Naphtali
Naphtali ist der sechste der zwölf Söhne Jaakobs. Seine Mutter ist Bilha, Rahels Magd, mit der Jaakob zwei Söhne zeugt, Dan und den ›schlanken und raschen‹ Naphtali (IV, 157). Er schien Bilha und Rahel »danach angetan, ein guter Ringkämpfer zu werden, weshalb sie ihn Naphtali nannten« (IV, 324; Genesis 30, 8).
Von Naphtali »hieß es wohl früh schon, daß er ›schöne Rede zu geben wisse‹«, aber davon will der Erzähler nichts wissen: dergleichen Urteile beruhten »auf volkstümlich bescheidenen Ansprüchen, und Naphtali’s Redegabe lief alles in allem auf eine ziemlich untergeordnete Zungenfertigkeit hinaus, die wissenschaftlich ungegründet war und mit Höherem nichts zu tun hatte« (IV, 412 f.).
Der »geläufige Naphtali« ist eine der zahlreichen, an Hermes gemahnenden Botenfiguren des Romans, auch wenn er sich selbst, seinen Brüdern und wohl auch dem Erzähler »von Geistes wegen nicht ansehnlich genug« erscheint, »um in einem mehr als oberflächlich-mythischen Sinn für die Rolle zu taugen« (V, 1620).
Seine Geläufigkeit betrifft seine langen, sehnigen Beine wie seine Zunge: Neuigkeiten für sich zu behalten, ist ihm kaum erträglich, und wenn es sein muss, läuft er weite Strecken, um sie zu verbreiten. »Der Raum und seine trennende Natur beherrschte Naphtali’s Vorstellung«, und die »Aufhebung der durch ihn bewirkten Unterschiede im Wissen der Menschen« möglichst rasch »durch das Ausgreifen seiner Beine« zu bewerkstelligen, betrachtet er als seine Aufgabe (IV, 490).
Als die vier Söhne der Mägde, Dan, Naphtali, Gad und Ascher, entdecken, dass Joseph dem Vater die Ketônet passîm, das reich bestickte Brautkleid Leas und Rahels, abgeschwatzt hat, gibt es für Naphtali kein Halten: »Sein Boteninstinkt, sein Melde- und Kommunikationsbedürfnis hatte sich von Anfang an stürmisch geregt und zerrte ihm in den Waden, daß er zappelte« (IV, 490).
Noch im hohen Alter bewahrt er sich »die Sehnigkeit seiner langen Beine und die plappernde Behendigkeit seiner Zunge, zusammen mit seinem Bedürfnis nach Ausgleich des Wissens auf Erden und hin- und herwechselnder Meldegängerei, fast unversehrt« (V, 1774). Sein »Boteninstinkt« wird innerhalb des Romans sprichwörtlich: Mitteilungsbedürfnis und Reiselust heißen »Naphtalitrieb« und »Naphtaliwesen« (V, 960 f.).
Nur einmal empfindet Naphtali »den trennenden und in Unwissenheit haltenden Raum als großen Segen«: nachdem die zehn Brüder den Vaterliebling verprügelt und gefesselt haben. Der Gedanke, »daß Jaakob fünf Tage entfernt und vollkommen ahnungslos war«, gibt ihm einigen, wenn auch nur »vorläufigen« Trost (IV, 559). Anders als seinem Bruder Dan ist es ihm peinlich, dass der gefesselt im Gras liegende Joseph die offen ausgesprochenen Mordgedanken seiner Brüder mit anhören muss (IV, 561).
Naphtali heiratet eine Frau aus Charran, »ein junges Weib, dessen Herkunft Jaakob etwas künstlich von Nahor, dem Bruder des Chaldäers, ableitete« (IV, 492, vgl. auch V, 1540).
Naphtali gehört neben Ruben, Juda, Gad und Benjamin zu den fünf Brüdern, die Echnatôn auf Josephs Vorschlag zu Hirten über seine königlichen Herden in Gosen beruft (V, 175).
Im Vatersegen am Ende des Romans nennt Jaakob Naphtali »eine Hirschkuh, die über Gräben setzt, und eine springende Hindin. Sein war die Hurtigkeit und der Galopp, ein rennender Schafbock war er, wenn er die Hörner einlegt und losrennt. Auch seine Zunge war hurtig, sie lieferte flinke Benachrichtigung, und schleunig reiften die Früchte der Ebene Genasar. Rasch reifender Früchte, Naphtali, seien deine Bäume voll, und schnelles Gelingen, wenn auch kein allzu bedeutendes, sei dein Spruch und Teil« (V, 1802; Genesis 49,21).
Band IV: 72, 157, 324, 348, 412, 442, 470, 484, 487, 490-492, 494, 502, 507, 551, 559, 561, 596, 598 f., 626, 658.
Band V: 960 f., 1540, 1590, 1599 f., 1620, 1688 f., 1692, 1701, 1751, 1773 f., 1776, 1779, 1796 f., 1802.
Vgl. Übersicht zur Genealogie und Karte der Stammesgebiete Israels.