Kain (Kajin)
Erster Sohn Adams und Evas und älterer Bruder Habels, den er um ihrer beider Schwester Noema willen »auf dem Felde erschlagen« hat (IV, 115). Er ist der »Gründer des Brudermords« (V, 1283).
In der mythischen Ordnung des Romans ist Kain eines der Urbilder des üblen, ›roten‹ Bruders, der einem (meist jüngeren) Segensbruder und ›wahrhaften Sohn‹ gegenübersteht wie Cham dem Sem, Set dem Osiris, Ismael dem Isaak oder Esau dem Jaakob.
Bei den Jaakobsleuten ist das Muster Kains nicht nur des Brudermordes wegen verpönt, sondern auch, weil Kain ein Ackerbauer war, kein Hirte und Mann des wandernden Mondes wie Habel, sondern ein Mann der »ackerbauenden Sonne«, dessen Gesicht aussieht »wie der Acker, wenn ihn die Sonne zerreißt, und wie die Scholle, wenn sie vor Dürre rissig wird« (IV, 102).
Das Muster der ungleichen Brüder kehrt im Stamm Abrahams regelmäßig wieder, und das ist den Betroffenen auch stets bewusst. Isaak erkennt es früh in seinen Söhnen Jaakob und Esau (IV, 200), und auch Esau selbst weiß, dass sein Verhältnis zu dem Bruder »die Wiederkehr und das Gegenwärtigwerden – die zeitlose Gegenwärtigkeit – des Verhältnisses von Kain zu Habel« ist, in dem er nun einmal die »Kainsrolle« zu spielen hat. Allerdings hat er nicht vor, sie bis zum »Letzten« zu erfüllen: »Er hatte gar keine Lust, den Habel-Bruder auch noch zu erschlagen und so ein Gleichnis auf die Spitze zu treiben, auf das die Eltern ohnehin das ganze Verhältnis von Anfang an hinausgespielt hatten« (IV, 136). Esau »scheute die Kainstat, scheute sich, durch sie noch mehr und deutlicher er selbst zu werden« (IV, 214 f.).
Auch Ruben verspürt bei aller Empörung über Josephs Bevorzugung keine Lust, dem Angeber ein Leid anzutun. »Was hätte ich davon? Habel läge erschlagen da, und ich wäre, was ich nicht sein will, Kajin, den ich nicht verstehe« (IV, 497). Anders als sein Onkel Esau ist er der Kainsrolle vollends entwachsen und weiß, »was aus des Mannes Hand nimmt seine Rache«. Es ist das Recht: »Babels Satzung und Gottes Eifer«, weltliches und göttliches Recht (IV, 550). Folgerichtig betrachtet er auch die vermeintlichen Gefahren, die ihnen von Echnatôns Minister drohen, als gerechte Strafe: »Nun fragt uns Gott: ›Wo ist dein Bruder Habel?‹« (V, 1625)
Seine Brüder allerdings liebäugeln sehr mit der Kainsrolle. Rachebrütend im Tal zu Dotan sitzend, berufen sie sich auf Lamech und Kain, um ihr Rachebedürfnis zu legitimieren. Der ›gerade Gad‹ erklärt sich entschieden »für Kain«, auch Juda ist für Kain »und mehr noch für Lamech«, der seine Strieme siebenundsiebzigmal gerächt hatte (IV, 551). Aber Ruben hindert seine Brüder daran, mit Joseph »nach dem Muster Habels oder der Böcklein« zu verfahren (IV, 565). Für Jaakob indes sind sie »der zehnköpfige Kain« (V, 1544).
Die Engel in den ›oberen Kreisen und Rängen‹ sehen in Kain ein Beispiel dafür, dass das Böse nicht selten »mit kecker Intelligenz und logischer Streitbarkeit« verbunden ist. In dem Gespräch, das Kain nach dem Brudermord mit Gott geführt hat und das in den ›Zirkeln der Umgebung‹ oft »kolportiert« wird, hat er Gott die Verantwortung für seine Tat zugeschoben mit dem Argument, dass er ihm, indem er ihn nach seinem Bilde geschaffen habe, auch seine Eifersucht mitgegeben und also sein Tatmotiv selbst zu verantworten habe: »Bist Du etwa kein eifersüchtiger Gott, und hast Du mich nicht nach Deinem Bilde erschaffen?« Die Engel sind überzeugt, dass er nur »dank seiner Logik« so glimpflich davongekommen ist. Denn tatsächlich habe ja »von Strafe überhaupt nicht die Rede sein können« (V, 1283).
Dass Kain seinen Bruder nicht nur wegen des verschmähten Rauchopfers, sondern auch wegen Habels Zwillingsschwester erschlagen hat, geht auf eine jüdische Sage zurück, die TM bei Gorion I (134 f.) fand. Danach hatten beide Brüder jeweils eine Zwillingsschwester, die sie hernach heirateten; Habels Zwillingsschwester aber war »schöner denn alle Weiber«, und da »sprach Kain bei sich: Ich werde meinen Bruder totschlagen, und sein Weib wird mein werden.«