Ea-Oannes
Gleich zu Beginn seiner Dienstzeit bei Laban findet Jaakob Wasser. Das wird ihm von Ea-Oannes, dem »Gott der Wassertiefe« gewiesen, der eine »sehr seltsame Gestalt« hat. Er hat Fischleib und Fischkopf, aber darunter, »bedeckt davon wie von einer Mütze, war ein Menschenkopf mit geringeltem Bart, und auch Menschenfüße hatte das Wesen, die kurz aus dem Fischschwanz hervorwuchsen, und ein Paar kurzer Ärmchen«. Er macht einige Bewegungen, als schöpfe er Wasser, und verschwindet gleich darauf in der Erde (IV, 258).
Jaakob weiß sofort, mit wem er es zu tun hat: Nach dem Glauben der »Leute des Landes« ist Ea-Oannes der »Herr der mittleren Erde und des Ozeans über der untersten« (d.h. des Süßwasserozeans Apsu). Ihm glauben die Leute von Sinear »fast alles Wissenswerte ursprünglich zu verdanken«, und halten ihn »für ebenso groß wie Ellil, Sin, Schamasch und Nabu« (IV, 258).
Jaakob weiß es natürlich besser, nämlich dass Ea-Oannes »gar so groß eben nicht sei im Vergleich mit dem Höchsten, den Abram erkannt«, und ist überzeugt, »daß, wenn Ea hier in Erscheinung getreten war und ihm etwas gewiesen hatte, dies nur auf Veranstaltung Ja's, des Einzigen, des Gottes Isaaks, geschehen sein könne, der mit ihm war« (IV, 258 f.).
Er beginnt sofort zu schürfen und arbeitet zwei Nächte durch, bis er tatsächlich auf eine kräftige Quelle stößt, die »drei Spannen hoch« springt und »nach den Schätzen der Unterwelt« schmeckt. »Da betete Jaakob an, und während er noch anbetete, rannte er schon, um Laban zu finden« (IV, 259). Der kann nun die hohen Kosten, die er für die Nutzung eines Wasserkanals zahlen muss (IV, 243), einsparen (IV, 260), und Jaakob, der damit seinen Status als Gesegneter beweist (an dem Laban zweckdienliche Zweifel geäußert hatte; IV, 241 f.), hat nun ein »Druckmittel, dem Labans Erdensinn sofort Rechnung zu tragen bereit war« (IV, 262): Er droht seinen Weggang an und bekommt einen neuen Dienstvertrag (IV, 261-265).
Ea-Oannes ist eine Spielart von Ea (Enki), dem sumerischen Schöpfergott und Herrn des Süßwasserozeans Apsu (vgl. Meissner II, 12-15). Die Legende von dem fischartigen Wassergott Oannes wurde von Berossos überliefert (vgl. Jeremias II, 40 f.). Die mit dem Doppelnamen »Ea-Oannes« vollzogene Identifizierung beider geht wohl auf Jeremias zurück, der diese Namensform ebenfalls verwendet (Jeremias I, 19, 417, Jeremias II, 353) und bemerkt: »Was Berossos von Oannes erzählt, gilt von Ea. Oannes erschien als Fisch. Sind die Priester mit Fischmasken Ea-Priester?« (Jeremias II, 353). Die Beschreibung der äußeren Erscheinung des Gottes dürfte der Abbildung bei Jeremias II (353) und dem von Jeremias zitierten (sekundär durch Eusebius von Caesarea überlieferten) Passus aus Berossos folgen, wo es heißt: Oannes »hatte einen vollständigen Fischleib, unter dem Fischkopf aber war ein andrer, menschlicher Kopf hervorgewachsen; sodann Menschenfüße, die aus seinem Schwanze hervorgewachsen waren, und eine menschliche Stimme« (Jeremias II, 353).
Abb.: Fischgestaltiger Gott auf einem Kalksteinrelief im Tempel des Ninurta in Nimrud.