Stine (1890)
Theodor Fontane: Stine. Herausgegeben von Christine Hehle. Berlin: Aufbau 2000 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 11) – Nachweise von Zitaten erfolgen unter Angabe der Kapitel- und Seitenzahl (z.B. 1/8 = 1. Kapitel, S. 8).
Baron (Papageno)
Freund des alten Grafen Haldern, Junggeselle wie dieser und etwa in demselben Alter, Spitzname »Papageno« (nach Mozarts »Zauberflöte«), ein Mann mit einem »grauen, etwas mausrigen Schnurrbart« (11/64) und »freundlich-grauen Augen«, die »pfiffig und unbedeutend in die Welt hineinsahen« (11/62). Er begleitet den Grafen gelegentlich zu Pauline Pittelkow, die ihn »Dummbart« nennt (6/39). Auf seine Wohnung an der Ecke Zietenplatz/Mohrenstraße, von der aus er die Geschichte Preußens in Gestalt von Denkmälern und Adelspalais vor Augen hat, hält er sich einiges zugute. Seine »Passion« für Sperlinge spiegelt den bescheidenen Zuschnitt seiner Persönlichkeit, aber auch seine Neigung, »den ganzen Krimskrams« ständischen Denkens zu verachten, weshalb ihm Waldemars unstandesgemäße Heiratsabsichten sympathisch sind (11/69). Dass er ihn sogleich bittet, sich vor seinem Onkel nicht auf diese Sympathiebekundung zu berufen, lässt erkennen, was von ihr zu halten ist. In erster Linie möchte er sich aus allem heraushalten, »ich gerate nicht gern mit hinein; in nichts« (11/64).
Grützmacher, Wanda
Schauspielerin am »Nordend-Theater«, wohnhaft in einer Hinterstube bei Glaser Schlichting in der Tieckstraße 27a, eine »alte Schul- und Jugendfreundin« von Pauline Pittelkow, die sie auf Wunsch des alten Grafen Haldern für den Abend einlädt. Sie ist nicht nur »ein Liebling des Publikums, sondern auch des Direktors«, lässt sich gern von »Bourgeoiswitwern« zum Essen einladen, wobei sie stets das Teuerste wählt, ist »für leben und lebenlassen« und behandelt »delikate Vorkommnisse von einem gewissen höheren Standpunkt aus«, für den sie »stereotype, dem urältesten Berliner Witzfond entnommene Wendungen« bereithält (3/17).
Der »frappierenden Schönheit« ihrer Freundin hat sie nichts entgegenzusetzen, »aber an ›Pli‹ war sie dieser, wie die Pittelkow selbst zugestand, sehr überlegen«: Am Abend kommt sie in einem Kleid aus »schwarzem Sammet« mit einer roten Rose und sieht »sehr stattlich« aus (4/24). Sie lässt sich von den Herren gebührend den Hof machen und gibt im weiteren Verlauf des Abends einige Proben ihrer Schauspiel- und Gesangskunst, weigert sich allerdings, das von den Herren gewünschte Duett »Bei Männern, welche Liebe fühlen« aus der »Zauberflöte« zu singen. Das hat mit »ganz unmotivierten Anstands- und Tugendrückfällen« zu tun, an denen sie, »wie die meisten ihrer Art«, gelegentlich leidet (5/37), sehr zum Ärger von Pauline Pittelkow, die Ziererei nicht ausstehen kann: »Und wenn sie sich dann ausgeziert hat, denn ziert sie sich wieder nicht genug und hat so was Johliges und Genierliches.« Alles in allem aber sei sie doch »eigentlich eine nette Person und jedenfalls eine sehr gutmütige« (6/39).
Haldern, Graf von (Sarastro)
Älterer Junggeselle, »über die fünfzig hinaus« (12/79), Spitzname »Sarastro« (nach Mozarts »Zauberflöte«). Er ist der Onkel des jungen Grafen Haldern, Freund des Barons (»Papageno«) und Liebhaber der Witwe Pittelkow, mit der er nach dem Tod ihres Mannes ein Verhältnis begonnen hat. Seither unterhält er sie, hat ihr die Wohnung im ersten Stock der Invalidenstraße 98e eingerichtet; ihr kleineres Kind ist augenscheinlich von ihm, wie der elegante Kinderwagen und die feine Babywäsche andeuten. Nicht eben mit Feingefühl gesegnet, hat er doch einigen Humor und einen Sinn für Kunst, den er – seiner Überzeugung folgend, dass dem »Eklekticismus« die Welt gehört (12/72) – in Theater und Oper und mit dem Sammeln von Kupferstichen pflegt. Auch hat er eine Neigung zur selbstironischen Relativierung des Adelsstolzes im Allgemeinen, die allerdings an ihre Grenzen stößt, wenn es um die Halderns im Besonderen geht. Da »gilt [er] für stolz bis zum Hochfahrenden« und steckt »bis über die Ohren in Dünkel und Standesvorurteilen« (11/64). Allerdings ist er auch bei diesem Thema ein »absolut unberechenbarer Herr« (ebd.), weshalb der Baron es nicht für ausgeschlossen hält, dass er Waldemars unstandesgemäße Heiratspläne unterstützen wird (ebd.). Tatsächlich aber ist er entsetzt, weist Waldemars Ansinnen, bei seinem Vater als Anwalt für ihn zu sprechen, strikt zurück und macht sich Vorwürfe, ihn bei Pauline Pittelkow eingeführt und dadurch mit Stine bekanntgemacht zu haben (12/81).
Sein erster Impuls, die Schuld auf Pauline abzuwälzen, scheitert immerhin an seiner Ehrlichkeit und mündet in Selbstkritik: »Sowie man in der Patsche sitzt, spielt man sich auf den Unschuldigen hin aus […]. Und in meinem Falle nennt sich diese schnöde Weißwascherei noch aristokratische Gesinnung und erhebt sich über die Pittelkows, die sich wenigstens nicht mit ›Noblesse oblige‹ durch die Welt zieren. Jammervoll. Wohin man sieht, hat man sich zu schämen.« (13/83). Seine mit Pauline verabredeten Maßnahmen, Waldemar und Stine zu trennen (vgl. 13/88), kommen zu spät, Stine hat die Trennung inzwischen schon vollzogen. Auf dem Rückweg von Waldemars Beerdigung überwindet er seinen Standesdünkel und bietet Stine einen Platz in seiner Kutsche an, den sie freundlich dankend ablehnt (vgl. 16/108).
Haldern, Gräfin von
Stiefmutter des jungen Grafen Haldern, die erst am Ende, bei Waldemars Beerdigung, einen stummen Auftritt hat, aber auch schon vorher präsent ist als Ursache der lieblosen Kindheit und Jugend Waldemars (vgl. 14/94 f.). Sie ist eine kalte, von Standesdünkeln beherrschte Person, für die eine Mesalliance ihres Stiefsohns »einfach Tod und Schande« bedeuten würde (13/82). Auch Waldemars Freitod betrachtet sie als »Affront«, wenngleich er damit ihrem Sohn Konstantin »in nicht unerwünschter Weise Platz gemacht« hat (16/107). Bei der Trauerfeier präsentiert sie sich »in tiefer und soignierter Trauer« (16/106) und sucht mit den Augen empört nach der Urheberin des lauten Schluchzens (Stine), die die »Anmaßung« hat, »ergriffener sein zu wollen als sie« (16/107).
Haldern, Waldemar Graf von
Neffe des alten Grafen von Haldern, ungefähr 26 Jahre alt, der sich in Stine verliebt, sie gegen alle Standesregeln heiraten und, um der Konfrontation mit Familie und Gesellschaft zu entgehen, mit ihr in Amerika ein neues Leben anfangen will. Nachdem sie seinen Antrag abgewiesen hat, bringt er sich mit einem Schlafmittel um.
Der schmächtige junge Mann, aufgewachsen in einem lieblosen Elternhaus mit einer dünkelhaften Stiefmutter und einem schwachen Vater, ist durch eine schwere Kriegsverletzung, die er als 19-jähriger Fähnrich erlitten hat, dauerhaft geschwächt. Zwei Jahre hat er im Spital gelegen, »gedoktert und gequient und nun drückt er sich schwach und krank in der Welt herum« (13/86), reist »seit fünf Jahren in Italien umher« (4/27), hat für sein Leben keinen rechten Plan und neigt zu Schwermut. Seine Lieblingsbäume sind die Weiden am Kronprinzenufer in der Nähe der Unterbaumbrücke, die ihm mit ihren zahlreichen toten Ästen Abbild seiner selbst sind: »Halb abgestorben und immer noch grün.« (15/98) Pauline Pittelkow nennt ihn »das ausgepustete Ei« (4/22) und ein »armes krankes Huhn« (6/39), für Stine aber ist er »der beste Mensch von der Welt«, »ohne Falsch und ohne Hochmut, aber auch ohne Glück« (10/55).
Seine Liebe zu Stine, die in seinen Augen »Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Güte« verkörpert (12/79), gibt ihm eine freilich realitätsferne Zukunftsperspektive: Er möchte alles Standesdenken hinter sich lassen und »bei Adam und Eva wieder anfangen« (12/77), mit Stine in Amerika oder in einem entlegenen »Winkel hier« (12/80) ein »armes und einfaches Leben« führen und sehnt sich danach, »einen Baum zu pflanzen oder ein Volk Hühner aufsteigen oder auch bloß einen Bienenstock ausschwärmen zu sehen« (14/95). Stines Nein gibt seiner Neigung zum Tode neuen Auftrieb. Er schreibt Abschiedsbriefe an sie und seinen Onkel und nimmt sich mit Schlafpulver das Leben. Den Tod durch einen Revolver, den er kurz in die Hand nimmt, verwirft er: »Nein, ich erschrecke davor, trotzdem ich wohl fühle, daß es standesgemäßer und Haldernscher wäre. Doch was tut's! Die Halderns, die mir schon soviel zu vergeben haben, werden mir auch das noch verzeihen müssen. Ich habe nicht Zeit, mich über Punkte wie diese zu grämen.« (15/100)
Johann
Diener des alten Grafen Haldern, ein »Muffel von Diener (natürlich vom Lande)«, der Waldemar zu dessen Überraschung freundlich empfängt (12/71). Er belauscht sein Gespräch mit dem Onkel und lässt Waldemar danach eine gewisse Missbilligung spüren. Er hat im Haldernschen Dienst gelernt, »über Mesalliancen noch strenger zu denken als sein Herr« (12/81).
Lierschen, Die alte
Nachbarin von Pauline Pittelkow aus dem Haus schräg gegenüber. Sie beobachtet, dass Pauline ihre Fenster putzt, obwohl es weder Ostern noch Pfingsten und »nicht einmal Sonnabend« ist, und hält sich brummelnd über sie auf: »Is doch wahrhaftig, als ob alles Mannsvolk nach ihr ’raufgucken soll; ‘ne Sünd‘ und ne Schand‘.« (1/5)
Olga
Zehnjährige Tochter von Pauline Pittelkow, die bei ihrer Geburt »kaum zwanzig« war (8/47). Sie muss oft auf ihr kleines Stiefgeschwister aufpassen und erledigt allerlei Besorgungsgänge für ihre Mutter, die der Erzähler für Beschreibungen des Berliner Straßenlebens nutzt (vgl. 3/14-16).
Pittelkow, Pauline (geb. Rehbein)
Ältere Schwester von Stine Rehbein, wohnhaft in der Invalidenstraße 98e in Berlin, eine »schöne, schwarze Frauensperson mit einem koketten und wohlgepflegten Wellenscheitel« (1/5) und mit »jener enrhümierten [d.i. rauen] Altstimme, wie sie den unteren Volksklassen unserer Hauptstadt nicht gerade zum Vorteil eigen ist« (1/6 f.). Sie ist dreißig Jahre alt, Witwe und seit gut zwei Jahren Geliebte des alten Grafen Haldern, der sie aushält und von dem sie ein Kind hat. Ihr älteres Kind, die zehnjährige Olga, die zur Welt kam, als sie »kaum zwanzig« war, entstammt einer »gewöhnliche[n] Verführungsgeschichte«. Pauline wurde mit einer »hübschen Geldsumme« abgefunden, heiratete den »kreuzbraven« Pittelkow, der bald krank wurde und den sie »mit allem, was sie hatte, treu bis zum Tode« pflegte. Danach hatte sie nicht einmal mehr einen »Notgroschen«, und der alte Graf bot einen Ausweg aus der Notlage (8/47). Diesen Ausweg zu nehmen, fiel ihr recht schwer, allerdings, so Stine über ihre Schwester, »nicht schwer von Tugend wegen (davon will sie nichts wissen) sondern nur deshalb, weil ihr, von Natur, an einem Leben nichts liegt, wie sie's zu führen gezwungen ist« (8/46).
Pauline Pittelkow ist eine selbstbewusste, nüchtern denkende Frau und eine robustere Natur als ihre Schwester. Sie hat ein klares Bewusstsein ihrer Lebenssituation, auch der Geringschätzung, die manche ihr entgegenbringen, ist darüber aber mit sich selbst im Reinen: Sie ist das Verhältnis mit dem Grafen eingegangen, um der »Sorge […] um das tägliche Brot« enthoben zu sein, und betrachtet es als einen »Dienst, drin sich Gutes und Schlimmes die Wage hält« (8/47) und dessen Verpflichtungen sie verlässlich zu erfüllen hat (vgl. 8/46). Sie kann Ziererei nicht leiden (vgl. 4/28; 5/37), verbittet sich aber herabsetzende Anzüglichkeiten von seiten des alten Grafen mit Bestimmtheit (vgl. 4/28). Sie ist überaus geradlinig (bei ihr muss »alles immer biegen und brechen«), sagt unumwunden, was sie denkt, und ihre Temperamentsausbrüche sind gefürchtet, besonders vom alten Grafen, der sie aus »allerpersönlichsten Erfahrungen« kennt und nach Möglichkeiten zu umschiffen sucht (5/37).
Stines Beziehung zu dem jungen Grafen Haldern sieht sie mit Sorge. Dass es keine Liebschaft ist, wie Stine ihr versichert, kann sie nicht beruhigen, steigert vielmehr ihre Sorge, denn »wenn’s hier sitzt (und sie wies aufs Herz), dann wird es was, dann wird es eklig«. Bei ihr selbst habe es »nie hier gesessen«, was sie für ein Glück hält, weil sie überzeugt ist, dass eine standesungleiche Liebe nur unglücklich enden kann. »Es hat nu mal jeder seinen Platz, un daran kannst Du nichts ändern, un daran kann auch das Grafchen nichts ändern.« Adelige seien »anders aufgepäppelt wie wir« und könnten »aus ihrer Haut nicht ‘raus« (10/57). Deshalb habe Stine, wenn sie die Beziehung nicht beende, nur die Wahl zwischen einer unglücklichen Liebe und einem unglücklichen Leben. Denn entweder werde Waldemar über kurz oder lang dem Druck seiner Familie erliegen, sie verlassen und eine standesgemäße Verbindung eingehen oder sie habe, wenn er »partout mit’n Kopp durch die Wand« wolle und sie heirate, »den Kladderadatsch erst recht«, nämlich das Leben an der Seite eines Unglücklichen. »Glaube mir Kind, von ’ne unglückliche Liebe kann sich einer noch wieder erholen und ganz gut ’rausmausern, aber von’s unglückliche Leben nich.« (10/58)
Deshalb ist sie auch sofort mit den Maßnahmen einverstanden, die der alte Graf plant, um Waldemar und Stine auseinanderzubringen, und sagt ihm ihre Unterstützung zu (vgl. 13/88), die dann allerdings nicht mehr nötig ist, weil Stine die Trennung inzwischen selbst vollzogen hat.
Polzin
Zimmerwirt von Stine, ein »›Teppichfabrikant‹ (allerdings niedrigster Observanz)«, dessen Handwerk sich darauf beschränkt, »unter geflissentlicher Verachtung aller Komplementärfarbengesetze, schmale, kaum fingerbreite Tuchstreifen wie Stroh oder Binsen nebeneinander zu flechten und dies Geflecht als ›Polzinsche Teppiche‹ zu verkaufen« (2/9). Daneben ist er als Lohndiener in vornehmen Häusern tätig und weiß sich nach Überzeugung seiner Frau »galant und manierlich« zu benehmen, »auch bei’s Mitnehmen« (übrig gebliebener Reste), und hat, wie sie findet, überhaupt »was Feines und Bescheidenes« (2/10). Obwohl die Polzins »gut situierte Leute« sind, haben sie »aus purem Geiz« zwei ihrer drei Zimmer vermietet, um selbst »frei wohnen zu können« (2/9). Schon bei dem ersten Besuch des jungen Grafen bei Stine beratschlagen beide über eine Mieterhöhung (vgl. 7/41).
Polzin, Emilie
Ehefrau von Stines Zimmerwirt Polzin, ebenso geizig wie dieser. Entgegen ihrer stereotypen Beteuerung – »Sie wissen, wir sehen und hören nichts« (10/54) – ist sie über das Tun und Lassen ihrer Mieterin stets bestens informiert, horcht bei Waldemars erstem Besuch an der Wand, um dann enttäuscht festzustellen, dass zwischen beiden ›gar nichts‹ war und auch nichts wird, was die schon in Aussicht genommene Mieterhöhung (vgl. 7/41) rechtfertigen könnte (8/49). Ihr ist es vorbehalten, das letzte Wort über die von Waldemars Beerdigung heimgekehrte Stine zu sagen, mit dem auch der Roman schließt: »Die wird nicht wieder«, meint sie, und ihrem Mann, der es »eigentlich schade« findet, entgegnet sie: »I wo. Gar nich … Das kommt davon.« (16/111)
Rehbein, Stine (Ernestine)
Jüngere Schwester von Pauline Pittelkow, die sich in den jungen Grafen Haldern verliebt, seinen Heiratsantrag aber zurückweist und nach seinem Freitod krank wird. Sie wohnt wie ihre Schwester in der Invalidenstraße 98e, wo sie bei den Polzins im dritten Stock ein »Chambre garnie« gemietet hat (2/9). Anders als ihre Schwester ist sie flachsblond, und ihre leicht geröteten Augen geben ihrer »sonst blühenden Erscheinung« einen kränklichen Akzent (2/12). Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als Angestellte eines Woll- und Stickereigeschäfts, für das sie auch zu Hause Stickarbeiten anfertigt. »Arbeit« ist das Schlüsselwort ihres Lebensentwurfs, der zugleich Gegenentwurf zum Leben ihrer Schwester ist (2/14), für das sie zwar beim jungen Grafen Haldern mit wärmsten Worten um Verständnis wirbt (vgl. 8/44-48), das sie aber selbst um keinen Preis führen möchte. Stine ›hält auf sich‹, wie sie es ihrer Mutter auf dem Sterbebett geschworen hat (vgl. 8/49), lässt sich auf keine voreheliche Liebschaft ein und besteht darauf, allein von ihrer eigenen Arbeit zu leben.
Das der Mutter gegebene Versprechen hält sie auch, als Waldemar um sie wirbt und sie regelmäßig in ihrem Zimmerchen bei Polzins besucht. Er liebt sie aufrichtig und sieht in ihr »nichts […] als Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Güte« (12/79). Auch sie liebt ihn, er ist ihr »der beste Mensch von der Welt«, »ohne Falsch und ohne Hochmut, aber auch ohne Glück«, was ihrer Liebe wohl auch Mitleid beimengt (10/55). Ähnlich wie ihre Schicksalsgenossin Lene Nimptsch (in »Irrungen, Wirrungen«) ist sie gewiss, dass es »nicht ewig dauern würde«, drängt aber Gedanken an die Zukunft beiseite und will sich ihres Glückes freuen, solange es geht (14/92). Als Waldemar ihr dann aber seine Absicht kundtut, sie zu heiraten und mit ihr, um die Konfrontation mit Familie und Gesellschaft zu vermeiden, nach Amerika zu gehen, ist ihr Glück dahin, »viel, viel schneller als nötig, bloß weil Du wolltest, daß es dauern solle« (ebd.). Denn obwohl sie ihn liebt und seine Liebe als ihres »Lebens höchstes Glück« empfindet, lehnt sie seinen Antrag ab in der Gewissheit, dass er ein Leben jenseits seiner Gesellschaftssphäre, womöglich gar ein »armes und einfaches Leben« (14/95) nicht auf Dauer würde leben können und sie am Ende eine »Kette« für ihn sein würde, »an der Du Dein Leben lang herumschleppst« (14/93).
Wie Stine die Nachricht von Waldemars Freitod aufnimmt, wird nicht erzählt, und bei seiner Beerdigung in Groß-Haldern ist von ihr nur »ein heftiges und beinah krampfhaftes Schluchzen« hinter einem Pfeiler zu hören (16/107). Auf dem Weg von der Kirche zum Bahnhof Klein-Haldern überkommt sie Todessehnsucht (16/108). Während der Rückfahrt nach Berlin schüttelt sie ein Fieber, und Pauline, entsetzt über ihr Aussehen (»Dir sitzt ja der Dod um die Nase«), steckt sie sofort ins Bett (16/109). »Die wird nicht wieder«, meint die Polzin ungerührt und setzt hinzu: »Das kommt davon.« (16/111)
Schlichting, Flora
Tochter des Glasermeisters Schlichting, Wanda Grützmachers Zimmerwirt in der Tieckstraße 27a, die der kleinen Olga den Zugang zu Wanda verweigern und ihr Pauline Pittelkows Brief für Wanda abnehmen möchte, was ihr nicht gelingt (vgl. 3/17). »Gott, diese Flora; je weniger Bildung, je mehr Einbildung«, seufzt Wanda (3/19).
Torfweib
Eine »mit braunem Torfstaub ganz überdeckte Frau«, die, wie die kleine Olga und viele weitere Passanten, einem langen Trauerzug auf der Chausseestraße zuschaut und mit einem Budiker in Streit über die Frage gerät, wer der Tote ist, der hier zu Grabe getragen wird. Da Vertreter mehrerer »Bau-Gewerke« im Trauerzug marschieren (3/15), ist sie überzeugt, es handele sich um den »Minister für Maurer- und Zimmerleute«. Der Budiker unterbricht sie: »Dummes Zeug, […] so was giebt es ja gar nich«, aber sie lässt sich nicht davon abbringen (3/16).