Babel (Babylon)

In Babel, der Königsstadt des babylonischen Reiches, herrscht zu Josephs Zeit der »Kassit von Babel« Kurigalzu (IV, 77). Zu Abrahams Zeit war es Chammuragasch, der große Gesetzgeber Hammurabi.

Die »bartlockigen Männer von Sinear« nennen ihre Königsstadt auch »Pforte Gottes« und »Band Himmels und der Erde« und halten sie für »der Welt heilige[n] Mittelpunkt«. Joseph »hatte über diese Frage des Weltnabels nähere und wahrere Nachrichten« (IV, 35), nämlich Jaakobs Traum von der Himmelsleiter zu Beth-el.

Wahrzeichen der Stadt ist das »hochragende Sonnenhaus, der Mardug-Tempel« (IV, 11), »genannt Esagila oder Haus der Haupterhebung« (IV, 33) mit dem gewaltigen Turm Etemenanki (IV, 295). Wer diesen Turm ursprünglich erbaut hat und wann, bleibt dunkel. Die Babylonier glauben, dass er einst von Mardug selbst erbaut und später von Hammurabi ›aufgefrischt‹ und erhöht wurde (IV, 33, 420). Joseph hält den Sonnen-Tempelturm – wie schon Abraham und die Chaldäer überhaupt – »für den Großen Turm selber«, von dem die Überlieferung berichtet (vgl. Genesis 11,4-9). Das ist nach Überzeugung des Erzählers zwar »entschuldbar« (IV, 33), aber gleichwohl falsch. Denn in seinen Augen spricht alles dafür »daß Esagila nur einer Dünenkulisse gleichkommt auf der unermeßlichen Wanderung« nach dem »Urbild des Großen Turmes«, das nach seiner Vermutung in Atlantis zu suchen ist (IV, 34).

Nach der Überlieferung der Jaakobsleute war der »Turm der Vermessenheit«, insbesondere seine Erhöhung durch Hammurabi dem Urvater Abraham ein Ärgernis, weil dadurch der neue Landesgott Mardug unangemessen »über alle Götter von Sinear« erhöht wurde (IV, 102), was Abrahams Auszug aus Sinear veranlasst haben soll (IV, 426). Seither ist die »Turm-Märe« in Josephs »besonderer Welt« mit der Idee der ›Zerstreuung‹ verbunden, denn Abraham hatte der Absicht des ›Gesetzgebers‹ Hammurabi, der mit der Erhöhung des Turms das Volk »zusammenzubringen« und zu einen wünschte, widersprochen, indem er sich ›zerstreut‹ hatte (IV, 33). Dadurch »gewann in Josephs Heimat das Vergangene, das in Gestalt Esagila's gegenwärtig war, einen Einschlag des Zukünftigen und der Prophetie: ein Gericht schwebte über dem himmelan getürmten Trotzmal von Nimrods Königsvermessenheit; kein Ziegel sollte davon auf dem anderen bleiben und seine Erbauer verwirrt und zerstreut werden vom Herrn der Götter. So lehrte der alte Eliezer es den Sohn Jaakobs und wahrte so den Doppelsinn des ›einst‹, seine Mischung aus Mär und Verkündigung, deren Ergebnis das zeitlos Gegenwärtige, der Turm der Chaldäer war« (IV, 33 f.).

Kurz vor Jaakobs Hochzeit schwärmt Laban, ganz »Untertan Babels« (IV 253), vom Fest der Ischtar in Babel und vergleicht seine Tochter einer jener ›Makellosen‹, die »die Priester alljährlich beim Ischtarfest zu Babel dem Gotte zuführen und führen sie hinauf vor allem Volk über des Turmes Treppen und durch die sieben Tore und nehmen ihr ein Stück ihres Schmuckes und ihres Gewandes an jedem Tore und am letzten das Schamtuch, und führen die heilig Nackende ins oberste Bettgemach des Turmes Etemenanki.« Jaakob macht dazu nur »Hm« (IV, 294 f.).

Der Name ›Babylon‹ taucht nur einmal im Roman auf (IV, 26); die Stadt wird sonst durchgehend mit ihrem hebräischen Namen ›Babel‹ bezeichnet. – Bei der Beschreibung des Marduk-Tempels und der Geschichte des ›Turmbaus zu Babel‹ folgt TM im wesentlichen Jeremias I (168-175). Labans Beschreibung des Ischtar-Festes folgt Mereschkowskij (141 f., 229).

Zur Lage Babels vgl. Übersichtskarte. – Zur Zikkurat von Babylon, zur mutmaßlichen Lage von Tempel und Turm und zu den mit dem Turm verbundenen Mythen vgl. die Bilder und Erläuterungen von Jona Lendering.

Abb.: (1) Rekonstruktive Zeichnung des Turmes Etemenanki. – (2) Detail des rekonstruierten Ischtar-Tors, einem der Stadttore Babylons.

Letzte Änderung: 30.07.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück