Dörte Hansen: »Altes Land« (2015)
Bernd
Inhaber der privaten Musikschule »Musimaus« für Kinder in Hamburg-Ottensen, in der Anne Hove arbeitet. An den »Schnuppertagen« gibt er den Eltern den »kreativen Endvierziger, zugewandt, dynamisch, locker«, mit runder Brille, Vollbart, das »graumelierte Haar im Zopf« (16). Er betreibt die Schule als »Traumfabrik«, bedient den Ehrgeiz der Eltern und verdient mit diesem »Hokuspokus« viel Geld (51). Nachdem sich eine Mutter darüber beschwert hat, dass Anne ihrem Kind nicht erlaubt hat, mit vollem Mund in ihre teure Querflöte zu pusten, führt er mit Anne eins seiner »Abmahnungsgespräche«, bei denen er einen langen gefühlvollen Monolog über »24 Jahre Musimaus« zu halten (61f.) und zuletzt in Tränen auszubrechen pflegt (49f.).
Carola
Verlagslektorin, mit der Christoph seine Lebensgefährtin Anne Hove betrügt. Sie ist eine gutaussehende Frau mit rotlackierten Fußnägeln und hüftlangem schwarzen Haar (75) »wie Schneewittchen« (101). Nach Annes Auszug zieht sie, in der zehnten Woche schwanger (211), bei Christoph ein und gefällt sich in der Rolle der Liebhaberin mit schlechtem Gewissen, der »das mit Anne wirklich zu schaffen« macht (101).
Christoph
Lebensgefährte von Anne Hove, Vater von Leon. Er schreibt »Hafenkrimis«, die in einem »Mainstream-Verlag« erscheinen, und wird in Hamburg-Ottensen als »local hero« gefeiert (71f.). Schon bevor Anne sein Verhältnis mit seiner Lektorin Carola entdeckt, spürt sie, dass Christoph sich ihr und Leon nicht ernstlich zugehörig fühlt (69f.). Entsprechend erschüttert ihn auch die Trennung nicht ernstlich, er spielt den »Schuldbewussten« wenig überzeugend, »ein Laienspieler, der sich am Charakterfach verhob« (78). Hertha Drewe hat das vorher gewusst: »So einer blieb ja nicht, Kind hin, Kind her, der war nicht treu und brav, das war dem zu beschränkt.« (214) Für Annes Mutter Marlene hat von Anfang an festgestanden, dass Christoph ein Mann »ohne jedes Potenzial« ist, der »sein Leben lang nur halbgare Krimis schreiben und Frauen verschleißen« wird (218).
Cohrs, Leni
Reinmachefrau von Heinrich Lührs d. J., die ihm seit dem Tod seiner Frau die Wohnung in Ordnung hält. Sie würde ihm auch die Wäsche bügeln, aber das ist Hinni Lührs zu intim, »so wiet kummt dat« (196).
Drewe, Carsten
Tischlermeister in Hamburg-Barmbek, bei dem Anne Hove ihre Tischlerlehre absolviert. Da ist er Mitte vierzig und schon seit 15 Jahren Chef der vom Vater übernommenen Tischlerei (58). Trotzdem fliegen zwischen ihm und Karl-Heinz Drewe immer noch die Fetzen, weil Carsten von Tischlerarbeiten aus Massivholz träumt und an dem Alltagsgeschäft mit furnierten Spanplatten und Kunststofffenstern verzweifelt (55). Mit seiner Freundin Urte, Lehrerin an einer Waldorfschule, führt er eine »komplizierte On-off-Beziehung« (58), seine Mutter Hertha hat die Hoffnung auf Enkelkinder längst begraben (59). Carsten ist ein geduldiger und liberaler Lehrherr, lehnt es ab, Lehrlinge als Handlanger und Hilfsarbeiter auszunutzen (59f.). Annes Gesellenstück, ein Klavierhocker aus Kirschbaum, ist sein ganzer Stolz (61). Einige Jahre später baut er die Fenster für Vera Eckhoffs Haus (217), berät Anne und Vera bei der Renovierung des Hauses und besucht sie jedes zweite Wochenende (260). Zu diesem Zeitpunkt hat er das Geschäft mit Spanplatten und Kunststoff schon aufgegeben und baut nur noch Möbel, hat auch keine Lehrlinge mehr, sondern bringt Jugendlichen von einem Jugendhilfe-Verein das Tischlern bei (216). Von Urte ist er getrennt (215, 257), und die Streitereien mit dem Vater haben seit Karl-Heinz Drewes Schlaganfall aufgehört (216).
Drewe, Hertha
Mutter von Carsten Drewe. Dass ein »Lehrvertrag bei Firma Drewe auch eine Art Adoptionsvertrag« ist (56), liegt vor allem an ihr. Sie ist für Anne auch noch in späteren Jahren eine Anlaufstelle, wenn es schlimm kommt (214). Aus dem Dauerzwist zwischen Carsten und seinem Vater hält sie sich heraus. »Da sag ich nichts zu! Gar nichts!« (59) Auch zu Carstens Freundin Urte (59, 215) und Annes Freund Christoph (214) sagt sie nichts, »es war ja zwecklos« (215). Im Alter wird sie tüdelig (256f.).
Drewe, Karl-Heinz
Tischlermeister, Vater von Carsten Drewe. Obwohl er die Tischlerei schon vor Jahren an seinen Sohn übergeben hat, fällt es ihm immer noch schwer, ihm die Führung des Betriebs zu überlassen, steht mit seinen über achtzig Jahren noch täglich in der Werkstatt und liegt im Dauerzwist mit Carsten, der das Arbeiten mit Spanplatten ablehnt (57f.). Das ändert sich nach seinem Schlaganfall, von dem er sich nur langsam und unvollständig erholt. Seitdem streiten sie sich kaum noch, und Carsten kann endlich seine Massivholzmöbel bauen (215f.).
Dührkopp, Hajo
Einer der Altländer Obstbauern, die sich ganz auf den Landleben-Tourismus eingestellt haben. Auf den anderthalb Hektar Land, die er noch selbst bewirtschaftet, spielt er den Apfelbauern für Touristen, produziert nicht mehr selbst, sondern lässt sich das Obst für seinen Hofladen von seinen Kollegen liefern und verkauft Marmeladen und Gelees aus dem Supermarkt, die er vorher mit plattdeutschen Aufklebern umetikettiert, »Dührkopps Flederbeern« (153). Das Geschäft läuft, er kann zweimal im Jahr mit seiner Frau in Urlaub fahren. Dirk zum Felde ärgert sich »die Pest«, wenn er sieht, wie Hajo seine Kirschen und Äpfel in Dührkopp-Kisten umpackt, muss aber zugeben, dass er von dem »Hokuspokus« auch profitiert, weil er in Hajo einen verlässlichen Kunden hat (156).
Düwer, Kai
Ehemaliger Altländer Obstbauer, der sein Land verpachtet und das Kühlhaus zu Ferienwohnungen umgebaut hat. Er arbeitet nun bei Raiffeisen, »Fünf-Tage-Woche, Urlaubsgeld und Krankengeld« (156), und kann seiner Frau Kerstin zum zehnten Hochzeitstag eine Bulthaup-Küche mit Induktionsherd schenken. Bei Dirk zum Felde, der sich auf seinem Obsthof abrackert, reicht es gerade mal für zwei Karten für das Spiel Werder Bremen gegen Hannover 96 (149).
Eckhoff, Friedrich
Verstorbener Ehemann von Ida Eckhoff, Vater von Karl Eckhoff. Er ist etwa 1939 ums Leben gekommen, man fand ihn »leblos wie ein Kreuz im Entwässerungsgraben« treibend (13). Ob es Selbstmord oder ein Unfall war, bleibt offen.
Eckhoff, Ida
Altländer Bäuerin, Mutter von Karl Eckhoff, Witwe von Friedrich Eckhoff, der etwa 1939 ums Leben gekommen ist (13). In den letzten Kriegsmonaten, 1945, strandet die aus Ostpreußen geflüchtete Hildegard von Kamcke mit ihrer 5-jährigen Tochter Vera auf ihrem Hof. Ida ist barsch und abweisend zu den »Polacken« (7), verweigert selbst dem entkräfteten Kind Nahrung, duldet aber stillschweigend, dass Hildegard nachts Milch und Äpfel für ihre Tochter stiehlt (9). Nachdem Hildegard ihren Sohn Karl geheiratet hat, zieht Ida in die Altenteilerwohnung, was aber nicht verhindern kann, dass sie mit ihrer Schwiegertochter in einem Dauerkrieg liegt, das Haus wird zu einem »Schlachtfeld« der beiden Frauen (28). Der Streit eskaliert schließlich, als Hildegard von Kamcke einen zweihundert Jahre alten Eichenschrank aus dem Haus schaffen lässt, um Platz für ein Klavier zu haben (31). Am Abend dieses Tages zieht Ida ihre Altländer Tracht an und erhängt sich auf dem Kornboden. Die neunjährige Vera findet sie (33).
Eckhoff, Karl
Sohn von Ida Eckhoff, geschiedener Ehemann von Hildegard von Kamcke und Adoptivvater ihrer Tochter Vera. Karl kehrt zwei Jahre nach Kriegsende als körperlich und seelisch gebrochener Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft heim. In den Nächten plagen ihn Albträume vom Krieg, aus denen er schreiend erwacht, an den Tagen sitzt er meistens apathisch auf Ida Eckhoffs Hochzeitsbank und bläst Rauchringe in die Luft (13). Für Hildegard von Kamcke ist er leichte Beute, sie betört ihn mit Mozart-Arien, die sie bei der Stallarbeit singt. Beide heiraten, er adoptiert Vera. In dem Krieg zwischen seiner Frau und seiner Mutter steht er hilflos zwischen den Fronten, nach Ida Eckhoffs Freitod richtet sich Hildegards Streit- und Herrschsucht gegen ihn und Vera. Als sie beide verlässt, um den reichen Fritz Jacobi zu heiraten, ist von Karl Eckhoff nicht mehr viel übrig, er geht »den Rest seines Lebens wie ein Geprügelter« (33). Seine Tante, Ida Eckhoffs Schwester, übernimmt das Geschäftliche, verkauft das Vieh und verpachtet das Land, legt das Geld auf ein Sparbuch und gibt ihm davon monatlich das Geld zum Leben (34). Vera bleibt bei ihm, verlässt den Hof nur für ihr Studium (38), aber selbst das setzt ihm zu, er vernachlässigt sich und geht aus Angst vor seinen Träumen kaum noch ins Bett (40). Vera nimmt ihn täglich mit in ihre Praxis, wo er einige Vormittagsstunden in einem Hinterzimmer Schlaf findet (40). Im letzten Jahr seines Lebens traut er sich nachts nur noch in sein Bett, wenn Vera ihm die »Bergdoktor-Geschichten« vorliest, Heftchenromane, die sie bei Edeka für ihn kauft (126f.). Das Leben wird dem nun über Neunzigjährigen zur Qual, zuletzt bittet er Vera, ihr Angebot, ihm beim Sterben zu helfen, wahrzumachen (132f.).
Bei den »Bergdoktor-Geschichten«, die Karl zeitweise Ruhe schenken, handelt es sich um die seit 1980 im Bastei-Verlag erschienene Romanserie »Der Bergdoktor. Dr. Burger: Schicksale zwischen Tal und Gipfel« von Andreas Kufsteiner.
Eckhoff, Vera
Tochter von Friedrich und Hildegard von Kamcke, geboren 1940 in Ostpreußen (171), Adoptivtochter von Karl Eckhoff, Halbschwester von Marlene Hove. Im letzten Kriegswinter muss Hildegard von Kamcke mit der fünfjährigen Vera aus Ostpreußen fliehen, dabei erfriert Veras kleiner Bruder, ein Säugling, im Kinderwagen. Die Flucht endet im Alten Land, wo sie auf dem Hof von Ida Eckhoff unterkommen. Etwa zwei Jahre später heiratet Hildegard von Kamcke den Hoferben Karl Eckhoff (14), der Vera adoptiert, sie heißt nun Vera Eckhoff. Vor dem ständigen Streit zwischen der Mutter und Ida Eckhoff flüchtet sie in den Stall oder zu dem etwa gleichaltrigen Hinni Lührs vom Nachbarhof (30). Mit neun Jahren findet sie Ida Eckhoff, die sie in Abwesenheit ihrer Mutter »Oma Ida« nennt (31), erhängt auf dem Kornboden (33). Mit vierzehn Jahren wird sie von der Mutter verlassen, Hildegard von Kamcke heiratet den Architekten Fritz Jacobi und lässt Vera bei Karl Eckhoff zurück (33f., 205). Die seltenen Besuche bei der Mutter in Blankenese sind demütigend, sie stellt sie bald ein (175). Vera lernt schießen, jagt Hasen und Rehe (37f.) und weiß sich zu wehren gegen Mitschüler, die sie als »Polackenbalg« beschimpfen (34). Am Mädchengymnasium in Stade legt sie ein »Einserabitur« ab (ebd.), studiert Zahnmedizin in Hamburg (37) und eröffnet im Dorf eine Praxis (40). Sie führt ein einsames Leben, hin und wieder unterbrochen von unverbindlichen Liebesbeziehungen mit verheirateten Männern (43f.), und sorgt treu für den seelisch zerrütteten Karl, der kaum noch schläft. Doch auch sie schläft zunehmend schlechter, denn in den Nächten glaubt sie die Stimmen und Geräusche früherer Bewohner des Hofes zu hören (47), die ihr den Schlaf rauben, darunter insbesondere die »jahrelange Schreierei« zwischen ihrer Mutter und Ida Eckhoff (14f.). Sie überträgt die Traumata ihrer Kindheit und Jugend auf Ida Eckhoffs Haus. Ein »Kinderglaube«, den sie bei Tag ›lächerlich‹ findet, bei Nacht aber nicht abwehren kann (281), lässt ihr das alte Haus als Wesen erscheinen, das ein Eigenleben führt, als »Racheengel« (281), der Eingriffe in seine jahrhundertealte Substanz mit »Blut und Scherben« (36) oder gar mit dem Tod wie dem von Ida Eckhoff (37) vergilt, weshalb sie es auch nicht anrührt und verfallen lässt (36f.), ein »Patron aus Stein und Eiche, herrisch und selbstgefällig«, der sie, den hergelaufenen Flüchtling, »in seinen Wänden nur widerwillig duldete« (47), sie loswerden und »abstoßen« will »wie ein fremdes Organ« (41). Um so entschlossener hält sie an ihm fest, weil es ihr seit der Flucht aus Ostpreußen als der einzige sichere Ort erscheint, an dem sie »zwar keine Wurzeln schlagen [...], aber doch festwachsen« kann »wie eine Flechte oder ein Moos«. »Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.« (42) Nach Karls Tod ist sie einsam »bis auf die Knochen« (228), die nächtlichen Geräusche und Stimmen werden noch bedrängender, sie verbringt die Nächte am Küchentisch, schläft nur noch wenige Stunden am Morgen und ist nahe daran, den Rest des Mittels, mit dem sie Karl beim Sterben geholfen hat (132f.), selbst zu nehmen. Aber Hinni Lührs gibt auf sie acht (227) wie sie nach dem Unfalltod seiner Frau Elisabeth auf ihn achtgegeben hat (200f.). Als dann »ihre Flüchtlinge« kommen (227), ihre Nichte Anne Hove und der kleine Leon, beginnt ein langwieriger Heilungsprozess, der sich in der langwierigen Renovierung ihres verfallenden Hauses abbildet, die Vera nun mit Annes und Carsten Drewes Hilfe beginnt. Dass das Haus dabei stillhält »wie ein altes Pferd, das sich beschlagen ließ« (281), mag darauf hindeuten, dass die Heilung gelingen wird.
Felde, Britta zum
Ehefrau von Dirk zum Felde, Mutter von vier Kindern, ihr Jüngster ist Leons Kindergartenfreund Theis. Britta »muss immer von allem die Bude voll haben«, ob Kinder, Kaninchen, Katzen oder Hühner (238). Mit einer in den Staub der Motorhaube gemalten Fünf mahnt sie bei ihrem Mann das fünfte Kind an, das sie, wenn es nach ihr ginge, schon längst hätten (149). Sie organisiert das lebhafte Treiben in Haus und Hof und das Chaos in ihrer riesigen Küche (188f.) gut gelaunt und mit größter Ruhe (148), der auch Schwiegermutter Helga nichts anhaben kann (241). Nebenbei arbeitet sie anscheinend als Logopädin (148). Ihr Mann ist stolz auf sie. Zum zehnten Hochzeitstag schenkt er ihr Karten für das Spiel Werder Bremen gegen Hannover 96, »VIP-Rang Platin, schweineteuer«, und eine Werder-Pudelmütze mit grünem Bommel (149). Anne Hove ist froh, dass sie nicht zu den Frauen gehört, die beim Kaffee »Seelenpingpong« spielen wie die Mütter in Hamburg-Ottensen (240).
Felde, Dirk zum
Altländer Obstbauer, Ehemann von Britta zum Felde, Vater von vier Kindern. Der diplomierte Agrarwissenschaftler, der seine eigenen zwölf Hektar und die von Heinrich Lührs (65) und Vera Eckhoff (150) zugepachteten Obstplantagen mit moderner Landtechnik (95) bewirtschaftet, ist Bauer mit Leib und Seele (156). Die »verpeilten Kreativen« (92) wie Burkhard und Eva Weißwerth, die aus der Stadt aufs Land ziehen, ihre nostalgische Landleben-Idylle pflegen und moderne Landwirte wie ihn heimlich verachten, gehen ihm auf die Nerven (92f.).
Felde, Theis zum
Jüngster Sohn von Dirk und Britta zum Felde, Kindergartenfreund von Leon Hove, ein Junge mit rosigem Gesicht und weißblondem Haar (141), der Leon fast täglich besucht und dem Stadtjungen die Welt erklärt (159f.). Für Leon ist er bald sein »allerbester Freund« (160). Er identifiziert Leons Kaninchen Willy als Weibchen (168) und sorgt mit einem seiner männlichen Kaninchen dafür, dass Willy Gesellschaft und Kinder bekommt (283).
Florian
Fotograf des »Slow-Food-Magazins«, für das Burkhard Weißwerth schreibt. Er lichtet ihn hundertfach auf Dirk zum Feldes rotem Traktor ab und kassiert für eine despektierliche Bemerkung über dessen Besitzer einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten (90). Danach lässt er sich zwei Wochen krankschreiben und klagt über »seelische Narben«, die von der unsanften Behandlung zurückbleiben werden (184).
Haus, das
Das Haus des Eckhoff-Hofes, ein großes Altländer Fachwerkhaus, führt ein Eigenleben, so Vera Eckhoffs »Kinderglaube«, für den sie sich bei Tag schämt, der ihr aber bei Nacht ganz plausibel erscheint (281): Es rächt sich für Eingriffe in seine seit Jahrhunderten bestehende Form und Ausstattung mit »Blut und Scherben« (36) oder gar mit dem Tod wie dem von Ida Eckhoff (37). Deshalb rühren sie und Karl Eckhoff das Haus nicht mehr an und lassen es verfallen (37). Auch will es Vera in den Nächten scheinen, als berge es in seinen Mauern die Geräusche und Stimmen von Generationen, darunter besonders den Lärm der jahrelangen Kämpfe zwischen Ida Eckhoff und Hildegard von Kamcke, den sie nachts noch zu hören meint und der sie nicht schlafen lässt (14f.). Und es scheint ihr, als wolle dieses Haus sie »herauswürgen und ausspucken« (41), wogegen sie sich mit aller Kraft wehrt (42). Nach Anne Hoves und Leons Einzug scheint der Bann allmählich zu weichen, Vera legt nun doch Hand an das Haus und beginnt es mit Annes und Carsten Drewes Hilfe zu renovieren. Das Haus »hielt still unter den Hammerschlägen«, und Vera kann wieder den Gedanken zulassen, dass es »vielleicht nicht mehr sein könnte als ein Haus« (281). Am Ende wird sie vielleicht sagen können, was am Giebel in halb verwitterter Inschrift zu lesen steht: »Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt't ok noch sien.« (7)
Hove, Anne
Tochter von Marlene und Enno Hove, Enkelin von Hildegard von Kamcke, Mutter von Leon. Annes Geschichte ist die Geschichte einer ›Vertreibung‹, zwar ganz anderer Art als die ihrer Tante Vera Eckhoff, aber doch darin übereinstimmend, dass auch ihre Flucht auf dem Eckhoffschen Hof im Alten Land endet. Als Kind war Anne jahrelang die beste Pianistin bei dem Wettbewerb »Jugend musiziert« und Liebling der Mutter (22), dann lief ihr kleiner Bruder Thomas, ein »Wunderkind«, ihr auf dem Klavier den Rang ab (23f.), Aufmerksamkeit und Liebe der Eltern konzentrierten sich auf ihn (53). Ein Versuch, zur Querflöte zurückzukehren, ihrem ersten Instrument, scheiterte, sie brach das Studium nach fünf Semestern ab. Seither fühlt sie sich wie eine »Vertriebene, die nicht mehr wusste, wo sie hingehörte« (54). Sie flüchtet in eine Tischerlehre bei Carsten Drewe (54) und geht dreieinhalb Jahre auf die Walz (61). Danach lernt sie Christoph kennen, wird schwanger, lebt mit Christoph und dem kleinen Leon in einer Wohnung in Hamburg-Ottensen und arbeitet als Musiklehrerin in Bernds Musikschule »Musimaus«. Dass Christoph sie dann mit seiner Lektorin Carola betrügt, kommt einer zweiten Vertreibung gleich (80), sie flieht mit Leon ins Alte Land zu Vera Eckhoff (95). Gegen »Kost und Logis« und 400 Euro im Monat soll sie Veras verfallendes Haus renovieren, so die Verabredung (113). Es fällt ihr nicht leicht, sich in ihrem neuen Lebensumfeld zurechtzufinden, sie fühlt sich als Fremde und von Leuten »mit einem Hang zu Platzverweisen« umgeben (168), fasst aber nach und nach Zutrauen zu einigen Menschen, zu Heinrich Lührs etwa oder zu Britta zum Felde, und findet in der Renovierung des alten Hauses, bei der Carsten Drewe ihr hilft, eine Aufgabe. Eine Reise mit Marlene nach Ostpreußen hilft ihr, den Ursachen für die Kälte der Mutter, an der sie nach wie vor leidet, auf die Spur zu kommen (271f.). Am Ende spielt sie auch wieder Klavier – auf dem verstimmten Instrument ihrer Großmutter (261f.), mit dem sie zuletzt auch die schlaflose Vera zum Schlafen überreden kann (286f.).
Hove, Enno
Ehemann von Marlene Hove, Vater von Anne und Thomas Hove, C4-Professor für Physik (219), ein Mann mit »Kartoffelgrubberhände[n]«, die noch den Bauernsohn verraten, und der Neigung, das hochsprachliche Gaumen-R nach vorne rutschen und wie in seiner plattdeutschen Muttersprache rollen zu lassen (22, 57). Der »stille Mann« stirbt mit Mitte fünfzig an einem Herzinfarkt, drei Monate vor der Geburt seines Enkels Leon (219).
Hove, Leon
Der kleine Sohn von Anne Hove und Christoph ist vier Jahre alt, als die Beziehung seiner Eltern zerbricht und er mit seiner Mutter und seinem Kaninchen Willy auf den Hof von Vera Eckhoff im Alten Land umzieht. Im Kindergarten findet er einen neuen »allerbeste[n] Freund«, den fünfjährigen Theis zum Felde (160). Alle zwei Wochen verbringt er das Wochenende bei seinem Vater und dessen neuer Freundin Carola in Hamburg (210). Wenn er bei seiner Großtante Vera auf dem Schoß sitzt, weckt er in ihrer vereisten Seele verlorengegangene Empfindungen (125f.). Beim Entlausen streichelt er ihr über die Wange und sagt zu ihr wie seine Mutter, wenn er sich wehgetan hat: »Mein armes kleines Kind« (242).
Hove, Marlene (geb. Jacobi)
Tochter von Hildegard und Fritz Jacobi, Ehefrau von Enno Hove, Mutter von Anne und Thomas Hove. Marlene wird 14 Jahre nach ihrer Halbschwester Vera Eckhoff, also 1954 geboren (172), hatte aber wie Vera an der Kälte der Mutter zu leiden (177f.) und gibt sie, wie sie erst spät erkennt (179), an ihre Tochter Anne weiter. Anne kommt den Ursachen dieser Kälte auf die Spur, als sie Marlene bei ihrer vergeblichen Suche nach der Mutter in deren ostpreußischer Heimat begleitet, und bringt sie auf eine Formel, die sie der Technik entlehnt, mit der die Altländer Bauern die Obstbaumblüten vor späten Nachtfrösten schützen (254f.): »Frostschutz durch Vereisung« (270f.). Die Formel gilt nicht nur für Annes Großmutter, die mit ihren Kindern bei Eiseskälte aus Ostpreußen fliehen musste, sondern auch für die an ihrer seelischen Kälte ›vereisten‹ Töchter Vera und Marlene.
Hove, Thomas
Sohn von Marlene und Enno Hove, kleiner Bruder von Anne Hove, die ihm auf ihrem Bechstein-Flügel erste Klavierstücke beibringt und die er schon bald ein- und überholt. Mit neun Jahren gilt er als »Wunderkind« und wird ins Konservatorium aufgenommen (23). Später macht er eine Weltkarriere als Dirigent, heiratet eine Pianistin, Svetlana, und hat zwei Kinder (219f.).
Jacobi, Fritz
Dritter Ehemann von Hildegard von Kamcke, Vater von Marlene Hove, ein Architekt, der nach dem Krieg durch den Bau von Wohnblocks und Reihenhäusern reich geworden ist. Er lebt mit seiner Familie in einer Jugendstilvilla in Hamburg-Blankenese (172). Marlene erinnert ihn als »chronisch aufgekratzte[n] Vater«, den sie »selten ohne Cognac-Glas« gesehen hat (178). Ihre Halbschwester Vera Eckhoff hat kaum Erinnerungen an ihn, weil ihre Mutter dafür sorgte, dass er bei ihren seltenen Besuchen in Blankenese nicht zu Hause war (172).
Jarck, Klaus und Erich
Die Zwillingsbrüder haben das Kopfsteinpflaster auf Burkhard Weißwerths Resthof verlegt und sich für den von fünfzehn auf zehn Euro gedrückten Stundenlohn (107) revanchiert, indem sie »in unfassbarem Schneckentempo« (103) gearbeitet und eine »Buckelpiste von Hofpflaster« abgeliefert haben, über die sich das ganze Dorf kaputtlacht (158). Weißwerth bemerkt von alledem nichts, weil er die Brüder für Dummköpfe hält. Die belehren ihn eines Besseren, als er Fotos, die sein Fotograf Florian von ihnen während der Arbeiten gemacht hat, für ein Buch »zweitverwerte[t]« (104): Sie verlangen durch ihren Stader Anwalt 10 000 Euro Entschädigung, weil er die Fotos ohne ihre Zustimmung veröffentlicht hat (277).
Junge, Helmut
Bürgermeister des Dorfes, alter Jagdkollege von Vera Eckhoff, die sich bei ihm über die Osterfeuer beschwert (247).
Kamcke, Friedrich von
Verstorbener Vater von Vera Eckhoff, erster Ehemann von Hildegard von Kamcke, ostpreußischer Gutsbesitzer. Vera hat von ihm nur ein Foto, auf dem sie vor ihm, einem »Mann mit einem großen Lachen«, auf einem Pferd sitzt (176).
Kamcke, Hildegard von
Mutter von Vera Eckhoff und Marlene Hove, geschiedene Frau von Karl Eckhoff, in dritter Ehe verheiratet mit Fritz Jacobi, Großmutter von Anne und Thomas Hove. Hildegard von Kamcke entstammt einer ostpreußischen Adelsfamilie. Aus ihrer ersten Ehe mit dem ostpreußischen Gutsbesitzer Friedrich von Kamcke hat sie zwei Kinder, Tochter Vera und einen wenige Monate alten Sohn, mit denen sie im Januar 1945 aus Ostpreußen fliehen muss. Der Säugling erfriert in der Eiseskälte, sie muss ihn in seinem Kinderwagen am Wegesrand zurücklassen (173) und strandet schließlich mit der fünfjährigen Vera im Alten Land auf dem Hof von Ida Eckhoff. Deren Geringschätzung begegnet sie mit Hochmut und setzt alles daran, »wieder [zu] werden, was sie gewesen war« (174). Die Eheschließung mit Ida Eckhoffs Sohn und Hoferben ist nur der erste Schritt zu diesem Ziel. Die »paar Hektar« Obstbäume und der vom Krieg schwer traumatisierte Karl würden ihr »ihr altes Leben« nicht zurückgeben können (ebd.). Nach etwa sieben Ehejahren, in denen sie ihrer Schwiegermutter und nach deren Freitod ihrem Mann und ihrer Tochter mit ihrer ungebremsten »Wut« das Leben zur Hölle macht (33), verlässt sie Karl Eckhoff, um den wohlhabenden Architekten Fritz Jacobi zu heiraten, und führt fortan mit ihm und der gemeinsamen Tochter Marlene in einer Jugendstilvilla in Hamburg-Blankenese ein »beinahe« wieder standesgemäßes Leben (172). Ihr »Kriegskind«, die inzwischen vierzehnjährige Vera, lässt sie bei Karl Eckhoff zurück (173), lädt sie gelegentlich, wenn Jacobi nicht zu Hause ist, für ein paar Stunden ein (172), die für Vera eine Pein sind (175), und kümmert sich ansonsten nicht um die Tochter, nimmt weder von ihrer Konfirmation (206) noch von ihrem Abitur (34) Notiz. Aber sie schreibt ihr eine Zeit lang regelmäßig Briefe über ihr Leben in Ostpreußen, schickt ihr Liedtexte, masurische Rezepte und Fotos, »als wollte sie ein preußisches Atlantis vor dem Versinken retten« (176). Die Kälte, die sie nicht nur Vera, sondern auch ihrer zweiten Tochter Marlene entgegenbringt, hat nach der Diagnose ihrer Enkelin Anne ihren Ursprung im Trauma der Flucht, ist eine Form des Selbstschutzes, der das Weiterleben ermöglicht, ganz ähnlich der Technik, mit der die Altländer Bauern die Obstbaumblüten vor späten Frösten schützen, indem sie sie mit Wasser besprühen (254f.): Die beim Gefrieren erzeugte »Erstarrungswärme« sichert das Überleben der Blüten, »Frostschutz durch Vereisung« (270f.).
Lührs, Elisabeth
Ehefrau von Heinrich Lührs d. J., Mutter von Heinrich, Jochen und Georg Lührs, geborene Buhrfeindt, »alter Marschbauern-Adel«, eine Frau »wie ein zahmer Vogel«, »schmal, still und blond« (39). Sie stirbt mit nur 53 Jahren durch einen Unfall, ein Malermeister aus Stade überfährt sie mit seinem Auto auf dem Fahrradweg (66). Seitdem ist es still in Hinni Lührs' Haus, Elisabeth hatte bei der Arbeit fast immer gesungen und gesummt (65).
Lührs, Georg und Frauke
Dritter und jüngster Sohn von Elisabeth und Heinrich Lührs d. J., der es ebenso wie seine Brüder Heinrich und Jochen ablehnt, die Nachfolge auf dem väterlichen Hof anzutreten. Er schließt zwar eine Landwirtschaftslehre ab, fühlt sich dann aber von der fordernden Härte des Vaters so verletzt, dass er ihm einige Tage vor dem Unfalltod der Mutter das Erbe vor die Füße wirft (118). Er spricht viele Jahre nicht mehr mit Heinrich Lührs (119), heiratet Frauke Matthes, die einen Hof in die Ehe bringt (120), und ist fest entschlossen, auf dem Lührs-Hof keine Hand zu rühren, solange sein Vater lebt (150).
Lührs, Heinrich d. Ä.
Altländer Bauer, Vater von Heinrich Lührs d. J., Ehemann von Minna Lührs, ein Trinker, der je nach Pegelstand rührselig oder gewalttätig gegen seine Frau und die drei Söhne ist (30). Er taucht zu später Stunde bei Vera Eckhoffs Abiturfeier auf, lässt die gläserne Bowleschüssel zu Boden fallen, verhöhnt Karl Eckhoff und stößt seinen Sohn Heinrich, der ihn wegziehen will, in die Scherben, Vera vertreibt ihn mit der Jagdflinte (35). Er stirbt früh, »zumindest den Gefallen hatte er den Kindern noch getan« (39).
Lührs, Heinrich d. J. (Hinni)
Sohn von Minna und Heinrich Lührs d. Ä. vom Nachbarhof der Eckhoffs, Ehemann von Elisabeth Lührs, Vater von Heinrich, Jochen und Georg Lührs. Hinni Lührs »der Jüngere, der Beste« (38) ist Vera Eckhoffs Kinder- und Jugendfreund, zu dem sie oft flieht, wenn zwischen ihrer Mutter und Ida Eckhoff die Fetzen fliegen (30). Aus den beiden hätte wohl ein Paar werden können, aber in dem vielleicht entscheidenden Moment fehlt ihm der Mut (36, 208f.), und beide leben dann zwei sehr verschiedene Leben. Während Vera ihr Haus verfallen und den Garten verwildern lässt, muss bei Heinrich alles »schier« sein (113f.). Er hat feste Ordnungsvorstellungen, denen er Haus und Hof unterwirft und die er mit einiger Härte gegen seine Kinder durchsetzt mit dem Ergebnis, dass alle drei Söhne die Übernahme des Hofes verweigern (114). Mit Vera aber, obwohl sie allen seinen Vorstellungen davon, was das »Richtige« ist, widerspricht (282), bleibt er lebenslang freundschaftlich verbunden, und das gilt wechselseitig. Beide stehen einander in ihren großen Lebenskrisen ohne viele Worte bei, besonders nach Elisabeths und Karl Eckhoffs Tod (200f., 227). Zuletzt wirft Heinrich sogar seine eigenen Ordnungsvorstellungen über Bord. Anlass ist ein Ostersonntag, an dem ihn eines seiner Enkelkinder verächtlich behandelt (253). Das bringt ihn zu der Einsicht, dass er, der immer »das Richtige« zu tun versucht hat, am Ende »de dumme Jung« und einsam ist, während Vera, die nie »das Richtige« getan hat, mit ihrer Nichte Anne und deren Sohn Leon nun eine kleine Familie hat und sogar ihr Haus wieder »schier« bekommt (282). Er verbittet sich weitere Besuche der Enkelkinder, will nur noch seinen Sohn Jochen ab und zu sehen und verbringt viel Zeit mit Anne und Vera, baut einen großen Stall für Leons Kaninchen, bringt Anne das Tanzen bei (283) und bricht »seine eigenen Gesetze«, indem er etwa bis in die Nacht Skat mit Anne und Vera spielt und am nächsten Morgen ausschläft (282).
Lührs, Heinrich und Sakura
Ältester Sohn von Elisabeth und Heinrich Lührs d. J., der es ebenso wie seine Brüder Jochen und Georg ablehnt, die Nachfolge auf dem Lührs-Hof anzutreten. Stattdessen wird er Koch, betreibt mit seiner japanischen Ehefrau Sakura einige Zeit ein Sushi-Restaurant in Berlin und geht dann nach Japan. Er war der Liebling seiner Mutter und summt wie sie bei der Arbeit (115).
Lührs, Jochen und Steffi
Zweiter Sohn von Elisabeth und Heinrich Lührs d. J., der seinem Vater zwar im Frühjahr und bei der Ernte hilft, aber seine Hoffnung auf einen Nachfolger ebenso enttäuscht wie seine Brüder Heinrich und Georg. Er ist Ingenieur und lebt mit seiner Frau Steffi, einer Pharmareferentin, und seinen zwei Kindern in Hannover. Die Familie besucht Heinrich Lührs alle paar Wochen und kommt jedes Jahr am Ostersonntag zum Ostereiersuchen, weil sie keinen Garten hat (248). Als eines der Enkelkinder dem Großvater die Süßigkeiten an den Kopf wirft, weil er sich wegen dessen »babyleichten Scheißverstecken« ärgert (253), bricht Heinrich Lührs mit dieser Tradition und verbittet sich auch alle übrigen Besuche der Enkelkinder und der Schwiegertochter. »Nur Jochen sollte kommen, ganz allein, für drei, vier Tage im September, das reichte ihm.« (282)
Lührs, Minna
Ehefrau von Heinrich Lührs d. Ä., Mutter von Heinrich Lührs d. J., und zwei weiteren Söhnen. Sie möchte der von der Mutter verlassenen Vera Eckhoff zu einem Kleid für die Konfirmation verhelfen, aber Vera lehnt ab (206). Am Tag der Konfirmation schickt sie ihren Sohn Heinrich mit Suppe und Kuchen zu Eckhoffs (207). Sie leidet unter ihrem gewalttätigen Mann und hat »ihre besten Jahre« nach seinem frühen Tod (39). Wenn Vera sie im Sommer am Arm ihrer Schwiegertochter Elisabeth durch den Garten gehen sieht, wünscht sie sich manchmal, dazuzugehören (ebd.).
Marion
Erzieherin in Leons Kindergarten in Hamburg-Ottensen. Sie ärgert sich über die Eltern, die ihre Kinder zu spät abholen und dann auch noch eine »große Verzeih-mir-Show« abziehen (68). Anne Hove, die auch oft zu spät kommt, begnügt sich mit einem kurzen Gruß (69).
Niebuhr, Peter
Altländer Obstbauer, der »neuerdings auf Öko-Bauer machte« und seine Äpfel und Kirschen auf Hamburger Biomärkten selbst verkauft. Dirk zum Felde genügt schon die Vorstellung, »mit Kunden wie Burkhard Weißwerth und seiner nervtötenden Frau« umgehen zu müssen, um zu wissen, dass das für ihn keine Alternative ist (152). Heinrich Lührs, in dessen Welt »der Zweifel an Kunstdünger und Pestiziden noch gar nicht angekommen ist«, hält Biobauern für »Spinner« (155), in seinen Augen lässt Peter Niebuhr seine Kirsch- und Apfelhöfe schlicht »verlottern« (114).
Pape, Sigrid
Leiterin des Kindergartens »Elbfrösche«, den Leon nach Anne Hoves Umzug ins Alte Land besucht und in dem es anders zugeht als in Leons alter Kita in Hamburg-Ottensen. Sigrid Pape, eine adrett gekleidete, »dezent geschminkt[e]« Frau, die den Kindergarten seit über zwanzig Jahren leitet (139), hält nicht viel von dem neuerdings um sich greifenden »kumpelhaften Erziehungsstil« und von Eltern, die sich von ihren Kindern mit dem Vornamen ansprechen lassen. Nach ihrer Überzeugung müssen Eltern sich »auch mal ein bisschen im Griff haben« (140). Beim Vorgespräch mit Anne und Leon macht sie sich rasch ein Bild von dem »leicht verhuschten Hamburger Gespann« und ordnet die Beobachtung von Leons Körperpflegezustand an (139), aus der sich wenig später ergibt, dass Leon Kopfläuse hat, keine Überraschung für Sigrid Pape, sie erkennt ihre »Kopflauskandidaten« immer und muss sich Mühe geben, bei ihrem Telefonat mit Anne »jeden Hauch einer Anklage« zu vermeiden (231).
Rudi
Ein Dackel, den Hertha und Karl-Heinz Drewe sich anschaffen, als ihnen klar wird, dass sie auf Enkelkinder nicht mehr hoffen können, »besser als nichts«, kein Ersatz, aber »ein Trost war er doch, der kleine Fresssack« (215).
Suhr, Otto
Bestattungsunternehmer, den Vera Eckhoff mit Karl Eckhoffs Beerdigung beauftragt (133). Auf den Grabstein lässt er auch gleich Veras Namen mit Geburtsjahr einmeißeln. »Dann hat man das schon mal.« (171) Er besorgt auch die Pflege des Eckhoff-Grabes (244). Für Elisabeth Lührs' Grabstein hatte er wie immer bei plötzlichen Todesfällen zu der Inschrift »Warum so früh?« geraten (181).
Urte
Freundin von Carsten Drewe, Lehrerin an einer Waldorfschule, Vegetarierin und Anhängerin der Naturheilkunde, Mitglied einer von »Wertschätzung und Achtsamkeit« geprägten Frauen-WG (58) und Hobby-Psychologin, die Carstens Mutter Hertha mit ihrem »Gesabbel« von den »Generationskonflikten und Abnabelungsproblemen« zwischen Carsten und seinem Vater »ganz verrückt« macht (58). »Fürs Auge war sie auch nichts«, findet Hertha, trägt immer »muffige Wollsachen« und lange Röcke, »nie mal was halbwegs Flottes« (215). Sie traktiert Carsten mit Aroma-Öl, Ignatia-Globuli, Basenfasten und pentatonischen Schulkonzerten und führt mit ihm eine »komplizierte On-off-Beziehung« (58), die irgendwann sang- und klanglos einschläft (215, 257).
Weißwerth, Burkhard
Hamburger Journalist, 52 Jahre alt, der vor zweieinhalb Jahren, nachdem ihm von seinem Blatt gekündigt wurde, mit seiner Frau Eva auf einen Resthof im Alten Land umgezogen ist und nun Bücher und Kolumnen über das Landleben schreibt (89f.). Dafür lässt er sich gern von dem Fotografen Florian in zünftiger Kleidung ablichten, »die Kordhose von Manufactum scheinbar achtlos in seine Gummistiefel aus Naturkautschuk gestopft« (89), auf Landmaschinen sitzend, eine Forke in der Hand oder ein Tier auf dem Arm, am liebsten aber neben einem seiner bäuerlichen Nachbarn, diesen »wunderbar authentischen Typen« (90), vor denen er »tiefen Respekt« zu haben meint (106), auf die er aber insgeheim herabsieht (107, 185, 194, 195, 278). Burkhard Weißwerth ist die Karikatur eines Landleben-Nostalgikers, der seine Klischeebilder vom ›rauen, ehrlichen‹ Landleben (104) auf die Lebenswrklichkeit der Altländer Bauern projiziert. Folgerichtig verschieben sich seine Gefühle, sobald sich diese Wirklichkeit seinen Klischees nicht fügt wie etwa beim Wurstmachen in Vera Eckhoffs Küche, bei dem ihn Übelkeit überkommt (110f.), oder beim Anblick seines achtzehn Jahre alten Glenfiddich, den Dirk zum Felde mit Cola trinkt, was seine Schwärmerei für den »kantige[n] Landwirt« (90) augenblicklich abkühlt: »Wie abgestumpft konnte man sein.« (195) Dass Dirk zum Felde sehr genau weiß, was er tut, sich nämlich einen Spaß mit ihm erlaubt (278), kommt ihm nicht in den Sinn, eben weil er ihn notorisch unterschätzt. Als seine Mutter stirbt und ihm ihr Vermögen und eine Villa in Hamburg-Othmarschen hinterlässt, mutiert die anfängliche Begeisterung für »diese herrlich unverkopften Menschen« (90) vollends zu unverhohlener Verachtung, jetzt nennt er sie den »Bodensatz«, die »Resterampe« des »brain drain«, den die ländliche Lebenswelt seiner Meinung nach erlitten hat (278). Burkhard Weißwerth fühlt sich nun »herausgewachsen aus der Gummistiefelwelt«, auch aus dem Journalismus, und zu Größerem berufen: »Hanseatisches Großbürgerleben, Überseeclub und Patriotische Gesellschaft, ein Liegeplatz am Mühlenberg« (278f.).
Weißwerth, Eva
Ehefrau von Burkhard Weißwerth, die auf dem Altländer Resthof, den das Paar vor zweieinhalb Jahren bezogen hat, eine »Marmeladen-Manufaktur« mit Gelees aus alten Obstsorten betreibt, die sie bei ihrem »Frühlingsfest« am Pfingstmontag an Hamburger Ausflügler verkauft (185). Sie teilt die vordergründige Schwärmerei ihres Mannes für das Landleben wie auch seine heimliche Verachtung der ländlichen Bevölkerung. Allerdings lässt ihre Begeisterung früher nach als seine, schon im zweiten Winter sucht sie im Internet heimlich nach Jugendstil-Wohnungen in Hamburg-Eppendorf (190), im dritten Frühjahr hat sich auch ihre »Ehrfurcht vor der Kreatur« (275) erschöpft, sie zerschneidet die Schnecken in ihrem Garten bei lebendigem Leibe mit einer Schere und bringt Spinnen in ihrer Badewanne mit heißem Wasser zur Strecke (274). Als dann ihr drittes »Frühlingsfest« wegen schlechten Wetters ins Wasser fällt, ist das Maß endgültig voll, sie wirft ihre Marmeladen und Chutneys »im Wert von tausend Euro« an die Wand (276). Der Tod ihrer Schwiegermutter, die ihrem Mann eine Villa am Jenisch-Park beschert, rettet sie (278).
Willy
Das Zwergkaninchen des kleinen Leon, das mit Anne und Leon in Vera Eckhoffs Haus einzieht. Leons neuer Freund Theis zum Felde bemängelt seine Haltung: »Einzelhaltung. Nicht artgerecht.« (160). Willy entpuppt sich unter den fachmännischen Blicken von Heinrich Lührs und Theis als Weibchen (168). Ein von Theis ›ausgeliehenes‹ männliches Tier sorgt für Gesellschaft und Nachwuchs, Heinrich Lührs für einen großen Stall (283).