Gauß, Carl Friedrich
Der spätere »Fürst der Mathematiker« (11), Sohn eines Gärtners, mit triefender Nase und andauernder Melancholie, bemerkt schon früh seinen intellektuellen Vorsprung den Klassenkameraden und seinen Eltern gegenüber: Er korrigiert seinen Vater bei Rechnungen und bringt sich im Gegensatz zu seiner Mutter, die ihr Leben lang Analphabetin bleibt, das Lesen zum größten Teil selbst bei. Aus Angst aufzufallen, versucht der junge Gauß zunächst, sich der Denkgeschwindigkeit der anderen anzupassen. Als er jedoch in der Schule mit acht Jahren die nach ihm benannte Summenformel entwickelt, wird sein strenger und gewalttätiger Lehrer Büttner auf seine Hochbegabung aufmerksam. Er stellt ihm seinen Assistenten, den Mathematikstudenten Martin Bartels zur Seite, der ein Jahr lang an Gauß‘ mathematischer Ausbildung arbeitet. Bartels verschafft ihm auch einen Freitisch in einem Gymnasium, von dessen Niveau Gauß allerdings enttäuscht ist. Mit dem Pastor des Gymnasiums überwirft er sich schon bei ihrem ersten Mittagessen, weil er nicht einsehen möchte, dass Gott Demut von den Menschen verlange.
Bartels besorgt ihm daraufhin einen Freitisch bei Hofrat Zimmermann, einem Professor an der Göttinger Universität. (61) Dieser verhilft ihm zu einem Stipendium des Herzogs von Braunschweig, dem Patenonkel von Alexander von Humboldt: »Sein liebster Patensohn, der kleine Alexander, sei eben aufgebrochen, um in Südamerika Blumen zu suchen.« (63) Immer noch ein Kind, darf er in Braunschweig als einer der ersten mit Pilâtre de Rozier in dem von den Mongolfiers neuentwickelten Heißluftballon mitfahren, um die Sterne besser betrachten zu können.
Als neunzehnjähriger Student entwickelt er unter Zahnschmerzen eine bisher unbekannte Methode, um Siebzehnecke zu konstruieren. Anschließend entscheidet er sich, seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit zunächst vollständig der Mathematik zu widmen – philologische Interessen stellt er zurück. Zur gleichen Zeit beginnt er, Prostituierte zu besuchen: »Es gab nicht viele in Göttingen, sie kannten ihn alle, grüßten ihn mit Namen und gaben ihm manchmal Rabatt, weil er jung war, gut aussah und Manieren hatte.« (86) Dabei hat er ein besonderes Interesse für die Russin Nina, der er sogar verspricht, sie zu heiraten und ihre Sprache zu lernen.
Während er auf das Ergebnis seiner Doktoratsprüfung wartet, liest er in einem Magazin einen anderthalb Jahre alten Brief von Alexander von Humboldt über dessen erste Erlebnisse in Südamerika. Die Prüfung besteht er mit »summa cum laude«.
Da ihm während seiner Arbeit an den Disquisitiones Arithmeticae das Geld ausgeht – mit dem Abschluss des Studiums endet auch das herzogliche Stipendium–, muss er eine Stelle als Landvermesser annehmen. Während dieser für ihn unerfreulichen Arbeit lernt er allerdings Johanna kennen und lieben.
Ein Jahr nachdem er mit der Arbeit an seinem Hauptwerk begonnen hat, kann er es bereits abschließen: »Er war Anfang Zwanzig, und sein Lebenswerk war getan. Er wußte: Wie lange er auch noch da sein würde, er könnte nichts Vergleichbares mehr zustande bringen.« (92) Der anschließende Heiratsantrag an Johanna wird abgelehnt.
Um Kant in Königsberg zu besuchen, begibt sich Gauß erstmals auf eine längere Reise. Seine Audienz verläuft allerdings für ihn enttäuschend: Kant ist bereits zu alt und verwirrt, um sich mit Gauß‘ Theorien auseinanderzusetzen.
Zurück in Braunschweig, wiederholt er seinen Heiratsantrag. (98) Sicher, dass auch dieser wieder abgelehnt wird, ist er bereit, sich mit Curare selbst zu töten, doch wider Erwarten nimmt Johanna seinen Antrag an. Bevor die beiden heiraten, Gauß hat sich inzwischen der Astronomie gewidmet und die Planetenbahn des Ceres berechnet, nimmt er die Stelle des Direktors einer noch zu bauenden Sternwarte in Braunschweig an und bekommt einen Professorentitel sowie eine Anstellung bei der Universität Helmstedt.
»Zur Hochzeit kamen wenige Gäste.« (148) Anschließend unterbricht er die gemeinsame Hochzeitsnacht, um eine Formel zu notieren. Seit dieser Zeit spürt er auch einen schleichenden, geistigen Verfall: »Er fragte sich, ob sein Geist ins Mittelmaß sank« (151)
Von den Koalitionskriegen nimmt Gauß erst Notiz, als er über längere Zeit keine Audienz beim Herzog von Braunschweig gewährt bekommt. Um seinen Informationsrückstand aufzuholen, liest er bei Bartels alte Journale: »Grimmig überblätterte er einen Bericht Alexander von Humboldts über das Hochland von Caxmarca.« (151) Gauß ist von Napoleons intellektuellen Fähigkeiten angetan, interessiert sich allerdings nicht für dessen politische Ziele. So kann er auch Johannas Patriotismus nicht nachvollziehen. Obwohl Göttingen inzwischen unter französischer Herrschaft steht, ziehen er und Johanna dorthin, und Gauß lässt eine neue Sternwarte errichten. Zu seinem Leidwesen muss er auch Studenten unterrichten: »Von allen Menschen, die er je getroffen hatte, waren seine Studenten die dümmsten.« (154) Nur ein einziger, Moebius, kann seine Prüfungen bestehen. Zu dieser Zeit vergisst er auch die Geburt seines ersten Sohnes, Joseph: »Und er wußte sofort, daß sie ihm das nie verzeihen würde.« (154)
Seit ihrem Umzug besucht er wieder Nina und schwört sich, dass Johanna nie davon erfahren wird. Gauß, inzwischen dreißig Jahre alt, beginnt eine Arbeit über Astronomie, über deren Minderwertigkeit im Vergleich zu seinem mathematischen Hauptwerk er sich aber im Klaren ist. Zusätzlich zu seinen schwindenden geistigen Fähigkeit verschlechtert sich auch sein körperlicher Zustand: Er verliert weiterhin Zähne und leidet regelmäßig unter Koliken. Bei der Geburt seines zweiten Kindes, Wilhelmine, strengt er sich mehr an, wie ein guter und besorgter Vater zu wirken.
Während Johanna ihr drittes Kind erwartet, reist Gauß zum ersten Mal nach Bremen, wo er mit seinem Mitarbeiter Bessel, der hier lebt, Messergebnise analysieren muss. Gereizt von der langen Reise, ist er wenig euphorisch, als er, von Bessel genötigt, zum ersten Mal in seinem Leben das Meer sieht. Auch das Hoftheater in Weimar, eine weitere Reise von vier Tagen, erfreut ihn nicht, und er bezeichnet Goethe als Esel, »der sich anmaße, Newtons Theorie des Lichts zu korrigieren.« (158) Dort lernt er auch Wilhelm vom Humboldt kennen, dem er wegen seines Interesses an Sprachwissenschaft mangelnde Intelligenz bescheinigt und den er mit seinem Bruder verwechselt.
Als er wieder in Göttingen ankommt, geht er zuerst in die Universität, um sich über den Bau der Sternenwarte zu informieren und besucht dann seine Familie. Dort muss er erfahren, dass Johanna wegen Geburtskomplikationen im Sterben liegt. Nach kurzer Zeit, die in seiner Erinnerung nur noch verschwommen vorhanden ist, sterben Johanna und der neugeborene Junge. Seine Aufregung wird durch die Ankunft seiner Mutter gelindert. Er heiratet Minna, mit der er einen weiteren Sohn, Eugen, zeugt, aus Vernunft und nimmt erneut eine Stelle als Landvermesser an, »[u]m nicht daheim zu sein.« (193)
Jahre später hilft Eugen ihm bei der Neuvermessung des Königreichs Hannover. Gauß ist aber enttäuscht von den Fähigkeiten seines Sohnes und lässt seine schlechte Laune an ihm aus. Während dieser Arbeit trifft er auch auf Graf Hinrich von der Ohe zur Ohe, der über Gauß‘ Verdienste um die Mathematik, aber auch über dessen Verbindungen zu Napoleon bestens informiert ist. Zu dieser Zeit beginnt er, sich für Sterbestatistiken und -wahrscheinlichkeiten zu interessieren.
Als Alexander von Humboldt ihn im September 1828 zum Deutschen Naturforscherkongress nach Berlin einlädt, sagt er nur äußerst ungern zu und zieht es zunächst vor, sich unter seiner Bettdecke zu verstecken. Einzig seine Mutter kann ihn zur Abreise überreden. Eugen begleitet ihn dabei. Sie haben eine lange, beschwerliche Reise, in deren Verlauf sie sogar von einem Polizisten aufgehalten werden, da Gauß keinen Pass besitzt. Bei seinem Aufenthalt beschwert sich Gauß über das Essen, die Menschen und die Großstadt Berlin.
Als Eugen in Berlin in Polizeihaft genommen wird, muss Humboldt Gauß dazu überreden, seinem Sohn zu Hilfe zu kommen. Ihre Rettungsaktion führt die beiden Wissenschaftler zu einer Geisterbeschwörung: Ganz im Gegensatz zu seinem rationalen Kollegen erfreut Gauß sich sowohl an dem Spiritismus als auch an dem leichtbekleideten Mädchen, das als Medium agiert: »Das sei doch eigentlich ganz lustig, sagte Gauß. Und die Kleine sei nicht übel.« (255) Als er allerdings den anwesenden Polizeikommandanten bestechen soll, weigert er sich und beleidigt ihn auch noch, was mit der Verbannung seines Sohnes endet.
Obwohl Gauß und Humboldt sehr unterschiedliche Lebensläufe und Arbeitsmethoden haben (»Ein Blatt Papier vor sich, allenfalls noch ein Fernrohr, vor dem Fenster der klare Himmel«, 247), können sie doch Gemeinsamkeiten finden und ein letztes gemeinsames Projekt, Messungen des Erdmagnetismus, starten – beide auf ihre ganz eigene Weise: Während Humboldt auf eine erneute Expedition geht und dort die entsprechenden Messungen vornimmt, verschließt sich Gauß in einer abgeriegelten Hütte, um die Messergebnisse nicht durch Einwirkung von außen zu verfälschen.
Unterstützt wird er dabei von Weber, seinem neuen, jungen Mitarbeiter, der für ihn eine Art Ersatzsohn ist. Um aus der Hütte heraus mit Weber, der im physikalischen Kabinett in der Stadtmitte arbeitet, kommunizieren zu können, nutzen sie einen neuentwickelten elektromagnetischen Telegrafen. Noch von der Geisterbeschwörung beeindruckt, hofft Gauß auch auf ein Zeichen der verstorbenen Johanna: »Wenn Johanna dort draußen war, genauso wie Weber, nur weiter entfernt und anderswo, warum nutzte sie dann nicht die Gelegenheit?« (282)
Johann Carl Friedrich Gauß (1777-1855)