Ladalinski, Pertubal von (Tubal)
Sohn von Alexander und Bruder von Kathinka von Ladalinski, Neffe der Gräfin Amelie, Kommilitone und ›Herzensfreund‹ seines ›Vetters‹ Lewin von Vitzewitz. Am dritten Weihnachtstag trifft ein Brief von ihm auf Hohen-Vietz ein, in dem er von Bninskis Weihnachtsbesuch und von Hansen-Grells Auftritt in der ›Kastalia‹ berichtet (vgl. I, 17/146-153). Gleich nach dem Weihnachtsfest kommt er mit Kathinka für einige Tage nach Hohen-Vietz. Die beiden Freunde besuchen Dr. Faulstich, dessen Lesungen aus Novalis' »Hymnen an die Nacht« und »Geistlichen Liedern« Tubal tief beeindrucken (vgl. II, 11/245; II, 12/247).
Er beteiligt sich an der Suche nach den Dieben, die um Weihnachten mehrere Einbrüche in der Umgebung verübt haben. Unterwegs schüttet er Berndt von Vitzewitz sein Herz aus »über das unruhige und widerspruchsvolle Leben, das er von Jugend auf geführt habe« und das der Entscheidung seines Vaters geschuldet sei, der polnischen Heimat den Rücken zu kehren (II, 15/282). Tubals Reden lassen bei Berndt Zweifel an der von seiner Schwester Amelie und Geheimrat Ladalinski erwünschten Verbindung Tubals mit seiner Tochter Renate aufkommen. Tubals Gefühle für Renate sind denn auch eher oberflächlich (vgl. III, 3/42). Renate, die früh spürt, dass sie mit ihm nicht glücklich werden kann, sagt nach Kathinkas Flucht zu Lewin: »Es ist ein dunkles Haus, und was sie selbst nicht haben, das können sie niemand geben: Licht und Glück. Es war immer ihr Schicksal, Liebe zu wecken, aber nicht Vertrauen.« (IV, 7/298 f.) Marie Kniehase erfasst Tubals Charakter intuitiv: »Er liebt dich und ist doch seiner eigenen Liebe nicht sicher. Voller Mißtrauen gegen sich selbst, begegnet er dir mit Scheu. Vielleicht, daß er es dir offen bekennen wird, um wenigstens vor sich selbst einen Halt und etwas, das einer Rechtfertigung ähnlich sieht, gewonnen zu haben.« (IV, 9/321)
Nach Kathinkas Flucht fühlt er sich mitschuldig und meidet eine Begegnung mit Renate und Lewin (vgl. IV, 2/252). Dennoch taucht er Anfang Februar, begleitet von Hirschfeldt und Hansen-Grell, unvermutet in Hohen-Vietz auf; die drei wollen nach Breslau gehen (wohin inzwischen der König mit Hofstaat und Garden geflüchtet ist), um sich einer Freiwilligenarmee anzuschließen, da man jeden Tag mit dem Aufruf des Königs zum Kampf gegen die französischen Besatzer rechnet (vgl. IV, 9/315). Berndt von Vitzewitz überredet sie, zunächst in Hohen-Vietz zu bleiben und ihnen bei der Festsetzung französischer Trupps zu helfen (vgl. IV, 9/318).
Tubal sucht das Gespräch mit Renate und bittet sie um ein bindendes Wort. Dabei spricht er das »Selbstbekenntnis«, das Marie am Abend vorher vorausgesagt hat (IV, 10/329 f.; vgl. IV, 9/321). Renate bittet ihn, sich noch nicht zu binden, sondern abzuwarten: »Und hast du dann das eigene Herz geprüft und das meine vertrauen gelehrt, dann, ja dann!« (IV, 10/330) Tags darauf fragt Tubal sich, ob er glücklich ist, und weiß es nicht, muss sich auch eingestehen, »kein deutliches Bild« von Renate zu haben (IV, 13/351). Beim Gottesdienst am Sonntag darauf wirft er ein Auge auf Marie, und als Kubalke beide versehentlich in der Kirche einschließt, bestürmt er sie zu ihrem Schrecken mit plötzlich aufflammender Leidenschaft (IV, 14/360-363).
Er nimmt an dem Überfall auf Frankfurt teil, den er unverletzt übersteht. Bei der Befreiung Lewins bringt er es nicht über sich, den verletzten Hektor zurückzulassen, kehrt um und trägt den Hund zur Kutsche. Dabei wird er von einer Kugel getroffen und bricht schwer verletzt zusammen (IV, 23/458). Er stirbt in der darauffolgenden Nacht auf Hohen-Vietz. Zuvor bittet er Hirschfeldt, dafür zu sorgen, dass er in die Hohen-Vietzer Kirche gebracht wird, er wolle dort »vor dem Altar stehen« und in Hohen-Vietz begraben werden (IV, 24/463 f.). Zuletzt bittet er Renate zu sich: »es war nichts Rechtes mit mir, und ich hätte dich nicht glücklich gemacht« (IV, 24/465). Sie zitiert auf seine Bitte aus dem Kirchenlied »O Haupt voll Blut und Wunden« die Strophe »Wenn ich einmal soll scheiden« (IV, 24/466). Das weckt seine Erinnerung an lateinische Zeilen, die er als Kind gelernt hatte. Er spricht die Anfangszeilen und setzt hinzu: »›Kathinka hatte recht ... aber nun ist es zu spät ... Salve caput cruentatum...‹ Es waren seine letzten Worte.« (IV, 24/467) Berndt lässt ihn in die Hohen-Vietzer Kirche bringen und seinen Sarg, wie er es gewünscht hatte, vor den Altar stellen (vgl. IV, 25/469 f.). Sein Vater überführt seinen Leichnam nach Bjalanowo (vgl. IV, 25/471).
Tubals letzte Worte (»Salve caput cruentatum«) sind die Anfangszeilen eines vorreformatorischen Passionshymnus, den der evangelische Kirchenlieddichter Paul Gerhardt mit dem Passionslied »O Haupt voll Blut und Wunden«, aus dem Renate die 9. Strophe zitiert, ins Deutsche übertragen hat. Es geht also, vereinfacht gesagt, bei beiden Zitaten um denselben Text, im einen Fall um die in der katholischen Kirche gepflegte lateinische, im anderen Fall um die evangelische Version. Tubals Aussage, dass Kathinka ›recht hatte‹, es aber für ihn »zu spät« sei, dürfte sich auf Kathinkas Rückkehr in die katholische Kirche beziehen. Insofern ist die Entscheidung seines Vaters, ihn in Bjalanowo zu beerdigen, am Ende doch in Tubals Sinn.