Sin (Bel-Charran)
Sin ist der babylonische Mondgott, »nach welchem das ganze Land Sinear also benannt war« (IV, 11). Er hat seinen Haupt- und Stammsitz in der großen Mondburg von Ur im Süden des Zweistromlandes. Eine zweite Stätte des Sin-Kults ist der Tempel E-chulchul in Charran, der »Mondstadt des Nordens« (IV, 12), weshalb Sin auch Bel-Charran genannt wird (IV, 224, 251). Sin ist Vater (besser: einer der Väter) der Ischtar (IV, 628, 886).
Nach der Überlieferung der Jaakobsleute hegte Abraham eine ausgeprägte Liebe zu »der Gottheit von Uru und Charran« und fühlte sich deshalb gekränkt durch die »übertriebene[n] Staatsehren«, die Chammuragasch (Hammurabi) dem »Sonnenprinzip« Schamasch-Bel-Mardug erwiesen hatte »zum Schaden Sins, des Sternenhirten« (IV, 426; vgl. auch IV, 102).
Andererseits lassen »Josephs Überlieferungen« auch die Vermutung zu, dass es gerade umgekehrt die anmaßende (und ebenfalls von Hammurapi in Auftrag gegebene) Erhöhung der großen Mondburg von Ur gewesen sein könnte, »die den Unzufriedenen namentlich geärgert« hatte (IV, 11).
Der junge Joseph, der sich dem Mond, dem »Herrn des Weges«, besonders verbunden fühlt, hat einige Mühe, den (berechtigten) Verdacht des Vaters zu zerstreuen, dass er das Gestirn angebetet und ihm Kusshände zugeworfen habe (IV, 99-101). – Die »starken Stellungen von Sin und Ischtar« (IV, 110) in seinem Geburtshoroskop sind ein Zeichen des mütterlichen Teils des doppelten Segens, der auf Joseph ruht, während die »Geburtssonne im Zenit« auf den väterlichen Segen verweist (IV, 109). Zwischen beiden vermittelt Nabu, der Gott der Schreibkunst, als »Geschäftsträger und Unterhändler« (IV, 110).
Als Rahel im fünften Monat schwanger ist, besteht Laban darauf, dass sie zu dem »Sehepriester« Rimanni-Bel im Sin-Tempel E-chulchul gebracht werde, »damit er ihr und dem Kinde durch Wahrsagung die Zukunft deute« (IV, 337). Bei Josephs Geburt rufen Laban und Adina den Mondgott als Geburtshelfer an, indem sie ihn mit allerlei Beschwörungsformeln »daran (erinnerten), wie er einst eine Kuh bei der Geburt unterstützt habe« (IV, 347).
Über Sin (Nanna) orientierte TM sich vornehmlich bei Meissner (II, 18 f.) und Jeremias II (355-362). – Die Darstellung von Josephs Anbetung des Mondes (IV, 66 f.) mag durch Jeremias' Annahme angeregt sein, dass »man die Mondorakel im ekstatischen Zustande einholte« (Jeremias II, 357). – Labans und Adinas Geburtsbeschwörung und der zugehörige Mythos von der Kuh, der Sin in Geburtsnöten beistand, ist nach Ebeling/Meissner (Bd. 8, 367) altbabylonische Überlieferung. – Abb.: Babylonisches Rollsiegel um 2100 v. Chr.