Irrungen, Wirrungen (1887)
Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen. Bearbeitet von Karen Bauer. 2. Aufl. Berlin: Aufbau 2011 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 10) – Nachweise von Zitaten erfolgen unter Angabe der Kapitel- und Seitenzahl (z.B. 3/14 = 3. Kapitel, S. 14).
Balafré
Adeliger Offizier, Kamerad Botho von Rienäckers, der seinen Necknamen einem schräg über Stirn und Wange laufenden Säbelhieb verdankt, den er bei Mars-la-Tour erhalten hat (vgl. 18/134). Mit seiner Geliebten Isabeau, den Kameraden Serge und Pitt und deren Mätressen unternimmt er eine Landpartie nach »Hankels Ablage«, wo die Gruppe Lenes und Bothos Zweisamkeit stört (vgl. 13/89). In den Augen seiner deutlich älteren und beleibten Geliebten Isabeau ist er »ein Mann wie 'n Kind und eigentlich der Beste« (13/96).
Er ist Käthe von Sellenthins »besonderer Liebling« (18/134), steht seinerseits »in Käthebewunderung obenan« und tadelt den von der Schwatzhaftigkeit seiner Frau genierten Botho (vgl. 18/137). Im Offiziersklub unterhält er seine Kameraden gern mit »einer Fülle von Hofgeschichten, wahren und unwahren«, denn für »Humbug und Aufschneidereien« hat er eine entschiedene Schwäche, sie stehen »ihm, nach Art eines geistigen Sports, unter seinen Vergnügungen obenan« (23/170 f.).
Blumenfräulein
Verkäuferin in einem Blumenladen in der Nähe des Jakobi-Kirchhofs, wo Botho von Rienäcker einen Kranz aus Immergrün mit weißen Rosen und einen Immortellenkranz für Frau Nimptschs Grab kauft. Sie ist schwarz gekleidet und hat, »vielleicht mit Rücksicht auf den Umstand, daß hier meist Grabkränze verkauft wurden«, in ihrer »Gesammthaltung (selbst die Scheere fehlte nicht) etwas ridikül Parzenhaftes« (21/158). Sie versäumt es nicht, Botho darauf hinzuweisen, dass Immortellenkränze »ganz außer Mode« sind (21/159).
Dörr, Frau
Frau des Gärtners Dörr, eine »robuste« und »sehr stattlich aussehende Frau, die, neben dem Eindruck des Gütigen und Zuverlässigen, zugleich den einer besonderen Beschränktheit machte« (1/6). Vor ihrer Ehe hatte sie eine Liebschaft mit einem 50-jährigen Grafen, der »blos immer kreuzfidel un unanständig war« (1/8). Sie vergleicht ihn mit dem aufrichtig liebenden Botho von Rienäcker: »Nei, so war meiner nich.« (1/9) Ihren Dörr, der sie »Susel« nennt, hat sie wohl geheiratet, um versorgt zu sein: »Na, viel is es nich, aber es is doch was Anständiges, und man kann sich überall sehen lassen.« (1/7) Mehr noch als sein Geiz und seine Neigung zu kleinen Betrügereien an seinen Kunden missfällt ihr seine immer noch ausgeprägte Liebeslust, deren sie sich mit Warnungen vor einem Schlaganfall vergeblich zu erwehren sucht (vgl. 3/17).
Sie ist oft bei den Nimptschs und nimmt an Lenes Liebesglück Anteil, begleitet das Paar auch auf einem Spaziergang nach Wilmersdorf und bringt Lene dabei mit ihren ständigen Anspielungen auf Amouröses in Verlegenheit (9/57-63). Bei Lenes Zusammenbruch nach dem Wiedersehen mit Botho ist sie zur Stelle (vgl. 16/122 f.), und als Lene wegen der Nähe zu Bothos und Käthes Wohnung auf Umzug drängt, zeigt sie Verständnis, obwohl sie den Verlust ihrer Nachbarschaft bedauert (vgl. 17/127). Nach dem Umzug besucht sie die Nimptschs jede Woche in ihrer neuen Wohnung am Luisenufer. Als die alte Frau Nimptsch stirbt, sitzt sie an ihrem Bett, während Lene einen Arzt holt.
Bei Lenes Hochzeit sind sie und ihr Mann Anlass zu »Lachen und Getuschel« von Passanten, und zwei Arbeiterfrauen halten sich über ihre »Taille« auf: »›Taille?‹ ›Na denn Hüfte.‹ ›Schon mehr Walfischrippe…‹« (26/189)
Dörr, Herr
Gärtner, auf dessen Anwesen Frau Nimptsch und Lene in einem gemieteten Häuschen wohnen. Er ist 56 Jahre alt und in zweiter Ehe verheiratet, aus der ersten Ehe hat er einen 20-jährigen Sohn. Seine zweite Heirat war eine »Neigungsheirath«, er hält seine Frau für eine Schönheit und ihre frühere Affäre mit einem Grafen für einen »Vollbeweis ihrer Unwiderstehlichkeit« (2/11). Seine zweite Passion gilt seinen Hühnern, die sogar im Gemüsegarten umherpicken dürfen. »Mager, mittelgroß« und mit seinen »fünf grauen Haarsträhnen über Kopf und Stirn« ist er zwar, auch wenn ihm eine braune Pocke an der Schläfe »’was Apartes« gibt, eine »Trivial-Erscheinung«, dabei aber »ein Original, von ganz selbstständigen Anschauungen und einer entschiedenen Gleichgiltigkeit gegen das, was über ihn gesagt wurde« (ebd.).
In seiner Gärtnerei baut er fast nur Pflanzen für den gewöhnlichen Alltagsbedarf an, vor allem Porree. Die Berliner brauchen nach seiner Überzeugung ohnehin nur drei Dinge: »eine Weiße, einen Gilka und Borré« (ebd.). Zum Ärger seiner Frau ist er geizig und betrügt die »Madams«, die an seinem Marktstand kaufen, mit geringwertiger Ware. Letzteres gehört »zu seinen größten Vergnügungen und war eigentlich das Hauptgeistesleben, das er führte« (vgl. 2/12). Aber »wie alle Geizhälse«, die »mitunter etwas lächerlich Theures« kaufen, hat er seiner Frau einen »prachtvollen Hut« geschenkt, der sie zu Mutmaßungen darüber bewegt, ob es vielleicht »am Ende doch was mit ihm [ist] un er kann es man blos nich so zeigen« (10/69). Bei Lenes Hochzeit gibt der Anblick des Ehepaars, der schmächtige Mann mit seiner kräftigen Frau, Anlass zu »Lachen und Getuschel« von Passanten (26/188).
Franke, Gideon
Konventikler und Sektengründer, der ein Jahr nach Lenes Umzug ans Luisenufer in der Nachbarwohnung einzieht und bald bei den Nimptschs ein- und ausgeht. Aus Bremen gebürtig und ursprünglich »Klempner oder Schlosser«, hat er einige Jahre in Amerika gelebt, wo er verschiedenen Sekten beitrat und zum Prediger wurde (17/131). Inzwischen ist er Fabrikmeister in Berlin und hat eine eigene Sekte gegründet. Er ist um die Fünfzig (vgl. 26/189), von hagerer Gestalt und »ein ordentlicher und gebildeter Mann, von nicht gerade feinen, aber sehr anständigen Manieren, dabei guter Unterhalter« (17/130). Er möchte Lene heiraten, sich aber, nachdem sie ihm ihr ›Vorleben‹ gestanden hat, zunächst bei Botho von Rienäcker erkundigen, »was es mit der Lene eigentlich sei« (20/150 f.). Bothos warmherziges Zeugnis über Lenes Charakter bestätigt seine eigene Erwartung, dass er mit ihr »eine selten gute Frau« gewinnen würde (20/153). Botho erkennt in ihm einen »Mann von Freimuth und untadeliger Gesinnung« (20/150), wird allerdings auch Zeuge eines Ausbruchs religiösen Fanatismus‘, der zumindest den Leser um Lenes Zukunft ein wenig bangen lässt (vgl. 20/153 f.). Lene selbst ist zuversichtlich, dass es mit dem »Conventikelsche[n]« am Ende »so schlimm nicht sein« wird (19/140). Einige Wochen später findet die Hochzeit statt.
Gaston
»Neckname« Botho von Rienäckers im Kreis seiner Kameraden Balafré, Pitt und Serge. Lene erinnert sich, als halbes Kind ein Theaterstück mit dem Titel »Der Mann mit der eisernen Maske« gesehen zu haben, dessen Titelheld Gaston geheißen habe. Sie sagt zu Botho: »Du hast auch eine Maske.« (10/66)
Hahnke
Briefträger, der Lene einen Brief von Botho bringt. Obwohl es erst halb zehn Uhr morgens ist, stehen ihm Schweißperlen auf der Stirn (vgl. 3/21).
Isabeau
Geliebte von Botho von Rienäckers Kamerad Balafré. Sie ist mit von der Partie, die Serge, Pitt und Balafré mit ihren Mätressen nach »Hankels Ablage« unternehmen, wo sie Bothos und Lenes Zweisamkeit stören (vgl. 13/89). Da die Herren ihre Freundinnen, deren bürgerliche Namen ungenannt bleiben, an diesem Tag nach Figuren aus Schillers »Jungfrau von Orleans« benennen, fällt ihr, die »wenigstens 15 Jahre« älter ist als die beiden anderen Frauen, der Name der Königin Isabeau zu. Die »wohlarrondirte« und durch zu starkes Schnüren kurzatmige Frau gibt in der Gruppe den Ton an, bestimmt das Programm und verhandelt mit dem Wirt über das Mittagessen. Sie lebt seit ihrem 15. Lebensjahr als Mätresse und ist es leid, denn »die Länge hat die Last«. Sobald sie das nötige Geld beisammen hat, will sie »’ne Dest’lation« kaufen und einen Witwer heiraten, denn sie sei für »Ordnung und Anständigkeit« (13/96). Sie durchschaut schnell, dass Lene nicht vom ›Fach‹ ist und »alles aus Liebe« tut: »Ja, Kind, denn is es schlimm, denn giebt es ‘nen Kladderadatsch.« (13/97)
Johanna
Geliebte von Botho von Rienäckers Kamerad Serge und mit von der Partie, die Pitt, Balafré und Serge mit ihren Mätressen nach »Hankels Ablage« unternehmen, wo sie Bothos und Lenes Zweisamkeit stören (vgl. 13/89). Die Herren benennen ihre Freundinnen, deren bürgerliche Namen ungenannt bleiben, an diesem Tag nach Figuren aus Schillers »Jungfrau von Orleans«, und ihr ist der Name der Titelheldin zugefallen. Sie ist »sehr hübsch, etwas blaß und mit raffinierter Einfachheit gekleidet« (13/94). Sie könnte als Dame durchgehen, zerstört diesen Eindruck aber rasch, indem sie einen Handschuhknopf mit den Zähnen zuknöpft (ebd.). Sie schlägt einen Spaziergang über einen »Kirchhof mit lauter Kreuzer drauf« vor, sie habe da so ihre »Gefühle«, und außerdem sei es »immer gut, sich zu erinnern, daß man sterben muß« (13/95). Nach Isabeaus Aussage hat sie keinen guten Ruf, verliert bei Alkoholgenuss allen Anstand und hatte früher nur Liebhaber aus der Artillerie. »Und nun hat sie der Serge da ’rausgenommen und will was aus ihr machen.« (13/95 f.) Johanna ihrerseits lässt kaum ein gutes Haar an Isabeau und macht sich über Lenes Kleidung lustig: »Er [Botho] dürfte sie gar nicht so gehn lassen.« (13/97)
Kutscher
Lohnkutscher, von dem Botho von Rienäcker sich zum Jakobi-Kirchhof fahren lässt, um den versprochenen Immortellenkranz auf Mutter Nimptschs Grab zu legen. Seine Kutsche ist ein »ziemlich klappriges Gefährt«, und sein Pferd ein müder, schlecht gefütterter Schimmel (21/156). Er ist Schlesier, aber schon lange in Berlin und »eigentlich ein halber Richtiger-Berliner« (21/157). Er klagt über die hohen Haferpreise und die »Fahr-Polizei«, deren Auflagen ihm immer neue Kosten für die Ausstattung der Kutsche bescheren. Er verlangt von Botho eine Entlohnung wie für eine Landpartie und erhält das Verlangte mit der Bemerkung, er möge nun aber auch den Schimmel besser herausfüttern (vgl. 22/164).
Magd
Hübsche Küchenmagd in »Hankels Ablage«, der Lene wie gebannt zuschaut, wie sie mit einer »herzlichen Arbeitslust, die sich in jeder Bewegung ihrer Arme ausdrückte«, am Wassersteg ihr Küchen- und Kupfergeschirr reinigt: »und immer wenn sie fertig war, ließ sie das plätschernde Wasser das blankgescheuerte Stück umspülen. Dann hob sie's in die Höh‘, ließ es einen Augenblick in der Sonne blitzen und tat es in einen nebenstehenden Korb« (13/88). Lene bekommt bei diesem Bild, einem Bild ungebrochener Übereinstimmung mit sich selbst, feuchte Augen und nimmt es als »ein Zeichen und eine Fügung« (ebd.).
Margot
Geliebte von Botho von Rienäckers Kamerad Pitt und mit von der Partie, die Balafré, Serge und Pitt mit ihren Mätressen nach »Hankels Ablage« unternehmen, wo sie Bothos und Lenes Zweisamkeit stören (vgl. 13/89). Die Herren benennen ihre Freundinnen, deren bürgerliche Namen ungenannt bleiben, an diesem Tag nach Figuren aus Schillers »Jungfrau von Orleans«, und ihr ist der Name der Schwester der Johanna von Orleans zugefallen. Sie widerspricht den gehässigen Bemerkungen ihrer ›Schwester‹ Johanna über Lene und Isabeau (vgl. 13/97).
Nimptsch, Frau
Lenes alte Ziehmutter, die mit ihr in einem kleinen Häuschen auf dem Anwesen der Dörrs zur Miete wohnt. Sie sitzt meistens am warmen Herdfeuer, das ihr nicht nur der Wärme, sondern auch der Flammen wegen unentbehrlich ist: »ich muß es immer sehn. Und wenn ich es nicht sehe, dann denk‘ ich, es ist alles aus und kein Leben und kein Funke mehr.« (19/140) Zu den Unterhaltungen mit den Dörrs oder Botho von Rienäcker trägt sie wenig bei. Nur wenn es um »Grab und Kranz« geht, wird sie munter. Sie spricht sich energisch gegen die in Mode gekommenen Efeu- und Azalienkränze und für die herkömmlichen Immortellenkränze aus. Bothos Versprechen, ihr, wenn sie sterbe, einen Immortellenkranz aufs Grab zu legen, beglückt sie (vgl. 10/68). Drei Jahre später wird er sein Versprechen einlösen (vgl. 22/163 f.). In der neuen Wohnung am Luisenufer lebt sie ein wenig auf, stirbt dann aber zwei Jahre später, am 24. Juni 1878, im Beisein Frau Dörrs. Zuvor befiehlt sie ihre Ziehtochter in einem Gebet göttlichem Schutz an und bittet darum, dass ihr »alles, was sie mir alten Frau gethan hat«, vergolten werden möge (20/144).
Nimptsch, Lene
Junge Näherin, Ziehtochter der alten Frau Nimptsch. Beide leben in einem gemieteten Häuschen auf dem Anwesen der Gärtnerei Dörr. Im Frühjahr 1875 verliebt sie sich in den adeligen Offizier Botho von Rienäcker und erlebt mit ihm einige Wochen lang eine beglückende Liebe, bis er, Anfang Juli, das Verhältnis mit ihr beendet, um aus Familienrücksichten seine reiche Cousine Käthe von Sellenthin zu heiraten. Lene ist sich von Anfang an darüber im Klaren, dass ihre Liebe keine Zukunft hat, weil sie nicht nur die ständischen Schranken kennt, sondern auch mit feinem Gespür Bothos Charakter erfasst. Sie weiß, dass er nicht die Kraft haben würde, seine Liebe gegen seine Mutter »oder das Gerede der Menschen, oder die Verhältnisse« oder »vielleicht alles drei« zu behaupten: »Du liebst mich und bist schwach.« (5/36) Sie will das Glück mit ihm genießen, solange es dauert.
Ihr gemeinsamer Ausflug nach »Hankels Ablage« Ende Juni wird zum Höhe- und Tiefpunkt ihrer Liebe zugleich. Denn durch das unverhoffte Eintreffen von drei Kameraden Bothos mit ihren ›Damen‹ wird ihr stilles Glück jäh unterbrochen, und die »Verhältnisse« der drei Herren markieren nicht nur (für den Leser) die Andersartigkeit ihrer Liebesbeziehung, sondern spiegeln auch (für Lene) die Sicht der Gesellschaft auf ihr Verhältnis zu Botho wie in einem Zerrspiegel: Die drei ›Damen‹ Isabeau, Margot und Johanna, ihres Namens (ihrer Identität) entkleidet und mit »Necknamen« aus Schillers »Jungfrau von Orleans« benannt, sind professionelle Mätressen, und Botho, der das Spiel mit den Namen mitmacht und Lene als »Agnes Sorel« vorstellt (13/90), tut ein Übriges, um Lene mit der kränkenden Rolle zu konfrontieren, die die Gesellschaft für ein standesungleiches Liebesverhältnis wie ihres normalerweise vorsieht. Bedrückt kehrt das Paar in die Stadt zurück, und Lene, das baldige Ende ahnend, versichert Botho noch einmal: »Daß ich diesen Sommer leben konnte, war mir ein Glück und bleibt mir ein Glück, auch wenn ich von heut ab unglücklich werde.« (14/100)
Am Tag darauf erhält Botho den Brief seiner Mutter, in dem sie ihn drängt, Käthe von Sellenthin zu heiraten (vgl. 14/102-104), und am Abend des nächsten Tages nehmen beide voneinander Abschied. Lene, ohne ihren Schmerz zu verhehlen, macht ihm den Abschied leicht und zerstreut seine Schuldgefühle (vgl. 15/112). Die Charaktereigenschaften, die Botho an ihr vor allen anderen liebt, bestimmen auch hier ihr Verhalten: »Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit« (14/106).
Nach der unverhofften Begegnung mit Botho und Käthe in der Lützowstraße im Oktober aber bricht sie zusammen (vgl. 16/121 f.). Um solche Begegnungen künftig zu vermeiden, setzt sie den Umzug in eine Wohnung am Luisenufer durch, der im Frühjahr 1876 erfolgt. Hier erholt sie sich, hat allerdings seit ihrem Zusammenbruch eine weiße Strähne in ihrem Haar (vgl. 17/129). Ein Jahr später zieht Gideon Franke in die Nachbarwohnung ein. Er macht ihr im darauffolgenden Sommer einen Heiratsantrag, den sie positiv, aber zugleich mit einem offenen Bekenntnis ihres ›Vorlebens‹ beantwortet (vgl. 19/141). Seinen Plan, Botho von Rienäcker aufzusuchen, unterstützt sie mit der scherzhaften Warnung, Botho werde »zu gut von ihr sprechen« (20/151). Im Juni 1878 stirbt ihre Ziehmutter, im August desselben Jahres findet die Hochzeit mit Franke statt.
Zur Datierung der Ereignisse vgl. die Schematische Darstellung der Zeitstruktur des Romans.
Osten, Kurt Anton Baron von
Ein Onkel mütterlicherseits von Botho von Rienäcker. Er kommt für zwei Tage nach Berlin, um einen Sattel zu kaufen, und bestellt seinen Neffen für ein Frühstück ins Weinrestaurant Hiller, Unter den Linden (vgl. 6/39). Er hat bei den Garde-Dragonern gedient, weshalb ihm der in demselben Regiment dienende Leutnant von Wedell, den Botho spontan zu dem Treffen mitbringt, hochwillkommen ist. Sein »altes Dragonerblau« zu sehen, lässt sein Herz »bis in den Hals hinein« schlagen (7/45). Berlin ist ihm ein »stickiges Nest« (6/39), das ihm Atemnot bereitet; im Restaurant reißt er sofort die Fenster auf (vgl. 7/45). Der alte Herr leidet an »Kongestionen« und ist leicht erregbar, besonders wenn es um Bismarck geht, den er aus tiefstem Herzen hasst (7/46). Ein Militär durch und durch, nennt er ihn einen »Federfuchser«, und vor Zorn über einen Prozess, den Bismarck gegen einen märkischen Adeligen geführt hat, erklärt er sich imstande, sich »aus reiner Edelmannsempörung einen Hochverratsprozeß auf den Leib [zu] reden« (7/47).
Seinen Neffen bringt er mit seinen Äußerungen über Käthe von Sellenthin und der Behauptung, er sei »doch so gut wie gebunden«, in höchste Verlegenheit (7/49). Nach seiner Rückkehr aus Berlin setzt er seine Schwester Josephine von Rienäcker, der er regelmäßig aus Geldverlegenheiten helfen muss, unter Druck, ihren Sohn dazu zu bringen, in die Verbindung mit Käthe zu willigen, um mit deren Erbe das Vermögen der Rienäckers zu sanieren (vgl. 14/102-104). Bei der Hochzeit lässt er das junge Paar »in dem zweifellos längsten Toaste seines Lebens« hochleben (16/114).
Pitt
Adeliger Offizier, Kamerad Botho von Rienäckers, der im Roman nur mit diesem »Necknamen« (10/66) erscheint. Im Offiziersklub hört er durch Wedell von Bothos Liebe zu einer »Weißzeug-Dame« und von den Heiratsplänen, die Bothos Mutter und Onkel hegen, und sagt voraus, dass »die Verhältnisse« ihn »zwingen« werden: »er wird sich lösen und frei machen, schlimmstenfalls wie der Fuchs aus dem Eisen. Es thut weh, und ein Stückchen Leben bleibt dran hängen. Aber das Hauptstück ist doch wieder heraus, wieder frei.« (8/56) Mit seiner Geliebten Margot, den Kameraden Serge und Balafré und deren Mätressen unternimmt er eine Landpartie nach »Hankels Ablage«, wo die Gruppe Lenes und Bothos Zweisamkeit stört (vgl. 13/89).
Er kennt Käthe von Sellenthin von früher her als »reizendste[n] Backfisch«, teilt indes Balafrés und Serges Begeisterung für die erwachsene Käthe nicht: »She is rather a little silly«, urteilt er nach einem Besuch bei dem Paar und kann Bothos Verlegenheit über die Oberflächlichkeit und Schwatzhaftigkeit seiner Frau verstehen (18/139).
Rexin, Bogislaw von
Adeliger Ulanenoffizier, den Botho von Rienäcker bei einem Ausritt im Juli 1878 zufällig trifft und der sich ihm anschließt, um von ihm einen Rat in einer Herzensangelegenheit zu erbitten: Ganz ähnlich wie Botho drei Jahre zuvor liebt er eine Frau niederen Standes, seine »schwarze Jette« (23/173), deren »Natürlichkeit, Schlichtheit und wirkliche Liebe« ihm »zehn Komtessen« aufwiegen (23/174). Er sehnt sich »nach einfachen Formen, nach einer stillen, natürlichen Lebensweise, wo Herz zum Herzen spricht und wo man das Beste hat, was man haben kann, Ehrlichkeit, Liebe, Freiheit« (23/175). Wäre er in Amerika, würde er sie »freiweg heirathen«, hier aber bleibt ihm mit Rücksicht auf seine Familie und seine Stellung im Regiment nur »Mittelkurs«, d.h. »Ehe ohne Ehe« (23/174). Botho rät ihm von diesem Vorhaben eindringlich und mit derselben Begründung ab, die auch seine eigene Entscheidung für die Trennung von Lene bestimmt haben. Rexin habe letztlich nur zwei Möglichkeiten: Breche er mit »Stand und Herkommen und Sitte«, so werde er »über kurz oder lang sich selbst ein Gräuel und eine Last sein«, mache er dagegen seinen »Frieden mit Gesellschaft und Familie«, so werde die Trennung von der Geliebten Schmerz und eine dauerhafte »Trübung« nach sich ziehen, denn »ein Bild, das uns in die Seele gegraben wurde, verblaßt nie ganz wieder«. Vieles sei erlaubt, »nur nicht das, was die Seele trifft, nur nicht Herzen hineinziehen, und wenn's auch blos das eigne wäre« (23/175 f.).
Rienäcker, Botho Baron von
Junger Adeliger, »Premierlieutenant im Kaiser-Kürassier-Regiment« in Berlin (16/114), der sich im Frühjahr 1875 in die Näherin Lene Nimptsch verliebt und mit ihr einige Wochen lang eine beglückende Liebe erlebt, dann aber, Anfang Juli, das Verhältnis mit ihr schweren Herzens aufgibt und, dem Druck der Familie nachgebend, seine reiche Cousine Käthe von Sellenthin heiratet. Mit dieser Heirat bewahrt er das vom Ruin bedrohte väterliche Gut und saniert das Familienvermögen, das seine Mutter und er selbst nicht klug verwaltet haben, denn beide leben über ihre Verhältnisse: »er hat 9000 jährlich und giebt 12 000 aus«, urteilt sein Kamerad Pitt (8/55).
Wie Lene hellsichtig erkennt (vgl. 5/36), liebt er sie zwar aufrichtig, ist aber zu schwach, um dem Druck der gesellschaftlichen Erwartungen standzuhalten. Ähnlich, wenn auch gerade umgekehrt mit Blick auf seine ›Schwäche‹ für Lene, urteilt Leutnant von Wedell: Rienäcker sei »fürs Natürliche« und trotz seiner kräftigen Statur »schwach und bestimmbar und von einer seltenen Weichheit und Herzensgüte« (8/56). Letztere begründen denn auch seine Liebenswürdigkeit, bestimmen seinen liebevollen Umgang mit Lene, seine Warmherzigkeit gegenüber ihrer Mutter und sein unprätentiöses Verhalten im Umgang mit den Dörrs.
Die Reflexionen, die seiner Entscheidung für den Abschied von Lene vorausgehen (vgl. 14/105-108), wie auch seine Äußerungen in einem Gespräch mit seinem Kameraden Rexin drei Jahre später (vgl. 23/172-176) lassen allerdings erkennen, dass seine Entscheidung nicht nur persönlicher Schwäche geschuldet ist, sondern mit dem Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Normen und individueller Identität zu tun hat, dessen Überwindung nicht nur eine Frage der Stärke oder Schwäche des Einzelnen ist. Bothos Einsicht, dass »das Herkommen unser Thun bestimmt« (14/108), schließt die Einsicht ein, dass der Bruch mit ihm Selbstentfremdung zur Folge hat, weil es das Selbstverständnis zutiefst prägt: Wer mit »Stand und Herkommen« bricht, so warnt er Rexin, wird »über kurz oder lang sich selbst ein Gräuel und eine Last sein« (23/175). Diese Erkenntnis begründet das pessimistische Resümee, das er am Tag seiner Trennung von Lene zieht und das seine Entscheidung nicht als eine zwischen Glück und Unglück, sondern zwischen zwei Formen des Unglücks kennzeichnet: »Wer ihm [dem Herkommen] gehorcht, kann zugrunde gehn, aber er geht besser zugrunde als der, der ihm widerspricht.« (14/106)
Die im September 1875 geschlossene Ehe mit Käthe von Sellenthin ist kein Unglück, aber auch kein Glück. Käthe mit ihrer immer guten Laune ist »unterhaltlich«, aber »oberflächlich und ›spielrig‹«, so dass sich mit ihr »kein ernstes Wort« reden lässt und Lene »mit ihrer Einfachheit, Wahrheit und Unredensartlichkeit« ihm »öfters vor der Seele« steht (17/123 f.). Auf die drei Jahre seit seiner Trennung von Lene zurückblickend gesteht er sich ein, dass die Freude, die ihm das Zusammensein mit Käthe gebracht hat, »doch keine rechte Freude gewesen« sei: »Ein Bonbon, nicht viel mehr. Und wer kann von Süßigkeiten leben!« (23/171)
Die Begegnung mit Gideon Franke berührt ihn tief. Er fährt zum Jakobi-Kirchhof hinaus, um Frau Nimptsch, von deren Tod er durch Franke erfahren hat, den versprochenen Immortellenkranz aufs Grab zu legen (22/163). Zurückgekehrt, holt er Lenes Briefe und den Blumenstrauß, den sie ihm bei ihrem Ausflug nach Hankels Ablage gepflückt hatte, aus dem Geheimfach seines Schreibtischs hervor und beginnt sie noch einmal zu lesen, aber »es that ihm zu weh«. In der Hoffnung, mit den Erinnerungsstücken auch die schmerzlichen Erinnerungen selbst loszuwerden, verbrennt er die Briefe und zuletzt, nach einigem Zögern, auch den vertrockneten Blumenstrauß, den Lene damals auf sein Geheiß, aber unter Protest (»Haar bindet«; 11/76) mit einem ihrer Haare gebunden hatte, und fragt sich, ob er nun frei sei. »Will ich’s denn? Ich will es nicht. Alles Asche. Und doch gebunden.« (22/167)
Als Käthe ihm aus der Zeitung Lenes und Gideon Frankes Heiratsanzeige vorliest und sich dabei über die Namen mokiert, entgegnet er: »Was hast Du nur gegen Gideon, Käthe? Gideon ist besser als Botho.« (26/190)
Zur Datierung der Ereignisse vgl. die Schematische Darstellung der Zeitstruktur des Romans.
Rienäcker, Josephine Baronin von
Mutter Botho von Rienäckers, »eine kleine Frau mit lebhaften schwarzen Augen und einer großen Nase« (5/35). Sie schreibt ihrem Sohn am 29. Juni 1875 einen Brief, in dem sie ihn stark unter Druck setzt, Käthe von Sellenthin zu heiraten, um die Familie vor dem Ruin zu retten (vgl. 14/102-105). Drei Jahre später, im Mai 1878, besucht sie gemeinsam mit Käthes Mutter das junge Paar. Da sich immer noch kein Nachwuchs eingestellt hat, beschließen die beiden Mütter, dass Käthe eine Kur in Schlangenbad nehmen soll (vgl. 18/132 f.).
Sellenthin, Käthe von
Cousine von Botho von Rienäcker, die ihrem Vetter schon versprochen wurde, als beide noch Kinder waren (vgl. 7/51). Botho heiratet sie, dem Druck der Familie nachgebend, im September 1875, um das Rienäckersche Gut vor dem Ruin zu retten. Sie ist reich, hübsch, eine »Flachsblondine zum Küssen« (7/49 f.), die »mit vierzehn schon umkurt und umworben« wurde (8/55), dazu eine Frohnatur, die »Capricen und üble Laune gar nicht zu kennen« scheint, dabei freilich, »was auch geschehen oder ihr zu Gesicht kommen mochte, lediglich am Kleinen und Komischen« hängt (16/115). Deshalb ist mit ihr zwar »ein leidlich vernünftiges, aber durchaus kein ernstes Wort zu reden« (17/123 f.), wohingegen sie »die Kunst des gefälligen Nichtssagens mit einer wahren Meisterschaft« beherrscht (18/134). »She is rather a little silly«, urteilt Bothos Kamerad Pitt, der, anders als Serge und Balafré, die Käthe zu Füßen liegen, Bothos Verlegenheit über die Oberflächlichkeit und Schwatzhaftigkeit seiner Frau versteht (18/139). Wie Botho sich im Sommer 1878 nach weniger als drei Ehejahren eingesteht, ist Käthe ihm ein »Bonbon, nicht viel mehr. Und wer kann von Süßigkeiten leben!« (23/171) Da die Ehe auch nach mehr als zwei Jahren kinderlos bleibt, was weder Käthe noch Botho sonderlich zu berühren scheint, schicken Mutter und Schwiegermutter die junge Frau zur Kur nach Schlangenbad, von wo sie ihrem Mann zahlreiche belanglose Briefe schreibt. Ob die Kur Erfolg hat, bleibt offen.
Serge
Adeliger Offizier, Kamerad Botho von Rienäckers, der im Roman nur mit diesem »Necknamen« (10/66) erscheint. Mit seiner Geliebten Johanna, den Kameraden Pitt und Balafré und deren Mätressen unternimmt er eine Landpartie nach »Hankels Ablage«, wo die Gruppe Lenes und Bothos Zweisamkeit stört (vgl. 13/89). Anders als Pitt liegt er Käthe von Sellenthin zu Füßen und kann nicht verstehen, was Botho gegen seine »reizende kleine Frau« hat (18/139).
Spielleute
Auf seiner Kutschfahrt zum Jakobi-Kirchhof fährt Botho von Rienäcker an Spielleuten vorbei, Mann und Frau, die mit Horn und Harfe dasselbe Lied spielen, das er mit Lene und Frau Dörr auf dem Spaziergang nach Wilmersdorf »so heiter und glücklich« gesungen hatte (22/162; vgl. 9/63). Botho »erhob sich und blickte, wie wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Musikantenpaare zurück«; beim Aussteigen gibt er dem Kutscher Geld für die »arme Frau« (ebd.).
Sultan
Der große, »fuchsgelbe« Hof- und Ziehhund der Dörrs. Wenn er nicht arbeiten muss oder mit Getöse den Nachbarshund zu vertreiben sucht (vgl. 2/12 f.), bewacht er angekettet das Gelände oder döst in seiner Hütte. Er ist Lene besonders zugetan (vgl. 5/32).
Wedell, von
Leutnant bei den Garde-Dragonern, Bekannter Botho von Rienäckers, der ihn zufällig auf dem Weg zu dem Frühstück mit seinem Onkel trifft und ihn spontan dorthin mitnimmt (vgl. 7/44). Die Schimpfreden des Alten gegen Bismarck bringen ihn in Verlegenheit (vgl. 7/48). Die bei dieser Gelegenheit aufgeschnappte Neuigkeit, dass Botho nach dem Wunsch seiner Familie Käthe von Sellenthin heiraten soll, lässt er gleich danach im Offiziersclub kursieren (vgl. 8/55 f.).
Wirt
Inhaber des Gasthauses an »Hankels Ablage«, der sein »Etablissement« schon in dritter Generation betreibt (vgl. 11/72). Er bedient Botho und Lene zuvorkommend, und während Lene schon auf das Zimmer gegangen ist, plaudert er einige Zeit mit Botho, erklärt ihm die Herkunft des Namens »Hankels Ablage« (vgl. 12/79), erzählt von den Berlinern, die beim ersten Frühlingssonnenstrahl zur Stelle sind, von den oft mehrere hundert Personen umfassenden Gesellschaften, die im Sommer mit Dampfschiffen für eine »Tagespartie« herauskommen und bewirtet sein wollen, und von den Wintern, in denen einfache Leute aus der Umgebung zum Schlittenfahren oder Schlittschuhlaufen kommen (12/81 f.). »Es bringt was ein, gewiß, und ist alles schön und gut. Aber dafür, daß man vorwärtskommt, kommt man doch auch rückwärts und bezahlt mit dem Besten, was man hat, mit Leben und Gesundheit.« (12/82)
Wirtin
Frau des Gastwirts von »Hankels Ablage«, die die von einem plötzlichen Unwohlsein befallene Lene auf das Zimmer begleitet. Die »in durchaus irrigen Vermuthungen« befangene Frau hält Lene für schwanger und schwatzt von ihrer eigenen ersten Schwangerschaft, bei der ihr in solchen Fällen Melissentee geholfen habe, »das heißt Klostermelisse«. Lene kann »nur mit Müh' ihre Verlegenheit« verbergen (12/77 f.).