Dattelpalme
Dattelpalmen sind an allen Schauplätzen des Romans präsent, sei es mit ihrer ›hochschwanken‹ Gestalt, ihren Stämmen, die »die geschuppten Schwänze von Drachen nachahmten« (IV, 220) oder ihren »Wedelkronen« (IV, 737), sei es mit ihren zahlreichen Erzeugnissen, den Früchten selbst (IV, 300, 329, 850 u.ö.), dem Dattelhonig (IV, 168) oder dem Dattelwein (IV, 300, 471; V, 1808).
Von den Datteln, so erklärt Jaakob seinem Schwiegervater Laban, habe er nicht nur »das Fleisch, den Saft und die Kerne« der Früchte, sondern zudem »auch Palmmark davon als Zukost, die Blätter zu Flechtwerk, die Rippen zu allerlei Hausrat, den Bast zu Seilen und Webwerk und das Holz zum Bauen« (IV, 260).
Wie Salomo (Hoheslied 7,8) macht der verliebte Jaakob seiner Braut Rahel Komplimente, indem er ihre Brüste mit Datteltrauben vergleicht (IV, 277).
In Peteprês Garten stehen neben Dornakazien, Dumpalmen, Sykomoren, Feigen-, Granat- und Perseabäumen auch zahlreiche Dattelpalmen. Es gibt sogar einen eigenen Palmengarten (IV, 880), und Potiphar, der sich oft in seinem Garten ergeht, hängt besonders an diesem Palmengarten und lässt sich dort öfters ein ›Ruhebett‹ aufstellen, »um im Schatten der leise rauschenden Kronenschöpfe seinem Vorleser zuzuhören oder einen Bericht der Schreiber entgegenzunehmen« (IV, 881).
Die Liebe des Hausherrn zu seinem Garten macht Gottliebchen sich zunutze, um Joseph seinem Wunsch nach einem Zusammentreffen mit Peteprê näherzubringen (IV, 878-880): Er überredet den Vorsteher des Gartens Chun-Anup dazu, Joseph als Gärtner einzusetzen, und Chun-Anup gibt ihm Arbeit im Palmengarten (IV, 880). Ihm fällt die Aufgabe zu, die weiblichen Blüten der (zweihäusigen) Dattelpalmen zu bestäuben. Die Arbeit bedarf »des Klettermutes und der Freiheit von Schwindel«, denn Joseph muss sich mit Hilfe eines »besonderen Polsterstrickes, der zugleich um den eigenen Leib und um den der Palme geschlungen ist« in die Baumkronen hinaufarbeiten (IV, 881 f.).
Die neue Aufgabe ruft ihm »auf nachdenklich-schmerzliche Art ein teures und schrecklich verlorenes Besitztum seines vorigen Lebens« in Erinnerung: »den Schleier, das bunte Kleid, sein und seiner Mutter Ketônet passîm«. Denn unter deren Bildstickereien hatte es auch ein Bild zweier bärtiger Engel (Cheruben) gegeben, die einen »heiligen Baum« befruchten (vgl. IV, 482). »Josephs Arbeit nun war die jener Genien« (IV, 881). Bei dieser Arbeit trifft er, wie von Gottliebchen erhofft, mit Potiphar zusammen und weiß dem von seinen Eltern früh Entmannten gute Worte zu geben von der Erhabenheit der ›Jungfräulichen‹ über die ›Zerrissenheit‹ der Geschlechter« (IV, 888 f.). – Ein weiteres mit dem Dattelbaum verbundenes Motiv der Ketônet passîm ist das der Baumgöttin: Am oberen Teil des Gewandes erkennt Joseph, als er das ›bunte Kleid‹ zum ersten Mal sieht, eine »Dattelpalme, aus der eine Göttin die Arme streckt mit Speise und Trank« (IV, 482; vgl. Abbildung bei Ketônet passîm).
Über die wirtschaftliche und mythische Bedeutung der Dattelpalme in Mesopotamien, Kanaan und Ägypten fand TM Material bei Meissner (I, 205, 223 u.ö.), Jeremias I (78-80) und Erman/Ranke (18, 209, 229, 540). Die Beschreibung von Josephs Klettertechnik stützt sich auf Meissner (I, 205).
Abb.: (1) Phoenix dactylifera (Dattelpalme) aus Meyers Konversationslexikon (4. Auflage 1885-1892), Bd. 11, nach S. 988 (Tafel ›Nahrungspflanzen II‹). – (2) Befruchtende Genien auf einer (auf einem Relief dargestellten) assyrischen Gewandstickerei aus Nimrud.