmt, versucht er ihn zu beruhigen: »Hat müssen grad ins Ohr dir dringen / Ein Widerhall von ihrem Singen« (IX, 62).
Stärker noch als der dicke Vetter, verhält er sich abweisend und kühl, als Jedermann um sein Todesgeleit bettelt. Seine Reaktion auf Jedermanns Situation offenbart einen rohen, niederträchtigen Charakter. Nachdem er zuerst einen »Krampf in den Zehen« vorgetäuscht und ihm sein »schön bös Weib daheim« als Weggefährtin in den Tod angeboten hat (IX, 74), schlägt er schließlich vor, Jedermann solle seinen Knechten befehlen, ihn zu begleiten, denn »die lieben Verwandten dein / Sollten da zu wert dir sein.« (IX, 75).
Fräulein, Junge
»Etliche junge Fräulein«, wie es im Figurenverzeichnis heißt, kommentieren zu Beginn der Bankettszene Jedermanns sonderbares Verhalten und unterhalten sich über die Möglichkeiten, Melancholie zu ›heilen‹. Das »dritte Fräulein« setzt auf »Sympathie« und flüstert der Buhlschaft vermutlich die Möglichkeit einer erotischen ›Behandlung‹ ins Ohr (IX, 58). Zusammen mit den anderen Gästen (in einer Regieanweisung heißt es, es seien insgesamt »zehn Junggesellen und zehn Fräulein« IX, 54) versuchen sie, Jedermanns Stimmung durch das Singen von Liedern zu verbessern, und diskutieren, welches das richtige sei. Sie messen Jedermanns melancholischem Zustand keine tiefere Bedeutung bei, genießen das Fest und sind ausgelassener Stimmung.
Gäste (Jedermanns Tischgesellen)
»Etliche von Jedermanns Tischgesellen«, wie es im Figurenverzeichnis lautet, kommentieren unter den Bezeichnungen »Ein Gast«, »Ein anderer«, »Der eine Gast« und »Gast« (vgl. IX, 59) Jedermanns Melancholie während des Banketts und beratschlagen gemeinsam mit den jungen Fräuleins und den Vettern, welches Lied seine düstere Stimmung heben könnte (IX, 59 f.). Kurz nachdem die Vettern ihr Minnelied angestimmt haben, stockt der Gesang, weil Jedermann Glocken und Stimmen wahrnimmt, die alle anderen nicht hören. Insgesamt bleibt die Stimmung unter den ahnungslosen Gästen heiter. Als der Tod auftaucht, »flüchten viele« (IX, 64), etliche bleiben aber auch essend und trinkend sitzen und flüchten erst später, als Jedermann nach seinen Gesprächen mit dem Gesellen und den Vettern wieder den Saal betritt (vgl. IX, 75).
Knechte
Im Verlauf des Stücks treten einige Knechte auf, die Jedermann immer willig zu Diensten sind. Gleich bei seinem ersten Auftritt wird Jedermann von einem Knecht begleitet (vgl. IX, 36). Als Jedermanns Mutter ihren nächtlichen Spaziergang unternimmt und das Klingeln der Schalmeien hört, die den Tod ihres bekehrten Sohnes ankündigen, ist ein Knecht bei ihr, der sich über ihr Verhalten wundert und zum Weitergehen drängt, weil er nichts dergleichen hört (vgl. IX, 88 f.). Und als Jedermann dem Hausvogt nach den enttäuschenden Gesprächen mit seinem Gesellen und seinen Vettern befiehlt, die Geldtruhe aus dem Haus schaffen zu lassen, bringen acht Knechte sie hinaus. Nachdem sich einer der Knechte bereits über das schwere Gewicht der Truhe beklagt hat, fliehen schließlich alle Knechte, als sie die Gestalt des Todes wahrnehmen (vgl. IX, 76 f.).
Mammon
Ist die Personifikation von Jedermanns Reichtum. Nachdem Jedermann keinen seiner Weggefährten dazu überreden konnte, ihn in den Tod zu begleiten, sieht er die einzige Möglichkeit, nicht allein sterben zu müssen, in seinem Reichtum. Er bittet deshalb seinen Hausvogt, ihm seine Geldtruhe hinausbringen zu lassen, damit er diese mitnehmen kann. Doch sein Geld, dessen er sich sicher glaubte, verselbständigt sich: »Die Truhe springt auf, Mammon richtet sich auf. Groß.« (IX, 78) Mammon entlarvt Jedermanns Glauben an Eigentum und Macht als Scheinglauben, bezeichnet ihn als ›Narren‹ und »Hampelmann« (IX, 79), und erklärt sich selbst zur irdischen Leihgabe, ohne die er nun »nackt und bloß« dastehe (IX, 80). Auf Mammons Auftritt reagiert Jedermann sprachlos, und es herrscht »eine lange Stille«, bevor ›Werke‹ auf der Bühne erscheint (ebd.).
Werke
Ist die Personifikation der ›Guten Werke‹ im christlichen Sinn. Als Kranke, »auf einem elenden Lager gebettet« (IX, 80), wird sie sichtbar, nachdem Mammon Jedermann die Gefolgschaft aufgekündigt hat. Der in Gedanken versunkene Jedermann nimmt ihre schwache Stimme kaum wahr. Als er sie erblickt und sie ihn über ihre Identität aufklärt, weist er sie zunächst verständnislos ab, bis sie ihn davon überzeugen kann, dass sie ihn in den Tod begleiten will, weil sie ein – wenn auch sehr schwacher – Teil seiner selbst ist. In der Aussprache zwischen ›Werke‹ und Jedermann, in der sie ihn mit sich selbst konfrontiert, erkennt er sein eigentliches, aber nicht gelebtes Ich und bereut seine Lebensführung: »Mir ist, könnt deiner Augen Schein / Durch meine Augen dringen ein, / Ein großes Heil und Segen dann / Geschäh an einem armen Mann. / Doch weiß ich, dies ist nun versäumt / Und jetzt ist alls nur wie geträumt! [...] Und dich hab ich mögen erkennen nicht! War so verblendet mein Gesicht!« (IX, 82 f.) ›Werke‹ nimmt seine Reue dankend an, ist aber zu schwach, um ihm allein zur Seite zu stehen: »Mag diese Reu, so brennend groß, / Mich nit vom Boden winden los, / Weh, mag ich nit auf Füßen stehn / Und ihm die Stund zur Seiten gehn! / Sie sinkt an den Boden. / Bin ich so elend schwach und krank!« (IX, 84) Sie ruft ihre Schwester ›Glaube‹ zu Hilfe, weist Jedermann aber darauf hin, dass diese sich von ihm abkehren könnte, wenn er nicht die richtigen Worte finde (vgl. IX, 85). Nachdem ›Glaube‹ Jedermann für sich gewonnen hat, wirft ›Werke‹ ihre Krücken von sich und erklärt sich bereit, ihn gemeinsam mit ›Glaube‹ in den Tod zu begleiten: »Jedermann, ich bins, deine Freundin, / Ich segne dich in meinem Sinn, / Du hast mich geschaffen von Schmerzen frei, / Nun geh ich mit dir, wohin es auch sei.« (IX, 89)
Glaube
Ist die Personifikation des tiefen christlichen Glaubens und wird von ›Werke‹ zur Hilfe gerufen, die Jedermann aufgrund ihrer Schwäche nicht allein helfen kann. ›Glaube‹ tritt Jedermann skeptisch gegenüber und traut seinen dahergesagten Glaubensbekundungen nicht (»Hast mich dein Leben lang verlacht / Und Gottes Wort für nichts geacht, / Geht nun in deiner Todesstund / Ein ander Red’ aus deinem Mund?« IX, 85) Auf ihr Drängen bekennt er zwar seinen Glauben an Christi Leiden, Tod und Auferstehung, gibt aber zu bedenken, dass das ewige Heil nur dem zugute komme, »der heilig ist und gut« (IX, 86).
›Glaube‹ kann ihn aber davon überzeugen, dass Gott nicht strafend, sondern barmherzig ist und verzeiht: »Glaubst du daran in diesem Leben, / So ist dir deine Sünd vergeben / Und ist gestillet Gottes Zorn.« (IX, 87) Als Jedermann daraufhin erleichtert seinen Glauben bekennt, schickt ›Glaube‹ ihn zur Beichte. Wenn er, frei von Sünde und Schuld, wiederkehre, seien auch seine ›Werke‹ gestärkt (vgl. IX, 88). ›Glaube‹ kommentiert Jedermanns Tod, bevor der Vorhang fällt: »Nun hat er vollendet Menschenlos, / Tritt vor den Richter nackt und bloß / Und seine Werke allein, / Die werden ihm Beistand und Fürsprecher sein. / Heil ihm, mich dünkt es ist an dem, / Daß ich der Engel Stimmen vernehm / Wie sie in ihren himmlischen Reihen / Die arme Seele lassen ein.« (IX, 95)
Mönch
Der Mönch »wird oben sichtbar« (IX, 87), nachdem ›Glaube‹ Jedermann für sich gewinnen konnte. Der nunmehr gläubige und reuige Christ folgt dem Mönch, um die letzte Beichte abzulegen und das Sterbesakrament zu empfangen (vgl. IX, 87; 90).
Engel
Beginnen zu singen, als Jedermann stirbt. ›Glaube‹ deutet den Gesang als Zeichen für Jedermanns Aufnahme in den Himmel (vgl. IX, 95).
Spielansager
Gehört nicht zu den handelnden Figuren. Er kündigt den Zuschauern das »geistlich Spiel« (IX, 35) vom Jedermann als ein Lehrstück an, das die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen führt und hinter der leicht verständlichen Handlung eine tiefere Aussage birgt: »Der Hergang ist recht schön und klar, / Der Stoff ist kostbar von dem Spiel / Dahinter aber liegt noch viel« (ebd.).
Vorsänger
Singt zu Beginn des Banketts ein Loblied auf Jedermann, in das die anderen Gäste einstimmen (vgl. IX, 54). Tenor ist die Freude auf das bevorstehende Fest, auf dem gegessen, getrunken, gesungen und getanzt werden soll.