Lexikon zu Uwe Johnsons »Jahrestage« (1970-1983)

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A

A. M.

Alexander Mitscherlich, deutscher Mediziner und Psychoanalytiker (1908-1982).

1538-1541 Gesine Cresspahl schreibt ihm am 12. Juli 1968 und fragt ihn, »ob sie sich für psychisch gestört halten soll«, weil sie Stimmen höre und sich mit ihren Toten unterhalten könne.

1856-1857 Am 17. August 1968 bekommt Gesine eine Antwort: Sie sei »auf dem richtigen Weg mit der Vermutung, hier wirkten Folgen von Verletzungen fort, von Verlusten«. – »Was er deutlich ausgelassen hat: ein Bedenken wegen Unfähigkeit zur Arbeit. Nach meinem brieflichen Betragen bin ich noch gerüstet für eine Arbeit in einem Ausland, in Prag.« – Gesine quält sich am »Bedankmichbrief«.

Der Name wird nicht genannt; der Antwortbrief enthält aber recht deutliche Hinweise auf Mitscherlich (Unterschrift »A.M.«, Absenderadresse: »Forschungsinstitut für Psychoanalyse zu Frankfurt am Main« u.a.). Zum Antwortbrief (1856-1857) vgl. auch Jahrestage-Kommentar zu 1856, 8 ff.

Abel

Fischhändler in Gneez.

1760 Bei einem 1951 an der Fritz Reuter-Oberschule veranstalteten Wettbewerb der FDJ um den schnellsten Verkauf der FDJ-Zeitung »Die junge Welt« gewinnt ein findiger Schüler, der seinen ganzen Zeitungspacken bei Fischhändler Abel absetzt, »wobei er zwar zuzahlte, aber doch die Belästigungen von Passanten vermied«. Darüber kann Pius Pagenkopf, der schon seinen Schulabgang vor Augen hat, nur die Achseln zucken.

Vgl. auch 1762.

Abs, Jakob

Voller Name: Jakob Wilhelm Joachim Abs (1739). Streckendispatcher bei der Deutschen Reichsbahn. Freund von Gesine Cresspahl, Vater ihrer Tochter Marie. Geboren am 25.12.1928 in Pommern, in einem Dorf an der Dievenow, gestorben im November 1956 bei einem Unfall auf den Gleisen des Stellwerkes im Hauptbahnhof Dresden. Kommt mit seiner Mutter Marie Abs und einem Pferdegespann im letzten Kriegswinter von der Insel Wollin als Flüchtling nach Jerichow. Heinrich Cresspahl nimmt die Familie bei sich am Ziegeleiweg auf. Er arbeitet mit seinen Pferden in der Landwirtschaft, gibt diese Tätigkeit nach Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945 auf und nimmt eine Arbeit am Gaswerk von Jerichow an, um die Rolle eines Hausvorstands am Ziegeleiweg übernehmen zu können. Anfang 1947 beginnt er eine Ausbildung bei der Eisenbahn in Gneez und Schwerin, später auf der Lokführerschule in Güstrow. Lehnt dann aber die Tätigkeit als Lokomotivführer ab und wird Dispatcher. Handballspieler. Raucher. Fährt Ende Oktober 1956, nach Gesines heimlichem Besuch in Jerichow, zu ihr nach Düsseldorf, kehrt aber in die DDR zurück, verunglückt am Morgen nach der nächtlichen Interzonenfahrt, als er, wie immer, über die Gleise zu seiner Arbeit im Turm der Dispatcher gehen will.

10 An der Strecke Jerichow-Gneez »lernte Jakob die Eisenbahn. Jakob in dem schwarzen Kittel sah aus seiner Bremserkabine so geduldig auf die Gruppe der Oberschüler herunter, als wollte er Cresspahls Tochter nicht erkennen. Mit neunzehn Jahren mag er die Leute noch nach Ständen unterschieden haben.«

23 Marie Cresspahl »geht heimlich an den Kasten mit Gesines Fotografien, sie hat sich von ihrem Taschengeld ein Bild kopieren lassen, auf dem Jakob und Jöche zu sehen sind, vor der Lokomotivführerschule in Güstrow«.

24 Marie über Jakob Abs: »Mein Vater war Delegierter bei der Internationalen Fahrplankonferenz in Lissabon. Er vertrat die Deutsche Demokratische Republik« (vgl. aber 463).

121 Der alte Heinrich Cresspahl am Grab von Jakob Abs auf dem Friedhof von Jerichow: »Jakob, den kannte er noch. Zu Jakobs Grab ging er. Mit Jakob unterhielt er sich. Na, Jakob. Und du? Ja Cresspahl. Sühst, ich lieg hier zum Ansehen.«

387-388 Gesine zu Marie: »Dein Vater ist gestorben als er noch nicht einmal das Wort sterben ordentlich denken konnte. Von deinem Vater weiß ich nur das Notwendigste. Und ich trau dem nicht was ich weiß, weil es sich nicht immer in meinem Gedächtnis gezeigt hat, dann unverhofft als Einfall auftritt. Vielleicht macht das Gedächtnis aus sich so einen Satz, den Jakob gesagt hat oder vielleicht gesagt hat, gesagt haben kann. Ist der Satz einmal fertig und vorhanden, baut das Gedächtnis die anderen um ihn herum, sogar die Stimmen von ganz anderen Leuten. Davor habe ich Angst. [...] Von deinem Vater weiß ich nur was man über Tote wissen kann. Handballspieler, Sozialist, Untermieter. Nach einer Weile stellen sich die Sachen vor die Person und lassen nur einen kleinen Raum, in dem er angeblich ein Leben geführt hat. [...] Dein Vater konnte gut mit Mädchen. Er konnte gut mit alten Frauen, mit Cresspahl meistens, mit Katzen, mit allen seinen Freunden. Jakob war der einzige, mit dem Wolfgang Bartsch eine Schicht in Frieden durchhielt. [...] Mit mir konnte er wie ich mit Niemandem«.

463 In dem Gespräch mit de Rosny am 16. Dezember 1967, das für Gesine zum »Verhör« wird, begnügt de Rosny sich, was Jakob angeht, »mit Beruf und Todesfall. You are ever so thoughtful, Mr. Vice President. Bei dieser Gelegenheit kommt aber heraus, daß Jakob nie und nimmer die Deutsche Demokratische Republik bei einer Internationalen Fahrplankonferenz vertreten hat, auch nicht in Lissabon, und Marie ist enttäuscht. Sie hat es so fest geglaubt.«

478 Gesine über Marie: »Einmal wird das Kind aussehen wie ich auf den ersten Blick, aber mögen wird die Welt es auf den zweiten, und nicht einmal sie wird wissen, daß sie zurücklächelt wie Jakob.«

490 Im Februar 1953, als Gesine sich schon mit dem Gedanken trägt, in den Westen zu gehen, zeigt sie Jakob die »Mili«, das bei der Sprengung von Jerichow Nord übriggebliebene Schwimmbecken des Fliegerhorstes. »Jakob kam mir ohne Zögern nach unten nachgeklettert. Wir sind in dem Becken auf und ab gegangen, bis alle Bahnen ausgefüllt waren mit den Spuren unserer Füße. Von Jakobs Gesicht an diesem Tage bekomme ich kein Bild; ich müßte es denn erfinden. Wir waren unsichtbar, geschützt von den Wänden des Erdlochs, versteckt unter dem wirbelnden Himmel, in der sausenden Stille. Und er konnte mir nur für sich sagen, wie das Leben ist in der Fremde, nicht für mich.«

997 Im Sommer 1945 verdingt Jakob sich und seine beiden Pferde in der Landwirtschaft: »Er hatte die Absschen Pferde genommen und arbeitete in einem Dorf an der Küste für einen Anteil an der Ernte. Er kam nicht oft nach Jerichow« (vgl. auch 1018).

997-998 Über die Ankunft Jakobs und seiner Mutter Anfang 1945: »Er war fünf Jahre älter als ich. Er gehörte zu den Erwachsenen. Er hatte ein erwachsenes Gesicht, verschlossen, streng, eigensinnig. Um den Hals und Nacken hatte er einen Verband, darunter war eine Wunde von einem Tieffliegerangriff.« – Um ihm zu imponieren, behauptet die zwölfjährige Gesine, reiten zu können. Jakob lässt sie auf seinem Fuchs reiten, sie fällt herunter. »Danach ging ich Jakob ein wenig aus dem Weg.« – Später versteckt sie sich vor ihm, weil sie nach ihrer Typhuserkrankung im Sommer 1945 alle Haare verliert.

1018 Gesine zählt die Seen auf, in denen sie gebadet hat: Ihr letztes Bad im Stadtsee von Gneez nahm sie Ende Mai 1953, kurz vor ihrer Ausreise in den Westen. Dabei hat sie sich den Fuß verletzt, »und Jakob nahm mir den zerstochenen Fuß hoch wie einem jungen Pferd, und die Bewegung lief mir durch den Leib nach oben ohne einen Schmerz«. Am 20. August 1968 erinnert sie sich noch einmal an diese Situation und setzt hinzu: »Ich glaub das geschieht einem im Leben ein einziges Mal.« (1891).

1018-1019 Über den für die vierzehnjährige Gesine schmerzlichen Weggang Jakobs aus Jerichow Anfang 1947: »Jakob ging weg aus der Stadt mit Arbeit bei der Eisenbahn, wurde einmal an der Pfaffenteich-Fähre, in Schwerin, fotografiert (in Gesellschaft von Sabine Beedejahn, ev., 24 Jahre alt, verh.). Jakob ging mit Freunden fischen an Seen, brachte Eimer voll lebender Krebse mit aus mecklenburgischen Seen, und ich kannte die Seen nicht, und er ging ohne mich mit Fischern, mit Mädchen, mit Kollegen, und ich kannte fast Jakob nicht.«

1045-1046 Über Bergie Quades Geschichte mit Herrn ›Wassergahn‹ im Juli 1945, bei der Jakob als Übersetzer behilflich ist und bei den Klempnerarbeiten in der sowjetischen Kommandantur assistiert: »Jener Rotarmist, den sie so schlagfertig aufgeklärt hatte über ›Wassergahn‹, kam wieder in ihren Laden, und diesmal mit einem Jungen, einem Flüchtling aus Pommern, den Cresspahl in seinem Haus hielt. Um die siebzehn Jahre, aber kräftig in den Schultern, und er sah Bergie in die Augen, als sei er längst erwachsen, schweigsam obendrein; den konnte sie nicht abschieben, nicht wegreden.« Später lobt sie ihn »für die sachte Genauigkeit, mit der er ihre Anweisungen in Handgriffe umsetzte, wie ein Fachmann im Klempnern«.

1064 Jakob betreibt 1945 Schwarzhandel: Heinrich Cresspahl, nun Bürgermeister und genötigt, den sowjetischen Kommandanten K.A. Pontij mit Wodka zu bewirten, »mußte nicht in eigener Person den Schwarzhandel betreiben, für den er auf seinen amtlichen Anschlägen Strafen anzudrohen hatte, das besorgte Jakob für ihn. Jakob hatte sage und schreibe Markenspirituosen vorrätig, versteckt an einer nie aufgefundenen Stelle im Haus«.

1080-1085 Über die Liebesleiden der zwölfjährigen Gesine und ihre Eifersucht auf Hanna Ohlerich, die Jakob ihr nach ihrer Überzeugung vorzieht. »Jakobs Jahrgang 1928 und der eigene, es kommt immer die gleiche ärgerliche Zahl heraus. Ganze fünf Jahre.« – Von ihrem Versteck im Walnussbaum aus beobachtet sie ein Schwarzhandelsgeschäft zwischen Jakob und Vassarion: »Er hockte da wie Wassergahn, beide mit Blick auf das Obergeschoß der Villa über dem grünen Zaun, offenbar gar nicht mit Handeln beschäftigt, sondern mit Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk. Sie sah da aber eine Faust voll blauweißer Scheine, das Alliiertengeld, keiner in Jerichow wollte das in Zahlung nehmen, Jakob steckte es in den Hemdsärmel. (In den Hemdsärmel.) Nach einer zu langen Zeit reckte Herr Wassergahn sich und stakte auf das grüne Zauntor zu, wo er hingehörte, und Jakob blieb unter dem Baum hocken.« – Hanna Ohlerich fragt ihn zu Gesines Ärger über seine Herkunft aus und danach, ob er in Mecklenburg bleiben will: »Da halten manche Leute die Luft an, bis er sagt: Wi weitn dat nich« [Wir wissen das nicht].

1097 Als Gesine Cresspahl ihre »Haare verloren hatte am Typhus im Sommer nach dem Krieg« und dauernd eine Baskenmütze trägt, läßt er sich aus Solidarität eine Glatze scheren.

1125-1127 Nach Albert Papenbrocks Verhaftung im Juli 1945 macht Jakob auf seinem Weg von Lübeck nach Jerichow einen Umweg über das Gut Alt Demwies, wo Albert Papenbrock als Verwalter eingesetzt worden ist, und holt, ohne mit ihm selbst zu sprechen, Erkundigungen über sein Leben dort ein. So »konnte er Gesine etwas von ihrem Großvater erzählen«.

1192-1193 Über die Flucht Jakobs und seiner Mutter von Wollin nach Jerichow.

1197-1198 Die Argumente, mit denen Jakob seiner Mutter den Wunsch nach einer Siedelung in Mecklenburg auszureden versucht.

1231-1239 Nach Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945 gibt Jakob seine Arbeit in der Landwirtschaft auf und nimmt eine Beschäftigung im Jerichower Gaswerk an, um Cresspahls Rolle als Hausvorstand zu übernehmen. Er tut es nicht gerne und ist mit sich unzufrieden. Er nimmt den in Cresspahls Haus untergebrachten Flüchtlingen Miete ab. Seine Schwarzhandelsgeschäfte betreibt er weiterhin. Die ihm ärztlich verordnete Milch gibt er der Lehrerin aus Marienwerder für ihr Kind. – »Sein Gesicht war kahl geworden, er stellte gern den Blick auf Fernsicht, und doch verlor er wenig von dem vielstimmigen Gerede am Tisch. Manchmal bewegten sich seine Lippen von allein, dann schluckte er ein Lächeln trocken herunter. […] Die anderen sahen Jakob an, daß er zehn Stunden lang im Gaswerk Zement gerührt oder Kohlen geschaufelt hatte, und nahmen ihn vorerst für den Mann im Haus. Jakob war mit sich nicht zufrieden als Vorstand des Haushalts.«

1235 Nach Amalie Creutz‘ Selbstmord schneidet er die Tote von ihrer Drahtschlinge, besorgt »mit Spirituosen Marke Schlegel« einen Sarg bei Tischler Kern in Gneez und fährt sie mit seiner Mutter und Gesine »auf Swensons (Kliefoths) Gummikarren zum Neuen Friedhof«.

1236 Sein siebzehnter Geburtstag am 25.12.1945.

1254 Seine Versuche, mit Hilfe seiner Schwarzhandelspartner Vassarion und Krijgerstam etwas über Cresspahls Verbleib herauszufinden, scheitern. Vassarion und Krijgerstam »waren ihm gefällig; die Frage nach Cresspahl machte ihnen das Gesicht steif. Zu gefährlich. Ansteckend. In den Arrest der Roten Armee wollten sie nicht. Trösten ging an, Mitleid eben. Wo er war blieb Geheimnis. Als wäre er tot.«

1266 Hanna Ohlerich, ebenfalls in Jakob verliebt, sucht (zu Gesines Ärger) seine Nähe, »ging ihm an vielen Abenden hinterher auf den Hof, so daß er seine Einzelhandelsgeschäfte verschob und mit ihr zum Bruch zog«.

1275-1277 Im Sommer 1946 schickt er Gesine und Hanna Ohlerich auf Johnny Schlegels Hof als Erntehelferinnen. Dabei entdecken die beiden Mädchen zu ihrem Kummer seine Liebesbeziehung mit Anne-Dörte. »Wir gingen Anne-Dörte kein Mal nach, wir sahen sie doch auf dem Fußweg zwischen den Kiefern zur See. Manchmal waren bei der Rückkehr ihre Haare naß, Jakobs auch. Wir wußten nun, warum wir kein Bett eigens für Jakob gefunden hatten. In Jakobs Besuchsnächten lagen wir still unter dem Mondlicht von der See her, taten schlafend vor einander; keine ist von den Tränen der anderen aufgewacht, zum Sprechen im Schlaf waren wir zu müde. [...] Eine Gräfin sein wie Anne-Dörte, es stand uns nicht bevor.« – »Jakob sin Voss« steht inzwischen auf Schlegels Hof und verdient seinen Hafer als Reit- und Wagenpferd.

1280-1281 Im September 1946 verhilft Jakob Hanna Ohlerich zur Flucht in den Westen. Er besucht ihre Verwandten in Warnemünde, die über die Ostsee in den Westen fliehen wollen, und verabredet mit ihnen, dass Hanna vor Rande in ihren Kutter zusteigt.

1400-1405 Auch nach dem Auszug aller Flüchtlinge Ende September 1946 ist Jakob »nicht zufrieden mit sich als Vorstand des Haushalts«, weil er wenig über die eigensinnige Gesine vermag, die aufgehört hat, den Pastor Brüshaver zu grüßen, und auch sonst ihre eigenen Wege geht. Das »unbegreifliche Cresspahlkind« betreibt Schwarzhandelsgeschäfte auf eigene Faust und will sich von Jakob nicht in die Verwertung des Weizens hineinreden lassen, den sie im Sommer bei Johnny Schlegel verdient hat. Schließlich lässt sie sich doch auf seine Beratung ein, besteht aber darauf, jeden einzelnen Handel mitzubestimmen. Dabei lernt Jakob, sich auf ihre bessere Kenntnis der Jerichower und der in Gneez umlaufenden Gespräche und Gerüchte zu verlassen. Ihr verdankt er seine Bekanntschaft mit Jöche, einem »Freund bis zum Herbst 1956, so wurde er mit Peter Wulff zusammengebracht, so dauerhaft und unkündbar wie auf Erden möglich«.

1450 Jakob aus der Sicht der vierzehnjährigen Gesine 1947: »Da war Jakob Abs, der Sohn Abs, der nahm sie als die kleine Schwester. Die Zeit, die er nicht arbeiten mußte, hängte er an die Geschäfte, zu allererst jedoch an ein Mädchen, das war nicht zu jung für ihn, ein vor Schönheit nicht träumbares Geschöpf, Anne-Dörte hieß sie. Nicht nur zu ihr ging er weg, auch aus Jerichow schon. Sein Russisch lernte er aus einem Buch der železnodorožnych terminov [Eisenbahnbegriffe], vom Gaswerk machte er sich auf zu einer Lehre bei der Eisenbahn, die würde ihn wegfahren nach Gneez, nach Schwerin und einmal ganz weg aus Mecklenburg.«

1457 Im Frühjahr 1947 besucht er einen Umschulungskurs in Gneez.

1475 Gesine hält es für besser, Jakob nichts von ihrer Deutschlehrerin Bettina Riepschläger zu sagen, denn sie ist hübsch und blond. »Blond, das hatte die Erfahrung gelehrt, war Jakobs Farbe. Im Gegensatz zu dunkleren Tönungen.« 

1477-1478 Erklärt Gesine den Begriff ›Antifaschismus‹, aber Gesine hört nicht richtig zu, sondern betrachtet Jakob: »Wie Cresspahl konnte Jakob die Augen auf Fernsicht stellen. Ihr unterlief unfehlbar wieder, daß seine Schläfen so fest aussahen, die Stirn so ohne Kante eingebogen war in den Schädel.« Seine Haare bilden kurz nach dem Scheren schon wieder einen Pelz. »Auch wurde sie nicht fertig mit der kleinen Faltenverschiebung in seinen Augenwinkeln, die sah so straff aus, so lebendig, als wüßte er von sich jede Bewegung. Dann hatte sie unordentlich zugehört.«

1479-1481 Als der (als Kriegsverbrecher gesuchte) Robert Papenbrock 1947 unverhofft in Cresspahls Haus auftaucht, hilft Jakob Gesine dabei, den ungebetenen Gast aus dem Haus zu werfen.

1513-1514 Im Mai 1948 erzählt Johnny Schlegel dem aus dem Lager zurückgekehrten Heinrich Cresspahl »vom Vorstand des Cresspahlschen Hauses, von Jakob. Der lerne auf dem Bahnhof von Gneez das Zusammenkuppeln von Güterwagen, dennoch wolle er seinen Fuchs nicht verkaufen. Ob Cresspahl da mal mit ihm reden könne von Mann zu Mann.« – Anne-Dörte ist inzwischen in den Westen nach Schleswig-Holstein gegangen und hat von dort eine Verlobungsanzeige geschickt (vgl. auch 1551 f.).

1525 Jakob besorgt bei Bürgermeister Knewer eine Lebensmittelkarte für den aus dem Lager entlassenen Cresspahl und schildert zu Hause Knewers Reaktion: »Jakob, weißt du, wenn er erzählte, konnte von einem Lachen in der Kehle überrascht werden, als täte er zu seiner Lustigkeit noch den Spaß dazu, den er dem Zuhörer machen wollte. An Jakob war sehr zu sehen, wenn er sich freute.«

1526 Der von der Haft gezeichnete Cresspahl geht mit Jakob »vorsichtig um; bei dem glaubte er sich in einer Schuld, die schwer zu entgelten war«. Aber mit ihm »konnte Cresspahl viel besser sprechen; Jakob war der geschicktere Arzt«.

1573 Gesines Erinnerung: »Von Jakob habe ich das Bewußtsein seiner Nähe, seine Stimme, seine gelassenen Bewegungen«.

1586 Kurz nachdem Gesine und Pius Pagenkopf sich angefreundet haben und als ein Paar gelten (Januar 1949), prüft Jakob den Freund seiner ›kleinen Schwester‹: »Jakob gedachte ich diesen Pius fernzuhalten (wurde ich ihm doch untreu, auch wenn er es nun einmal mit anderen Mädchen hielt). Es vergingen wenig Wochen, da sah ich Pius im Gespräch mit ihm, den vornehmen langen Jungen in höflicher Haltung vor dem untersetzten Kerl im speckigen Päckchen der Eisenbahner. Jakob hat in allen Stücken die Hand über mich gehalten.«

1601 Der »Heide« Jakob überrascht Gesine, die sich von der Kirche abgewandt hat, mit Bibelkenntnissen: »Es kann die Heidin schlecht im Frieden leben, wenn anderen Heiden das mißfällt. Seht diesen Jakob an, der eine eingeregnete Katze mitbringt ins Haus und das triefende Bündel am Nacken vor sich hält, bis er es endlich fallen läßt mit dem Befund: Naß wie ein Jonas! und erst dann merkt er Cresspahls Gesine warten und überblickt sie obenhin, müßig, als ginge ihr die Kenntnis von biblischen Walfischen ab.« Im Oktober 1948 wird Gesine im Pastorat »vorstellig um eine zweite Zulassung für den Unterricht zur Konfirmation. Auf daß sie des Einverständnisses ihrer Älteren abermals teilhaftig werde. Das gefallsüchtige Kind.« – Jakob und seine Mutter gehören den Altlutheranern an (vgl. auch 1402).

1602 Jakob besorgt dem um einen Raum für den Konfirmandenunterricht verlegenen Pastor Brüshaver einen Eisenbahnwaggon, in dem der Unterricht fortan stattfindet.

1654-1655 Nach Gesines »Badeanzug-Affäre« mit Bettina Selbich im Mai 1950 sorgt Jakob mit Jöches Hilfe dafür, dass Bettina Selbich bei Reisen in der Eisenbahn mit Schikanen bedacht wird. Zu dieser Zeit besucht er die Lokführerschule in Güstrow.

1662-1663 Sein von Gesine erhoffter Besuch zu Pfingsten 1950 bleibt aus: »Eine fotografische Ansicht schickte er, privat gefertigt, im Format einer Postkarte. Ein langer Badesteg war da zu sehen, mit Turmstuhl für Lebensretter vor dem Inselsee von Güstrow, Booten im Wasser. Grüße von einem erweiterten Lehrgang übersandte Jakob. Wenn er log, so doch lediglich zu anderer Leute Bequemlichkeit. Ein Lehrgang hat Pausen. In Pausen kann man mit einem Mädchen Boot fahren. Dafür hatte Gesine Cresspahl nun die Pfingstsonne von Jerichow ausgehalten, in ihrem besten Kleid, bloß für Feiertage, und gewonnen hatte sie lediglich Sonnenbrand an den Knien.«

1676 Beim Verhör der Schüler nach der Flugblattaktion in der Woche nach Pfingsten 1950 wird Gesine auch über Jakob Abs verhört. Der Stasi-Offizier Lehmann weiß über ihn: »Nach vorzüglichem Abschluß der Lokomotivführerschule Güstrow Meldung zu einem Lehrgang in Grundlagen der materialistischen Dialektik.«

1689-1690 Zu dem erstmals seit 1937 in Cresspahls Haus wieder begangenen Silvesterabend 1950 bringt Jakob Krebse mit. Bei den Vorbereitungen in der Küche ist Gesine abgelenkt, denn »am Fenster führte Jakob ihr eine halbe Stunde lang vor, wie ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren sich rasiert zur Feier eines Abends«. – Jakob spricht von seiner Unzufriedenheit mit seinem Beruf: »Ick smit dat hen. Disse Loks, disse utleierten Strecken, dissn Signålsalat, dor führ de Düvel« [Ich schmeiß das hin. Diese Loks, diese ausgeleierten Strecken, dieser Signalsalat, da soll der Teufel fahren].

1703 Jakobs weiterer beruflicher Weg: »Jakob hatte in der Tat nur noch ein paar Lokomotiven bewegt, war strafversetzt gewesen auf Blockstellen zwischen Gneez und Ludwigslust, diente sich inzwischen hoch auf Lehrgängen in Dresden, an der Verkehrstechnischen Hochschule«.

1752-1753 Um Gesines guten Namen zu verteidigen, schlägt Jakob sich für sie im Sommer 1951 auf der Stalinstraße in Jerichow und sitzt dafür »achtzehn Tage im Keller unterm Landgericht Gneez, wegen Körperverletzung«, während Gesine für vier Wochen zu den Niebuhrs nach Wendisch Burg geschickt wird.

1755 Gesine in einem Telefongespräch mit Anita Gantlik am 7. August, einen Tag nach der Nachricht von D.E.s Tod: »Im Augenblick ist gerade das Schlimmste, daß D.E. von Jakob doch wußte. Daß ich einzig mit dem hab leben wollen, und ihn noch bei mir habe.«

1797-1799 Nach Gesines Verhaftung im Zusammenhang mit Dieter Lockenvitz' Briefaktion spricht Jakob am 3. Januar 1952 »vor beim Volkspolizeikreisamt Gneez wegen eines Verbleibs von Cresspahls Tochter und durfte gelassen sprechen, dort aktenkundig als ein gewalttätiger Mensch« (vgl. 1753). Da er dort nichts erreicht, geht er zur Gneezer Kommandantur, wo man eine Gesine Cresspahl nicht zu kennen vorgibt. »Die Tür zum Empfangszimmer war angelehnt, Cresspahls Tochter konnte Jakob deutlich vernehmen, bis er sich verabschiedete mit dem mißmutigen Gehabe eines Bürgers, der wollte was nachsehen, nun sind ihm selber die Personalien überprüft. [...] Solange Jakob im Vorraum stand, fiel der Häftlingin Cresspahl das Atmen schwer, wegen der behandschuhten Pfote, die ihr über den Mund gelegt war.« – Als sie nach zehn Tagen »am 12. Januar abends zurückkam in Cresspahls Haus, bekam sie eine Umarmung von Jakob; wie er sich darauf verstand, als sei ihm das eine Gewohnheit mit ihr«.

1807-1811 Hält sich im Herbst 1955 in Olmütz auf, wo er »die Betriebstechnik des Dispatchens einübte«. Wohnung bei Feliks und Tonja und ihren beiden Töchtern.

1834-1835 Besucht Gesine Cresspahl in ihrem ersten Herbstsemester 1952 in Halle, um den auf sie angesetzten Stasi-Spitzel zu vertreiben. Tritt in der Sonntagsuniform der Deutschen Reichsbahn auf. »Wat min grotn Brauder is, de hett Nœgel ünne de Schauh.« [Was mein großer Bruder ist, der hat Nägel unter den Schuhen.]

1835-1836 Während eines Essens bei Pottel & Broskowsky in Halle spricht Gesine mit ihm über ihren Wunsch, in den Westen zu gehen. Er nickt dazu, bittet sie aber, den Abschied ein Vierteljahr zu überdenken.

1843-1844 Nach der Auflösung von Johnny Schlegels Kommune wird »Jakob sin Voss« im Mai 1953 getötet. Gesine zu Marie: »Es ist eine Geschichte ... wie die von Kleinkindern, die in eine Wassertonne fallen« (Regentonnengeschichten).

1845 Als Gesines Ausreisewunsch feststeht, besorgt Jakob »der Studentin Cresspahl einen Freifahrtschein zur Reise an die Universität Halle, statt über Stendal ausgeschrieben für die Strecke: Gneez-Güstrow-Pritzwalk-Berlin. [...] er hatte sich ausgedacht, daß im Juni die Morgende hell sind, Sonnenlicht tanzt in den Wäldern, die Seen blinken bei Krakow und Plau; das sollte sie zum Abschied sehen. Erst als ein Schaffner ihr den Schein mit braunem Querstrich und Reichsbahnstempel zurückgab wie einer Kollegin, ging ihr auf: Jakob hatte sie mit einer Rückfahrkarte ausgestattet.«

1866-67 Jakobs Besuch bei Gesine in Düsseldorf. »Was der Wohnung noch fehlte, als Jakob nach Düsseldorf kam, hat er verputzt, angeschraubt, verklebt, lackiert. Für Jakob leistete ich mir eine gelbseidene Bluse mit locker hängendem Kragen [...], obgleich ich wußte: es ist an ihn verschwendet; der sieht mir ins Gesicht.« Jakob lässt sich ihr Lebensumfeld zeigen, macht reserviert Bekanntschaft mit dem westlichen Lebensstil, kocht ihr heimatliches Essen.

1867-1868 Jakobs Tod: »Fährt zurück an die östliche Elbe, geht bei Morgennebel über ein Gleisfeld, das verwaltet er seit zwei Jahren, wird von Zugbewegungen erfaßt, stirbt unter dem Messer. Das Begräbnis hat Cresspahl ausgerichtet. Frau Abs und seiner Tochter gab er erst Bescheid, als Jakob unter der Erde war. Das war für die eine gesund; für die andere ein Schaden. Die eine hat versäumt, sich umzubringen. Sie wünschte erst klar Schiff zu machen, reinen Tisch. Das ist so eingerichtet, damit jemand überlebt. Als der Selbstmord mir verboten wurde [durch die Schwangerschaft], war er beinahe vergessen.«

Vgl. auch 9. 138. 315. 563. 814. 987. 1008. 1117. 1119. 1161. 1194-1196. 1214-1215. 1269. 1270-1272. 1279. 1324. 1342. 1352. 1434. 1436. 1437. 1474. 1527. 1530. 1533. 1535. 1550. 1551. 1552. 1560. 1568. 1578. 1588. 1590. 1599-1600. 1621. 1653. 1658. 1685. 1686. 1688. 1773. 1796. 1804. 1828. 1829. 1869. 1871. 1882. 1889. 1891.

Mit der Lokalisierung von Jakob Abs' Geburt »in einer Inspektorwohnung bei Crivitz« (1193) ist Johnson offenkundig ein Fehler unterlaufen, denn sie widerstreitet allen übrigen Angaben, die Jakobs Herkunft aus Hinterpommern bestätigen und seine Geburt in einem Dorf an der Dievenow, einem Mündungsfluss der Oder, verorten (1083). Bei Crivitz, einem Ort in der Nähe von Schwerin, hatte einst Albert Papenbrock ein Gut gepachtet (525). – Jakob Abs ist die Hauptfigur von Johnsons Debütroman »Mutmaßungen über Jakob« (1959).

Abs, Marie

Mutter von Jakobs Abs. Siebtes Kind eines Bauern in der »griesen Gegend« in der Nähe von Eldena, geb. 1890. Witwe von Wilhelm Abs, zuletzt Inspektor des Boninschen Gutes auf der Insel Wollin. Großmutter von Marie Cresspahl. Sie kommt mit ihrem Sohn Jakob und einem Pferdegespann im letzten Kriegswinter von der Insel Wollin als Flüchtling nach Jerichow. Heinrich Cresspahl nimmt Mutter und Sohn bei sich am Ziegeleiweg auf. Sie vertritt Mutterstelle an Gesine. Geht im Herbst 1956 in den Westen. Gestorben in Hannover.

140 Sie hilft im Oktober 1945, Amalie Creutz zu begraben (vgl. auch 1235). Ihr eigenes Grab in Hannover »lebt von automatischen Bank-Überweisungen«.

302 Die Lebensgefährtin von Professor Kreslil, Jitka Kvatshkova, erinnert Gesine Cresspahl manchmal an Frau Abs: »Es ist auch vorgekommen, daß sie unseren Arm berührte und mit betrübtem Kopfschütteln unsere Müdigkeit beklagte, so daß wir zurückkommen zu Jakobs Mutter, die Cresspahls verschlafenes Kind morgens in der Finsternis an den Schulzug brachte.«

945 In ihrem Brief vom März 1968 an Gesine schreibt Leslie Danzmann: »Und du hattest die Frau Abs, das ist wohl deine Mutter geworden. Ich wollt nur, daß du einmal weißt, ich wär es auch gern gewesen. Nicht Cresspahls wegen, deinetwegen.«

994 Als Gesine und Hanna Ohlerich im Sommer 1945 an Typhus erkranken, verlässt Cresspahl »sich darauf, daß Frau Abs sie mit ihren Schrotsuppen am Leben hielt und womöglich kurierte. Es war das Gesicht von Jakobs Mutter, das ich in diesem Sommer über mir sah, hager, trocken, schmaläugig; verzweifelt, wenn wir zum Essen zu schwach waren.«

1021 Marie hat ihre Großmutter »noch gesehen, aber Frau Abs wollte allein leben, und nicht in unserer Nähe sterben; wenn da Erinnerung ist an eine Großmutter, Marie erwähnt sie nicht«.

1192 Im Winter 1945, nach Cresspahls Verhaftung, wünscht Gesine, »die beiden Abs würden nicht weiterziehen. Jakob sollte bleiben; Jakobs Mutter sollte bleiben. Sie hat mir das Essen gekocht und hat mir gezeigt wie man es machen muß mit dem Haar, sie hat mir geholfen in der Fremde. Ich weiß den Abend, an dem ich die Hände auf dem Rücken behielt, – Gesine: sagte sie, berührte leicht und höflich meine Schulter mit ihrer rauhen harten Hand; ich weiß ihr halblautes schleuniges Reden. Ich weiß ihr Gesicht; das ist lang und knochig und in den schmalen trockenen Augen schon sehr entlegen zum Alter hin, ich habe eine Mutter gehabt alle Zeit. Alle Zeit.«

1192-1199 Frau Abs »glaubte sich am falschen Ort in Jerichow, im falschen Haus obendrein«, sie fürchtet, ihr aus dem Krieg heimkehrender Mann werde sie dort nicht finden. – Rückblick auf ihre Flucht mit Jakob von der Insel Wollin. – Ihre Herkunft: Sie stammt aus der Gegend um Eldena, von einem »Hof in der griesen Gegend, das siebte Kind, die unbezahlte Magd«. Als Wilhelm Abs, »ein Studierter vom Neuklosterschen Seminar«, sie heiraten wollte, trennte sie sich »nicht im Frieden von ihrer Familie«, und obwohl sie deshalb nicht zu ihrer Familie zurückgehen kann, nimmt sie an, dass ihr Mann sie bei Eldena suchen würde. – Während Wilhelm Abs in Brasilien war, hat sie »gehorsam in Hamburg den Beruf des Kochens gelernt«, da war sie 30 Jahre alt, und als Jakob geboren wurde, war sie schon 38 Jahre.

Das Leben in Cresspahls Haus und in Jerichow aus ihrer Sicht. Um die Unterkunft zu entgelten, hält sie Cresspahls Haus in Ordnung und regelt das Verhältnis der vielen Flüchtlinge im Haus. »Die Gäste in Cresspahls Haus, sogar die Lehrerin aus Marienwerder, fügten sich der großen hageren Frau, die so still blicken, so gleichmütig bestimmt sprechen konnte, sie hatte am Ende den Hausherrn im Rücken, auch war sie vor den meisten dagewesen.« Sie zeigt Gesine und Hanna Ohlerich, wie man saubermacht und Fenster putzt. »Es gab Arbeit in Cresspahls Haus, damit war Frau Abs zufrieden. Sie konnte den Kindern die Schrammen von den Weizen-und Rapsstoppeln einsalben, die dickbeuligen Furunkel mit Ichthyol behandeln, ihnen zur Arbeit um ein Winziges dickere Kreudebrote mitgeben; die Kinder schienen manchmal ein Grund zum Bleiben.«

Nachdem sie von der geplanten Bodenreform gehört hat, möchte sie mit Jakob eine Bauernstelle gründen, aber Jakob wehrt ab. Als Cresspahl von der Möglichkeit spricht, mit ihr und Jakob zusammen zu siedeln, ist sie empört über solchen »Antrag« und darüber, dass Jakob sie von Arbeit verschonen will. Um zu beweisen, dass sie noch nicht zu alt ist, nimmt sie eine Halbtagsarbeit als Köchin im Krankenhaus an.

1215 Sie hat zeitlebens nicht an den Tod ihres Mannes glauben wollen.

1231 Nach Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945: »Wären nicht Gesine und Hanna Ohlerich gewesen, sie hätte wohl ihre Sachen gepackt und Zuflucht gesucht, wo Jakob arbeitete, zwei Stunden von Jerichow, wo sie nicht bekannt war als Wirtschafterin eines Bürgermeisters, den hatten die Russen abgeholt.«

1235 Im Oktober 1945 helfen Jakob und seine Mutter Gesine zuliebe, Amalie Creutz zu begraben, die sich nach Vergewaltigungen durch Rotarmisten erhängt hat.

1251 Als Gesine Cresspahl am Ferienwochenende mit Amanda Williams, Naomi und Clarissa Prince im Juni 1968 einen Braten zubereiten soll, entsinnt sie sich des Kochunterrichts bei Frau Abs.

1266 Hanna Ohlerich »war gleich zu ihr übergelaufen, doch nur zu einer Person; ähnlich wie eine Mutter, von der sie Trost erwartete, Hilfe«.

1401 Das Leben in Cresspahls Haus nach dem Abzug der Flüchtlinge Ende September 1946.

1450 Gesine wünschte sich die »Frau von der Insel Wollin« als »Mutter für alle Zeit«.

1462 Aus Gehorsam gegen Frau Abs geht Gesine 1947 in die Tanzstunde.

1535 Bei der Währungsreform machen alle im Haus sich Sorgen um Frau Abs, weil sich herausstellt, dass sie den Siedlerhof, den Jakob ihr abgeschlagen hatte und den sie »bloß wünschte, um ihren Mann mit etwas empfangen zu können«, wegen der Abwertung der Kredite nur noch bis 1955 (statt bis 1966) hätte abzahlen müssen. – Die Erinnerung an ihren Mann »ertrug sie nur allein in ihrem Zimmer, blicklos betend, ohne daß Tränen ihr halfen«.

1601 Sie gehört dem altlutherischen Bekenntnis an. Einmal im Monat geht sie zum altlutherischen Gottesdienst in Gneez oder Wismar (1605).

1604 Wird zusammen mit Anita Gantlik Patin von Brüshavers Nachzügler Alexander.

1688-1689 Beantragt im Dezember 1950 einen Interzonenpaß für Bochum. Da wohnte »ein Rest Familie von Wilhelm Abs. Bei Absens schrieb man sich allerhöchstens zu Todesfällen, bei Geburten dergleichen, zwei Wochen danach; zwar war sie alt, an die gefürchtete Nachricht wollte sie so nahe wie sie vermochte.«

1690 An Silvester 1950 bittet Cresspahl sie: »Bliwen Se man bi uns, Fru Abs.« [Bleiben Sie man bei uns, Frau Abs.]

1703 Im März 1951 bekommt sie einen abschlägigen Bescheid zu ihrem Antrag auf einen Interzonenpass.

1751 Marie Cresspahl ist nach ihrer Großmutter benannt.

1829 Als Gesine zu ihrem ersten Herbstsemester 1952 nach Halle geht, bekommt sie von »Jakobs Mutter eine Bibel, mit der Inschrift auf dem Vorsatzblatt: 1947 eingetauscht für einen Hasen; Gottes Segen für G. C. in der Fremde.«

1844 Als Gesine 1953 in den Westen gehen will, redet sie eine Nacht lang mit ihrem Vater und Frau Abs. »Einer alten Frau hab ich Angst bereitet.«

1870-1871 Sie geht 1956 in den Westen. »Frau Abs fürchtete sich nun vor einem Jerichow, da kann ein Herr Rohlfs mit dem Abzeichen der Staatssicherheit sie beiseite nehmen und befragen wegen einer Gesine Cresspahl; die blieb in Hannover. [...] Wollte allein leben und sterben und ist begraben hinterm Schloß in Hannover.«

Vgl. auch 1008. 1080. 1100. 1160. 1214. 1233-1235. 1342. 1401. 1436. 1437. 1447-1448. 1474. 1479. 1481. 1490. 1526. 1530. 1533. 1560. 1585. 1596. 1600. 1603. 1613. 1619. 1653. 1689. 1742. 1868.

In »Mutmaßungen über Jakob« (1959) lautet ihr Vorname Gertrud (M 35). – Mit der Lokalisierung von Jakob Abs' Geburt »in einer Inspektorwohnung bei Crivitz« (1193) ist Johnson offenkundig ein Fehler unterlaufen. Auf einem Gut bei Crivitz war Albert Papenbrock einst Pächter. Jakob ist in Hinterpommern, in einem Dorf an der Dievenow, einem Mündungsfluss der Oder, geboren (1083 u.ö.).

Abs, Wilhelm

Ehemann von Marie Abs, Vater von Jakob Abs. Landwirt aus Pommern, geboren im Juli 1889, verschollen als Soldat im Zweiten Weltkrieg. 

1192 »Als er aus dem Wehrmachtsgefängnis Anklam entlassen und an die ostpreußische Front in Marsch gesetzt war, hatte er einen heimlichen Umweg über die Dievenow gemacht, für zwei Stunden in der Nacht auf dem Bonnschen [recte: Boninschen] Hof, für das mündliche Testament.«

1193 War, als er um Marie anhielt, »Prüfer des Milchkontrollverbandes, ein Studierter vom Neuklosterschen Seminar«.

1214-15 Was Gesine über Wilhelm Abs weiß: »Seminar in Neukloster, Brasilien in den zwanziger Jahren, Inspektorstellen in Mecklenburg und Pommern, die Ziehung zur Wehrmacht 1943, das Gefängnis«; den Grund für die Gefängnisstrafe kennt sie nicht. Seinen Vornamen und seinen Geburtsmonat (Juli) weiß sie nur aus seinem Testament.

1535 Um ihn »mit etwas empfangen zu können«, hätte Frau Abs gern einen Siedlerhof gekauft.

Ackermann, Anton

Deutscher Politiker, 1905-1973. Kommunist. Theoretiker eines eigenen Weges des deutschen Sozialismus.

1374 Im Februar 1946, so erzählt Gesine ihrer Tochter, habe er »an die Deutschen« geschrieben, dass sich in einem deutschen Sozialismus die »starken Besonderheiten / der historischen Entwicklung / unseres Volkes, / seine politischen und nationalen Eigenheiten, / die besonderen Züge / seiner Wirtschaft / und seiner Kultur / außerordentlich stark ausprägen« werden.

Adenauer, Konrad

Deutscher Politiker, 1876-1967. Erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963.

116 Bei der Steuben-Parade am 23. September 1967 trägt, wie die New York Times berichtet, einer der »ungefähr 40 Festwagen in der zweistündigen Parade [...] ein großes Porträt des verstorbenen Kanzlers Dr. Konrad Adenauer, des ›Architekten der Deutsch-Amerikanischen Zusammenarbeit‹«.

Vgl. auch 1819.

Agnolo, Mrs.

61 Typistin im Schreibzentrum der New Yorker Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet. Ihr Sohn ist Soldat in Vietnam und hat am 7. September 1967 noch vier Monate zu dienen.

422 »Ihr Sohn ist in Saigon als Flieger stationiert, und sie zählt jeden Tag seines Dienstjahres in Viet Nam [...]. Sie zieht sich so jung an wie die Mädchen, mit denen sie in unserem Schreibbereich arbeitet [...], aber wer das mit ihrem Sohn weiß, sieht ihr Alter, daß die Schminke nicht sitzen will.«

Vgl. auch 696. 1543.

Ahlreep (Uhren-Ahlreep, Mining, Frau Uhren-Ahlreep)

Uhren- und Schmuckgeschäft in Jerichow.

691 Bei Uhren-Ahlreep lässt Lisbeth Cresspahl ein goldenes Fünfmarkstück als Brosche einfassen, obwohl alte Goldstücke eigentlich bei der Reichsbank abgeliefert werden müssen.

1062-1063 Nach dem Krieg reißen Rotarmisten Gesine den Schmuck vom Hals, müssen ihn aber auf K.A.Pontijs Befehl zurückgeben. »Cresspahl ging sich bedanken bei Uhren-Ahlreeps, weil die den versteckten Besitz nicht angezeigt hatten«.

1280 Im Sommer 1946 werden Frau Uhren-Ahlreep, Pastor Brüshaver, Leslie Danzmann, Peter Wulff und Dr. Kliefoth für einige Stunden festgenommen und verhört. Der Zweck dieser Aktion bleibt undeutlich. Eine der Fragen, die ihnen gestellt werden, deutet darauf hin, dass die Sowjets Cresspahl in einen Zusammenhang mit Waffengeschäften des Geheimrats Hähn in den zwanziger Jahren bringen möchten.

1329 »Kam einer von den Deutschen sich beschweren [bei den beiden neuen Stadtkommandanten von Jerichow, den Herren Wendennych], Mining Ahlreep, und wußte nicht Vor- und Vatersnamen jenes freundlichen Sowjetmenschen, der ihr die Uhrattrappe vom Giebel geschossen hatte, so kam die Verleumderin ohne Verhandlung für eine Nacht in die Keller unter dem Rathaus, damit ihr der Name einfiel.«

1357 Uhren-Ahlreep wird Mitglied der neu gegründeten Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands.

Albert und Maurice

Zwei der bei Cresspahl einquartierten französischen Kriegsgefangenen.

985-986 Im Frühjahr 1945 übt Gesine mit ihnen »das verbotene Lied« ein: »Es geht alles vorüber, / Es geht alles vorbei: / Im März geht der Hitler, / Im Mai / Die Partei –.«

1001 Beide werden im Sommer 1945, zusammen mit einem dritten französischen Kriegsgefangenen, von den Briten nach Lübeck gebracht. »Sie verabschiedeten sich nicht von dem Cresspahlschen Kind, und sie war enttäuscht, als sie andere Leute in dem Zimmer fand. Die beiden hatten ihr beigebracht, die Tageszeiten in ihrer Sprache zu bieten. Sie hatten zusammen gesungen. Das Kind hatte geglaubt, da sei nicht Feindschaft, nicht mit ihr.«

1097 Maurice hinterlässt Gesine ein »Erbstück«: Die Baskenmütze, unter der sie im Sommer 1945 ihren vom Typhus haarlosen Kopf versteckt.

Allen, Mrs.

181 Präsidentin des Anglo-German Circle von Richmond, dessen Weihnachtsfeier Heinrich und Lisbeth Cresspahl 1931 besuchen.

193 Cresspahl richtet der nach Jerichow zurückgekehrten Lisbeth Grüße von ihr aus.

Alt Demwies, Gut

1125-1127 Gut im ehemaligen Fürstentum Ratzeburg, nach 1945 »Sowjetgut«, auf dem der siebenundsiebzigjährige Albert Papenbrock von 1945 bis 1950 als Verwalter eingesetzt wird. Kommandanten des Gutes sind zu diesem Zeitpunkt die Herren Wendennych, die späteren Kommandanten von Jerichow.

1459 Der Dichter Joachim de Catt (alias Joe Hinterhand) wurde als Tagelöhnerkind auf Gut Demwies geboren. 

Vgl. auch 1396. 1723. 1796. 1840.

Alt Gaarz

Früherer Name des Ostseebades Rerik.

928-929 Vor der Reise nach Rerik in die Ferien mit den Niebuhrs im Sommer 1943 schärft Heinrich Cresspahl seiner Tochter ein, »ältere Leute nicht nach ›Rerik‹ zu fragen, sondern nach ›Alt Gaarz‹, wie die Siedlung geheißen hatte, bevor die Nazis sie 1938 zur Stadt erhoben und mit dem neuen Namen erinnern wollten an eine verschollene Handelsstadt, von der nur ein paar Trümmer übrig waren«.

Zur Umbenennung des Ortes vgl. Jahrestage-Kommentar zu 928,39.

Alt Strelitz

869 Aus Alt Strelitz, auch »Olden Mochum« genannt »wegen der ehemals zahlreichen Juden in Alt Strelitz«, stammt Bürgermeister Eduard Tamms.

968 In der Nähe von Alt Strelitz liegt die Comthurey, ein Konzentrationslager.

Alte, Der

1622-1623 Ein Emigrant »aus karelischen Landen«, den Anita Gantlik heiratet, nachdem Gesine ihn ›geprüft‹ hat. Er »will lediglich ›der Alte‹ heißen«.

Althagen

Dorf auf dem Fischland am Saaler Bodden. Hier steht das Ferienhaus der Paepckes, mit denen Gesine 1939, 1942 und 1944 ihre Ferien verbringt. In Althagen leben Ille, Malchen Saatmann, Inge Niemann und Bauer Niemann.

9 Gesine erinnert sich an die Ferien mit den Paepckes in Althagen im Sommer 1942.

841 Ferien in Althagen im Sommer 1939, mit denen Gesines mehr als halbjähriger Aufenthalt bei den Paepckes in Podejuch (nach Lisbeths Tod) endet.

879-886 Ferien mit den Paepckes und Klaus Niebuhr in Althagen im Sommer 1942. Das Ferienhaus der Paepckes ist »ein langer Ziegelkaten unter einem Rohrdach« mit einem Fledermausfenster im Dach. Alexander Paepcke hat hier seit seinem sechsten Lebensjahr seine Ferien verbracht. »Das Haus hatte ein Großonkel Alexanders schon um 1902 gekauft, von einem Maler, der an den Katen ein Atelier angebaut hatte.« Das Wasser holen die Paepckes aus dem Brunnen auf dem Hof. »So klares Wasser habe ich nie wieder gesehen.« Das Haus ist mit ausrangierten Möbeln aus Alexander Paepckes Haushalt möbliert. »In allen Zimmern standen Blumen. In jedem Zimmer konnte ein Kind allein sein.« Ende Juli kommt Heinrich Cresspahl, Gesine fährt mit ihm nach Hause nach Jerichow.

951-956 Die letzten Ferien der Paepckes in Althagen im Sommer 1944. Alexander bringt seine Familie und Gesine hin und muss gleich am nächsten Morgen fort. »Heute weiß ich, daß die Ferien von anderer Art waren.« – Das Ferienidyll trügt: »Nicht weit von Althagen, auf der anderen Seite des Saaler Boddens, war das Konzentrationslager Barth. [...] Wir wußten es nicht. Hilde Paepcke ist mit uns nach Barth gefahren, über die Drehbrücke, damit wir die Stadt ansahen. Wir haben nichts gesehen. Die Bahnstrecke, auf der Cresspahls Kind zum Fischland kam, passierte Rövershagen. In Rövershagen war ein Konzentrationslager, dessen Häftlinge für die Ernst Heinckel [recte: Heinkel] Flugzeugwerke A.G. arbeiten mußten. Heute weiß ich es.«

1001 In einem Brief, den Alexander Paepcke im Juni 1944 wenige Monate vor seinem Tod aus Kiew an Cresspahl schreibt, verspricht er Gesine einen Anteil am »althäger Haus für den Fall, daß er es erben würde«. Er entspricht damit einer losen Verabredung mit Cresspahl, der ihm im Sommer 1942 aus ernsten finanziellen Schwierigkeiten geholfen hat (vgl. 885).

1489-1496 Im Sommer 1947 reißt Gesine von zu Hause aus und fährt nach Althagen. Das Haus ist von Fremden bewohnt. Sie geht ein paar Katen weiter zu Ille, beide »erschraken vor einander fürchterlich«. Ille nimmt sie auf und lässt sie bei sich arbeiten »für Tisch und Bett«. Die Feriengäste sind nun vorwiegend ›artige Intellektuelle, denen »die Regierung der sowjetischen Zone eine Spielwiese hergerichtet« hat. Ihnen »wurde das Fischland zugeteilt wie eine Medizin«. Für Gesine ist es der letzte Aufenthalt auf dem Fischland. Die Erinnerung an die Paepckes und die Ferientage mit ihnen stellt sich ihr nicht mehr her. Dennoch steht für sie fest: »Das Fischland ist das schönste Land auf der Welt«.

1526 Alexander Paepckes Tante Françoise, Angehörige des Mecklenburgischen Landtags, bekommt das Paepckesche Haus in Althagen wieder zugesprochen.

Altmann, Muschi

Frau von Jakobs Freund Jöche. Nach Jakobs Tod ziehen beide zu Heinrich Cresspahl (1871).

121 Heinrich Cresspahl: »Wenn Jöche aufwacht, schickt er seine Frau nach mir sehen. Ob ich wohl lebe.«

Alvensleben, Frau von

1274-1275 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.

1841 Wird aus den Erlösen der Kommune abgefunden »für ihren Anteil, als ihre Kinder sie nach auswärts baten in die Pflichten einer Großmutter; das Geld kam zurück auf der Stelle«.

Anne-Dörte

Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«, eine Zeit lang Freundin von Jakob Abs. Geht in den Westen zu ihrer »gräflichen Verwandtschaft« in Schleswig-Holstein.

1274-1276 Auf dem Hof gibt sie sich als Johnnys Patentochter aus. Gesine und Hanna Ohlerich, beide in Jakob verliebt, beäugen sie während ihrer Ernteferien auf Johnny Schlegels Hof im Sommer 1946 eifersüchtig. »Anne-Dörte war neunzehn, so hübsch hatten wir noch keine gesehen, so würden wir nicht werden«. Wenn Jakob zu Besuch auf Johnny Schlegels Hof kommt, bleibt Anne-Dörtes Stuhl beim Abendbrot leer. »Wir gingen Anne-Dörte kein Mal nach, wir sahen sie doch auf dem Fußweg zwischen den Kiefern zur See. Manchmal waren bei der Rückkehr ihre Haare naß, Jakobs auch. Wir wußten nun, warum wir kein Bett eigens für Jakob gefunden hatten.« In schlaflosen Nächten »drehte ein Gedanke sich um sich selbst, kam unverändert wieder: Eine Gräfin sein wie Anne-Dörte, es stand uns nicht bevor.«

1437 Die 13-jährige Gesine ist überzeugt: »Solche Liebschaften sind fürs Leben. Es gab keinen Zweifel. Wenn Anne-Dörte nach Schleswig-Holstein gerufen wurde, ging Jakob ihr auch dahin nach.«

1513 Im Mai 1948 weiß Johnny Schlegel dem zurückgekehrten Cresspahl zu erzählen, dass Jakob hier mit einer Anne-Dörte »zu Gange« war, »bis sie ihre gräfliche Verwandtschaft in Schleswig-Holstein vorzog«.

1551-1552 Bei ihren letzten Ernteferien auf Schlegels Hof im Sommer 1948 steht auf dem Radio die Verlobungsanzeige von Anne-Dörte aus Holstein, »richtig mit einer Grafenkrone und auf Bütten«. Die fünfzehnjährige Gesine »glaubte nun besser zu wissen, wie es ist mit der Liebe«. Sie ist »ein Unglück. Wen man sich wünscht, dem genügt man nicht, wer mitkommen soll, will zurückbleiben, und wer das angesehen hat, spricht davon als einem Trauerfall.«

Vgl. auch 1450. 1475. 1477.

Arado-Werke

Raketen- und Flugzeugfabrik während des Zweiten Weltkriegs in Gneez-Brücke.

935 Wenn die Fahrschülerin Gesine Cresspahl versehentlich einen früheren Zug als sonst zur Schule nach Gneez erwischt, fährt sie »zusammen mit vielen schlafenden Männern, die wie im Traum in Gneez-Brücke ausstiegen, zu den Arado-Werken. Sie kamen mir vor wie eine versteckte Armee«.

1377 Der junge Kommunist Gerd Schumann rechtfertigt die Demontagen nach Kriegsende damit, »daß die Arbeiter bei Heinkel und Arado Kriegsflugzeuge gebaut haben«.

1416-1419 In der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1946 werden ehemalige Mitarbeiter der Arado-Werke in die Sowjetunion umgesiedelt. »Die Arado-Werke in Gneez-Brücke waren ein Kriegsbetrieb der Sonderstufe gewesen, unter anderem wegen der Raketenteile für die Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Das andere, die Vorfertigungen für den Strahlbomber Ar 234, das Ding mit den vier Düsenmotoren B.M.V. 003, bleibt unter uns.« Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit »Ossoaviachim, / Förderung / der Verteidigung, / des Flugwesens / und der Chemie / der U.d.S.S.R.«.

1497 »Die Aradowerke Gneez waren nun auch auf schriftlichem Wege enteignet worden«.

Vgl. auch 1434. 1436.

Arthur

Fahrer von de Rosny, dem Vizepräsidenten der New Yorker Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet.

78-82 Am 12. September 1967 wird die Angestellte Cresspahl abgeholt von »einem Mann in Livree, einem schweren alten Menschen von dunkler Haut, der ernst wie ein Börsendiener sich vorstellt als der Fahrer des Vizedirektors de Rosny, sie zu dessen Dolmetscherin ernennt und hinzufügt: Ich bin Arthur. In seinen kurzen krummen Haaren sind weiße Stränge, und er hält beim Sprechen die Uniformmütze in der Gegend des Herzens. Es gelingt der Angestellten Cresspahl nicht, ihm die Hand zu geben, er ist ihr schon aus dem Weg getreten.« – Er fährt sie zum Flughafen, wo sie Mr. de Rosny abholen und ins Waldorf Astoria für eine Übersetzung begleiten soll. Sein reserviertes Verhalten stört Gesine. Auf der Fahrt zum Waldorf Astoria plaudert er entspannt mit seinem Chef und erzählt ihm, dass er seiner Frau eine Waschmaschine gekauft hat und sein zweitjüngster Sohn gerade sein medizinisches Examen bestanden hat.

460-463 Am 16. Dezember 1967 fährt Arthur Gesine und Marie zu de Rosnys Landhaus in Connecticut. »Marie ist so beschäftigt mit Entdeckungen und Manieren, sie bemerkt gar nicht, daß Arthur nur wartet auf eine Einladung, die Trennscheibe zu versenken und das Gespräch zu beginnen, dessen er die Angestellte Cresspahl nun für würdig hält.« Im Haus verwandelt er sich in einen Diener und serviert Cocktails und Wein.

916 de Rosnys Verhältnis zu Arthur: »Allein im Auto mit seinem Mann Arthur, er unterhält sich mit dem Leben Arthurs, und der große schwarze Mann, würdig von den eingelernten Gesten der Ergebenheit und des langsamen Alterns, Arthur erzählt dem Chef die Krankheiten seiner Frau, die schulischen Fortschritte und Rückschläge seiner Kinder, von Festen und Streiten der Verwandtschaft. de Rosny sitzt Loge, sieht tief unten Kinder spielen.« Er erzählt gern, dass Arthur ihn einmal um einen Aktientipp gebeten hat. Wenn der Witz der Geschichte nicht gleich begriffen wird, »setzt er hinzu: Konsequent habe er Arthur statt des erbetenen Tips eine Erhöhung des Gehalts gegeben. Der Nachsatz kommt so deutlich zu spät und gerufen, womöglich wäre eine Tatsache rascher zur Stelle gewesen.«

1003-1007 Am 18. April 1968 bringt er de Rosny, Gesine und Marie zu einem Baseball-Spiel ins Shea Stadion, kann aber zu seiner Enttäuschung das Spiel nicht mit ansehen, weil er einen weiteren Gast holen muss. De Rosny: »Ich geb dir dafür im Juni mal die Loge, ganz für dich allein, was Arthur?«

Auguste

838 Dienstmädchen bei Hilde Paepcke in Podejuch.

B

B., Dietbert

Dietbert B(allhusen), ein Westdeutscher, der sich in eine Ostdeutsche verliebt und sie mit der Hilfe von Anita Gantliks Fluchthelferorganisation in den Westen holt. 

189 Gesine in einem Brief an Anita: »Erinnerst du dich an Dietbert B., den Fotografen, den Weltmann? Hörte man sie reden, so ging ihnen die Entfernung von der geliebten Person ans Leben […], und tatsächlich reichte es ihnen nicht einmal zu einem beliebigen Ort, da zusammen zu leben«.

Hauptfigur aus Uwe Johnsons »Zwei Ansichten« (dort nur als »B.« bezeichnet): Westdeutscher Fotograf, der sich in eine Zufallsbekanntschaft, die Krankenschwester »D.« aus Ostberlin, verliebt und ihr nach dem Bau der Mauer durch eine Fluchthelferorganisation zur Flucht aus der DDR verhilft. Als sie sich im Westen wiedersehen, macht »B.« ihr einen Heiratsantrag, aber »D.« weist ihn ab, beider Liebe ist schon Vergangenheit. – In »Jahrestage« wird aus »B.« ein »Dietbert B.«, den Gesine als ein Beispiel von verliebten Westdeutschen nennt, die die auf ihr Betreiben herausgeschmuggelte Geliebte fallen lassen. – In »Begleitumstände« bekommt »Dietbert B.« einen Nachnamen: »B(allhusen)« (ebenso »D.«, die nun als »Beate Dusenschön« apostrophiert wird).

Babendererde, Ingrid

Schülerin in Wendisch Burg, Freundin von Klaus Niebuhr. Wegen der Verteidigung demokratischer Rechte wird sie 1953 der Schule verwiesen und geht mit Klaus Niebuhr in den Westen. Beide heiraten später und leben in Stuttgart.

9 Als Gesine 1951, nachdem Jakob Abs sich um ihretwillen geprügelt hatte, von ihrem Vater nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs geschickt wird, holt Klaus Niebuhr sie vom Bahnhof ab. »Er hatte ein Mädchen namens Babendererde mitgebracht. Sie war eine von denen mit dem unbedachten Lächeln«.

41-42 Die Oberschule in Wendisch Burg, von der Ingrid und Klaus Niebuhr im Frühjahr 1953 »vorzeitig abgingen«, hat auch D.E. besucht, und er muss als Physikstudent in Berlin von den Vorfällen an seiner alten Schule gehört haben, denn auf einer Fakultätsversammlung stellt er den »Fall Babendererde« dar als »ein Beispiel für Verfassungsbruch in der Deutschen Demokratischen Republik (durch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik)« und riskiert damit seine Relegation. »Die Babendererde spricht von D.E. noch heute wie von einem älteren Verwandten, als hätte sie ihm etwas zu verdanken.«

271 Frau Erichson erzählt: »In Wendisch Burg gibt es die Fischer-Babendererdes und die Lehrer-Babendererdes.« Ingrid gehört zu den ›Lehrer-Babendererdes‹.

340 Im ›Club der Carola Neher‹ nimmt man an, dass D.E. »seine Veranstaltungen für jene Ingrid Babendererde nicht nur in Schlußfolgerungen, auch in Gefühlen ausgewertet« hat.

1753 Klaus Niebuhr hatte sich 1951 »schon zusammengetan mit der Tochter von den Lehrer-Babendererdes, Ingrid ist das«.

Vgl. auch 1018. 1848. 1853.

Ingrid Babendererde ist die Titelfigur aus »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953«, dem erst posthum (1985) veröffentlichten Romanerstling Uwe Johnsons. 

Bachmann, Ingeborg

Österreichische Dichterin, 1926-1973.

1710 Am Strand von Jones Beach, wohin Gesine und Marie am 3. August 1968 einen Ausflug mit den Blumenroths machen: »Öfter am Strand taten Kopfformen und Physiognomien Leuten in Deutschland ähnlich, wie öfter auf den Straßen New Yorks, besonders Doppelgänger des Dichters Günter Eich sitzen vielfach auf Bänken und an Theken; auf eine Ingeborg Bachmann stößt man nie.«

Bad Kleinen

Ort in der Nähe von Gneez.

1243 »Wenn Jerichow zum Westen gekommen wäre«, müssten Freunde in Wismar »über 65 sein, um Leute in Jerichow zu besuchen. In Bad Kleinen umsteigen in den Interzonenzug nach Hamburg über Schönberg und Lübeck.«

1434 Von Gneez aus gibt es eine Bahnverbindung »nach Bad Kleinen, Herrnburg, Jerichow«.

Vgl. auch 1429.

Bäk (Dorf)

Dorf am Ostufer des Ratzeburger Sees.

1238 Bei dem zur Grenzbereinigung vereinbarten Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets im Dezember 1945 werden »die Dörfer Bäk, Mechow und Ziethen [...] zu Schleswig-Holstein geschlagen; Dechow, Groß Thurow und das ganze Ostufer des Schaalsees mitsamt dem Stintenburgschen Werder gehörte nun zu Sowjetmecklenburg«. 

Zum Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1238, 3-16.

Bäk (Straße)

Straße in Jerichow, in der Dr. Semig bis zu seiner Emigration »in seinem gediegenen Haus« wohnt (472).

1044 Die Bäk ist eine Wohnstraße, »solide Ziegelbauten nicht älter als vierzig Jahre, oft in der Dachmitte geräumig ausgebaut, dazwischen Dr. Semigs doch fast großmächtige Villa, alle mit reichlich Gartenland von den schmalen Parzellen der Stadtstraße abgegrenzt«.

Im Sommer 1945 sequestriert die Sowjetische Besatzung sämtliche Häuser der Bäk für ihren eigenen Bedarf, die Bewohner werden in der überfüllten Stadt in Zimmer zwangseingewiesen. Die Bäk wird durch einen Zaun vom Rest der Stadt abgetrennt, »und die Straße wurde in Jerichow nicht wieder gesehen bis auf den heutigen Tag«.

Vgl. auch 31. 358-359. 1774 u.ö.

Bank, Gesines (in New York)

35 »Das Haus, in dem Miss Cresspahl ihr Geld verdient«, wird hier ausführlich beschrieben.

54-56 Gesine im vollbesetzten Fahrstuhl des Bankhauses. Es erstreckt sich über zwölf Stockwerke. Im fünften Stock »hat sie in diesem Hause angefangen, an einer Blechkommode im offenen Büroraum, von vier Seiten sichtbar, an einer Schreibmaschine«. Jetzt arbeitet sie im zehnten Stock. »Sie nennt aber den zehnten Stock auch in Gedanken den elften, nach der amerikanischen Zählung.«

61 Ihre Abteilung (Westeuropa) »besteht aus einem inneren Kern von Räumen aus Milchglasscheiben, einem offenen Raum mit Schreibtischgruppen, einem äußeren Rand von Büros, die Fenster zur Außenseite haben«. Ihr Arbeitsplatz ist eine »Zelle«, an der ein »Schild aus braunem Kunststoff angebracht (ist), auswechselbar in einer Schiene, mit dem Namen ›Miss Cresspahl‹ in weißer Einprägung. Die Zelle mißt dreieinhalb mal drei Meter«.

79 Der Keller des Gebäudes beherbergt eine Parkgarage mit Ausfahrt auf die 46. Straße. Hier wartet de Rosnys Wagen, »ein schwarzes Schlachtschiff von fünf Metern Länge«, mit dem Gesine von de Rosnys Chauffeur Arthur am 12. September 1967 zum Flughafen gebracht wird, um dem Vizedirektor einen Brief aus Prag zu übersetzen.

717-718 Am 13. Februar 1968 wird Gesine Cresspahl befördert und bekommt ein Büro im 16. Stock.

Barlach, Ernst

Deutscher Dichter, Bildhauer, Graphiker (2.1.1870-24.10.1938).

712-713 »Am 24. Oktober starb Ernst Barlach, Bildhauer, Zeichner, Dramatiker. Weil er für einen Juden gehalten wurde, war er in Güstrow auf der Straße angespuckt worden. Den hatten sie mit Verboten von Arbeit und Ausstellungen gehetzt, bis er sich hinlegte und starb.« Der »Lübecker General-Anzeiger« schreibt aus dem »Berliner Tageblatt« ab, »er sei ein Problem geblieben für ein Geschlecht, das andere Wege gegangen sei«. Lisbeth Cresspahl rätselt über den Satz, der »Dichter habe mehr um als mit Gott gerungen«: ›mit Gott‹ sei doch gar nicht erlaubt, ›um Gott‹ sei richtig, »so soll es doch sein«. – Sie fragt Heinrich Cresspahl: »Wenn du in Güstrow wierst, hest du em seihn? [Hast du ihn gesehen, wenn du in Güstrow warst?] / Ne, Lisbeth. Büntzel kenn ick. Friedrich Büntzel, Lisbeth, der versteht was von Holz. Von dem hat dieser Barlach Rat angenommen. Aber erst mußte er von einem Block sagen: Der reißt; und Barlach: Der reißt nicht. / Dann riß er. / Und dann hörte Barlach auf Tischlermeister Büntzel

1458-1459 Die »alten Familien von Gneez […] hatten fast einmal ausreichend zusammengelegt für einen Auftrag an den Bildhauer Ernst Barlach, er möge ihnen ihr genierlichesWappentier in einer recht würdigen Gestalt abbilden, in Bronze; es war dann wegen der Streitigkeiten mit den güstrower und berliner Nazis dazu nicht gekommen.«

1558 In einer Aufführung von Barlachs »Sündflut« in Gneez nach dem Krieg schläft Frau Landgerichtsrat Lindsetter ein.

1728 Während des Pfingsttreffens der FDJ im Sommer 1950 in Berlin wird Dieter Lockenvitz in Schmöckwitz in ein Haus eingeladen »zu Gesprächen über Kunst in Mecklenburg, den Bildhauer Barlach; Tee und Rotwein«.

1820-1822 Im September 1951 macht Gesine Cresspahls Klasse eine »Betriebsbesichtigung Barlach« in Güstrow. »Mit einer Sammlung von Abbildungen des ›Fries der Lauschenden‹ zog Gesine Cresspahl um nach Hessen, ins Rheinland, nach Berlin, an den Riverside Drive von New York City«. – Über die Auseinandersetzungen um Barlach in der DDR (vgl. dazu auch Girnus).

Barrios, Edmondo

Freund von Marie Cresspahl im Kindergarten in New York.

434-439 »Edmondo Barrios, der erste Freund Maries in diesem Lande«, ist in Ost Harlem aufgewachsen. – Marie sprach von ihm als »dem Kind, das haut«. Marie »legte eine Hand auf seinen Arm und sagte: Laß das, auf Deutsch, und nicht als Befehl, sondern als Wunsch […], so daß Edmondo in seiner namenlosen Verblüffung den Kampf vergaß«. Er »hielt sie von Stund an als seine Freundin«. – »Außer nachts, lebte Edmondo auf der Straße«. – »Dann ist irgend etwas passiert in einem Sommerlager […]. Er soll etwas mit einem Messer getan haben.« Edmondo kam in eine Sonderschule. »Die Schule war eher eine Klinik. Offenbar hatte er sich vom Leben eine Krankheit zugezogen, die den Ärzten noch nicht oft untergekommen war. [...] Damals konnte man ihn noch besuchen. Er wußte nicht mehr, wer Marie war. Marie tut, als sei dieser Besuch nie gewesen. Dann konnte man ihn nicht mehr besuchen. Marie sagt noch heute: Mich hat er nie geschlagen.«

Barth

Kleinstadt am Barther Bodden, gegenüber von Darß und Zingst.

419 In einem Traum sieht Gesine sich kurz in einem leeren Bus von Rostock nach Barth; aber die Traumreise geht dann ganz woandershin, zum Flughafen Newark.

955 »Nicht weit von Althagen«, wo Gesine 1944 Ferien mit den Paepckes verbringt, »auf der anderen Seite des Saaler Boddens, war das Konzentrationslager Barth. Darin wurden Häftlinge aus der Sowjetunion, aus Holland, aus der Tschechoslowakei, aus Belgien, aus Ungarn gehalten und mußten für einen ausgelagerten Betrieb der Ernst Heinkel Flugzeugwerke A.G. arbeiten. [...] Wir wußten es nicht. Hilde Paepcke ist mit uns nach Barth gefahren, über die Drehbrücke, damit wir die Stadt ansahen. Wir haben nichts gesehen.«

Bartsch, Wolfgang

Kollege von Jakob Abs.

388 »Jakob war der einzige, mit dem Wolfgang Bartsch eine Schicht in Frieden durchhielt.«

Figur aus »Mutmaßungen über Jakob«. Streckendispatcher bei der Deutschen Reichsbahn in Dresden.

Bastian, Pauli (Oll Bastian)

Kirchendiener in Jerichow unter den Pastoren Methling, Brüshaver und Wallschläger.

316-317 »Oll Bastian war mit dem neuen Pastor nicht glücklich. Lasch, dieser Brüshaver. Das Taufwasser anwärmen, wo gab es das! Verweichlichung gleich zu Anfang; von der Mehrarbeit […] zu schweigen. Pauli hielt sein Gesicht steif wie ein Brett, während Cresspahls und Papenbrocks mit dem Täufling [Gesine] in den Mittelgang eintraten, und die um den Mittelpunkt der Nase in seinem Gesicht angebrachten Falten waren eine Maserung, mit der für kleine Kinder nicht tapeziert wird«.

764 Am Ende von Lisbeth Cresspahls Beerdigung am 14. November 1938 betätigt er das Geläut, das neuerdings elektrisch in Gang gesetzt wird. Auch damit ist Oll Bastian nicht glücklich, »er hatte früher beim Läuten vier Gehilfen unter sich gehabt«.

807 Nach Brüshavers Verhaftung kommt Pastor Wallschläger, der in der Gemeinde auf starke Reserven stößt. »Nicht einmal Pauli Bastian war der Neue recht. Er kehrte den Herren heraus, wo Methling in einer Art Kameradschaft gepoltert und Brüshaver höflich gebeten hatte; Pauli Bastian kündigte zum 1. Januar 1940, kam danach noch manchmal aus Rande zum jerichower Gottesdienst«.

Vgl. auch 768. 776.

Bates, Gwendolyn

Frühere Mitarbeiterin der Bank, tätig als Übersetzerin; Absolventin der Universität Vassar, Jahrgang 1918. Lebt bei Denver, Colorado.

660 Überprüfte früher die Arbeit der Übersetzer, übertrieb es mit ihrer Genauigkeit, »bekam zum Abschied die Medaille des Präsidenten in Silber, und kein Bankett«.

1563 Bei der Feierstunde zur Ehrung von Angestellten der Bank am 16. Juli 1968 erinnert Gesine sich an die »Feierstunde, als die arme Gwendolyn Bates für ihren Übereifer einen silbernen Backenstreich empfing«.

Bauer in Wehrlich

1605-1606 Der Bauer, in dessen »Knechtschaft« Anita Gantlik nach der Flucht aus Ostpreußen von ihrem Vater zurückgelassen wird, lässt die Fünfzehnjährige harte Arbeit verrichten »bloß für das Essen und eine Strohsackpritsche unter einem tröpfelnden Reetdach«. Sie macht ihre Hausaufgaben in der ehemaligen Stadtbibliothek, weil »ihr Schinder von einem Gastgeber, wir verzichten auf den Namen, sie von den Büchern zum Ausmisten seines Schweinestalls schicken konnte«.

Bauer, Fritz

Deutscher Jurist (1903-1968); 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, 1936 Emigration; nach seiner Rückkehr 1949 Richter und Staatsanwalt, 1956-1968 Generalstaatsanwalt in Hessen.

1474 Gesine liest in der New York Times: »In Hessen, westdeutsche Republik, ist Dr. Fritz Bauer gestorben, Generalstaatsanwalt und einer der wenigen im Amt, die von Anfang an die Verbrechen der Nazis für gerichtlich erfaßbar hielten, und erfaßten. Gerade die suchte er, die als Beweis von Unschuld reine Hände vorzeigten, alle Tintenflecken abgewaschen, von Eichmann bis zu den Ärzten der Konzentrationslager. Ohne ihn hätte es den Prozeß über Auschwitz von 1963 bis 1965 nicht gegeben. Viele Schriftsätze an Herrn Bauer hat sie sich ausgedacht, das Kind das ich war, keinen abgeschickt. Bloß 64 Jahre alt, gestorben.«

Bay Street (New York)

1546-1547 Marie nimmt D.E. auf einen Fußweg die Bay Street hinunter mit. Gesine schreibt davon in einem Brief an Anita Gantlik: »Die Bay Street ist ein drei Stunden langes Band aus Staub, überweht mit dem brackigen Geruch des Wassers zwischen den Piers und Lagerhäusern, eingefaßt mit verwitterter Holzarchitektur, Schuppen, Tankstellen, verreckter Industrie und jenen Hüttchen, in denen blaue oder rote Neonschlangen Bier versprechen. Wenn du mich fragst: sie sucht da ein Amerika aus meines Vaters Jugendzeit. Aber es ist wahr, wenn da Wind kommt, hat er einen langen Anlauf über die Bucht, und in der dunstigen Ferne verspricht sich der Aufbau der Brücke über die Verrazano-Enge«.

Beckerle, Adolf Heinz

Deutscher Gesandter in Sofia während des Nationalsozialismus (1902-1976). Beteiligt an der Deportation bulgarischer Juden. Der Prozess gegen ihn wurde 1968 wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

275 Gesine Cresspahl liest am 9. November 1967 in der New York Times: »Gestern in Frankfurt kam Adolf Heinz Beckerle vor Gericht unter der Anklage, er habe als Hitlers Gesandter in Bulgarien bei der Deportation von 11 343 Juden in Todeslager geholfen. Im Gegenteil behauptet er, 40 000 bulgarische Juden schuldeten ihm ihr Leben. Mit ihm angeklagt ist ein früherer Kollege des westdeutschen Bundeskanzlers, Fritz Gebhardt von Hahn, wegen 20 000 griechischer Juden. – Es ist eine kleine Meldung tief unter dem obersten Rock der New York Times.«

1391 Die New York Times berichtet am 20. Juni 1968 über den Prozess gegen Beckerle in Frankfurt. Gesine behält »das Foto des Heinz Adolf Beckerle [sic], früheren deutschen Gesandten in Bulgarien, angeklagt wegen Mithilfe bei der Deportation von 11 000 Juden ins Todeslager Treblinka im Jahr 1943«.

Beckhorst (Dorf und Gut)

Auf Gut Beckhorst sitzt Baron Axel von Rammin (360), später wird es Sowjetgut (1103).

172 Im »Dorf Beckhorst bei Gut Beckhorst« fällt die BDM-Führerin Elisabeth Lieplow, spätere Frau von Horst Papenbrock, an einem Sonntag im Frühjahr 1932 unangenehm auf, weil sie ihren BDM-Mädchen auf dem Brink (Dorfplatz) von Beckhorst »das Entkleiden zur Gymnastik befahl, eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes, so daß die Kirchgänger alle vorbeimußten an einem Haufen knapp bekleideter Mädchen, die sich abzappelten mit Grätsche und Brücke rückwärts«.

1103-1104 Der Verwalter des »Sowjetgutes Beckhorst« bietet Heinrich Cresspahl (in dessen Eigenschaft als Bürgermeister von Jerichow, der die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln sicherzustellen versucht) Schlachtkühe und Milch gegen »Bindegarn, Rohöl, Leder für Treibriemen« an. Cresspahl kann ihm Reparaturarbeiten von Alfred Bienmüller und Bindegarn aus dem Vorrat seines Schwiegervaters als Gegenleistung versprechen. Aber Milch wie Kühe landen am Ende doch bei den Besatzungssoldaten der Roten Armee.

1273 Sowjetische Offiziere von Gut Beckhorst haben Johnny Schlegel geholfen, seinen Hof vor der Enteignung zu bewahren.

Vgl. auch 357. 358. 360. 1185. 1220. 1275.

Beedejahn, Sabine

1018-1019 Jakob »wurde einmal an der Pfaffenteich-Fähre, in Schwerin, fotografiert (in Gesellschaft von Sabine Beedejahn, ev., 24 Jahre alt, verh.)«.

Figur aus »Mutmaßungen über Jakob« (1959). Angestellte in der Direktion der Deutschen Reichsbahn in Dresden, Freundin von Jakob Abs, Raucherin.

Beese, Frau Dr. phil.

Lehrerin am ehemaligen Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez nach 1945, später an der Brückenschule in Gneez.

1252 »Als Lehrerinnen hatten wir alte Damen, Charlotte Pagels und Schwester und Frau Dr. phil. Beese. Die Beese war 1938 vor der Zeit in Pension geschickt worden, Lottie und Fifi Pagels zwar nach Beamtenrecht, alle hielten sich für Opfer nazistischer Willkür [...]. Beese hielt sich an die Mittel der Verachtung, kehrte still den Kopf weg, wenn dir die Schrift unter die Zeile gerutscht war, knautschte die Lippen zusammen und schritt gemessen zurück zu dem sichersten Platz, dem Pult, der Kommandobrücke.«

1253-1254 Frau Dr. Beese leitet Gesines Nachnamen von »Griechisch grastis, ›Grünfutter‹« ab und sorgt damit für einen unwillkommenen Spitznamen. Sie hält Gesines Mitschülerin Brigitte Wegerecht das Verhalten ihres Vaters im Dritten Reich vor; sorgt dafür, dass Heinrich Cresspahls Verschleppung durch die Sowjets in der Klasse bekannt wird. Gesine: »Ich vergeb es ihr nicht.«

1332-1333 Gibt Gesine einen Aufsatz zum Thema »Ich sehe aus dem Fenster«, in dem Gesine wahrheitsgemäß über ihren Ausblick auf die russische Kommandantur berichtet, »unzensiert zurück und verhängte Nachsitzen«. Mit der Nacherzählung einer russischen Novelle, in der Gesine von der »wilden Natur« der Russen spricht, schickt sie sie zum Direktor Dr. Vollbrecht.

1397 Bessert »ihre Einkünfte mit Deutschunterricht im Rathaus« für die Sowjets auf.

1528-1529 Ist sich mit Frau Dr. Weidling einig, dass auf Gesine Cresspahl »ein Augenmerk gehalten werden« müsse, da sie sich seit der Rückkehr ihres Vaters aus Fünfeichen im Mai 1948 so auffällig anders benehme.

1530 Sie hat Aufsicht, als Gesine ihre Unterschrift für das ›Volksbegehren für Einheit und gerechten Frieden‹ (Mai/Juni 1948) ableisten will: »Du unterschreib man: fauchte die Beese, abfällig, doch als rede sie zu, und das Kind verstand, es könne nützlich sein für die Erlaubnis in die Oberschule.«

Vgl. 1536.

Auch Gesines Tochter Marie muss 20 Jahre später an ihrer New Yorker Privatschule einen Aufsatz schreiben zum Thema »Ich sehe aus dem Fenster« (vgl. 177 f.).

Beidendorf

586 Die New York Times berichtet am 13. Januar 1968, dass der Schnee in »Macklenburg« fast drei Meter hoch liege und eine Schwangere aus »Beidersdorf« von einem sowjetischen Panzer zur Entbindung ins Krankenhaus Wismar gefahren worden sei. »›Macklenburg‹ sagt die New York Times, die schusslige alte Dame. Und jenes Beidersdorf ist die Gemeinde Beidendorf, um 800 Einwohner, zwischen Mühlen-Eichsen und Wismar gelegen, wo das Land 90 Meter über der Meereshöhe hingepackt ist. Wäre sie doch selber hingefahren, die vertrauensselige Tante Times, die Welt wüßte jetzt vom Beidendorfer Teich und die Entfernung nach Gneez und Jerichow.«

Vgl. auch 588. 679. 1397.

Bell, Frau

1500 Wohlhabende Dame, die nach 1945 in einem Zimmer ihrer beschlagnahmten Villa im berliner Viertel von Gneez lebt, »1916 vermöglich geschieden, immer eine reiche Frau, die Schwierigkeiten am Telefon erledigte«. Nachdem die sowjetische Verwaltung ihr Telefon beschlagnahmt hat und sie »die Welt nicht mehr bewältigen« kann, nimmt Emil Knoop sich ihrer an »und setzte sie an sein privates Telefon. Eine Hausdame hatte er ohnehin gebraucht.«

Vgl. auch 1572.

Bell, Ossi

Angestellter der New Yorker U-Bahn.

336 Am 26. November 1967, an dem die Streckenführung der U-Bahn umgestellt wird, steht an der Station DeKalb Avenue »ein Mann in blauer Uniform und ist Kondukteur und heißt Ossi Bell und hat zwischen eins und zwei 43 Leuten mit Auskünften aus ihrer tiefen Verwirrung zu helfen gesucht. Nicht daß Marie seiner bedurft hätte [...].«

Beria, Lavrentij P.

Lawrenti Beria (1899-1953), sowjetischer Politiker, von 1938 bis 1953 Leiter des Staatssicherheitsdienstes, Stellvertreter Stalins, nach dessen Tod verhaftet und hingerichtet.

138-139 Die New York Times berichtet am 3. Oktober 1967 »über die Auswirkung der Säuberung, die Stalin unter seinen Genossen durch Beria und Alexander N. Poskrebyshew anstellen ließ«. Kurz vor seinem Tod erzählt Poskrebyshew eine Anekdote von Beria: »Sitzt jener Verdiente Genosse noch: wurde Beria gefragt. Beria grinste. – Ne: sagte er. – Der sitzt nicht mehr. Der liegt flach auf dem Fußboden.«

Vgl. auch 77. 78.

Berling, Doktor

Dr. med., Arzt in Jerichow.

204 Sein Glückwunsch für Cresspahl zur Geburt der Tochter Gesine: »Aber vorher kam noch Doktor Berling und schlug Cresspahl auf die Schulter. Na, alter Schwede. Viel Mühe haben Sie ja nicht aufgewandt. Ein Junge ist es nicht. […] Was wollen Sie jetzt noch in England. Jetzt, wo Deutschland endlich wieder hochkommt

509-513 Am ersten Weihnachtsfeiertag 1936 ruft Lisbeth ihn ohne Cresspahls Wissen an, als sie eine Fehlgeburt erleidet. Er lässt sie ins Kreiskrankenhaus nach Gneez bringen, berichtet später von ihren Fieberphantasien. »Sie weiß da nu nichts mehr von. Was Ein' im Fieber redet. Kein ein weiß von gar nichts.«

510 Einige Jahre später, 1936, ist Berling »nicht mehr der von 1933, der die Leute auf die Schulter schlug, […], der die Kranken angesteckt hatte mit Gesundheit, Klagenden fast beleidigt über den Mund gefahren war. Der von heute sah so sorgfältig hin wie früher, aber nicht so gewalttätig aufmunternd, hörte geduldiger zu, nickte sogar, hielt sein dickfleischiges Gesicht still, blickte trübe bei Gelegenheiten. Der trank nicht mehr, wo ihn einer abhören konnte; der saß die Nächte zu Hause.« – Seine Wangen sind mit gesprungenen Äderchen übersät, weshalb man ihn »blagen Düvel« (blauer Teufel) nennt. Er ist ein »schwerer Mann, zwei Meter, zwei Zentner, kräftig wie ein Fleischer, der in den Jahren traurig geworden war, die seine besten hatten sein sollen«.

524-525 Cresspahl denkt über Berling nach: über seine Angewohnheit, jeden mit ›alter Schwede‹ anzureden, über seine »düsteren Andeutungen von ›Krankheitsherden im Herzen der Nation‹« und seine »Maulerei gegen die Nazis«, die er aber erst begonnen hat, seit seine Frau ihn verlassen hat und mit einem ›Goldfasan‹ (NS-Funktionär) in Schwerin lebt. Er »saß jetzt abends allein zu Hause und kriegte den Rheinwein kistenweise von der Bahn in den Keller gerollt«.

538 Hat einen Hund, einen Chow-Chow.

754 Er untersucht die tote Lisbeth Cresspahl und drückt ihr die Augen zu.

1000 Als am 1. Juli 1945 die Sowjets Jerichow von den Briten übernehmen, nimmt er sich das Leben, obwohl er von den neuen Besatzern nichts zu befürchten hat, denn von ihm »waren die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter behandelt worden fast wie die Menschen, krankgeschrieben, wenn nötig [...]. Dr. Berling hatte keine Rechnung von den Sowjets zu fürchten, und nahm sich das Leben, der großmächtige, schwermütige blage Düvel«.

1031 »Dr. med. Berling hatte das ganze Studieren nicht geholfen gegen die Schwermut«.

1064 Kommandant K.A. Pontij schickt Heinrich Cresspahl »aus seinen persönlichen Vorräten« Berlings Radiogerät, »den achtröhrigen Superhet, den die Flüchtlinge in Dr. Berlings Wohnung aus Dankbarkeit oder Aberglauben abgeliefert hatten. Nun stand das mächtige schwarzblaue Ding auf Cresspahls Schreibtisch, stumm, zusammen mit der Erinnerung an Lisbeths ersten Versuch und Dr. Berlings eigensinnigen Tod obendrein.«

Vgl. auch 246. 353-354. 474. 546. 563. 569. 572. 591. 607. 693. 890. 985.

Bertoux, Françoise

Stewardess aus der Schweiz. Zusammen mit Ingrid Bøtersen Vormieterin der Wohnung am Riverside Drive, die Gesine und Marie nach ihrer Ankunft in New York beziehen.

Vgl. auch 28. 276. 607. 823.

Beständigkeit

1537 Marie zu Gesine Cresspahl: »Oder soll ich das von dir lernen: Die Beständigkeit des Glücks?«

1541 Gesine Cresspahl im Gespräch mit ihren Toten: »Was ist … es soll nicht für mich sein, Marie hat es gefragt: Was ist ... beständig? – Wir«.

Beste, Niklot

Pastor und Landesbischof in Mecklenburg (1901-1988).

1673 Beim Verhör nach der Flugblattaktion befragt, ob sie wisse, wo die Geschwister Scholl-Straße in Schwerin sei, erwähnt Gesine die Graf Schack-Straße: »und unter der 5c wohnte der Pastor Niklot Beste, Oberkirchenrat nach dem Krieg, seit 1947 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Mecklenburg.« 

Zu Niklot Beste (1901-1988) vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1673, 15-17 (30. Juli 1968).

Bettler in New York

68 Marie ertappt die Kassiererin im Supermarkt, die ihr 21 Cent zuviel berechnet hat, und gibt die wiedergewonnenen 21 Cent den Bettlern: »dem mit den blauen Haaren sechzehn, und dem an der 98. Straße fünf«.

176 Vier Wochen später »kommt der Bettler mit den blauschwarzen Haaren über die 96. Straße« auf Gesine und Marie zu, »und wir verdrücken uns in das ›Gute Eßgeschäft«.

887-889 Gesine spricht für Marie auf Tonband und erklärt ihr ihren Umgang mit Bettlern.

1202-1203 Der Ladenbesitzer Don Mauro wirft einen fünfzigjährigen Bettler aus seinem Laden und straft seinen Lehrling, der im Begriff stand, ihm Geld zu geben, mit einem Peitschenhieb. Daraufhin kündigt Gesine ihm ihre Kundschaft.

1382 Über einen blinden Bettler in der Lexington Avenue, der seinem Hund einen gelben Eimer mit Wasser hinstellt: »Abends sind die Eimerränder verschmiert und das Wasser versandet. Ganz besonders gebildete Passanten haben ihre Münzspenden in das Wasser geworfen.«

1584 Gesine auf dem Nachhauseweg: »Der Bettler von dieser Seite des Bahnhofs Grand Central, der im Dienst die Leute erschreckt mit seinen unbedeckten doppelten Beinprothesen, hatte sich frei gegeben und lehnte nun an einer Wand im Inneren des Gray Bar-Hauses, die Hosenbeine nach unten gekrempelt.«

Vgl. auch 11. 44. 181. 245. 777. 1097. 1316. 1391. 1501. 1827.

Biedenkopf, Familie

1491 Aus Rostock nach Althagen geflüchtete Familie, die im Sommer 1947 bei Ille wohnt. Sie gilt die Miete durch Arbeit auf dem Hof ab.

Bienmüller, Alfred

Huf- und Nagelschmied in Jerichow. Sozialdemokrat. Lässt sich 1945 von seinen Parteigenossen überreden, in die KPD einzutreten. 1946 Bürgermeister von Jerichow (bis 1948).

644 Will den Sohn nicht zur Konfirmation schicken und begründet das gegenüber Pastor Brüshaver damit, dass er dafür kein Geld habe und es seinem Jungen außerdem »von seiner Hitlerjugend verboten« worden sei. Brüshaver wird wegen seines Besuchs bei Bienmüller von der Gestapo verhört.

678 Bei einem als Leichenschmaus für Anna Niederdahl getarnten illegalen Treffen der SPD-Genossen in Lübeck wird Heinrich Cresspahl aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Bienmüller alles bekommt, was er benötigt, – wofür, bleibt unklar.

720 Bienmüller wird im November 1938 bei der Gestapo in Gneez angezeigt, weil er – wie einige andere – bei der zweiten »Reichsstraßensammlung« eine Spende unter Berufung auf die Taufe Edda Görings verweigert hatte. Die Ermittlungen ergeben, »daß die beleidigende Äußerung eine unabhängige Feststellung gewesen war, und daß Alfred Bienmüller, der schon seinen Sohn nicht hatte konfirmieren lassen, sehr wohl den Vorsatz äußern dürfe, nie für eine Taufe Geld auszugeben, ob er nun noch von seiner fünfzigjährigen Frau kleine Kinder bekommen werde oder nicht«.

1103-1104 Bei Heinrich Cresspahls Bemühungen, Jerichow in den ersten Nachkriegsmonaten zu versorgen, lässt Alfred Bienmüller sich gegen die Lieferung von Milch und Schlachtvieh an Gut Beckhorst für Reparaturen »ausleihen«. Aber Milch wie Kühe landen am Ende doch bei der Roten Armee.

1163-1164 Im August 1945 kommt Erwin Plath nach Jerichow, um Bürgermeister Cresspahl dazu zu bewegen, alte SPD-Genossen in der neu zu gründenden Kommunistischen Partei unterzubringen. »Kommunisten der ersten Stunde, und doch heimliche Posten der Sozialdemokratie.« Mit Alfred Bienmüller hat er schon gesprochen: »Alfred Bienmüller, Schmied in Jerichow, wollte das Opfer bringen.« Cresspahl ist dagegen.

1359-1362 Im Dezember 1945 kommt Erwin Plath noch einmal nach Jerichow zu einem Treffen und räumt ein, »daß die Eroberung von geheimen Einflußbereichen in der K.P. mißlungen ist.« Bienmüller, der an dem Treffen teilnimmt, beschränkt sich darauf, Erwin Plath Unbestimmtes anzudrohen für den Fall, dass er sie noch einmal »Kinnings« nennt, und fragt sich laut: »Wie Cresspahl bloß darauf gekommen ist. Daß er so eine gute Meinung von dir hatte.«

1409-1414 Im Oktober 1946 wird Bienmüller Bürgermeister als Nachfolger von Fritz Schenk. Er ist inzwischen Ortsvorsitzender der SED. Gerät mit dem Landrat und Wahlkampfleiter Gerd Schumann aneinander, der vor den Landtagswahlen im Oktober 1946 zu einer Wahlrede nach Jerichow kommt und über die subversiven Werbeplakate empört ist, die Bienmüller in der Stadt hat anbringen lassen. Bienmüller empfängt ihn ohne die erwartete Ehrerbietung, lässt ihn auf seinem »matschigen Werkstatthof« stehen. Hält am Ende der Wahlveranstaltung eine Rede.

1524 Hielt die Bildung einer ›amtlichen S.P.D.‹ in Jerichow (im Dezember 1945) für Unsinn.

1602 Bienmüllers Nachfolger als Bürgermeister (etwa ab 1948) ist Schettlicht.

Anhang, XI Cresspahl zählt Bienmüller zu seinen (wenigen) Freunden in Jerichow.

Anhang, XVI Bienmüller hat von Cresspahls Arbeit für die britische Abwehr gewusst: »Dennoch habe nicht Alexander [Paepcke] jene Sache gewußt; nur Alfred Bienmüller, Huf- und Nagelschmied zu Jerichow. Cresspahl habe Alexander nicht gefährden mögen. Bienmüller sei eine Notstation gewesen. Im übrigen wisse Alfred nicht genug, um auch nur ein Zehntel der Geschichte zusammenzudenken.«

Vgl. auch 1034. 1105. 1181. 1359.

Bindeband

Nationalsozialist in Podejuch, Obersturmbannführer, verheiratet, sechs Kinder im Alter der Paepcke-Kinder.

838-839 Gesines Tante Hilde Paepcke »lud sich den Garten voll mit Kindern, ausgenommen die von Obersturmbannführer Bindeband, obwohl er sechs zu bieten hatte mit Namen wie Gerlinde und Sieglinde und Brunhilde und Kriemhild«. – Trotzdem lädt Frau Bindeband Gesine und Alexandra zum Spielen ein, das in dem »Begehen eines heidnischen Osterfestes« besteht. Die Kinder der Bindebands »trugen die Zöpfe bis zum Hintern. Sie waren in sackleinene Gewänder getan, in Schürzen aus Jute«. Die Familie lebt »in einer Villa, die einem stettiner Juden gehört hatte«. Deren reiche Ausstattung gibt den beiden Mädchen das Gefühl, arm zu sein.

Blach, Dr. (J. B.)

Jonas Blach, Freund von Gesine Cresspahl aus den fünfziger Jahren, lebt in der DDR. 

304 Gesine schläft während des Tschechisch-Unterrichts bei Professor Kreslil (am 16. November 1967) ein: »ich habe mich schlafen sehen auf einem von Blachs Bildern mit leicht vorgekrümmten Schultern und lockerem Hals und hängendem Gesicht wie tot«.

464 Gesine hat von Jonas nichts mehr gehört »seit Hauptmann Rohlfs ihn den ostdeutschen Gerichten übergab, und nicht einmal seit sie ihn wieder auf die Straße gelassen haben«.

1393 Am 20. Juni 1968 erhält Gesine »Post aus Europa«, darin »beruft jemand sich auf Bekanntschaft mit Mrs. Cresspahl und will das schriftlich haben, zu einem Jubelfeste«. Dieser Jemand ist Jonas Blach, es geht um einen Beitrag zu einer Festschrift für ihn (vgl. 1635-1644). Gesine schreibt den erbetenen Beitrag (vgl. 1638, 1657), den Blach selbst dann aber zurückzieht (1640).

1635-1644 Am 26. Juni entwirft Gesine Cresspahl einen Brief an Jonas Blach, in dem sie ihm die Freundschaft aufkündigt, weil er sich mit dem erbetenen (vgl. 1393), dann aber doch nicht veröffentlichten (1639 f.) Beitrag zu einer Festschrift »Erinnerungen erschwindelt« hat, mit denen er nun vor Freunden in der DDR renommiert: »du gehst da umher in deinem Lande mit unseren Erinnerungen an dich, dem Nachruf, den du dir erschwindelt hast, damit du schon zu Lebzeiten erfährst, was wir aufbewahrt haben und wert gehalten an dir. Wir hören: du liest das vor, in jeweils vertrautem Kreise, als Bitte um Mitleid für deine schlimme Lage.« Gesines Konsequenz: »Wir leugnen, dich zu kennen. Nie haben wir dich gekannt. […] Wir sind Fremde. Sind wir immer gewesen. […] Dir sagen wir Schluß und Niemals und Aus«.

1484 Ein Stoßseufzer Gesine Cresspahls am 28. Juli 1968: »Es nimmt das Geschriebene überhand. Seit Juni J. B., seit bald einem Jahr die Tage, die der andere Jugendfreund und Genosse Schriftsteller aufschreiben will. Wie werden wir froh sein, wenn es ein Ende hat mit dem Unveröffentlichten.«

Figur aus »Mutmaßungen über Jakob«. Jonas Blach ist dort 26 Jahre, Dr. phil., Assistent am Institut für Englische Philologie (Anglistik und Amerikanistik) in Berlin (DDR) und Gesines Liebhaber. Er kommt aus einer kleinen Stadt in Sachsen. Gesine fährt mit ihm im Sommer 1954 nach Italien. – Mit der Geschichte um eine Festschrift für Jonas Blach importiert Johnson das Ende seiner Freundschaft mit dem Leipziger Sprachwissenschaftler Manfred (›Jake‹) Bierwisch in Gesines Beziehung zu Jonas Blach; die von Gesine verwendeten Initialen ›J. B.‹ spielen mit dem Doppelbezug auf beide Namen an: Jonas Blach, Jake Bierwisch. Vgl. dazu Jahrestage-Kommentar zu 1636-1652 (26. Juli 1968).

Blankenberg am See

Gemeinde in Mecklenburg an der Bahnstrecke nach Malchow am See.

263 Am 12. März 1933 fährt Cresspahl »über Blankenberg und Sternberg und Goldberg nach Malchow« zu seiner sterbenden Mutter.

725 Am 8. November 1938 fährt die fünfjährige Gesine mit ihrem Vater auf derselben Strecke nach Malchow und von dort weiter nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs. »Das Kind lernte: Blankenberg am See, Sternberg am See, Goldberg am See, Malchow am See, und noch heute ist der Name Karow im Gedächtnis eine trockene Stelle, weil da nichts war als Bahnhof und Straße und der Gasthof Habben.«

Blessing, Karl

Deutscher Bankfachmann (1900-1971). Präsident der Deutschen Bundesbank von 1958-1969.

463 Vizepräsident de Rosny im Gespräch mit Gesine über das geplante Finanzunternehmen der amerikanischen Bank in der Tschechoslowakei: »Es ist aber gar nicht ausgemacht, daß die Herren in Prag ernstlich ihre Wirtschaft an westlichen Valutakrediten gesundstoßen wollen. Immerhin, es ist nicht ein westlicher Finanzier bei der Státní Banka Ceskoslovenská vorstellig geworden, es war deren Präsident, der einen Besuch bei Karl Blessing machte, bei der westdeutschen Bundesbank. What a blessing there's a Blessing«.

Bliemeister, Frau

1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.

1842-1843 Wird im Februar 1953 mit Johnny Schlegel, Otto Sünderhauf und Frau Lakenmacher verhaftet und angeklagt. Johnny Schlegel wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. »Für die übrigen Angeklagten: von acht bis zwölf. Einzug des Vermögens.«

Blumenroth, Efraim

Vater von Pamela Blumenroth, der Freundin Marie Cresspahls in New York. Die Familie wohnt in der Nachbarschaft der Cresspahls am Riverside Drive.

488 Saß 1961 oft in Gesines Nähe an der Rückseite der Bar des Hotels Marseille oberhalb des Schwimmbeckens des Mediterranean Swimming Club und machte ihr schöne Augen (vgl. 1709).

1708-1709 Am 3. August 1968 fahren die Blumenroths mit Gesine und Marie an die Jones Beach. Pamela lässt sich auf der Luftmatratze zu weit hinaustreiben, so dass Gesine und Mr. Blumenroth sie retten müssen. »Mr. Blumenroth, rot verfärbt unter seinen dünnen krülligen Haaren, mag dem Haushalte Cresspahl eine neue Redensart gestiftet haben: There is a reason for everything! – Daß es für alles einen Grund gebe, diese aberwitzige Wissenschaft hat er ausgesprochen, nachdem er seine Aufsicht als ausreichend erachtete für Pamelas Spiele über und unter der Luftmatratze.« Nach der Rettung seiner Tochter sieht er »noch lange dumm aus vor Vernünftigkeit, solche Angst hatte er ausgestanden. Erst nach einer Weile begann er von neuem mit den Seitenblicken, die uns erinnern sollten an unsere Sitzungen vor der Bar des Hotels Marseille; Mrs. Blumenroth hatte ihre liebe Not, die Darbietungen ihres Mannes zu übersehen. Und damit es ihm zu sagen verwehrt sei, sprach sie selber aus: Auf den Busen können Sie sich was einbilden, Mrs. Cresspahl«.

Blumenroth, Mrs.

Mutter von Pamela, der Freundin von Marie Cresspahl in New York. Wohnt mit ihrer Familie in der Nachbarschaft am Riverside Drive.

53 Ihr Vater wurde von den Deutschen umgebracht.

1709-1710 Sie ist Jahrgang 1929, aus den Karpaten stammende Jüdin, war im Krieg in deutschen Konzentrationslagern. »Ankunft in New York 1947, Heirat 1948. Die Angst, unfruchtbar gemacht zu sein. Pamela, 1957. Harter ungarischer Akzent in der blechernen Stimme. Sie weiß, als Kind hat sie sanfter gesprochen; daher die Vorliebe zu flüstern. Sie gibt einen Defekt zu: Unfähigkeit zu lügen [...]. Ihr schwarzes Haar ist vielleicht gefärbt. Sehr kurz, in Locken, herzförmig geschnitten; eine Spitze geht in die Stirn. Ein Gesicht mit wenig Falten; eher ängstlich im Ausdruck als aufgeschlossen. [...] Im Haushalt ungemein ordentlich. Immer alles gleich wegstellen. An der Zeit des Nachkriegs fand sie schwierig, wie man als Frau aus guten Verhältnissen, mit einem Sinn fürs Richtige, in eine falsche, unsichere Lage geraten konnte. Hartnäckig bemüht um ein gepflegtes Aussehen; stets mit der Angst, das Dach überm Kopf stürzt ein. [...] Die würde ein deutsches Kind annehmen als Tochter zum Pflegen.«

1739 Gesine Cresspahl hat »Mrs. Efraim Blumenroth« in ihrem Testament zur Erziehungsberechtigten ihrer Tochter Marie bestimmt. Nachdem Anita Gantlik ihr aber erklärt hat, dass sie »bereit ist, für Marie zu verzichten auf Reisen«, geht sie am 6. August 1968 zu Anwalt Josephberg, um das Testament zu ändern. Bei Mr. Josephberg erfährt sie von D.E.'s Tod.

Vgl. auch 541.

Blumenroth, Pamela

Freundin von Marie Cresspahl in New York, wohnt ebenfalls am Riverside Drive (vgl. 1425).

37 Marie übernachtet bei Pamela.

434-435 Marie kennt Pamela schon seit dem Kindergarten, hatte sie dort zu ihrer besten Freundin auserkoren, was die Erzieherinnen aber nicht zuließen, weil ihnen »Bindungen an nur einen Partner schon bei vierjährigen Kindern als riskant« galten. Marie lud Pamela daraufhin heimlich zu sich nach Hause ein, »Pamela, die freundliche, die anstellige, die kleine Person, die damals ein Gesicht hatte wie eine irische Bauersfrau.«

585-588 Marie und Pamela zeigen den drei Kindern von Annie Fleury New York. »An Pamela mit ihren elf Jahren ist oft zu ahnen, wie sie sich mit neunzehn betragen wird, aufmerksam bis zur Zärtlichkeit, bei aller Zutraulichkeit stolz, und sie wird ihre eigenen Kinder so streng und freundlich unter dem Drehkreuz hindurchdrücken wie jetzt Annina S., damit sie gleich lernen, was sie einmal getan haben.«

1425-1426 Kindergeburtstag bei Pamela.

1708-1710 Am 3. August 1968 fahren die Blumenroths mit Gesine und Marie an die Jones Beach. Pamela lässt sich auf der Luftmatratze zu weit hinaustreiben, so dass Gesine und Mr. Blumenroth sie retten müssen. Pamela ist »eine Gefährtin für Marie zum Weiterleben. Sie steht mit vorgedrücktem Brustkorb, hält auf kurzem Hals den Kopf nach hinten. Zieht den Mund breit, alles wird nach hinten und unten gedrängt, als wäre der Kopf am Brustkorb angewachsen. Das ganze Gesicht lacht. Marie strahlt beim Anblick der Freundin.« Im Verhältnis zu Marie benimmt sie sich, »als wär sie eine Zweitgeborene. Ein ›Mädchen‹ im europäischen Verständnis. Das wird eine praktische, nette Frau. An Klugheit fehlt es; unverrückbar richtig ist sie. Das wollen wir alles sehen. Auf Pamelas Hochzeit wollen wir gehen.«

Vgl. auch 24. 488. 493. 501. 708. 862. 1314. 1785.

Bobzien, von

Adelsfamilie im Jerichower Winkel. Ihr gehört der Gräfinnenwald im Westen Jerichows.

667 Die Bobziens geben »ihren Gräfinnenwald nicht für Übungen der S.A. frei«. Ihren Zuchtbullen nennen sie »Friedrich der Große«, wogegen Friedrich Jansen, der nationalsozialistische Bürgermeister von Jerichow, gern etwas unternehmen würde, aber nicht kann. »Es war ein mächtiges Tier, träge und tückisch, und hatte einen etwas zu dösigen Blick. ›Wie Bullen eben sind.‹«

757 Das Haus, in dem die Tannebaums wohnen und ihren Laden betreiben, gehört den Bobziens, »deshalb hatte Jansen [in der Pogromnacht vom 9./10.11.1938] durch Löschen dem Feuer vorbeugen wollen, das nicht da war«.

805 Die Bobziens helfen der von der weltlichen und der geistlichen Obrigkeit verfolgten Aggie Brüshaver und ihren Kindern, indem sie ihr »Kartoffeln und Wild ohne Berechnung« liefern, und lassen ihre Wagen »auch am hellichten Tag vor dem Pfarrhaus halten«.

Vgl. auch 909. Anhang XIII.

Bobzin, Gut

49 Gut der von Haases bei Malchow am See, auf dem Heinrich Cresspahl sen. als Stellmacher gearbeitet hat.

279-280 Heinrich Cresspahl hat 45 Jahre, seine Frau Berta 41 Jahre für die von Haases auf Gut Bobzin gearbeitet. Im März 1933 besucht Berta Cresspahl ihre Freundin Erna Schmoog im zugehörigen Dorf und macht einen Höflichkeitsbesuch bei Frau von Haase auf Bobzin. Dort bricht sie zusammen, lässt sich zu Erna Schmoog bringen, wo sie zwei Tage später stirbt.

Boccaletti, Giorgio

Inhaber eines Frisier-Salons für Damen in der Madison Avenue, New York.

1391-1392 Gesine Cresspahl hat am 20. Juni 1968 einen Termin bei »Haarkünstler Boccaletti«. Er stammt aus Bari in Süditalien und klagt über den weiten Weg dorthin. Er entsetzt sich über die Kriminalität in New York, wo für zwei Dollar Morde begangen werden.

Vgl. auch 1664. 1736.

Bock, Elise

Betätigt sich als Telefonistin (746) und Kellnerin (935) in Alma Wittes Hotel »Stadt Hamburg« in Gneez, später Sekretärin von Gerd Schumann (1378), dann Schulsekretärin an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez (1607, 1652).

1671 Am Tag der Verhöre wegen der Flugblattaktion nach dem Pfingsttreffen der FDJ im Sommer 1950 deckt sie Gesine Cresspahl, indem sie ihr einen Zettel wegnimmt, auf dem Anita Gantlik ihr Informationen über die zu erwartenden Fragen hatte zukommen lassen: »sie sah der Schülerin begütigend zu und hatte den Fetzen schon weggegrapscht, als der Ruf in ihrem Telefon die Klingel erst antippte.«

1686 Bekommt am 13. Oktober 1950 den Titel »Verdiente Aktivistin« verliehen, »auch eine hübsche Zuwendung an Geld. Ein letzter Gruß vom Dreifachen J«.

1844 Flieht 1952 oder 1953 nach Westberlin. Gesine muss mit ansehen, wie ihre Möbel versteigert werden. »Die Bieter, Alfred Fretwust voran, johlten ihre humorigen Anmerkungen, als seien sie jugendlich, oder angetrunken. Nun fing ich an, wegzugehen.«

Vgl. auch 936. 1397. 1652. 1654. 1676. 1695. 1713. 1801.

Böhm

Katholischer Pfarrer in Jerichow.

1065 Der erste sowjetische Stadtkommandant K. A. Pontij behandelt ihn ähnlich freundlich wie seinen evangelischen Kollegen Brüshaver und bittet ihn, Brüshaver eine Glocke abzugeben.

Böhnhase (Tabak-Böhnhase, Böhnhaase)

Tabakwarenhändler in der Stadtstraße von Jerichow.

164 Vertreibt im Herbst 1932 die Zigarettenmarke »Trommler«, die Bilder von nationalsozialistischen Politikern als Beilage anbietet; die Sorte »Kollektive« nimmt er nicht ins Sortiment, bestellt aber Probelieferungen der bei Bauern und Landarbeitern beliebten »Roten Sorte«. Böhnhase »war D.N.V.P., der ließ sich von den Sozialdemokraten nichts sagen«.

723 In der Pogromnacht vom 9. auf den 10.11.1938 schaut Böhnhase wie alle anderen zu, wie die SA den Laden der Tannebaums zerstört. Als Oskar Tannebaum auf die Straße gestoßen wird, sagt er: »Nu geit de Reis los, sä de Mus, dor löp de Katt mit ehr tau Boen« [Nun geht die Reise los, sagte die Maus, als die Katze mit ihr auf den Dachboden lief].

909 Im Herbst 1942 wird Böhnhase »aus Jerichow abgeholt, weil er Rauchwaren gegen Naturalien verkauft hatte. Sieben Jahre Gefängnis.«

1219 Im Sommer 1945 hat Heinrich Cresspahl (als Bürgermeister von Jerichow) bei Böhnhase zwei Säcke gerösteten Kaffees beschlagnahmen lassen.

1355-1357 Im Herbst 1945 »trat Böhnhase auf als Gründer der lokalen L.D.P.D., Tabak-Böhnhase, ehemals D.N.V.P., sieben Jahre Gefängnis wegen Wirtschaftsvergehen im Jahr 1942, Rauchwaren gegen Räucherspeck, dennoch nicht anerkannt als O.d.F., Opfer des Faschismus, immerhin zur Stelle als Pfeiler des antifaschistischen Liberalismus, Sprechstunden während der Geschäftszeiten, die Rationierung des Tabaks kein Argument gegen die Partei, die Abschaffung der Raucherkarten eins für sie.« Er kommt damit Mining Köpcke und Bergie Quade zuvor, denen der Stadtkommandant von Jerichow, K.A. Pontij, die »Gründung / einer Ortsgruppe / einer Partei / des Liberalismus / (oder: der Liberalität) und / der Demokratie / Deutschlands« vorgeschlagen hatte. »Frau Köpcke wie Bergie gestanden sich ein, daß sie einen männlichen Appetit unterschätzt hatten, auch war Böhnhase zu lange weggewesen vom Trog; sie traten seiner Partei bei«.

Vgl. auch 215. 293. Anhang XI.

Bøtersen, Ingrid

Dänische Stewardeß. Mit Françoise Bertoux Vormieterin der Wohnung am Riverside Drive, die Gesine und Marie nach ihrer Ankunft in New York beziehen. – Vgl. 28. 276. 322. 580. 607. 787. 823. 1666. 1753. 

Bothmer

Adelsfamilie im Jerichower Winkel.

114-115 Auf einem Foto von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit sitzt neben dem Brautvater Albert Papenbrock eine Dame in einem »uniformähnlichen Kostüm«, in der Gesine eine Verwandte der Bothmers mit dem Vornamen Isa vermutet.

474 Im Jahr 1935: »Die Plessens und die Bothmers und Konsorten hatten sich mitsamt ihren Reitervereinen in die S.S. übernehmen lassen.«

1352 Nach dem Krieg erscheint es Louise Papenbrock nicht mehr opportun, sich etwas auf ihre Beziehungen zu adeligen Familien zugutezuhalten; »einen Bothmer auf der Flucht hätte sie an der Tür abgewiesen«.

Anhang XIV Cresspahl erinnert sich, dass Hans Kaspar von Bothmer nach dem Krieg sein Schloss als Typhuskrankenhaus öffnete, selbst bei der Pflege half und kurz darauf am Fleckfieber starb.

Böttcher, Klaus

Tischler in Gneez. Sohn von Wilhelm Böttcher, später verheiratet mit Brigitte (»Britte«). Geht 1938 zum Reichsarbeitsdienst, 1939 zur Wehrmacht. Tritt nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in die Tischlerwerkstatt seines Vaters ein.

445-446 »Cresspahl hatte Böttchers Sohn mißfallen. 16 Jahre war der Bengel alt, und nahm den Mund voll mit seinem ›Dienst‹ in der H. J., was für ›Hitlerjugend‹ stand, und mit seinen Freunden in der Gaujugendführung und nächtlichen Schießübungen im gneezer Stadtwald«. Er war durch seinen Klassenkameraden Emil Knoop zu den Nazis gekommen. »Seit Klaus Böttcher im Gymnasium neben Emil saß, war er so etwas wie sein Adjutant oder Feldwebel gewesen.« Als Emil Knoop in ein auswärtiges Internat wechselt, wird Klaus Böttcher Leiter der HJ in Gneez und Jerichow. »Der ging in der Uniform zur Schule, und in der Uniform ging er zum Zahnarzt. Aber in seines Vaters Werkstatt hatte er zwei linke Hände.« Gegen Cresspahl verhält er sich ehrerbietig und verzichtet sogar darauf, ihn mit »Heil Hitler« zu begrüßen, aber »Cresspahl tat ihm doch grob Bescheid«.

446-447 Arglos erzählt er Cresspahl, dass die HJ ein 1931 von der Bündischen Jugend gebautes »Landfahrerhäuschen« am Ufer des Gneezer Sees besetzen will. Cresspahl informiert seinen Lehrjungen und ehemaligen Pfadfinder Heine Klaproth. In der Nacht bauen die Pfadfinder und Jugendliche von der SAJ, der (verbotenen) Jugendorganisation der Sozialdemokraten, Haus und Bootssteg ab.

917-923 Klaus auf Heimaturlaub 1943. Rückblick: Seit 1934 hatte er versucht, »von der väterlichen Werkstatt wegzulaufen, anfangs in die Hitlerjugend, dann in den Reichsarbeitsdienst, bis die Wehrmacht im April 1939 ein Einsehen hatte und ihn ›nahm‹«. – War im Arbeitsdienst »Chef der Tischlerei«, nachdem er seinem Feldmeister 30 Hocker aus gestohlenen Eisenbahnschwellen angefertigt hatte. – Im Februar 1943, nach der Niederlage von Stalingrad, ist der nun zweiundzwanzigjährige Oberfeldwebel auf Heimaturlaub in Gneez. Der ehemals »wendige Erzähler« ist schweigsam geworden. Cresspahl erzählt er von seiner Stationierung in Bromberg 1940 und von der Liebe zu einem polnischen Mädchen, die von seinen Vorgesetzten entdeckt wurde. Am vorletzten Abend seines Urlaubs erzählt er seinen Eltern, Kliefoth und Cresspahl von Massenmorden der SS an der sowjetischen Bevölkerung, deren Zeuge er wurde.

1000 Am Ende des Krieges wissen seine Eltern durch anonyme Briefe, dass er in einem »Lager im südlichen Rußland« gefangen ist.

1571-1572 Kehrt Weihnachten 1948 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück, nachdem Cresspahl durch eine ›Intrige‹ dafür gesorgt hat, dass Emil Knoop sich bei den Sowjets für seinen ehemaligen Mitschüler einsetzt.

1684 Beobachtet auf einem Waldweg ein »verheultes Paar«: Bettina Selbich und Schulleiter Dr. Kramritz, der seiner Kollegin während einer Ehekrise Avancen macht.

1688 Flieht im Sommer 1950 barfuß vor drei Herren in schwarzem Anzug, die sich seinem Haus nähern, bis nach Krakow. Zurückgekehrt, erklärt er seine Panik: »Woans sall de Haas bewiesn, dat he kein Voss is?« [Wie soll der Hase beweisen, dass er kein Fuchs ist?]

Anhang XVI Klaus ahnt, dass Cresspahl im Krieg geheimdienstlich tätig war. Übernimmt nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft die Tischlerwerkstatt seines Vaters.

Vgl. auch 892.

Böttcher, Wilhelm (Willi)

Tischler, einige Zeit Innungsmeister in Gneez, Vater von Klaus Böttcher.

445-446 Heinrich Cresspahl macht ihm nach seiner Ansiedelung in Jerichow 1933 einen »Anstandsbesuch«. Böttcher traut dem neuen Innungsmitglied nicht.

468-469 Verhilft Cresspahl 1935 zu den Aufträgen der Wehrmacht beim Ausbau des Flugplatzes Jerichow Nord. Die Ausstattung des Offizierskasinos, die Cresspahl gern übernommen hätte, behält er sich selbst vor, »denn er hatte den Fisch an Land gezogen«. Cresspahl bekommt die Aufträge für die Herstellung der Betten, Wandschränke, Schilderhäuschen und Lattenroste.

745 Nach Lisbeths Tod kauft Cresspahl bei Böttcher von dessen bestem Holz, »helle Eiche, fünf Jahre abgelagert« für Lisbeths Sarg.

758 Aus dem Holz schreinert Cresspahl in Wilhelm Böttchers Werkstatt selber den Sarg für seine Frau. Böttcher ist es »genierlich dabei, und ihm war zuwider, daß wer immer den Kollegen bei dieser Arbeit beobachtete«. Aber Brüshaver, der ihn dort besucht, erscheint Cresspahl »gar nicht fremd in der fremden Werkstatt«.

831 Böttcher verschafft Cresspahl nach Lisbeths Tod eine Anstellung als Tischler auf dem Flugplatz Jerichow Nord.

1000 Bei Kriegsende: »Die Böttchers wußten von ihrem Sohn, daß er in einem Lager im südlichen Rußland war; acht anonyme Briefe hatten sie bekommen, als sein Name im moskauer Rundfunk verlesen worden war.«

1432 Während Cresspahl im sowjetischen Gefangenenlager einsitzt, besucht Gesine Cresspahl, nun Fahrschülerin aus Jerichow, Böttcher manchmal in seinem »Haus mit stattlicher Einfahrt, einer gedrungenen Wohnetage und Leutekammern darüber« und schaut ihm bei der Arbeit zu (vgl. 1567: »Gesine hatte ihm bei der Arbeit zugesehen, weil sie ihren Vater entbehrte«).

1434 Gesine erfragt bei Böttcher und dessen Gneezer Tischlerkollegen Arri Kern den Preis für ein Butterstampffass. Böttcher erhält den Zuschlag.

1435-1436 Von Alma Witte und von Wilhelm Böttcher lernt Gesine »kleine Fetzen der Ortsgeschichte« von Gneez.

1566-1572 Nach Cresspahls Rückkehr aus dem sowjetischen Gefangenenlager Fünfeichen besucht Böttcher ihn und gesteht ihm, dass er für die Sowjets Wachttürme gebaut hat, unter denen Cresspahl zweieinhalb Jahre lang leben musste. »Auf diesen Artikel aus Böttchers Produktion tranken die beiden einen Schnaps, einen einzigen. Die Flasche blieb zwischen ihnen stehen, Denkmal für Böttchers Anteil an Cresspahls Gefangenschaft.« – Statt nach Cresspahls Ergehen zu fragen, redet Böttcher nur von sich und beklagt sich ausgiebig über sein Dasein: Über seine höchst lukrative Zusammenarbeit mit den Sowjets, die ihn immer zum Trinken nötigten, und über seine Frau. »Demnach habe ja auch Böttcher sein Päckchen zu tragen gehabt: sagte Cresspahl, freundlich. Seine Tochter war in Rage auf Böttcher«. – Böttcher berichtet über Emil Knoop, der bei allen Geschäften mit den Sowjets seine Hand im Spiel habe. Cresspahl bringt ihn auf die Idee, Knoop für die Freilassung seines Sohnes Klaus aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft einzuspannen.

1588 Baut Bootshäuser für die FDJ.

Vgl. auch 561. 711. 912. 917. 920-923. 1000. Anhang X.

Bouton, Thelma

Angestellte in einem Juwelierladen in New York.

1545 Gesine Cresspahl an Anita Gantlik: »Was, du hörst zum ersten Mal von Thelma Bouton? Arbeitet in einem Juwelierladen, 42. Straße Ecke Fünfte Avenue. Kommt gestern früh ein Mann mitm Schuhkarton, verschließt die Tür hinter sich. Fragt sie was er wünscht. Zeigt er ihr ein Brotmesser. Betteln vermittels Waffe. Haut sie ihm mit ihrem Besen übern Kopf. Mann, ist der Kerl gelaufen!«

Brandt, Willy

Deutscher Politiker (1913-1992). 1933-1945 Exil. 1957-1969 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1966-1969 Bundesminister des Auswärtigen, von 1969 bis 1974 Bundeskanzler, seit 1964 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

173 Die New York Times bringt am 14. Oktober 1967 ein Bild, »das im Vordergrund den allbekannten Antifaschisten Willy Brandt als Außenminister der Westdeutschen zeigt und, weniger scharf, hinter und über ihm den Chef der so genannten Christlichen Demokraten [Kurt Georg Kiesinger], der während der Herrschaft der Faschisten blind, taub und lahm gewesen ist«.

1091 Am 1. Mai 1968 berichtet die New York Times von Wahlerfolgen der NPD bei Landtagswahlen in der Bundesrepublik. »Es soll dem Kanzler Kiesinger peinlich sein, Nazi der er war, und sein Kompagnon Brandt, der Anti-Faschist, er soll den Verlust an Vertrauen bedauern. So heißt es.«

Brecht, Bertolt

Deutscher Dichter, 1898-1956.

75 Über Gesines Umgang mit der »Tante« New York Times: »Wir sind mit ihr verfahren streng nach dem Vorschlag eines Literaten der Gegenwart und haben sie behandelt mit Rücksicht und hilfsbereit: es sollte vor allem uns ankommen auf ihre Erfahrung« (vgl. Brechts Gedicht »An die Nachgeborenen«).

211 Von einer »solide und kleinbürgerlich« gekleideten Frau auf der U-Bahn-Treppe um einen Zehner angegangen, denkt Gesine: »Ich könnte dir n prima Gedicht von Brecht empfehlen, du wildgewordene Hausfrau.«

340 Der ›Club der Carola Neher‹, bestehend aus D.E. und zwei Freunden, möchte herausfinden, was es mit »einem gewissen Schweigen des Dichters Brecht« zu der Verhaftung der Schauspielerin Carola Neher in der Sowjetunion in den dreißiger Jahren auf sich hat.

449 Gesine bedauert, dass Anita Gantlik ihre Wohnung verloren hat, an der sie u.a. mochte, »daß sie drei Ausgänge hatte, getreu der Vorschrift des Dichters« (vgl. »Herr Keuner in einer fremden Behausung«).

459 Zitate aus Brechts »Mahagonnygesang Nr. 3« (vgl. auch 453: »Yes sir: sagten die Männer im Lastwagen«).

709 Zitate aus Brechts Gedicht »Die Nachtlager«, bezogen auf Francines Aufnahme bei den Cresspahls, nachdem ihre Mutter bei einer Messerstecherei schwer verletzt worden ist.

1818-1820 Brechts Werke im Deutschunterricht von Bettina Selbich an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Behandelt werden etwa »Die Erziehung der Hirse« (1818), der »Herrnburger Bericht« (1819), die »Hundert Gedichte« (1819 f.).

1819 Der »Herrnburger Bericht«, der bei den III. Weltjugendfestspielen der FDJ in Berlin 1951 aufgeführt wurde, dreht sich um einen Vorfall nach dem Deutschlandtreffen der FDJ 1950, bei dem die von dem Treffen zurückreisenden westdeutschen Jugendlichen an der Grenze in Herrnburg von der westdeutschen Polizei schikaniert wurden. »Wir waren albern genug, eine Inszenierung des Chorwerkes auch vorzuschlagen für die Fritz Reuter-Oberschule in Gneez (weil Herrnburg doch Nachbarschaft sei), zur Begeisterung von Bettina S. (über ihre pädagogischen Erfolge). Da legte Julie Westphal sich quer, der schwante etwas von unserer Verwunderung über einen Dichter, der sich empörte über westdeutsche Polizeikontrolle, weil er von der ostdeutschen meistens verschont wurde.«

1820 Gesine sucht nach einem Exemplar der »Hundert Gedichte« von Brecht (vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1820, 3).

1826 Gesine schickt ihrem alten Lehrer Kliefoth regelmäßig Zigarren und Tabak »so wie Brecht für den Dichter Oscar Wilde täglich eine frische Rose hätte besorgen wollen in Ostdeutschland«.

Breitsprecher, Max

Sattler in Gneez, SA-Mann.

354-356 Er steht beim ersten ›Judenboykott‹ der Nazis am 1. April 1933 zusammen mit Ossi Rahn vor Tannebaums Geschäft in Jerichow, um die Leute davon abzuhalten, bei »dem Juden« zu kaufen. Wohl fühlt er sich dabei nicht. Er »war in die Partei der Nazis gegangen als ein Geschäftsmann, dem die Entmachtung des Großhandels und der Warenhausketten versprochen war; nun stand er hier mit dem schönen Ossi vor Tannebaums Laden und schädigte nicht nur einen Geschäftsmann sondern auch sich selbst um Kunden in Jerichow«. Er verläßt seinen Posten, rät Tannebaum, das Geschäft übers Wochenende zu schließen. Ossi Rahn zeigt ihn bei der Jerichower Ortsgruppe der Nazis an »als feige und judenfreundlich im Dienst«.

Vgl. auch Anhang XI.

Breshnev, Leonid I. (Breshnew, Breschnev, Breschnew)

Sowjetischer Politiker (1906-1982), von 1964 bis 1982 Generalsekretär der KPdSU.

541 Über seine Unterstützung des tschechischen Staatspräsidenten Novotný.

769 Im Februar 1968 hilft »Breshnew [...] in Prag den 20. Jahrestag des Umsturzes feiern«.

1366 Über den Besuch einer Delegation der tschechoslowakischen Nationalversammlung unter der Leitung ihres Präsidenten Smrkowský bei Breschnew im Juni 1968.

1374 Streitet laut Bericht der New York Times vom 18. Juni 1968 mit Tränen in den Augen ab, »daß sein Land sich einmischen will in die Demokratie der Tschechoslowakei«.

1415 Die New York Times berichtet über den Besuch der Delegation der tschechoslowakischen Nationalversammlung in Moskau im Juni 1968 (vgl. 1366). Die Darstellung ihrer politischen Ziele haben die sowjetischen Genossen »nicht angehört mit Begeisterung. Der Erste unter ihnen, das bleibt unwidersprochen, hatte Tränen in den Augen.«

1669 Die New York Times berichtet über ein Treffen Breschnews mit Dubček auf dem sowjetisch-tschechoslowakischen Grenzbahnhof Cierna am 29. Juli 1968.

1707 Über eine weitere Begegnung Breschnews mit Dubček in Bratislava Anfang August 1968: »Die beiden haben einander heute morgen im Bahnhof von Bratislava umarmt. Wie die Tante [New York Times] hört, ist Breshnev freundlich gestimmt durch schriftliches Zureden von seiten der Führer dreier kommunistischer Parteien: der jugoslawischen, der italienischen, der französischen.«

Brewster, William B.

M. D., Arzt von Marie Cresspahl, Praxis an der Park Avenue. Verheiratet, 2 Töchter, sieben und neun Jahre. Wird Mitte September 1967 zum »aktiven Militärdienst« nach Vietnam eingezogen, wo er ein Lager für Flüchtlingskinder ärztlich versorgen soll.

101 »Wo gibt es das, ein Arzt in New York, jährlicher Umsatz über hunderttausend, kommt bei ein wenig Fieber ins Haus und beschließt die Behandlung mit einem uneiligen Gespräch, locker und müßig auf seinem Stuhl, nicht der freiberufliche Unternehmer, fast ein Freund bei privater Visite?«

109-111 Mrs. Brewster telefoniert mit Gesine und berichtet ihr von Maries Versuch, sich von ihrem nach Vietnam eingezogenen Mann zu verabschieden, der aber schon abgereist ist.

627-631 Marie bekommt von Mr. Brewster eine Karte aus Vietnam. – Rückblick auf ihre erste Begegnung mit ihm 1961, als er noch Arzt am Krankenhaus St. Lukas war. Für Marie war er »einer der ersten Amerikaner, auf die sie sich einließ, als sie im Frühsommer 1961 in dies fremde Land hatte mitkommen müssen.«

Vgl. auch 276. 688. 1710.

Broadway (New York City)

Die längste Straße Manhattans, die vom Norden bis an die Südspitze der Insel reicht. Der Riverside Drive an der Oberen Westseite Manhattans, wo Gesine und Marie Cresspahl wohnen, verläuft parallel zum Broadway.

96-98 »Wo wir wohnen, ist der Broadway alt. Wir sind weit von seinem legendären Stück oberhalb des Times Square [...]. Unser Broadway beginnt an der 72. Straße, wo er auf die Amsterdam Avenue trifft und ihr den Verdipark abschneidet.« Es folgt eine Beschreibung des oberen Broadway.

175-176 »Der Broadway ist der Marktplatz, die Hauptstraße unseres Viertels. Zu Einkäufen müssen wir es kaum verlassen [...]. Hier, beim Schuster, beim Blumenkaufen, in den kleinen Feinkostläden, bei Schustek werden wir gefragt nach unserer Gesundheit, nach unseren Ferien, nach der Schule [...]. Auf diesen Bürgersteigen kennen wir die Bewohner des Viertels aus den Besuchern heraus und werden von ihnen gegrüßt mit dem stumpfen, zurückgenommenen Blick, der eben noch die Wahrnehmung verrät.«

1507 »Die Gehsteige an unserem Broadway sind eingefaßt mit Stahlbandagen, die machen die Straßenecken steil, mühsam zu bewältigen für Bürger mit Kinderwagen oder auch nur mit solchen Einkaufskarren, in denen die Familie einen wöchentlichen Bedarf auf einmal nach Hause fahren soll. Zum ersten Mal heute sticht uns in die Augen und sänftigt unsere Sohlen, daß die Stadt die Übergänge zwischen Fahrdamm und Bürgerweg mit bequemen Rundungen der Stahlkanten versenkt hat [...]. Sollte das vorkommen? Dem Blick der New York Times entgeht etwas, eine stilistische Änderung im Meublement des Broadways Ecke Achtundneunzigste, eine ästhetische Korrektur, ein soziographischer Vorgang? Leider müssen wir es vorsorglich erwägen.«

Bruchmüller

Dr. iur., Betriebsleiter der Arado-Werke in Gneez-Brücke nach 1945.

1418 Im Zusammenhang mit der Deportation von Werksangehörigen der Arado-Werke in der Nacht vom 21. auf den 22. 10. 1946 wird behauptet, »daß der in ungesetzlicher Willkür gewählte Betriebsleiter, Herr Dr. Bruchmüller von der C.D.U., nicht von dem Verdacht befreit ist, in den Arado-Werken befindliche Werkzeuge und Handelsartikel vor der zweiten Demontage im November vorigen Jahres verschleppt zu haben«. Vermutlich wurde Bruchmüller ebenfalls deportiert (vgl. 1672).

1672 Im Direktorzimmer der Fritz Reuter-Oberschule 1950 steht in der Besucherecke eine »Polstergarnitur, Sequestriergut aus dem Bruchmüllerschen Haushalt«.

Brüshaver (Sohn)

Sohn von Pastor Wilhelm Brüshaver aus erster Ehe.

471 Pilot der Luftwaffe, »und offenbar fand Brüshaver nichts dabei, daß sein Sohn aus der ersten Ehe als Pilot in der Luftwaffe jenes Österreichers diente, der die Kirche kassieren wollte. Brüshaver erkundigte sich ja wohl nach dem Stand der Arbeiten in Jerichow Nord, weil er seinen Sohn dahin versetzt haben wollte, womöglich als Kommandant.«

497 Fliegt 1936 »in Spanien gegen die Truppen der legalen Regierung und würde sich womöglich als Lohn die Kommandantur eines Flugfeldes verdienen, es mußte ja nur noch fertig werden«.

562 Pastor Brüshaver hat seinen Sohn »in einem verlöteteten Kasten aus Spanien zurückbekommen«.

Brüshaver, Agathe (Aggie)

Zweite Frau von Pastor Wilhelm Brüshaver, ehemalige Diakonisse, vier Kinder: Martin, Mathias, Marlene, Alexander; die ersten drei Kinder sterben bei einem Bombenangriff in Rostock. Befreundet mit Lisbeth Cresspahl.

245 Heinrich Cresspahl lernt Aggie Brüshaver im März 1933 kennen, als er Gesines Geburt melden will. Da wird er empfangen von »einer Person, die ihm eher vorkam wie ein Mädchen, nicht nur weil sie eben erst dreißig war, auch wegen ihrer lockeren, unachtsamen Bewegungen, weil sie sich die blonden Zöpfe recht lose um den Kopf gesteckt hatte, weil sie zu jung und zu hell schien inmitten der dunklen Bücher und Möbelfarben des Amtszimmers. [...] Wenn sie die Personalien und Daten aufschrieb, war ihre Haltung der eines Schulkindes ähnlich. Sie war so nahe am Buch, sie drückte den Zeigefinger so gedankenlos durch«.

424-425 Ihre Freundschaft mit Lisbeth Cresspahl 1933. – Ihre Vorgeschichte: Sie war Diakonisse im Rostocker Krankenhaus, wo sie auch Brüshaver kennengelernt hat. Damals war sie »mehr vorbereitet auf die Hilfeleistung in anderen Haushalten als auf die Führung eines eigenen, und zumindest im Kochen lernte sie von Lisbeth mehr in einem halben Jahr als in den dreien, in denen sie ihre Erfolge an Brüshavers Miene hatte ablesen müssen«. – Durch sie erfährt Lisbeth »mehr von den Streitigkeiten der evangelischen Kirche mit dem Österreicher als sonst ein Gemeindeglied in und um Jerichow wissen konnte«.

643 Sie erzählt ihrem Mann von Lisbeths Behauptung, dass »die Heilige Schrift an keiner Stelle den Selbstmord verbiete«, und fragt ihn, ob das wahr sei. Brüshaver wehrt ab.

646 Später sucht Brüshaver ihr Stellen aus der Bibel zum Thema Selbstmord zusammen, schläft aber darüber ein, so dass er nicht mehr dazu kommt, ihr zu erklären, dass die Bibel den Selbstmord als »Abfall von Gott« bewertet.  »Hätte Lisbeth erfahren, daß es diesen Zaun gab, sie hätte vielleicht nicht daran gedacht, ihn zu übersteigen.«

755 Nach Lisbeths Selbstmord will sie, »daß Lisbeth in die Sonntagspredigt« kommt, und initiiert damit die Mahn- und Strafpredigt, die Brüshaver am 13. November 1938 hält (vgl. 759-761).

761 Totengespräch mit Gesine über Brüshavers Sonntagspredigt: »Was Aggie war, die war stolz auf Brüshaver.«

804-805 Nach Brüshavers Verurteilung zu Zuchthaus und anschließender »Schutzhaft« im Konzentrationslager kommt sie der drohenden Ausweisung durch die Kirchenleitung zuvor. Sie zieht mit ihren drei Kindern nach Rostock und arbeitet dort wieder als Krankenschwester.

879-880 Ihre drei Kinder sterben bei einem Luftangriff auf Rostock, während sie Nachtdienst im Krankenhaus hat.

998-999 Nach dem Krieg: Brüshaver findet seine Frau im Jerichower Pastorat beim Fußbodenwischen.

1178-1179 Ein Totengespräch Gesines mit ihrer Mutter Lisbeth und Aggie Brüshaver über den Film »Der Fünfte Reiter ist die Furcht«, den Gesine eine Woche vorher gesehen hatte: Lisbeth und Aggie zitieren Passagen der Offenbarung auf Englisch nach der King James-Bibel. Sie raten Gesine von der Reise nach Prag ab. – Aggie hat ihr Englisch im Pensionat Schnappauf und Sellschopp in der Alexandrinenstraße von Rostock gelernt.

1595-1600 Nach dem Krieg nimmt sie die Beziehung zu Cresspahls wieder auf, und »sie stellte sich an, als wär sie vorgestern zum letzten Mal gekommen, statt vor zehn Jahren«. Sie ist nun »Straßenvertrauensfrau für Jerichow-Süd [...] (weil einer es doch machen muß, und weil sie von mir bloß die Abrechnung kriegen, keine Leumundszeugnisse)«. Sie zweigt Lebensmittel für Cresspahls ab.

1604 »Am Sonntag nach Palmarum 1949 war bei Brüshavers Taufe. Aggie (›bei mir wächst alles so‹) hatte noch einmal ein Kind, einen Jungen, Alex«. Taufpaten sind Anita Gantlik und Marie Abs.

1622-1623 Fünf Jahre nach Brüshavers Tod (Herbst 1955) wird Aggie 1960 »aus dem Pastorat von Jerichow gekündigt« und bezieht zwei Zimmer am Rosengarten in Gneez. Anita Gantlik hilft ihr, die Witwenwohnung einzurichten. – Sie ist neben Gesine Cresspahl Trauzeugin bei Anitas Hochzeit – »weil ich doch die Neegste dazu bin: vermeinte die beherzte Matrone«.

Vgl. auch 426. 447. 457. 467. 579. 613. 646. 674. 754. 759. 767. 853. 871. 1034. 1065. 1603-1604. 1613. 1616. 1632. 1689. Anhang XIV.

Brüshaver, Alexander (Alex)

Sohn von Wilhelm und Aggie Brüshaver, geboren 1949.

1604 Taufe am Sonntag nach Palmarum 1949. Patin: Anita Gantlik.

1619-1624 Über Anita Gantlik als Patin Alexanders. – »Anita war unerbittlich gegen das Kind. Bis er elf war, bekam er von ihr [die inzwischen im Westen lebt] eine Apfelsine für jeden vierten Tag; nie Bonbons oder Schokolade«. Anita »hatte sich eine Grunddiät ausgedacht für Alex' monatliches Päckchen; immer noch einmal fiel ihr etwas Versäumtes ein, Heftpflaster etwa. [...] Und, wie bei Anita unausbleiblich, eine Bibel mit Illustrationen für Kinder«. – Ein Foto, das Alexander als Jungen Pionier zeigt, mag sie ungern zeigen. – »Mit vierzehn war Alex eitel«, Anita schickt ihm Jeans und lässt ihm einen Anzug schneidern. – Auf einer Fotografie, die der Siebzehnjährige seiner Patin aus Ferien in Polen schickt, »blickt uns ein mecklenburgischer Rundkopf entgegen, weichlippig aber finster unter dem lockig wuselnden Haarschopf«.

1624 Zu seinem 18. Geburtstag bekommt Alexander »zwei Bescheide. Der eine verweigerte ihm, Sohn eines Pfarrers, die Zulassung zum Studium (Mathematik). Der zweite lud den Betroffenen ein, seinen Wehrdienst abzuleisten zu Schutz und Verteidigung seines sozialistischen Vaterlandes.« Um dem Wehrdienst zu entgehen, versucht er über Polen auszureisen, wird in Stettin geschnappt und »verurteilt zu drei Jahren in einem Gefängnis in Sachsen«, von dem aus er nur nach Gneez, an die Mutter, nicht nach West-Berlin (an Anita) schreiben kann.

Vgl. auch 1611-1612.

Brüshaver, Wilhelm

Pastor in Jerichow von 1932-1938 und von 1945-1955. Nachfolger von Methling an der Petrikirche. In zweiter Ehe verheiratet mit Agathe (Aggie) Brüshaver. Im Ersten Weltkrieg bei der Kriegsmarine. Wird seit 1936 bespitzelt (vgl. 805). Weil er Lisbeth Cresspahl im November 1938 mit christlichen Zeremonien bestattet, wie sie die Evangelische Landeskirche Mecklenburg Selbstmördern verweigert, und in seiner Predigt am Sonntag vor der Beerdigung von einem »Opfer« für ein von den Nazis erschossenes Kind spricht, wird er zu Zuchthaus und anschließender »Schutzhaft« in einem KZ verurteilt. Kehrt 1945 nach Jerichow zurück und nimmt seinen Dienst als Pastor wieder auf, nachdem sein Amt zwischenzeitlich von dem regimetreuen Kollegen Wallschläger versehen worden ist. Stirbt 1955.

244 »Wenn man Papenbrock fragte, war dieser Brüshaver lasch. Er bot der Stadt nicht die Unterhaltung, in der Pastor Methling zuverlässig gewesen war.« Sein Äußeres: »ein Vierziger mit schon krummem Gang, schmal in den Schultern, einen kleinen viereckigen Bart im Gesicht, der seinen Blick so träumen ließ, daß sein prompter Gegengruß dann doch verblüffend kam. Es war enttäuschend zu sehen, wie er in den Hausfluren den Talar aus der Tasche nahm und sich umzog wie für eine Reparatur oder eine Arbeit, nicht für einen unfaßlichen Akt. Allerdings hieß es, Sterben bei ihm sei angenehm.«

297-299 Cresspahls Wahrnehmung, als er im März 1933 seine Tochter Gesine zur Taufe anmeldet: »Brüshaver war ein breiter untersetzter Kerl, der nicht kräftig aussah. Er hatte ein Fleisch am Leibe, das war nicht fett, nicht speckig, sogar saß es ihm fest an, es war nur so sichtbar. Die Hände lagen so weich auf der Schreibplatte. Die Backen hingen ihm nicht im Gesicht, das Kinn war nicht mehr als rund, und doch war er prall von Fleisch. Es war so wenig bewegt, es hatte nicht gearbeitet. Trauriges Fleisch.«

424-425 Weltkriegsteilnehmer. Lernte seine zweite Frau Aggie im Rostocker Krankenhaus kennen, wo seine Schulterverletzung aus dem Ersten Weltkrieg nachoperiert wurde. »Die Leute hörten zu, wenn Brüshaver predigte in seiner ernsthaften, vernünftigen, langweiligen Art und fanden es ganz angebracht, daß der Mann nach dem Judenboykott auf die christliche Pflicht zur Nächstenliebe hinwies, denn das war ja der Beruf von dem Mann, dazu war er da und dafür bezog er sein Geld.«

426 Verliest im Januar 1934 die »Erklärung von Niemöllers Pfarrernotbund« im Gottesdienst: »man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen; das war ein Ton, der dieser Tochter von Louise Papenbrock [Lisbeth Cresspahl] unter die Haut ging«. Er wird verwarnt, weil er nicht aus dem Pfarrernotbund austritt.

471 In Jerichow wird gemutmaßt, dass Brüshaver »nichts dabei« findet, dass sein Sohn aus erster Ehe »als Pilot in der Luftwaffe jenes Österreichers diente, der die Kirche kassieren wollte. Brüshaver erkundigte sich ja wohl nach dem Stand der Arbeiten in Jerichow Nord, weil er seinen Sohn dahin versetzt haben wollte, womöglich als Kommandant.«

497 Sein Sohn aus erster Ehe ist im Spanischen Bürgerkrieg eingesetzt.

562 Er »hat den Sohn aus erster Ehe in einem verlöteten Kasten aus Spanien zurückbekommen«.

643-646 Brüshaver überhört indirekte Hinweise auf Lisbeth Cresspahls Selbstmordgedanken. – Seine Predigten arbeitet er jetzt schriftlich aus, denn in seiner Gemeinde »saß zumindest einer, der seine Sätze nicht für sich aufnahm, sondern für andere aufschrieb«. Er bekommt Besuch von der Gestapo und redet sich heraus. »Er wäre gern mutig gewesen, tapfer geblieben. Aber er hatte noch nicht verwunden, daß er den Sarg seines Sohnes nicht hatte öffnen dürfen. Die Überführung der Leiche auf den Friedhof von Lalendorf, wo die erste Frau begraben lag, war ihm verboten worden«. – Über sein Verhältnis zu Martin Niemöller. – Er sucht Bibelstellen für Lisbeth Cresspahl zusammen, die belegen sollen, dass Selbstmord ein »Abfall von Gott« ist. Aber er schläft darüber ein, und später ist die Sache vergessen. »Hätte Lisbeth erfahren, daß es diesen Zaun gab, sie hätte vielleicht nicht daran gedacht, ihn zu übersteigen.«

703 Lässt zu Friedrich Jansens Ärger bei der Einweihungsfeier für Jerichow Nord im Oktober 1938 nicht läuten.

753-755 Cresspahls Besuch am 10. November 1938 nach Lisbeth Cresspahls Selbstmord in der Nacht vorher: Brüshaver schlägt ihm den darauffolgenden Sonntag (13. November 1938) als Beerdigungstag vor, aber »Cresspahl sagte: Montag, um drei. Brüshaver hatte an eine Leichenfeier in der Kirche gedacht, und Cresspahl sagte: In die Kirche muss sie nicht.« Aber Cresspahl bringt ihm eine aus der Bibel ausgerissene Seite mit dem 39. Psalm mit, die er zur Grundlage seiner Totenrede machen soll.

755-756 Setzt sich noch an demselben Tag an die Predigt für den kommenden Sonntag: »Aggie wollte, daß Lisbeth in die Sonntagspredigt kam. Das war gegen alle Gewohnheit und Vorschrift. Wenn sie unter der Erde war, am Sonntag danach konnte sie im Gemeindegottesdienst genannt werden.« Dennoch folgt Brüshaver dem Wunsch seiner Frau und arbeitet für den Sonntag vor Lisbeths Beerdigung eine Straf- und Mahnpredigt aus.

756-757 Geht am selben Tag (Donnerstag, 10. November 1938) zu den Tannebaums, um ihnen für die in der vorhergehenden Nacht von der SA getötete Tochter Marie »ein Begräbnis (ein ›stilles‹) auf seinem Friedhof« anzubieten, aber die Tannebaums lehnen ab: »Sie is nu gestorben wie ne Jüdin; so soll sie denn ne jüdische Beerdigung kriegen.«

757-758 Fährt am Donnerstagabend nach Gneez, um noch einmal mit Cresspahl zu sprechen, der in Wilhelm Böttchers Werkstatt den Sarg für seine Frau tischlert.

759-761 In seiner Predigt am Sonntag nach Lisbeth Papenbrocks Selbstmord, am 13. November 1938, spricht er von dem »Opfer«, das Lisbeth angeboten habe »für ein anderes Leben, den Mord an sich selbst für den Mord an einem Kind« (an Marie Tannebaum) und erinnert an die anderen Opfer der Nazis (Voss, Methfessel, den eigenen Sohn).

761-768 Bei Lisbeth Cresspahls Beerdigung am Montag, 14. November 1938, liest er den – von Heinrich Cresspahl zusammengestrichenen – Psalm 39 und verrichtet liturgische Handlungen, die die Evangelische Landeskirche Mecklenburg Selbstmördern verweigert. »Nun hatte er es nicht nur mit der weltlichen Obrigkeit verdorben, sondern auch noch mit der Kirche«. – »Sie holten Brüshaver in der Nacht, vier Stunden vor Morgen«.

805 Bei den Verhören steht Brüshaver zu seinen Äußerungen und weist seinen Vernehmern die Bibelstellen dafür wie auch für frühere Äußerungen nach, »die ein aufmerksames Mitglied seiner Gemeinde seit 1936 mitgeschrieben hatte«. Er wird zu Zuchthaus und anschließender »Schutzhaft« im Konzentrationslager verurteilt. Die Kirchenleitung steht ihm nicht bei, weil er die Vorschriften für die Beerdigung von Selbstmördern verletzt hat: »Er war im Amt nicht nur suspendiert; die Behörde war sich für eine Exmission nicht zu gut gewesen«.

Seine Frau Aggie bemerkt bald, daß auch »die Jerichower es lästig fanden, auf die Dauer zu ihr und Brüshaver zu halten«. Sie kommt der von der Gestapo betriebenen Ausweisung aus dem Pastorat zuvor, zieht mit ihren Kindern nach Rostock um und arbeitet wieder als Krankenschwester im Rostocker Krankenhaus. Die gemeinsamen Kinder Martin, Mathias und Marlene kommen bei einem Luftangriff auf Rostock ums Leben (vgl. 880).

998-999 Brüshaver kommt 1945 »nach drei Tagen Fußmarsch« aus dem Konzentrationslager nach Jerichow zurück und nimmt schon bald darauf seinen Dienst als Pastor wieder auf.

1065 Stadtkommandant K. A. Pontij besucht seinen Gottesdienst, dirigiert die Gemeinde beim Singen, besucht ihn kurz darauf im Pastorat, und statt des von Brüshaver erwarteten Verbots der Gottesdienste lässt er sich von ihm die Liturgie erklären.

1280 Im Sommer 1946 werden Pastor Brüshaver, Leslie Danzmann, Peter Wulff, Dr. Kliefoth und Frau Uhren-Ahlreep für einige Stunden festgenommen und verhört. Der Zweck dieser Aktion bleibt undeutlich. Eine der Fragen, die ihnen gestellt werden, deutet darauf hin, dass die Sowjets Cresspahl in einen Zusammenhang mit Waffengeschäften des Geheimrats Hähn in den zwanziger Jahren bringen möchten.

1357 Stadtkommandant K.A.Pontij ist mit dem Pastor einigermaßen zufrieden, obwohl er »nicht allgemein Buße predigte für die deutschen Verbrechen im Krieg, auch in dem, was er ›das Soziale‹ nannte, Parteipolitik glaubte er unvereinbar mit geistlichem Amt, es genügte ja auch sein Aufruf zu ›ehrlichem Neubesinnen‹«.

1400 Sein Aussehen im Jahr 1946: »Er war nicht mager vom letztjährigen Hunger, die Lager der Nazis schienen ihn am ganzen Leibe umgebaut zu haben in eine Fassung von zierlicher Dürftigkeit, die Hosen und Jacken von 1937 schlotterten auch von seinen vorsichtigen, fast steifen Bewegungen«. Vom Herbst 1946 an grüßt Gesine Cresspahl ihn nicht mehr, weil sie ihn der Mitschuld an der Verhaftung ihres Vaters verdächtigt (vgl. 1597).

1526 Nach Cresspahls Rückkehr aus sowjetischer Haft im Mai 1948 grüßt Gesine den Pastor auf Geheiß ihres Vaters wieder. »Brüshaver blieb fast der Mund offen, als Cresspahls Tochter ihn als erste grüßte, und gehorsam.«

1596-1597 »Die Kommunisten in der Regierung« haben ihm, wie Aggie bei Cresspahls erzählt, den Posten »eines Staatssekretärs für Kirchenfragen in der Landeshauptstadt« angeboten, aber Brüshaver habe auf ihr Zureden hin abgelehnt eingedenk des Umstandes, dass die ›Genossen‹ ihn immer wieder abgewiesen haben, »wenn er wieder und abermals vorsprach in der Sache von Gemeindegliedern, die verschwunden waren und wegblieben nach dem Belieben der sowjetischen Freunde«. Bei dieser Gelegenheit bekommt Gesine Cresspahl rote Ohren vor Scham, weil sie Brüshaver zugetraut hatte, an der Verhaftung ihres Vaters mitschuldig zu sein. – Auch mit der Kirchenleitung verdirbt Brüshaver es sich erneut, indem er dem einstigen Nazi Herbert Vick eine »Beisetzung nach kirchlichem Ritus« verweigert.

1599 Die Durchführung des von der Verfassung der DDR zugestandenen Religionsunterrichts wird ihm erschwert: Er steht mit seinen ›Mündeln‹ »vor einer verschlossenen Tür in der Schulstraße«.

1600 »Brüshaver war nun drei Jahre lang aufgetreten ohne Zähne, die waren ihm ausgeschlagen zu Sachsenhausen; endlich redet ihm Aggie sein Mißtrauen gegen ›deutsche Ärzte‹ aus, er erschien mit gelblichen Kunststoffgebilden im Munde und kaute lange leer wie ein Mensch, dem schmeckt etwas schlecht«.

1601-1603 Er hält seinen Konfirmandenunterricht im Sommer im Freien, »auf einer Wiese im Gräfinnenwald«, versucht erfolglos, einen Raum für den Unterricht zu bekommen, bis Jakob ihm schließlich einen Werkstattwagen der Reichsbahn beschafft. Seine Behinderungen und Krankheiten nach sechs Jahren in Konzentrationslagern nimmt die Konfirmandin Gesine Cresspahl wahr, kann aber seinen christlichen Botschaften nicht glauben und bricht den Unterricht ein zweites Mal ab. 

1604-1605 Im Frühjahr 1949 haben Brüshavers noch ein Kind: Alexander. Taufpaten sind Frau Abs und die Konfirmandin Anita Gantlik.

1612 Anita, für die eigentlich die Dompfarrei Gneez zuständig ist, geht in Jerichow zu Brüshavers Konfirmandenunterricht, weil der Dompfarrer gegen Bischof Dibelius hetzt. Brüshaver dagegen »wollte es noch einmal versuchen mit seinem Martin Niemöller, im Rat der E.K.i.D., Unterzeichner der Schulderklärung von Stuttgart und Verfasser der Meinung, sämtliche Besatzungsmächte sollten abziehen aus Restdeutschland und es durch die Vereinten Nationen am Frieden halten«.

1620 Im Herbst 1955: »Vadding Brüshaver is dot«.

Anhang XIV Auf die Frage, warum er Brüshaver nicht zu seinen Freunden zähle, antwortet Cresspahl (1949): Er »begreife wohl, daß der Mann sich nicht nur Lisbeth zuliebe ans Gericht geliefert habe, auch aus eigenen Gründen; dennoch könne er dessen Unbefangenheit nicht erwidern. Er sei so weit nicht.«

Vgl. auch 239. 262. 316-317. 319. 364. 427. 526. 559. 578-579. 712. 782. 806. 807. 808. 813. 1044-1045. 1117. 1119. 1172. 1186. 1235. 1243. 1357. 1370-1371. 1456. 1605. 1619. 1632. 1656.

Der Sonntag nach Lisbeth Cresspahls Tod, an dem Brüshaver seine Strafpredigt hält (760-761), ist der 13. November 1938. Dem entspricht auch die Aussage, dass es ein »Eintopfsonntag« war (759): Im November 1938 fiel der monatliche »Eintopfsonntag« des Winterhilfswerks auf den 13.11. (vgl. z.B. die Pommersche Zeitung vom 11. November 1938, S. 15). Am Tag darauf, am 14. November 1938, findet Lisbeths Beerdigung statt (vgl. 762). 

Buck, Joachim

Domkantor, Musiklehrer an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Wird 1949 wegen »Boykotthetze« verurteilt, geht 1952 in den Westen nach Lüneburg.

1629-1630 »Der ›schöne Joachim‹, glänzende Tonsur, wallender Haarwulst, beschwörenden Lippenspiels, war erfahren in der Herrichtung von staatlichen Anlässen, bedankt für die Umrahmung amtlicher Kundgebungen in der Weimarer Republik wie unter dem Reichsstatthalter Hildebrandt [...]; er gab auch dieser Obrigkeit sein jeweils Letztes, warf unsichtbare Gewichte in den Handflächen von tief unten gegen die Kassettendecke der Aula, beschwor seine minderjährigen Singscharen mit ältlich rudernden Armen, in denen er manchmal einen Medizinball zu pressen schien, und knickte pünktlich im Nacken ein, wenn die letzte Note verklang«.

Weil er die neue Nationalhymne der DDR musikalisch analysiert und »die staatliche Melodie« wiederentdeckt in einem Übungswalzer aus der Klavierschule von Karl Zuschneid und in dem Song »Good bye, Johnny« aus dem Hans Albers-Film »Wasser für Canitoga«, wird er beschuldigt, »den Komponisten der neuesten Fassung einer Anleihe, eines Plagiats, eines Diebstahls bezichtigt« zu haben. Man wirft ihm »Boykotthetze« vor, »so daß Buck erst wieder 1952 auf die Beine kam, in Lüneburg«, wo er schon bald wieder umgeben ist »von einer anhänglichen Gemeinde, wegen seiner weltlichen Aufführungen von ›Oh Ewigkeit, du Donnerwort‹ oder ›Die Himmel rühmen‹; ein Verlust für Gneez, hört man auf Frau Lindsetter«.

Vgl. auch 1631.

Budniak

1723 Totengräber in Gneez, bei dem Dieter Lockenvitz und seine Mutter 1945 nach ihrer Ankunft in Gneez in einem einzigen Zimmer wohnen

Vgl. auch 1729.

Buhlan, Bully

Deutscher Schlagersänger (1924-1982).

1725-1726 Bei Pius Pagenkopf hören Gesine Cresspahl, Dieter Lockenvitz, Eva Matschinsky und Saitschik im Jahr 1950 heimlich »den Rundfunk Im Amerikanischen Sektor«: »Da lief freitags eine Schlagerparade, da sang Bully Buhlan zu Saitschicks Genuß und Spaß Jupp-di-du – / du kommst ja doch nicht mit dem Kopf durch die Wand! / Jupp-di-du –«. Lockenvitz »wartete ab, bis wir unter sechs Augen waren; bemerkte: Aus einem solchen Text aus Berlin-Schöneberg folgt immerhin ein soziologischer Kommentar: Die da drüben müssen ihre Leute beschwichtigen, sie von ihren Forderungen abbringen.«

Bülow, Eva von

Lehrerin für Russisch an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Geht 1952 in den Westen.

1814-15 In Russisch bekommt Gesine Cresspahl 1952 eine Zwei im Abiturzeugnis, »vornehmlich wegen Teilnahme an der Verschwörung, einer jungen Volkslehrerin mit dem Namen von Bülow beim Erlernen dieser Sprache bis zu einer Lehrbefähigung behilflich zu sein. Die war ängstlich genug wegen ihrer adligen Herkunft, die psychologischen Auskünfte ihrer Lehrgänge verwirrten sie wegen ihrer Abweichung vom Benehmen einer Zwölf A Zwei in Mecklenburg.« – Am Ende des Schuljahres 1951/52 geht sie nach Hamburg, »da dolmetscht sie nun im westdeutsch-sowjetischen Handel in Schiffbau und Stahl«.

Bülows (Oberbülows)

Gutsbesitzer-Familie im Jerichower Winkel.

590 Während die Ermittler der Gestapo gegen Dr. Semig von Baron von Rammin auf dem Hof abgefertigt werden, werden sie »bei den Bülows, den Oberbülows, [...] ins Haus gebeten. Die Bülows hatten einen Sohn in England, der wollte lieber da studieren, als seine Wehrpflicht in Deutschland ableisten.« – Cresspahl erwähnt später lobend, die Bülows »hätten sich nicht zwingen lassen, einen Sohn vom Studium aus England zurückzuholen« (Anhang, XIII).

1352 Nach dem Krieg erscheint es Louise Papenbrock nicht mehr opportun, sich etwas auf ihre Beziehungen zu adeligen Familien zugutezuhalten: »Es verschlug nichts mehr, sich etwas einzubilden auf ein Bündnis mit den Plessens, den Oberbülows, da fielen ihr leicht Sachen ein, die eher Gegnerschaft bewiesen«.

1839 Das Gut der Bülows ist eines der wenigen Rittergüter im Jerichower Winkel, die nach 1945 nicht aufgesiedelt wurden: Es »war erhalten als V.E.-Gut [Volkseigenes Gut] in einem Vertrag mit den Städtischen Krankenanstalten Wismar«.

Vgl. auch 544.

Büntzel, Friedrich

Tischlermeister in Güstrow.

713 Von ihm weiß Heinrich Cresspahl zu erzählen, dass Ernst Barlach bei ihm das Holz für seine Skulpturen kaufte: »Friedrich Büntzel, Lisbeth, der versteht was von Holz. Von dem hat dieser Barlach Rat angenommen. Aber erst mußte er von einem Block sagen: Der reißt; und Barlach: Der reißt nicht. / Dann riß er. / Und dann hörte Barlach auf Tischlermeister Büntzel

721 Bei seiner Reise mit der fünfjährigen Gesine nach Malchow und Wendisch Burg im November 1938 will Cresspahl in Güstrow auch Tischlermeister Büntzel besuchen. Dazu kommt es nicht mehr, in Wendisch Burg erfährt Cresspahl von Lisbeths Tod und kehrt nach Jerichow zurück.

Burg Stargard

Ort südöstlich von Neubrandenburg.

1288 Nach seiner Verlegung ins Straflager Fünfeichen im Frühjahr 1947 bemerkt Heinrich Cresspahl, der das Lager von einer Erkundungstour für die Briten im Jahr 1944 kennt, dass er im »Südlager« von Fünfeichen untergebracht ist, »nach Burg Stargard hin«.

Burse, Dunaway & Salomon

Anwaltskanzlei in Richmond, vermittelt im Rechtsstreit zwischen der Tischlerinnung von Richmond und Albert A. Gosling um die Tischlerei Pascal und Sohn, die Heinrich Cresspahl seit 1928 verwaltet. – Vgl. 94-95. 352. 378.

Busch, Wilhelm

Deutscher Schriftsteller und Maler, 1832-1908.

230-235 Gesine Cresspahl über die Unwillkürlichkeit erinnerter Sprache: »Beim Händewaschen, beim Autofahren, aus dem blanken Nichts kommt die Reimerei des großen deutschen Antisemiten Wilhelm Busch ins Bewußtsein gespült, komplett mit Zeichnungen und dem Kinderentzücken von damals«. 

Diese Gedanken stehen im Zusammenhang mit ihrem ›Selbstversuch‹ in Nachahmung des Princetoner Experiments zur Funktionsweise des Gedächtnisses (vgl. 226-229), für die der Genosse Schriftsteller ihr folgende zehn Wörter nennt: »Plisch, Plum, Schmulchen, Schievelbeiner, Roosevelt, Churchill, bolschewistisch, Weltjudentum, Untermenschen, Intelligenzbestie«. Sie lösen bei ihr die Erinnerung an ein Foto vom KZ Bergen-Belsen aus.

Bützow

Kleinstadt in Mecklenburg, nordwestlich von Güstrow, seit dem 19. Jahrhundert vor allem wegen seines Zuchthauses Bützow-Dreibergen bekannt und berüchtigt. – Die Cresspahls kennen die Stadt wohl nur von der Durchreise mit dem Zug: Im September 1931 durchfährt Lisbeth Papenbrock den Bützower Bahnhof auf dem Weg von ihrem Treffen mit Leslie Danzmann in Graal zum heimlichen Besuch ihres Bräutigams in Richmond (102), und im Frühjahr 1938 kommen Lisbeth, Heinrich und die fünfjährige Gesine auf ihrer Zugfahrt zu den Paepckes nach Podejuch durch die Stadt (633). Für Gesine verbindet sich der Name später mit ihrem Schulfreund Dieter Lockenvitz, der nach seiner Verurteilung in Bützow-Dreibergen einsitzt.

1381 Nach Bützow, wo nach dem Krieg »eine in Peenemünde demontierte Sauerstoffabrik aufgebaut wird, kommen die Besitzer aus den Westzonen angereist und bieten ihre Dienste an«.

Vgl. auch 417. 1531 u.ö.

Bützow-Dreibergen (Dreibergen, Dreibergen-Bützow)

Haftanstalt im Nordwesten von Bützow, seit 1839 Zuchthaus, in der NS-Zeit Zuchthaus und Hinrichtungsstätte, nach dem Krieg Strafanstalt der Sowjets, dann neben Bautzen und Brandenburg eine der berüchtigtsten Haftanstalten der DDR.

615 In Bützow-Dreibergen sitzt Warning seine 120 Tage Haft ab, zu denen er im Prozess Warning/Hagemeister verurteilt worden ist (vgl. 606).

946-950 Die meisten der an dieser Stelle namentlich aufgelisteten Opfer der »Justiz in Mecklenburg während des Nazikrieges« waren in Bützow-Dreibergen inhaftiert oder wurden hier hingerichtet. – Beschreibung des Hinrichtungskellers, der »heute als Museum gehalten« wird.

1411 Cresspahls Freund Peter Wulff ist während des Mussolini-Besuchs im September 1937 in Bützow-Dreibergen inhaftiert.

1797 Der Schüler Dieter Lockenvitz erklärt den Lesern seiner anonymen Post »die Herkunft des Gefängnisnamens ›Bützow-Dreibergen‹ aus den drei Hügeln an der südwestlichen Ecke des Bützower Sees, auf denen die Unterkunft einst hatte errichtet werden sollen«. Auch berichtet er von dem »ersten Leiter der Anstalt nach 1945, dem Schlossergesellen Harry Frank aus Bützow, der sich ausgab als Regierungsrat, bis er sich im Juni 1949 in einer Zelle erhängen mußte«, und von den »Schlägertrupps in dem überfüllten Bau, benannt nach dem V.P.-Leutnant Oskar Böttcher«.

1803-1804 Dieter Lockenvitz, zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, tritt seine Strafe in Bützow-Dreibergen an.

C

Cabrini, Frances Xavier (Mutter Cabrini)

Ordensschwester (1850-1917), Gründerin der »Missionary Sisters of the Sacred Heart«, 1946 heilig gesprochen, erste Heilige der Vereinigten Staaten.

1756 Auf dem Weg zu Frau Erichson, der Gesine am 8. August 1968 die Nachricht von D.E.'s Tod überbringt, erinnert sie sich an D.E.'s Ortsbeschreibung von Newark, darunter einer »Statue auf der Rückseite des Bahnhofs«, die »weiß und schmalzig das Andenken der ersten Bürgerin der Vereinigten Staaten verewigt, die jemals und bisher heilig gesprochen wurde: Frances Xavier Cabrini«.

Cap Arcona

Passagierschiff der Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Das Schiff wurde kurz vor Kriegsende für den Transport von KZ-Häftlingen eingesetzt. Am 3. Mai 1945 wurde es auf der Ostsee durch britische Jagdbomber versenkt. An Bord befanden sich 4600 Häftlinge. Die Leichen wurden an den Stränden der Lübecker und Mecklenburger Bucht angeschwemmt.

1112-1116 Über den Untergang des Schiffs, die Bergung und Beerdigung der Leichen und die Errichtung von Gedenksteinen für die Opfer in Jerichow und Pelzerhaken.

Vgl. auch 1175.

Carmody, James C.

Angestellter in der Abteilung der Bank im 16. Stock, in die Gesine Cresspahl im Februar 1968 versetzt wird.

820 Er gehört neben Wilbur N. Wendell, Anthony Milo und Henri Gelliston zu dem neuen Kollegenkreis, mit dem Gesine nach ihrer Beförderung bekanntgemacht wird.

1469 An dem Arbeitsessen mit de Rosny, Gesine Cresspahl und verschiedenen leitenden Angestellten der Bank am 1. Juli 1968 nimmt Mr. Carmody nicht teil, und Anthony Milo, der bei de Rosny durchfällt, wird am nächsten Tag zu ihm sagen: »Hast du Schwein gehabt, daß du nicht da warst!«

Vgl. auch 1562.

Caroline

Nachbarin von Gesine und Marie Cresspahl in New York, wohnhaft Ecke Riverside Drive/97. Straße.

173 Caroline ist Bestandteil der ›eingebildeten Heimat‹, die Gesine und Marie Cresspahl an der Oberen Westseite von Manhattan rund um den Riverside Drive gefunden haben: »Die 97. Straße ist uns dicht an dicht besetzt mit Vergangenheit, mit Anwesenheit. Im nördlichen Eckhaus, hinter einem Fenster im zweiten (ersten) Stock, hat Caroline ihre Nähmaschine stehen, dahin gehen wir nähen.«

Carpenter, Ginny

Nachbarin der Cresspahls am Riverside Drive, Stiefmutter von Marie Cresspahls Freundin Marcia Carpenter, dritte Frau von Linus L. Carpenter, Oberst der Reserve; Bekannte von Anselm Kristlein.

493 Die Carpenters »geben Geld für Bürgerrechtler, wünschen dunkelhäutigen Bürgern überall anständige Wohnungen außer an der eigenen Adresse und halten die Angelegenheit Viet Nam für ausgeleiert, ein Gespräch darüber mittlerweile für taktlos, wenn nicht geradezu unschicklich«.

1422-1423 »Mrs. Carpenter (›Nennen Sie mich Ginny‹) ist eine junge Person, einunddreißig Jahre, fünf Fuß vier Zoll, Blusengröße 34, Schuhe Sieben und ein Viertel, alles im Amerikanischen geschätzt. Zu sehen ein wohlgewachsenes Mädchen mit breiten Schultern, birnengroßen Brüsten, schmalen Hüften, regelmäßig bis ins Gesicht [...]. Was man auf der Oberen Westseite New Yorks den skandinavischen Typ nennt.«

1423 Ginny »hält sich für schön, begehrenswert, musterhaft; es wird ihr versichert«. Anselm Kristlein »konnte eine halbe Stehparty lang nicht sich lösen von ihrem hohen bebenden Hals, ihrem tiefkehligen Alt, der ernsten Drolligkeit, die sie für wörtliche Flirts benutzt; sie ist Mr. Carpenter treu auf eine gehorsame, fast unbegabte Manier«. – Sie kam vor vier Jahren an den Riverside Drive, »von Anfang an bestand sie darauf, wir sollten nicht bloß Nachbarn sein, Freunde eben«. Marie besucht sie, um herauszufinden, was eine Stiefmutter ist. – Ginny empfängt ihren Mann jeden Abend in einer adrett hergerichteten Wohnung, »etwas überrötet von hausfraulichem Eifer [...]. Die Liebkosungen fallen sämtlich aus, wie Kinder sie ohne Schaden ansehen dürfen.«

1424 Sie führt ihren Haushalt »nach strenger wie großzügiger Regel: die Gäste bestätigen einander das noch auf dem Bürgersteig; nur daß wir dorthin nicht gingen, eine Prise Salz zu leihen. Das Carpentersche Dienstmädchen, aus einem Dorf in den Alleghenies, sieht der Dame des Hauses schon nach zwei Jahren ähnlich; das macht die Jugend nicht allein.« – »Unzweifelhaft ist Ginny Carpenter eine Großmacht in unserer Gegend, ein Pfeiler unserer Nachbarschaft.« Sie ist Mitglied in fast allen Vereinen, »die sich bekümmern um die äußere Schönheit unseres Viertels«.

1425 In Gesines Augen »ist eine verträgliche Nachbarschaft einer Freundschaft vorzuziehen, in der der eine Teil sich quält«.

1425-1426 Spielt sich auf Pamela Blumenroths Kindergeburtstag am 26. Juni 1968 in den Mittelpunkt, indem sie »vier Dinge zur fast gleichen Zeit« tut, und sagt sich, »daß sie mit einem ausführlichen Besuch bei (zwar vermögenden) Juden mal wieder eine tolle Toleranz« beweist. »Wie Mrs. Cresspahl ihr Kind da rauswinkte, es ist ihr entfallen. Wie sie an der verblüfften Gastgeberin vorbeikam, sie wird es entschuldigen müssen. Als die Fahrstuhltüren vor ihr zuklappten, fing sie an zu lachen. Zwölf Stockwerke lang fiel sie lachend nach unten«.

1426-1428 Gesine Cresspahl streitet mit ihrem »Schriftsteller« Johnson darüber, wie sehr sie über Mrs. Carpenter gelacht hat. Sie einigen sich auf die Formulierung: »So hatte Mrs. Cresspahl noch nie über Mrs. Carpenter gelacht. So? Nie.«

1710-1711 Anselm Kristlein verabredet sich mit Mrs. Carpenter zu einem »Souper à deux«. Er möchte ihre Beratung bei »Einkäufen an der Fünften und Madison«.

Vgl. auch 731. 844. 1067.

Carpenter, Linus L. (Mr. Carpenter III)

Rechtsanwalt, Mitinhaber der Kanzlei Allen, Burns, Elman & Carpenter, Oberst d. Reserve bei einem Hubschrauberbataillon, Studium in Georgetown und Harvard; in dritter Ehe verheiratet mit Ginny Carpenter, Vater von Marie Cresspahls Freundin Marcia Carpenter.

493 Die Carpenters »geben Geld für Bürgerrechtler, wünschen dunkelhäutigen Bürgern überall anständige Wohnungen außer an der eigenen Adresse und halten die Angelegenheit Viet Nam für ausgeleiert, ein Gespräch darüber mittlerweile für taktlos, wenn nicht geradezu unschicklich. Mr. Carpenter [...] hat Marie erklärt, in einem demokratischen Staatswesen sei für einen Jeden seine Stelle zu verwalten, und die Sache des Krieges gehöre zur Stelle des Präsidenten«.

1422-1423 Sein Familienleben. 

Carpenter, Marcia

Mitschülerin und Freundin von Marie Cresspahl in New York, Tochter von Linus L. Carpenter, Stieftochter von dessen dritter Frau Ginny Carpenter.

248-249 Am 1. November 1967 folgt Marie einer Einladung Marcias zur Halloween-Party und lässt dafür Francine im Stich. Denn »zu Marcia darf man gefärbte Kinder nicht mitbringen«.

Vgl. auch 220. 493. 1422-1428.

Carroll, John

Journalist, Kriegsberichterstatter in Viet Nam für die »Baltimore Sun«.

1473 Weil er die Wahrheit über den Krieg nach den USA kabelt, zieht die U.S. Army seine Karte »für unbestimmte Zeit ein; mit dem werden nun weder die Angestellten der Botschaft noch des Militärs sprechen, und wenn er von einem Ort an den anderen will, nimmt kein Fahrzeug der Armee ihn mit«.

Catt, Joachim de (Joe Hinterhand)

Fiktiver mecklenburgischer Dichter, Dr. phil. (1906-1975), Pseudonym: Joe Hinterhand.

1459 »Gneez hatte seinen Schriftsteller gehabt! zwar geboren als Tagelöhnerjunge auf dem Gut Alt Demwies, seit seiner Verfrachtung in die Domschule auf Magistratsstipendium vom elften Lebensjahr in Anspruch genommen von der guten Stadt Gneez in Mecklenburg. Einen Band Gedichte, zwei Romane hatte der zuwege gebracht, bis er vor den Nazis aus dem Lande laufen mußte; schon unter der britischen Besatzung hatte der Rat der Stadt beantragt, die Wilhelm-Gustloff-Straße neu zu benennen zu Gunsten von Joachim de Catt, auch dem Dreifachen J war als Ausweis für de Catt die Emigration ausreichend erschienen. [...] Zwar hatte ›unser Dichter‹ noch nicht wieder den Weg gefunden in seine stolze Vaterstadt, weder in Person noch brieflich. Kam er einmal zurück aus seinen transatlantischen Gefilden, sollte in Gneez vergeben sein, was 1931 an Ähnlichkeiten im Portrait einer kleinen mecklenburgischen Stadt ein wenig ärgerlich gewesen war, Gneez fand sich kaum klein; sein Jubelfest sollte er kriegen, vorerst hatte Herr Jenudkidse schon den zweiten Rezitationsabend zu Ehren von J. de Catt genehmigt.«

1670 In der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez erzählt Frau Dr. Gollnow den Schülern von ihrem »Briefwechsel mit dem Schriftsteller Joachim de Catt, Hinterhand benutzte der als Pseudonym«.

1775 Bei ihrem »Ausflug« nach Mecklenburg 1968 stellt Anita Gantlik fest: »In Gneez gibt es keine Joachim de Catt-Straße«.

Vgl. auch 1548.

Die Figur entstammt der »Skizze eines Verunglückten« (1982), in der Uwe Johnson die Geschichte um einen vermeintlichen Verrat seiner Frau bearbeitet hat.

Ceauşescu, Nicolae

1857 Besucht im August 1968 die Tschechoslowakei und »beschreibt wie man es macht: ein kleines kommunistisches Land, solange es milltärisch bunden bleibt, darf durchaus Kredite in konvertierbarer Währung begehren. Wenn am Tage nach übermorgen die Abgesandte einer new yorker Bank auftritt in der Hauptstadt eines kleineren kommunistischen Landes, was ist denn dabei.«

Černík, Oldřich

Tschechoslowakischer Politiker, geboren 1921, von April bis Dezember 1968 Ministerpräsident der ČSSR.

1048-1049 Die New York Times berichtet am 25. April 1968 über Verlautbarungen des neuen Ministerpräsidenten der ČSSR zum Regierungsantritt.

1447 Černík verurteilt das Manifest der »Zweitausend Worte« vor der Nationalversammlung in Prag am 28. Juni 1968.

Charlie

Inhaber des ›guten Eßgeschäfts‹, Ecke 96. Straße und Broadway. 

176 Zu der ›eingebildeten Heimat‹, die Gesine und Marie Cresspahl an der Oberen Westseite von Manhattan rund um den Riverside Drive gefunden haben (vgl. 173), gehört auch Charlies ›Gutes Eßgeschäft‹, »wo wir angesprochen werden als unentbehrliche, zu lange schon entbehrte Nachbarn. Das heißen die ostdeutschen Kinder aus meiner Klasse den Kapitalismus perpetuieren. Sollen wir sagen: Charlie, du willst nur unser Geld? Charlie wird sagen: Du willst eins von meinen Dreidecker-Sandwiches, so wie nur ich sie machen kann, und zwar für dein Geld, Gesine. Stimmts? Siehste, und dein Kind will Toast mit Ahornsirup, wie gehabt.« 

177-179 Als Marie einen Aufsatz mit dem Thema »Ich sehe aus dem Fenster« schreiben muss, beschreibt sie den Blick aus Charlies ›Gutem Eßgeschäft‹ im Mai 1966, als gegenüber ein Haus brannte.

658 Gesine zieht Mr. Weiszand auf einen Kaffee in Charlies Geschäft, um zu verhindern, dass er sie auf offener Straße umarmt (30. Januar 1968).

1545-1546 Gesine liest Zeitung in Charlies Geschäft, flieht dann aber vor einem alten Mann, der offenbar ein Emigrant und Verfolgter des NS-Regimes ist.  

1708 »Das ist das Amerikanisch, das uns abgehen wird: Marie bestellte sich einen Klops in der Jacke mit einer Zwiebelscheibe dazu. Was ruft Charlie zum heißen Blech hinüber? – Burger takes slice! Do it special for my special Lady, mind! und Marie blickt vor sich hin so verlegen wie es ihr ansteht. Und stolz, weil sie dazugehört«. 

Vgl. auch 211. 661. 970. 1548. 1583.

Chinesen, Die

18 »Was machen die Chinesen? Die Chinesen stecken die britische Botschaft in Peking an und verprügeln den Geschäftsträger. Das machen die Chinesen«.

37 »Was machen die Chinesen? In London fangen sie Streit an mit der Polizei und gehen mit Baseballschlägern, Eisenstäben und Äxten auf sie los. Der die Axt hält, ist ein schmächtiger Junge mit einer Brille, ein Schulkind. Wie haben die Chinesen in England einen Baseballschläger gefunden?«

38 »Die Chinesen ziehen dem britischen Geschäftsträger in Peking den Kopf an den Haaren herunter; sie sagen: aus Rache.«

1845 »Und was machen in S. F. [San Francisco] die Chinesen? Einige stehen entgeistert in einer Galerie zum Schießen mit Luftgewehren auf bewegte Ziele, da betrachten sie eine europäische Touristin mit einem amerikanischen Kind [Gesine und Marie], die haben einen fremdsprachigen Wortwechsel. Geht die Dame hin, nimmt ein Gewehr, hat nach zehn Schüssen eine Weckeruhr sich verdient, den Hauptpreis. Klatschen Beifall, neidlos, die Zuschauer. Das machen in S.F. die Chinesen«.

Cisař, Čestmir

Tschechoslowakischer Politiker und Journalist (1920-2013), Mitglied der KSČ seit 1945. Bis 1957 in verschiedenen Parteifunktionen, u.a. Sekretär beim Bezirkskomitee in Plzeň (Pilsen). 1957 stellvertr. Chefredakteur der Parteizeitung »Rudé Právo«, 1961 Chefredakteur von Nová Mysl (›Neuer Gedanke‹); 1963 Sekretär des ZK der KSČ, 1963-1965 Minister für Erziehung und Kultur, 1965-1968 Botschafter in Bukarest, 1968 erneut Sekretär des ZK der KSČ und Präsident des Tschechischen Nationalrates.

1364-1366 Über seine Auseinandersetzung mit dem sowjetischen »Philosophen« Fjodor Vassiljevic Konstantinov im Mai/Juni 1968. – Porträt Cisařs (1364 f.): Wurde »wegen Neigung zum kulturellen Dialog und Anhörens anderer Ansichten« im September 1963 als Sekretär der KSČ degradiert, reduzierte als Kultusminister »den Unterricht in Fragen der Partei und setzte nicht jedem Lehrer einen Aufpasser in den Rücken«. Ist nach Novotnýs Rücktritt »im Gespräch als neuer Präsident der Republik, neuerdings betraut mit delikaten Missionen des Parteivorsitzenden, etwa: der Presse einen sanftmütigen Umgang mit den sowjetischen Brüdern einzureden. Berufsangaben: Journalist und Philosoph.« 

Club der Carola Neher

Freundeskreis um D.E., bestehend aus D.E., einem nicht näher benannten Dänen und Prof. Dr. Dr. Harry Wittenberg, einem in England lebenden jüdischen Überlebenden der NS-Verfolgungen.

340 Ein Jahr lang teilten die drei Freunde »die Memoiren unter sich auf, die die Überlebenden der Stalinschen Straflager geschrieben haben, nur um herauszufinden, ob die sowjetische Geheimpolizei die Schauspielerin Carola Neher selbst umgebracht hat oder das von Hitlers Geheimer Staatspolizei besorgen ließ. Sie wünschten ihr Verhältnis zu gewissen Behauptungen und einem gewissen Schweigen des Dichters Brecht genauer einzustellen.«

1686 Gesine hat dem ›Club‹, nachdem er mit Carola Neher »durch war«, einen neuen Auftrag gegeben: »einen Lebenslauf für Willi Kreikemeyer«, aber »die drei Gelehrten« finden »keine Lebenserwartung für ihn seit dem August 1950«.

Zu Carola Neher vgl. auch Jahrestage-Kommentar zu S. 340, 29.

Collins, Mrs.

Directrice in einem Kaufhaus an der Fünften Avenue in New York. Wohnt in Astoria, Queens.

1736-1738 Sie berät Gesine Cresspahl beim Kauf zweier großer Koffer für die Reise nach Prag. Für den Anflug von Misstrauen, den sie gegen Gesines Scheck zeigt, entschuldigt sie sich, als sie ihre Kundin kurz darauf im Restaurant des Kaufhauses wiedertrifft.

Comthurey

Konzentrationslager in der Nähe von Alt Strelitz.

968 »Wo immer es anging«, fügt Heinrich Cresspahl seinen Berichten für die Britische Abwehr »Angaben über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, damit wohl die heinckelschen [recte: heinkelschen] Betriebsauslagerungen getroffen wurden, nicht aber die ausländischen Zwangsarbeiter bei Krakow, in Retzow bei Rechlin, in Neustadt-Glewe, Rövershagen, Reiherhorst bei Wöbbelin und besonders in der Comthurey bei Alt-Strelitz. Die Insassen dieses Lagers hatte er in der Nähe des Bahnhofs gesehen, als sie zur Arbeit auf das Gut des S.S.-Obergruppenführers Oswald Pohl getrieben wurden, krummgeschlagene, wie verhungerte Tiere trottende Menschen«.

Cramoner See

See südlich von Grevesmühlen (das der Lage nach dem fiktiven Gneez entspricht); seinen Namen verdankt er dem an seinem nördlichen Ende liegenden Dorf Cramon.

1018 Gesine zählt die Seen auf, in denen sie in 35 Jahren geschwommen hat: »Mit Pius Pagenkopf: im Cramoner See, eine Fahrradstunde von der Schulstadt [Gneez], zwischen Drieberg und Cramon, 1951.«

1589-1590 »Im Sommer 1951 waren wir mit den Rädern unterwegs. Am Cramoner See, schräg gegenüber dem Dorf Drieberg, machten wir Halt für eine halbe Stunde Schwimmens. Beim Umziehen war ich, war er ungeschickt, einen Atemzug lang kamen wir mit den Füßen an einander.«

Cresspahl, Berta (geb. Niemann)

Frau von Heinrich Cresspahl (dem Älteren, dem Stellmacher), Mutter von Heinrich Cresspahl (dem Jüngeren, Gesines Vater), Tochter eines Tagelöhners. Gestorben im März 1933.

113 Auf einem Foto von der Hochzeit des Sohnes am 31.Oktober 1931: Eine Alte »mit verzogenen Schultern, der unter ihren dürren schwarzgrauen Haaren die Glücksgrimasse an den gelben Zahnstummeln mißrät, so aufmerksam horcht sie in ihren verarbeiteten, überanstrengten Körper, uns' lütt Oma, eineinhalb Jahre vor ihrem Tod«.

267-268 »Cresspahl fand seine Mutter in einem Dorf südöstlich von Malchow, in einem fremden Bett. Sie war im Tod nicht kleiner geworden, aber als er sie anhob, fühlte er sie wie ein schlafendes Kind in den Armen«.

279-282 Sie hat einundvierzig Jahre auf dem Gut der Familie von Haase an der Müritz gearbeitet. Kurz vor ihrem Tod besucht sie die Haases, bricht dort zusammen und lässt sich zu ihrer Freundin Erna Schmoog bringen, in deren Haus sie stirbt. Heinrich Cresspahl trifft sie nicht mehr lebend an. Ihre Überführung nach Malchow. Ihre Beerdigung.

Vgl. auch 273. 629. 676. 726. 1283.

Cresspahl, Gesine Lisbeth

Hauptfigur des Romans, geboren am 3. März 1933 in Jerichow, Mecklenburg. Tochter von Heinrich Cresspahl  und Lisbeth, geb. Papenbrock, die schon im November 1938 stirbt. Mutter von Marie Cresspahl. Ihr gehört das vom Großvater Albert Papenbrock ererbte Haus am Ziegeleiweg in Jerichow, in dem sie aufwächst. Schule in Jerichow und Gneez. Freundschaften mit Pius PagenkopfAnita Gantlik und Dieter Lockenwitz. Abitur 1952 an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Beginnt 1952 ein Anglistikstudium in Halle. Bleibt nach dem 17. Juni 1953 in Westberlin. Ausbildung zur Diplomdolmetscherin in Westdeutschland. Danach lebt sie in Düsseldorf, arbeitet beim Amt für Manöverschäden der NATO in Mönchen-Gladbach. Heimlicher Besuch beim Vater in Jerichow während des Ungarn-Aufstands im Oktober 1956. Läßt sich im Bankwesen ausbilden, als sie ein Kind von Jakob Abs erwartet, der im November 1956 stirbt. Die Tochter Marie wird am 21. Juli 1957 in Düsseldorf geboren. Geht am 28. April 1961 mit Marie für ihre Bank in die USA zu weiterer Ausbildung. Wohnung: Apartment 204, 243 Riverside Drive, New York. Nachdem ihr die Bank im Dezember 1961 gekündigt hat, findet sie 1962 eine Anstellung in einem anderen Geldinstitut, ihr Chef ist Vizepräsident de Rosny. Seit 1962 Freundschaft mit D.E., der am 4. August 1968 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt. Beginnt im August 1967, ihrer Tochter Marie die Geschichte ihrer Familie seit etwa 1920 zu erzählen bzw. Teile davon, für die Marie ihr noch zu klein erscheint, auf Tonband zu sprechen. Gleichzeitig geht sie einen Vertrag mit dem Autor des Romans, dem ›Genossen  Schriftsteller‹, ein, der ihm erlaubt, alles, was sich zwischen dem 20. August 1967 und dem 20. August 1968 in ihrem Leben ereignet, aufzuschreiben. Für ihre New Yorker Bank macht sie sich mit Marie am 20. August 1968 auf den Weg nach Prag, wo sie während eines auf drei Monate geplanten Aufenthaltes ein Kreditgeschäft vermitteln soll. An diesem Tag endet der Vertrag mit dem ›Genossen Schriftsteller‹. Die Niederschlagung des ›Prager Frühlings‹ durch den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in der Nacht zum 21. August 1968 ist deshalb nicht mehr Gegenstand des Romans, sondern nur im Bewusstsein des Lesers gegenwärtig.

8 Am 20. August 1967 schreibt Gesine Cresspahl einen Brief an die Gemeindeverwaltung des Ostseebades Rande in Mecklenburg mit der Bitte um Auskunft, »wie viele Sommergäste jüdischen Glaubens vor dem Jahr 1933 in Rande gezählt wurden«. Die Antwort erfolgt am 24.11.1967 (vgl. 382-385). 

9 Sie erinnert sich an die Ferien mit den Paepckes in Althagen auf dem Fischland im Sommer 1942.

12 »Sie ist jetzt vierunddreißig Jahre. Ihr Kind ist fast zehn Jahre alt. Sie lebt seit sechs Jahren in New York. In dieser Bank arbeitet sie seit 1964 [recte: 1962, vgl. 1879].« Sie hat fast schwarze, kurz geschnittene Haare. »Sie trägt die Sonnenbrille nie in die Haare geschoben.« Zur Arbeit fährt sie mit der U-Bahn. 

13 Sie wohnt am Riverside Drive in drei Zimmern, »unterhalb der Baumspitzen. Das Innenlicht ist grün gestochen. Im Süden sieht sie neben dichten Blattwolken die Laternen auf der Brücke, dahinter die Lichter der Schnellstraße.« 

13-14 An »allen Arbeitstagen um zehn Minuten nach acht« kauft sie an einem Zeitungsstand auf dem Broadway, an der Südwestecke der 96. Straße, ihre Zeitung und »bringt immer die passende Münze«. Sie »kauft keine Zeitung als die New York Times«. Sie ist »mit der New York Times zu Gange und zu Hause wie mit einer Person, und das Gefühl beim Studium des großen grauen Konvoluts ist die Anwesenheit von Jemand, ein Gespräch mit Jemand, dem sie zuhört und antwortet mit der Höflichkeit, dem verhohlenen Zweifel, der verborgenen Grimasse, dem verzeihenden Lächeln und solchen Gesten, die sie heutzutage einer Tante erweisen würde, einer allgemeinen, nicht verwandten, ausgedachten: ihrem Begriff von einer Tante.«

19-21 Die Ankunft in New York im Frühjahr 1961. Damals »sollte es für zwei Jahre sein«. Über Maries stummen Protest gegen den Umzug und die mühsame Wohnungssuche. 

22-25 Inzwischen ist Marie längst integriert, New York ist ihre Stadt geworden, ihr Englisch ist dem ihrer Mutter überlegen, Deutsch eine fremde Sprache. Marie sagt: »Nach zwei Jahren wollte meine Mutter zurück nach Deutschland, und ich habe gesagt: Wir bleiben.«

26-28 Gesine »wäre kaum geblieben, hätte sie nicht [...] die schmale Anzeige gefunden, die drei Zimmer am Riverside Drive versprach, ›alle mit Blick auf den Hudson‹, zu haben auf ein Jahr für 124 Dollar im Monat«. Sie befindet sich in einem »Haus aus gelben Steinen, um dessen Fuß ein Band exotischer Stiermuster geschlungen« ist. – Beschreibung der Wohnung. Die Vormieterinnen sind zwei Stewardessen, die Dänin Ingrid Bøtersen und die Schweizerin Françoise Bertoux, die nach Europa versetzt werden. 

34-36 Beschreibung der Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet.

37 Am Abend des 30. August 1967 findet Gesine in der Küche einen Zettel von Marie vor, auf dem das Kind sie unter anderem fragt, ob sie »diesen Griem in Jerichow« gekannt habe, – erster Hinweis darauf, dass die in fast täglichen Rückblenden entfaltete Erzählung der Familiengeschichte sich zu guten Teilen auf Erzählungen Gesines für Marie stützt oder auch unmittelbar als (intradiegetischer) Erzählakt der Hauptfigur vollzieht (wie etwa 72 f., 128-131 u.ö.).

40-44 Über Gesines Freund Dietrich Erichson, genannt D.E., der am Freitag, 1. September 1967, zu einem Wochenendbesuch nach New York kommt.

45 Über Gesine Cresspahls erste Begegnung mit Mrs. Ferwalter. – Gesine führt Gespräche mit ihren Toten.

52-54 Beschreibung des Riverside Drive. 

54-56 Beschreibung der einzelnen Stockwerke der Bank. Gesine Cresspahls Arbeitsplatz liegt im zehnten Stock, den sie aber auch in Gedanken den elften nennt, »nach der amerikanischen Zählung«. Ihre Kollegen nennen sie »Dschi-sain«. 

60-61 Ihr Arbeitsplatz in der Bank im September 1967: »Neben ihrer Zelle ist ein Schild aus braunem Kunststoff angebracht, auswechselbar in einer Schiene, mit dem Namen ›Miss Cresspahl‹ in weißer Einprägung. Die Zelle mißt dreieinhalb mal drei Meter, ist mit Teppichboden ausgelegt, versehen mit einem Stahlschrank, Schreibtisch, dem Maschinenbock, Tonbandgerät, Telefon, fahrbarem Sessel, Ablagedecks, Besucherstuhl«. 

62-65 In einer »skandinavischen Sandwichbude an der Zweiten Avenue« (Gustafssons Imbiss), im Beisein von Mr. Shuldiner, erinnert Gesine sich an das Jahr 1937 und daran, wie sie in die Regentonne gefallen ist: »Wenn da eine Katze innen am Küchenfenster lag, bin ich auf einen umgestülpten Eimer gestiegen und von da auf die Regentonne. Wenn auf der Tonne der Deckel fehlte, war meine Mutter in der Nähe. Wenn Cresspahl mich herauszog, hat sie zugesehen. Was soll ich dagegen tun!«

72 Verbringt den Sonntag, 10. September 1967, mit Marie »auf Staten Island, in Tottenville, später auf der Uferpromenade der Midland Beach«. 

78-82, 84-85 Wird am Dienstag, 12. September 1967, von Arthur, dem Fahrer von de Rosny, abgeholt und zum »Flughafen Kennedy« gefahren: »es wird dort ein Brief zu übersetzen sein«. Sie begleitet de Rosny in die Waldorf Astoria Towers, übersetzt ihm einen Brief aus Prag, »Überstunden mit Cocktails«.

82-84 Gesine stellt ihre Uhren »um fünf Minuten vor, um einer Verspätung im Büro vorzubeugen«. Sie mag dieses »Jonglieren mit der erfundenen Zeit« nicht aufgeben. »Sie kann sich auf sonst nichts verlassen. Sie läßt sich aufziehen von Mrs. Williams mit der teutonischen Tugend der Promptheit, sie läßt D.E. schwafeln von traumatischen Schulstrafen für Verspätung«; verdient »achttausend Dollar im Jahr«; Kündigungsfrist 14 Tage. 

90-93 »Sonnabend ist der Tag der South Ferry. Der Tag der South Ferry gilt als wahrgenommen, wenn Marie mittags die Abfahrt zur Battery ankündigt.« Am Sonnabend, 16. September 1967, tut sie es. 

111-115 Auch der darauffolgende Sonnabend ist ein Tag der South Ferry, und Gesine erzählt Marie unterwegs von der Hochzeit ihrer Eltern im Oktober 1931.

134-137 Am 2. Oktober 1967 lädt Dmitri Weiszand Gesine und Marie Cresspahl zu einem Essen in das tschechische Restaurant U Svatého Václava (Zum heiligen Wenzel) ein.

137-140 Am 3. Oktober 1967 bekommt Gesine die jährliche Rechnung für die Pflege der Gräber in Jerichow von Emmy Creutz.

143-145 In ihrer »Phonopost« an D.E. vom 5. Oktober 1967 spricht Gesine auch über ihre Erzählungen für Marie: »Marie besteht darauf, daß ich ihr weiter erzähle wie es gewesen sein mag, als Großmutter den Großvater nahm. Ihre Fragen machen meine Vorstellungen genauer, und ihr Zuhören sieht aufmerksam aus. [...] So verbringen wir einige Abende.« – Absenderadresse: »Apartment 204, 243 Riverside Drive, New York, N.Y., Telefon 212-749 28 57«.

150-157 Am 7. Oktober 1967 fahren Gesine und Marie Cresspahl für ein Wochenende zu Annie Fleury und ihrer Familie nach Vermont. Unterwegs äußert Marie den Wunsch, die Mutter möge ihr alles, was sie erst später wird verstehen können, auf ein Tonband sprechen. Gesine: »Für wenn ich tot bin?« Marie: »Ja. Für wenn du tot bist.« 

160-162 Bekommt am 10. Oktober 1967 eine Gehaltserhöhung und lädt ihre Kollegen zu einem Bourbon ein.

173-176 Über »unsere Heimat an der Oberen Westseite von Manhattan«.

187-190 Gesine Cresspahl schreibt am 18. Oktober 1967 einen Brief an Anita Gantlik: Sie schickt ihr für eine Fluchthilfeaktion in Berlin den Pass von Henri R. Faure

201-206 Erzählt Marie von dem Tag ihrer Geburt am »Freitag den dritten März 1933«. 

206-210 Am 22. Oktober 1967 führt Gesine Cresspahl ein imaginäres Streitgespräch mit ihren Toten über die Frage, warum sie am Vortag nicht an einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg in Washington teilgenommen hat: »Und es genügt dir, daß du die Vorfälle bei den gestrigen Demonstrationen hier und in der Welt erfährst aus der Zeitung? Damit läßt sich leben, statt mit Anwesenheit, Mitmachen, Eingreifen, Aktion?« Gesine wehrt sich: »Es ist was mir übriggeblieben ist: Bescheid zu lernen. Wenigstens mit Kenntnis zu leben«.

211-213 Am darauffolgenden Tag mag sie nicht reden und versucht, den Tag schweigend zu verbringen. 

218-221 Sie spricht mit Marie über die »Sorgen«, die Marie mit dem einzigen schwarzen Kind ihrer Klasse, Francine, hat. Während des Gesprächs läuft ein Tonband.

216-217 Wie Gesine Cresspahl zu ihrem Vornamen kam. Sie führt ein imaginäres Gespräch mit Heinrich Cresspahls Jugendliebe Gesine Redebrecht.

226-229 Sie liest am 27. Oktober 1967 in der New York Times über ein an der Universität Princeton durchgeführtes Experiment, das der Funktionsweise des Gedächtnisses galt und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Menschen dazu neigen, »Dinge zu vergessen, die mit unangenehmen Erfahrungen zu tun haben«. Gesine diskutiert darüber mit einem ungenannten Gegenüber (dem Genossen Schriftsteller?). 

230-235 Am Tag darauf will sie das Princetoner Experiment an sich selbst wiederholen, dazu soll ihr der Genosse Schriftsteller zehn Wörter nennen. Die Wörter, die er ihr gibt, »Plisch, Plum, Schmulchen, Schievelbeiner, Roosevelt, Churchill, bolschewistisch, Weltjudentum, Untermenschen, Intelligenzbestie«, lösen in ihr Erinnerungen an die Judenverfolgungen, vor allem aber die Erinnerung an ein Foto von Bergen-Belsen aus, das sie kurz nach dem Krieg in einer Zeitung gesehen hatte und dessen schockierende Wirkung seither nicht aufgehört hat. 

»Das Schockmittel war eine Fotografie, die die Briten im Konzentrationslager Bergen-Belsen gemacht hatten und abdruckten in der Zeitung, die sie nach dem Krieg in Lübeck laufen ließen. Die Wirkung hat bis heute nicht aufgehört. Betroffen war die eigene Person: ich bin das Kind eines Vaters, der von der planmäßigen Ermordung der Juden gewußt hat. Betroffen war die eigene Gruppe, die eine andere Gruppe abgeschlachtet hat in zu großer Zahl (einem Kind wäre schon ein einziges Opfer als Anblick zuviel gewesen). Der Schock kann nachgewiesen werden an der Verkrüppelung von Reaktionen: Die Studentin Cresspahl 1952 in Halle ertrug die Vorlesungen eines Professors Ertzenberger, solange sie aus ihrem Gedächtnis wegdachte, daß er einer der überlebenden Juden war. (Inzwischen erschienen die Juden in der deutschen Sprache zuverlässig in der Mehrzahl.) Sie schaltete das Vertrauen zur ostdeutschen Republik ab, nur weil die Anstalten machte, Stalins Ärzteprozesse vom Januar 1953 zu übernehmen, und so ein ungefähres antifaschistisches Versprechen brach. Die Touristin Cresspahl belästigte die Leute jeden Auslands mit miserablem Französisch, auch wenn die Deutschen da gar nicht des Menschenraubs oder Geiselmords überführt waren. Die Auswanderin Cresspahl trat vorsichtig und rasch weg und zurück aus einer Imbiß-Stube am Union Square in New York, als sie die Sprache der Wirtsleute erkannte als Jiddisch. Da ist ein Schock nachzuweisen.«

246 Über die Vorbereitungen der Taufe im März 1933: Cresspahl bestellt die Taufe seiner Tochter bei Aggie Brüshaver für Sonntag, den 12. März 1933. Später verlegt er sie auf den 19. März (vgl. S. 297).

250 Über das Geschenk, das Gesines Großvater Albert Papenbrock seiner Enkeltochter kurz nach ihrer Geburt macht: »Er übertrug ihr einen Bauernhof am Stadtrand, mit Land, Scheune und Nebengebäuden, bis zu ihrer Mündigkeit zu verwalten von ihrem Vater Heinrich Cresspahl, Kunsttischler, Richmond, Greater London.«

253-257 Gesine erinnert sich an den Auftritt des ›Genossen Schriftsteller‹ bei einer Vortragsveranstaltung des Jewish American Congress am 16. Januar 1967 in New York und gerät mit ihm in ein imaginäres Streitgespräch. »Wer erzählt hier eigentlich, Gesine. / Wir beide. Das hörst du doch, Johnson.«

263-266 Gesine und Marie Cresspahl halten auf dem Broadway, der 79. Straße und im Riverside Park vergebens Ausschau nach Marjorie. Über den Beginn der Bekanntschaft mit ihr.

268-272 Am 7. und 8. November besuchen Gesine und Marie Cresspahl D.E. und seine Mutter, Frau Erichson, in New Jersey.

273-275 Über Gesines Haus am »Friedhofsweg oder Ziegeleiweg« in Jerichow 1933: Cresspahl nimmt es nach seiner Rückkehr von der Beerdigung seiner Mutter im März 1933 erstmals in Augenschein.

282-286 Am 11. November 1967 treffen Gesine und Marie Cresspahl Karsch zu einem Essen im Restaurant der Vereinten Nationen in New York. – »Das gibt es nicht, daß man einem noch nach Jahren traut, ohne Frage, ohne Prüfung, in ganz verdachtloser Freude des Wiedersehens. Das gibt es.« – Nach dem Essen bekundet Marie, dass sie ihn hasse.

286-287 Am Tag darauf, Lisbeth Cresspahls Geburtstag, hält Gesine in einem inneren Monolog die »jährliche Rede« auf den Freitod ihrer Mutter. »Du wolltest nicht alle kränken. Ihn hast du gekränkt. Du hast mich gekränkt. Ein Kind. Wir verzeihen dir gar nicht

297-298 Gesine Cresspahls Taufspruch ist Psalm 71, Vers 6, den Marie auf Englisch hören will: »By thee have I been holden up from the womb: thou art he that took me out of my mother's bowels: my praise shall be continually of thee.« 

296-300 Marie möchte, dass Gesine ihr die Geschichte ihrer Taufe im März 1933 und Cresspahls Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren, anders erzählt.

301-302 Am 16. November 1967 sucht Gesine Cresspahl erstmals Prof. Kreslil auf, bei dem sie Tschechisch lernen möchte.

311-315 Gesine Cresspahl wird am 18. November 1967 zu Maries Lehrerin Sister Magdalena zitiert: Marie hatte »Bugs Bunny for President« an die Tafel geschrieben.

316-321 Über Gesines Taufe »nach dem Gottesdienst in der Petrikirche zu Jerichow am 19. März 1933«. Einer ihrer Taufpaten ist Dr. Semig.

321-330 Am 19. November 1967 wird Karsch in New York entführt. Gesine und Marie Cresspahl treiben mit D.E.'s Hilfe das Lösegeld auf, übergeben es in Newark und bringen den befreiten Karsch zum Busbahnhof in Manhattan. Am nächsten Tag meldet er sich telefonisch aus London. Der Leiter der italienischen UN-Delegation, Dr. Pompa, ersetzt Gesine die Lösegeldsumme.

331-335 Gesine und Marie Cresspahl erinnern sich an ihren Besuch in Richmond mit D.E. Anfang der sechziger Jahre.

335-342 Reflexionen über das Reisen und Leben mit D.E.

383-385 Gesine Cresspahl bekommt am 24. November 1967 Antwort vom Gemeindevorstand des Seebads Rande auf ihre Anfrage vom 20. August 1967, die »Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933« betreffend. Der Gemeindevorstand identifiziert sie als die Besitzerin des Grundstücks Ziegeleiweg 3-4 in Jerichow und teilt ihr mit, dass sie »nach wie vor dort polizeilich gemeldet sei«. 

385-388 Gesine spricht zum ersten Mal Erinnerungen für Marie auf Tonband »für wenn ich tot bin«, wie Marie es sich gewünscht hatte (vgl. 151). 

389-392 Am 30. November 1967 führt Gesine eines ihrer Totengespräche mit ihrem Vater. Sie hadert mit ihm, weil er 1933 nach Deutschland zurückgekehrt ist. Er repliziert mit der Frage, warum sie denn im kriegführenden Amerika lebt. – An diesem Tag mag sie Marie nichts von früher erzählen.

393 Karsch schickt einen Blankoscheck »für was eine neue Telefonnummer kostet«. Gesine liest die Druckfahnen seines Artikels über seinen Aufenthalt in den USA und seine Erfahrungen mit der Mafia in New England. 

406-409 In der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1967 träumt Gesine ihren Tod: »Gestern habe ich das Sterben versucht.«

419-423 Gesine erzählt Marie auf Tonband von ihrem Tag (8. Dezember 1967). »Aber in Deutschland möchte ich nicht noch ein Mal leben.« 

439-443 Am 12. Dezember 1967 ist Francine erstmals zu Besuch bei Marie. Sie hat Angst vor Gesine.

449-453 Gesine Cresspahl schreibt an Anita Gantlik (14. Dezember 1967): Die Fluchthilfe für den jungen Juden aus der DDR mit Hilfe des Passes von Henri R. Faure ist geglückt (vgl. 188). Die alten Faures glauben, »wir hätten das für die Judenheit getan und grüßen schon von ferne«. – Gesine bedauert, dass Anita ihre alte Berliner Wohnung verloren hat. »Ich mochte an ihr, daß sie drei Ausgänge hatte, getreu der Vorschrift des Dichters« (vgl. Bertolt Brecht: »Herr K. in einer fremden Behausung«). – Das Weihnachtsfest steht Gesine bevor: »Weihnachten kann ich nicht aushalten.« 

454-459 Marie will den Wahrheitsgehalt von Gesines Erzählungen prüfen: »Erzähl mal was über das Kind Gesine, als es zwei Jahre alt war!« Gesine erzählt: Das Kind Gesine begann spät zu sprechen. Von ihrer Tante Hilde Paepcke bekam sie 1939 »Pu, der Bär« geschenkt. Sie ging gern mit ihrem Vater spazieren. »Mit ihm ging sie Holz kaufen, Steuern bezahlen, zum Friseur, zu Wulff. Wulff seinen Krug hatte Cresspahl ihr erklärt als ein Apfelsaftgeschäft [...]. Das Kind ging gern in Apfelsaftgeschäfte, und kannte sie alle in Jerichow. Lisbeth merkte das eines Vormittags beim Einkaufen, als das Kind sie in den Lübecker Hof ziehen wollte. [...] Lisbeth mußte sie durch die ganze Stadt nach Hause tragen, und das Kind schrie bis hinter Cresspahls Tür, und so kamen Lisbeths Fähigkeiten als Mutter zum ersten Mal in Jerichow ins Gerede. Das Kind war mit seinem Vater zugange, [...] immer, überall«. 

460-466 Am 16. Dezember 1967 sind Gesine und Marie Cresspahl in de Rosnys Haus am Long Island-Sund eingeladen. Es geht um das tschechoslowakische Projekt. Das Gespräch vor dem Essen ist »eine rasante, unbarmherzige Prüfung [...], ob ich das Finanzsystem der Č.S.S.R. richtig und vollständig verstanden habe«. Es ist nachgerade ein Verhör. »Das kann er machen, er ist der Arbeitgeber, er legt da Geld an mit einem Risiko [...]. Er will schlicht alles wissen, was ich der Personalabteilung nicht mitgeteilt habe, und es geht von den Berufsgenossenschaften bis zu meinen heutigen Gefühlen für die Grundzüge der marxistischen Dialektik.« Gesine hat offenbar »die passenden Kenntnisse und das passende Leben für den Fischzug, den unser verehrter Chef de Rosny auf dem osteuropäischen Kreditmarkt vorhat«. – »De Rosny wünscht seinen Fischzug diskret anzufangen. Daß ich Tschechisch lerne, soll mir einen Ferienaufenthalt in Prag erleichtern, und wenn ich noch einmal gefragt werde nach der Haltung der Bank zu Krediten an Länder Osteuropas, so lautet die geschicktere Auskunft: Die Politik des Unternehmens in dieser Richtung ist als nicht aggressiv zu bezeichnen, wiederhole: nicht aggressiv«. – Zum Abschied schenkt er Marie eine italienische Weihnachtsschnitzerei.

475-478 Am 19. Dezember 1967 ist in New York laues Wetter und alle sind besonders freundlich zu Mrs. Cresspahl.

494 Marie beschwert sich über Gesines moralische Forderungen: »Ich soll nicht lügen, weil du nicht Lügen magst! Du wärst längst ohne Arbeit, und ich aus der Schule, wenn wir nicht lögen wie drei amerikanische Präsidenten hintereinander! Du hast deinen Krieg nicht aufgehalten, nun soll ich es für dich tun!«

499-503 Am 23. Dezember 1967 schreibt Gesine einen Brief an Dr. Kliefoth und erzählt ihm von Marie und darüber, wie sie in New York Weihnachten feiern. Sie bittet ihn, auf dem Jerichower Friedhof nachzusehen, »ob Creutzens meine drei Gräber abgedeckt haben«.

513-519 Gesine Cresspahls Verhältnis zu ihrer Zeitung »New York Times«.

533-537 D.E. verbringt den Jahreswechsel 1967/1968 bei Marie und Gesine Cresspahl. 

537-540 Am Neujahrstag 1968 schenkt Marie ihrer Mutter eine Miniatur des Jerichower Hauses am Ziegeleiweg.

559-563 Während eines Winterspaziergangs in Hoboken am 7. Januar 1968 sagt Marie Cresspahl ihre Meinung über die »Leute« aus Jerichow und Umgebung während der NS-Zeit, von denen Gesine ihr erzählt.

564-567 Am 8. Januar 1968 kommt Annie Fleury mit ihren drei Kindern nach New York und quartiert sich bei Gesine und Marie ein. Sie will ihren Mann verlassen »wegen Viet Nam«. 

572-576 Gesine soll Mr. Shuldiner beraten bei der Wahl einer Wohnung für sich und seine künftige Frau.

580-592 Das Leben mit Annie Fleury und ihren Kindern in der Cresspahlschen Wohnung. – In einem Gespräch mit ihren Toten bekommt Gesine die Freundin als Vorbild vorgehalten, weil Annie wenigstens »nicht nichts getan« hat gegen den Vietnam-Krieg.

613-619 Am 19. Januar 1968 erzählt Gesine ihrer Tochter die Regentonnengeschichte: Die Geschichte von Lisbeth Cresspahls Versuch, ihr Kind umzubringen, um sie vor »Schuld und Schuldigwerden« zu bewahren. Marie: »Das nächste Mal, Gesine, wenn du mir eine Geschichte nicht erzählen willst, tu es nicht.«

619-622 Gesine führt ein Streitgespräch mit ihren Toten über das tschechoslowakische Projekt. »Das als Arbeit, du wärst nicht nur angestellt zu ihr, sondern auch selbst dabei.«

640-642 Am 25. Januar 1968 reist Annie Fleury mit ihren Kindern nach Finnland ab. 

658-662 Bei einem Treffen am 30. Januar 1968 versucht Mr. Weiszand, Gesine über das tschechoslowakische Projekt auszufragen; Gesine gibt ihm die von de Rosny vorformulierte Antwort (vgl. 466). 

670-673 Beim Schwimmen im Mediterranean Swimming Club im Hotel Marseille debattieren Gesine und Marie Cresspahl in den Schwimmpausen über die Verlässlichkeit von Gesines Erzählungen. Gesine beruft sich auf die »Katze Erinnerung«.

673-674 Marie möchte wissen, wie ihr Großvater Heinrich Cresspahl aussah.

679-683 Am 5. Februar 1968 hat Gesine ein weiteres Gespräch über das tschechoslowakische Projekt mit Vizepräsident de Rosny in dessen Büro. Dabei stellt sie fest, dass er von Mr. Weiszands Versuchen, sie über dieses Projekt auszufragen, Kenntnis hat. Sie verwahrt sich dagegen, überwacht zu werden. Hat am Abend ein Telefongespräch mit D.E. über den Vorfall.

687-690 Am 7. Februar 1968 schreibt Gesine für Marie auf, was sie ihr »noch acht Jahre verschweigen möchte«: Es geht um den Fall des in Prag tot aufgefundenen Charles H. Jordan, zu dem die New York Times an demselben Tag berichtet hat, dass der mit der Autopsie des Leichnams beauftragte schweizerische Gerichtsmediziner Ernst Hardmeier »am 10. Dezember 1967 mehrere hundert Meter von seinem verschlossenen Wagen entfernt in einem verschneiten Wald bei Zürich erfroren aufgefunden« worden sei, »und hatte die Untersuchung nicht abgeschlossen«. – Der Umstand, dass die »Regierung der Sozialistischen Č.S.R. der amerikanischen einen Bericht über die Umstände eines ihrer Staatsbürger übergeben hat« und intensiv um Aufklärung des Todesfalls bemüht ist, macht ihr Hoffnung, dass in der Tschechoslowakei ein Sozialismus »mit einer in Kraft gesetzten Verfassung« beginnen könnte: »Dorogaja Marija, es könnte dennoch ein Anfang sein. Für den würde ich arbeiten, aus freien Stücken.«

692-695 Im Herbst 1938 bemerkte Cresspahl, dass Lisbeth die fünfjährige Gesine hungern ließ. »Nicht nur das Essen, auch das Vergnügen wollte sie dem Kind verweigern. Wenn sie das Kind vorerst nicht opfern durfte, so wollte sie ihm doch mit Leiden Gutes tun«. 

698 Mr. Shuldiner zu Gesine: »Das ist es, was ich das Europäische an Ihnen nenne, Mrs. Cresspahl. Daß Sie so auf das Wort achten«. 

705-710 Am 11. Februar 1968 nehmen Cresspahls Francine bei sich auf, nachdem ihre Mutter bei einer Messerstecherei verletzt worden ist. »Francine wollte der Wachtmeister nicht gern loswerden an weiße Leute. – Wissen Sie auch, was Sie da tun, Lady? sagte er.« 

713-717 Am 13. Februar 1968 wird Gesine aus dem 10. oder (je nach Zählweise) 11. Stock der Bank, »Foreign Sales«, befördert und bekommt ein Büro im 16. Stock. 

719-725 Am 14. Februar 1968 erzählt Gesine Marie von der Pogromnacht im November 1938 in Jerichow. Marie ahnt, dass nun wieder eine ›Wassertonnengeschichte‹ folgen wird (Lisbeth Cresspahls Tod): »Erzähl sie mir nicht, Gesine.«

730-734 Marie spricht mit ihrer Mutter über die Schwierigkeiten des Zusammenlebens mit Francine. 

738-768 Am 18. Februar 1968 beginnt die Erzählung von Lisbeth Cresspahls Selbstmord im November 1938. Schon in der Nacht vorher bekommt Gesine hohes Fieber (vgl. 751). Sie imaginiert ein Gespräch zwischen Heinrich Cresspahl und Kriminalkommissar Vick am Tag nach Lisbeth Cresspahls Tod (738-744). – Marie holt ihren Kinderarzt Dr. Rydz zu Hilfe, den Gesine im Fieberwahn für Dr. Semig hält. D.E. schickt seine Mutter nach New York, um Gesine und Marie zu versorgen. – Die folgenden Tage, an denen von den Tagen bis zu Lisbeths Beerdigung erzählt wird, verbringt Gesine mit Fieberphantasien im Bett.

769-774 Am 23. Februar 1968 wird Francine von der Fürsorge abgeholt und zur Mutter gebracht. 

776-780 Gesines Verhältnis zur englischen Sprache. – »Wo in den anderen Büros die Familienfotos und die Blumentöpfe stehen, hat sie einen schmalen Papierstreifen angebracht [...]. Darauf steht: ›The custard apple is the fruit of the sweet-sop‹. Er heißt nicht mehr als ›Die Flaschenbaumfrucht ist die Frucht des Flaschenbaums‹, aber sie versteht ihn nicht. [...] Sie begreift nicht, was diese Worte voneinander wissen, und der leichte abkippende Schwindel beim Anblick dieses Satzes warnt sie vor der Einbildung, sie könnte jemals auf der englischen Seite der Sprache leben. Damit soll sie morgen arbeiten gehen.«

784-788 Marie diskutiert mit Gesine über die Frage, wo Heinrich Cresspahl während seiner mysteriösen Abwesenheit zwischen dem 19. November und Ende Dezember 1938 gewesen sein könnte. 

794-804 Gesine muss ihren Bekannten Rede und Antwort stehen zu dem Offenen Brief, den Hans Magnus Enzensberger an den Präsidenten der Wesleyan University geschrieben und in der »New York Review of Books« veröffentlicht hat (New York Review of Books vom 29.2.1968). Gesine geniert sich für ihren Landsmann. »Naomi, deswegen mag ich in Westdeutschland nicht leben.« Naomi: »Weil solche Leute dort Wind machen?« Gesine: »Ja, solche guten Leute.« 

809-814 Gesine erzählt Marie von Heinrich Cresspahls Arbeit für die britische Abwehr während der NS-Zeit. Marie gefällt es nicht, sie hat Gesine im Verdacht, dass sie ihren Vater reinwaschen möchte.

814-818 Am 3. März 1968, ihrem Geburtstag, bekommt Gesine einen Brief von D.E.: »Du sollst nicht mich heiraten; du sollst mit mir leben«.

819-822 Aufgaben und Schwierigkeiten ihrer neuen Position in der Bank. 

827-841 Cresspahl bringt die fünfjährige Gesine nach dem Tod ihrer Mutter zu den Paepckes nach Podejuch. In der ersten Nacht findet Alexander Paepcke sie nicht im Bett, sondern auf dem »Dachboden, wo sie im Dunkeln zwischen Koffern und Körben hockte, um in Ruhe weinen zu können« (830). – Sie bleibt mehr als ein halbes Jahr bei Paepckes in Pommern. »Bei Paepckes hatte ein Kind keine Pflichten, keine Beschwernis.« (836 f.) – »Bei Paepckes lernten die Kinder fühlen, wer sie waren.« (840) – Nach den Ferien mit den Paepckes in Althagen im Sommer 1939 holt Cresspahl sein Kind wieder nach Hause.

841-848 Gesine und Marie suchen in den Slums von New York nach Francine, die unauffindbar bleibt.  

849-852 Am 10. März 1968 sind Gesine und Marie Cresspahl bei den O'Driscolls zur Besichtigung ihrer neuen Wohnung in Greenwich Village eingeladen. Am Abend gehen die Erwachsenen gemeinsam in einen Filmclub in Brooklyn, gezeigt wird u. a. »Nacht und Nebel« [von Alain Resnais]. – Gesine verlässt den Saal, holt Marie aus der O'Driscollschen Wohnung und fährt nach Hause. – »Es sind gute Freunde von mehreren Jahren. Sie sehen mich, und sie denken an die Verbrechen der Deutschen. Ohne die Absicht der Kränkung. Es ist ihnen selbstverständlich, natürlich. So verhält es sich.« 

859-862 Marie und Gesine debattieren erneut über die Frage, ob Heinrich Cresspahl wirklich für die Britische Abwehr gearbeitet hat.

863-866 Gesine beantwortet D.E.'s Geburtstagsbrief (14. März 1968).

872-873 Gesine führt eines ihrer Totengespräche, ein Streitgespräch mit ihrem Vater über die Luftangriffe auf Lübeck (März 1942), Coventry und Birmingham.

873-878 Am 16. März 1968 ist Gesine Cresspahl auf einer Gesellschaft bei Gräfin Seydlitz, trifft dort Anselm Kristlein und Dr. Weiszand, der sich erstaunt zeigt, »ihr in diesem Abbild einer verrottenden Gesellschaft zu begegnen«. Sie verlässt die Gesellschaft frühzeitig. 

879-886 Über Gesines Ferien mit den Paepckes und Klaus Niebuhr in Althagen im Sommer 1942.

887-889 Am 18. März 1968 spricht Gesine für Marie auf Tonband (»für wenn ich tot bin«) über ihren Umgang mit Bettlern in New York.

894 Gesine bekommt Post aus Westberlin: »Da sind Leute in Deutschland, die kümmern sich um meinen Anstand. Für die soll ich den Krieg in Viet Nam zu Ende bringen.«

895-900 Über Gesines Leben als Schülerin der Hermann Göring-Schule in Jerichow, die sie bis 1943 besucht. Über ihre Lehrer Franz GefellerPrrr HallierOlsching Lafrantz und Ottje Stoffregen und ihren Mitschüler Gabriel Manfras. Nachdem sie dem Direktor Gefeller wegen einer Ungerechtigkeit ihre Verachtung gezeigt hat, wollen Gefeller und Stoffregen sie in eine Sonderschule umschulen. Mit Dr. Kliefoths Hilfe wechselt sie im Herbst 1943 an das Gustav Adolf-Lyzeum in Gneez.

905-908 Gesine und D.E. in der Bar von Wes in der Dritten Avenue (23. März 1968). D.E. stellt sie als seine Frau vor.

913, 915-916 Über das tschechoslowakische Projekt. 

923-927 Ein Donnerstagnachmittag bei Gesines Tschechisch-Lehrer Prof. Kreslil (28. März 1968).

928-932 Im Sommer 1943 verbringt Gesine einige Ferientage mit den Berliner Niebuhrs (Peter und Martha, und deren Kindern, Klaus und Günter) an der Ostsee, in Rerik (»Alt-Gaarz«). Die Ferien enden jäh durch einen Bombenangriff, bei dem Martha und Peter Niebuhr ums Leben kommen.

933-937 Über Gesines Leben als Fahrschülerin des Gustaf-Adolf-Lyzeums in Gneez seit dem Herbst 1943. Heinrich Cresspahl macht ihr jeden Morgen Schulbrote und bringt sie zum Bahnhof. Sie isst in Alma Wittes Hotel Stadt Hamburg zu Mittag, wo Elise Bock ihr das Stammessen serviert. Marie ist der Meinung, sie habe »gelebt wie ein Hund«. Gesine: »Ich hab es gut gehabt.« – Wenn es nicht die Trennung vom Vater bedeutet hätte, wäre Gesine gern, wie Hilde Paepcke 1943 in einem Brief an Cresspahl vorschlägt, mit Alexandra Paepcke in Stettin zur Schule gegangen: »Alexandra war mein liebstes Kind unter allen.« – Sie verhält sich abweisend gegen die Leute in Jerichow, »damit sie mir nicht über den Kopf strichen und mich arm nannten. Ich war kein armes Kind. Ich hatte ein Geheimnis ganz für mich allein, das war mein Vater«. 

937-941 Gesine und Marie hören im Radio die Rede Präsident Lyndon B. Johnsons zum Vietnam-Krieg am 31. März 1968, in der er seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt ankündigt. 

941-945 Am 1. April 1968 bekommt Gesine einen Brief von Leslie Danzmann aus Jerichow: »Ich hab sehr an dir gehangen, noch als du gar kein Kind mehr warst. Du warst doch das Kind von Lisbeth. Ich hätt dich wohl großziehen mögen; Cresspahl gab dich nicht ab.«

951-956 Über die letzten Ferien mit den Paepckes in Althagen im Sommer 1944. Die Kinder vermissen Alexander Paepcke, der nur eine Nacht bleiben kann, er hat einen Gestellungsbefehl nach Südfrankreich. »Es erwies sich, daß Ferien zu erfinden waren, hatte man sie einmal von Alexander gelernt.« 

957-960 Am 5. April 1968 erfahren Gesine und Marie Cresspahl von der Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968. Gesine versucht vergeblich, dem Hauswart Bill Shaks ihre Erschütterung glaubhaft zu machen. »Nichts wissen Sie. Sie sind nicht schwarz.« 

961-962 Marie hat Kings Witwe Coretta King am Abend zuvor ein Beileidstelegramm in einem »impulsiven und unbeherrschten Ton« geschickt. Gesine möchte sich dafür mit einem Brief entschuldigen und der Witwe ihrerseits ihre Anteilnahme ausdrücken, findet aber keine Worte. Sie spricht darüber mit ihren Toten. Die sagen ihr: »In was für einem Land lebst du, aus freien Stücken? In einem Land, in dem Neger umgebracht werden. Was willst gerade du da schreiben.« Gesine: »Ja. Nichts. Nichts.«

970-973 Über den Tag der Beerdigung Martin Luther Kings (9. April 1968).

983-987 Über das Kriegsende im Mai 1945 in Jerichow. Die zwölfjährige Gesine übt mit den beiden französischen Kriegsgefangenen Albert und Maurice »das verbotene Lied« ein: »Es geht alles vorüber, / Es geht alles vorbei: / Im März geht der Hitler, / Im Mai / Die Partei –.« Die Briten machen Heinrich Cresspahl zum Bürgermeister. Marie fragt: »War Jakob schon da?« Gesine: »Ja.« Aber Marie möchte die Geschichte ihres Vaters noch nicht hören: »Nicht jetzt, Gesine.«

988-992 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (11.4.1968) und den darauffolgenden Demonstrationen in Berlin ruft Gesine Anita in Berlin an (14. April 1968). Die Freundinnen sprechen über die Studentenbewegung und »unsere Kinderwünsche. – Sozialismus etcetera«.

994-997 Im Sommer 1945 erkranken Gesine und die im Juli 1945 bei Cresspahls gestrandete Hanna Ohlerich aus Wendisch Burg an Typhus. Frau Abs, die im letzten Kriegswinter mit ihrem sechzehnjährigen Sohn Jakob aus Hinterpommern geflohen und Anfang 1945 ebenfalls bei Cresspahls untergekommen ist, pflegt beide Mädchen gesund. 

997-998 Gesine über ihre erste Begegnung mit Jakob Abs 1945. »Er war fünf Jahre älter als ich. Er gehörte zu den Erwachsenen. Er hatte ein erwachsenes Gesicht, verschlossen, streng, eigensinnig.«

998-1003 Über die Übernahme der Besatzungsmacht in Mecklenburg durch die Sowjets im Juli 1945. Marie kann nicht verstehen, dass Cresspahl nicht in den Westen gegangen ist: »Gesine, er ließ dich bei den Sowjets!« Gesine: »Das war eine gute Schule, die möchte ich nicht entbehren. Und nach acht Jahren konnte ich gehen.« 

1003-1007 Am 18. April 1968 lädt de Rosny Gesine und Marie Cresspahl zu einem Baseball-Spiel ins Shea Stadion ein.

1017-1028 Das Wochenende vom 20./21. April 1968 verbringen Gesine und Marie in einem Ferienhaus von Bekannten am Patton Lake. Beim Schwimmen im See möchte Marie wissen, in wievielen Seen ihre Mutter schon geschwommen ist. Gesine zählt sie auf. – Reflexionen über ihre Erziehung Maries.

1029-1034 Marie will wissen, welche Gründe die Jerichower bei der Übernahme der Besatzungsmacht durch die Rote Armee im Juli 1945 zum Gehen oder Bleiben hatten und ob es stimmt, dass die Russen als Sieger »nicht fair« gewesen seien. Die Toten setzen Gesine zu: »Sag es ihr, Gesine

1035-1040 Gesine Cresspahl fragt sich, wer sie ist (und war). Über ihre unsichere Identität und das Bild, das andere von ihr haben.

1048 Als Tochter des unter russischer Oberhoheit agierenden Bürgermeisters Cresspahl wird die zwölfjährige Gesine von den Jerichowern geschnitten.

1049-1058 Über die Geschichte der Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet, über de Rosnys Wirken in der Bank und eine Unterredung mit ihm über das tschechoslowakische Projekt am 25. April 1968.

1069-1075 Am 27. April 1968, dem Tag der Loyalty Day Parade, gehen Marie und Gesine Cresspahl zu einer Gegendemonstration am Central Park, einem Friedensmarsch, können sich aber nicht entschließen mitzumarschieren. 

1080-1085 Über die kindliche Verliebtheit der zwölfjährigen Gesine in Jakob. Sie beobachtet ihn und seinen Schwarzhandel mit Leutnant Vassarion (›Wassergahn‹) von ihren Verstecken in den Ästen des Walnussbaums. Sie ist eifersüchtig auf Hanna Ohlerich, weil sie glaubt, Jakob würde Hanna vorziehen. »Neben einer solchen Hanna mußte man nachts liegen, und so breit das Bett war, der Abstand war nie groß genug.« 

1085-1091 Gesine und Marie treffen D.E. zwischen zwei Flügen im Restaurant des Kennedy Airport (30. April 1968).

1092-1096 Marie und Gesine debattieren über die Studentenrevolte an der Columbia-University.

1097 Im Sommer 1945 verliert Gesine durch die Typhuserkrankung ihre Haare und trägt hartnäckig die Baskenmütze, die Maurice ihr vererbt hat. Um ihr über die Scham hinwegzuhelfen, lässt Jakob sich kahlscheren. »Er brauchte nichts zu sagen, sie begriff die Wette, das Kind das ich war, und nahm die Mütze ab.«

1106-1110 Marie stellt ihr Modell von Gesines Haus am Ziegeleiweg, das sie der Mutter am Neujahrstag geschenkt hat (vgl. 537-540), am 4. Mai 1968 beim Schulbasar aus und will es versteigern lassen. Gesine ist ihr nachgegangen: »Auf so ein Haus bieten wir nicht, das lassen wir stehen. Das Kind, allerdings, das nehmen wir mit [...] und fahren unverzüglich zum Hafen, wo die Fähre wartet.«

1110-1111 Die New York Times zitiert am 5.5.1968 einen Bericht aus Le Monde, wonach der sowjetische General  Jepischew gesagt haben soll, die Rote Armee sei jederzeit für eine Intervention in der Tschechoslowakei bereit. Gesine Cresspahl hat darüber ein Streitgespräch mit ihren Toten, die ihr raten, aus dem tschechoslowakischen Projekt ihrer Bank auszusteigen.

1135-1138 Um ihre Tschechisch-Kenntnisse zu testen, besucht Gesine am 9. Mai 1968 in einem Kino an der 59. Straße die Nachmittagsvorstellung des tschechischen Films »The Fifth Horseman Is Fear« (ČSSR 1965, Regie: Zbyněk Brynych). Der Film, der von einem jüdischen Schicksal in dem von den Deutschen besetzten Prag erzählt, verstört sie. Sie versteht den (auf die vier apokalyptischen Reiter in Offenbarung 6, 1-8 anspielenden) Filmtitel nicht und sucht zu Hause vergeblich nach dessen Bedeutung (vgl. auch 1178-1179).

1156-1159 Am 13. Mai 1968 muß sie für de Rosny bei einer Aktionärsversammlung im 28. Stock der Bank Protokoll führen.

1178-1179 In einem Gespräch mit ihren Toten (und dem noch lebenden Kliefoth) bekommt Gesine Aufklärung über die Herkunft des Filmtitels »The Fifth Horseman Is Fear« (vgl. 1135-1138): Lisbeth CresspahlAggie Brüshaver und Julius Kliefoth lesen ihr die acht Verse aus Offenbarung 6 vor und resümieren: Für die Tschechen »haben die Deutschen eigens einen fünften Reiter mitgebracht, die Angst«. Gesine fragt: »Darum soll ich nicht nach Prag?« Antwort: »Du kannst da nicht reden, nicht arbeiten, nicht leben. Gib es auf

1188-1191 Beschreibung des Riverside Park, auf den die Fenster der Cresspahlschen Wohnung gehen. »Hier leben wir.«

1192 Gesine über Frau Abs: »Sie hat mir das Essen gekocht und hat mir gezeigt wie man es machen muß mit dem Haar, sie hat mir geholfen in der Fremde. Ich weiß den Abend, an dem ich die Hände auf dem Rücken behielt, – Gesine: sagte sie, berührte leicht und höflich meine Schulter mit ihrer rauhen harten Hand; ich weiß ihr halblautes schleuniges Reden. Ich weiß ihr Gesicht; das ist lang und knochig und in den schmalen trockenen Augen schon sehr entlegen zum Alter hin, ich habe eine Mutter gehabt alle Zeit. Alle Zeit.«

1200-1203 Weil der Tabakhändler Don Mauro einen fünfzigjährigen Stadtstreicher und Bettler aus dem Laden wirft, möchte Gesine Cresspahl künftig darauf verzichten, bei ihm Zigaretten zu kaufen. 

1207 Vom 1. Oktober 1945 an haben die Kinder in Mecklenburg wieder Schulunterricht. Gesine geht wieder ins Gustav Adolf-Lyzeum nach Gneez, kommt erst abends nach Hause. Weil ihr Vater nun Bürgermeister ist, hält der Eisenwarenhändler Heinz Wollenberg seine Tochter Lise dazu an, höflich zu Gesine zu sein.

1208 Am Abend des 22. Oktober 1945 wird Heinrich Cresspahl von den Sowjets verhaftet. Von diesem Tag an (bis zum Mai 1948) ist die zwölfjährige Gesine allein und ganz auf Frau Abs und Jakob angewiesen.

1210-1214 Am 23. Mai 1968 besucht Gesine einen Vortrag im Church Center: Dr. Laszlo Pinter, Mitglied der Ungarischen Delegation bei den Vereinten Nationen in New York, spricht als Gast der »Amerikanischen Gesellschaft für das Studium der Deutschen Demokratischen Republik« über »Die Abrüstung in Europa und die beiden deutschen Staaten«. Auf den Sammelteller am Ausgang legt Gesine einen Cent, »wünschend, er wäre rot«.

1214-1222 Gesine erzählt Marie über die Umstände von Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945. Marie: »Mach Cresspahl unschuldig, Gesine. Wenn du ein wenig lügen könntest.«

1223-1226 Am Sonntag, 26. Mai 1968, zeigt Marie ihrer Mutter Staten Island: »Hier hast du Leben auf dem Lande, Mecklenburg, California; bleib hier, Gesine. Hier, sobald ich kann, kauf ich dir ein Haus

1244-1246, 1250-1251, 1255-1261 Ferienwochenende vom 30. Mai bis zum 2. Juni 1968 in einem Ferienhaus am Sund von Long Island mit Marie, Amanda WilliamsNaomi und Clarissa Prince. Gesine fühlt sich hier heimisch: »Als ob wir nach Hause gekommen wären.« – Sie soll ihre »Kochkünste in schräges Licht setzen« und auf einem Herd von 1937 eine Ente für fünf Personen zubereiten: Die »beiden Damen lassen ihren Appetit am Strand von der Abendsonne bestrahlen« (1251). – Am Morgen des letzten Tages träumen die drei Frauen am Frühstückstisch davon, in diesem Haus als »Großfamilie« zu leben. Meinungsverschiedenheiten über die Organisation einer solchen Wohngemeinschaft und Gesines bevorstehende Pragreise stören das Gedankenspiel, und zuletzt sitzen die Drei stumm am Tisch, »von Freundlichkeit gerührt bis zu Feuchtigkeit in den Augenwinkeln, von Enttäuschung gereizt bis zur Wut«. Sie reisen früher als nötig nach New York zurück.

1246-1250 Erinnerungen an einen Ausflug mit Marie in die Holsteinische Schweiz im Jahr 1964. 

1251-1254 Über den Schulunterricht im Gneezer Lyzeum 1946 und die Lehrerinnen Fifi und Charlotte Pagels. Bei Frau Dr. phil. Beese muss die Klasse »Versuche in der Namensforschung« betreiben, »die schlimmste Gelegenheit für den Spitznamen«. Frau Beese führt den Namen Cresspahl auf griechisch »grastis, ›Grünfutter‹, Althochdeutsch kresso, dazu falen, Ostfalen« zurück. »Hatte ich meinen Spitznamen. Grünfutter«.

1254-1255 Gesine über ihre Osterwasser-Geschichte (vgl. die Erzählung »Osterwasser« in »Karsch, und andere Prosa«, 7-17). 

1262-1263 In der New York Times liest Gesine von der Sprengung der Universitätskirche in Leipzig am 30. Mai 1968 und von der Verabschiedung der Notstandsgesetze in Bonn an demselben Tag.

1265-1277 Über Gesines (von Eifersucht getrübtes) Verhältnis zu Hanna Ohlerich, beider Verliebtheit in Jakob und gemeinsame Eifersucht auf Jakobs Freundin Anne-Dörte. Die Mädchen verbringen ihre Sommerferien 1946 auf Johnny Schlegels Hof und helfen dort bei der Ernte. Gesine teilt mit Hanna Ohlerich ein (nicht mehr vollständiges) Care-Paket von dem Ingenieur in Berlin-Grunewald, an den Heinrich Cresspahl Dr. Semigs Schäferhund Rex verkauft hatte. Kurz nach den Ferien flieht Hanna mit Verwandten über die Ostsee in den Westen. Gesine ist es recht, sie kann noch Tage danach »in den Armen das Gefühl wiederkommen lassen, mit dem sie Hanna auf das andere Boot hinübergestoßen hatte«.

1298-1302 Am 5. Juni 1968 erreicht die Cresspahls die Nachricht vom Attentat auf Robert F. Kennedy, die Marie tief erschüttert. Sie leiht von ihrem Taschengeld ein Fernsehgerät. Die folgenden Tage sind beherrscht von Maries Trauer um ›ihren‹ Senator.

1317-1327 Am Wochenende vom 8./9. Juni 1968 kommt D.E. nach New York und verbringt mit Marie eine lange Nacht vor dem Fernseher mit der Übertragung der Trauerfeierlichkeiten für Robert F. Kennedy. Nachdem Marie schließlich erschöpft auf dem Sofa eingeschlafen ist, machen Gesine und D.E. einen Spaziergang im Riverside Park: »Richtig findet Mrs. Cresspahl vor dem Durchgang zur Promenade am Hudson eine gut zugewachsene Treppe, auf der sie sich Herrn Prof. Dr. Erichson an die Brust legen kann und ohne Unterbrechung weinen, Schicklichkeit hin, Anstand her. Manche streicheln einen dabei, regelmäßig über ein Schulterblatt abwärts, wie ein untröstliches Pferd; dieser hält einfach fest, sucht nicht mehr Berührung als gewünscht, spricht nicht.« 

1327-1334 Gesine spricht mit D.E. über ihre Erzählungen für Marie. Sie macht sich Sorgen, dass Marie, die »ratlose Antikommunistin«, die Geschichte von Cresspahls Verhaftung und das Leben in der Sowjetischen Besatzungszone »in den falschen Hals« bekommt.

1341-1350 Einige Tage später möchte Marie von Gesine mehr über ›ihre‹ Sowjets und das Leben in »Sowjetmeeklenburg« wissen. Gesine erzählt ihr bei laufendem Tonband die Geschichte von Slata und Alma Wittes Verstörung nach Slatas Verhaftung im Hotel Stadt Hamburg in Gneez im Herbst 1945. Marie mutmaßt, dass Gesine viele »solche Geschichten« kennt und überzeugt ist, »daß ich etwas Falsches mit ihnen anfangen werde«. Gesine räumt ein, dass sie es befürchtet.

1350-1358 Gesine erzählt Marie von den vom Jerichower Stadtkommandanten Pontij beförderten Gründungen bürgerlicher Parteien im Herbst 1945, um ihr vorzuführen, »daß du dich gelegentlich irrst mit deiner gnadenlosen Unterdrückung durch die Sowjets«.

1374-1382 Marie möchte, dass Gesine ihr von einem erzählt, dem der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetischen Besatzungszone »Spaß« gemacht hat: »Der das freiwillig tut. So einen. Der Bescheid weiß. Der glücklich ist damit. Einen mußt du doch wissen.« Gesine erzählt ihr an diesem Tag (18.6.1968) und den folgenden Tagen die Geschichte von Gerd Schumann.

1400-1405 Über das Leben in Cresspahls Haus, nachdem alle Flüchtlinge ausgezogen sind, weil die Wohnung eines als »Sowjetfeind« geltenden, ohne Prozess im Lager gehaltenen Mannes als unsicher gilt. – Seit Herbst 1946 grüßt Gesine Pastor Brüshaver nicht mehr, weil sie ihn für Cresspahls Inhaftierung mitverantwortlich glaubt. – Über ihre Beziehung zu Jakob, für den sie »unerfindlich« ist. Mit dem Weizen, den sie mit ihren Erntearbeiten auf Johnny Schlegels Hof im Sommer 1946 verdient hat, betreibt das »unbegreifliche Cresspahlkind« Schwarzmarkt-Geschäfte, die Jakob beunruhigen. 

1422-1428 Am 26.6.1968 streitet Gesine Cresspahl mit dem ›Genossen Schriftsteller‹ darüber, wie sehr sie über Ginny Carpenter gelacht hat (vgl. auch Uwe Johnson und Gesine Cresspahl). 

1428-1437 Vom 1. September 1946 an besucht Gesine Cresspahl die Brückenschule in Gneez. Wenn der Zug nach Jerichow nicht fährt, übernachtet sie bei Alma Witte im Hotel Stadt Hamburg.

1437-1447 Am 28. Juni 1968 erscheint das Manifest der »Zweitausend Worte«. Gesine Cresspahl besorgt sich den Text mit Hilfe von Signora Sabatino, der Sekretärin der italienischen Delegation der Vereinten Nationen in New York. »Dann hat sie die Bank um einen ganzen Arbeitstag betrogen; da hätte selbst unser Vizepräsident de Rosny vergebens gefragt, was solch tschechische Schrift denn zu tun hat mit einer Reise nach Prag. [...] Wenn ihr wissen wollt, was an Sozialismus möglich ist zu unseren Zeiten, lernt Tschechisch, Leute!« 

1447-1449 Im Herbst 1946 bekommt Gesine bei Rawehn, »ff. Damen- und Herrenmoden« in Gneez, einen Wintermantel geschneidert, den sie mit ihrem bei Johnny Schlegel verdienten Weizen bezahlt. »Das Kind war unglücklich mit dem Mantel«, weil Helene Rawehn ihre Wünsche hinsichtlich Schnitt, Länge, Knopfleiste und Kragen ignoriert. – Über Gesines Leben ohne den Vater. Über ihre Einstellung zur Schule und die Lehrer. In einer Englischstunde lässt Frau Dr. Weidling sie in Gegenwart eines Hospitanten ein englisches Gedicht mit einer »schädlichen, [...] systemreformistischen Botschaft« (»Recuerdo« von Edna St. Vincent Millay) rezitieren in dem Englisch, das sie von Heinrich Cresspahl seit 1943 gelernt hat. Als Gesine bemerkt, dass der Hospitant ein Russe ist, fürchtet sie, ihrem von den Sowjets internierten Vater geschadet zu haben.

1456-1463 Im Frühjahr 1947 schickt Frau Abs Gesine in den Konfirmandenunterricht und in die Tanzstunde. Den Konfirmandenunterricht bricht sie schon nach zwei Stunden ab, die Tanzstunde im Hotel Sonne in Gneez besucht sie »aus Gehorsamkeit gegen Frau Abs«. Sie und Lise Wollenberg werden von den Jungen »die Helle und die Dunkle aus Jerichow« genannt. – Beschreibung des Unterrichts von Herrn Knaak (mit Anleihen bei Thomas Manns »Tonio Kröger«). 

1463 Seit der Verhaftung ihres Vaters im Oktober 1945 verhält Gesine sich gegen Leslie Danzmann, Jugendfreundin ihrer Mutter und Sekretärin ihres Vaters während dessen Zeit als Bürgermeister, abweisend. »Die war freigelassen worden, ihr Vater nicht. Die hatte ihr keine Nachricht gebracht von ihm. Die konnte ihn auch verraten haben.« 

1463-1473 Arbeitsessen im Restaurant der Direktion »hoch oben im Östlichen Turm der Bank« mit de Rosny und leitenden Angestellten der Bank (WendellGellistonKennicottMilo) am 1. Juli 1968. Der Erzähler beschreibt Gesines äußere Erscheinung: »die versteckt Angst, nicht ungeschickt. Die ist auf der Hut, die wird sich wehren; erscheinen aber möchte sie als höflich, liebenswürdig, damenhaft.« – Gesine »wünscht sich weg«. – Sie fürchtet sich vor dem Abschied von New York.

1474-1481 Am 2. Juli 1968 blättert Gesine in dem Tagebuch, das sie als Vierzehnjährige im Frühjahr 1947 zu schreiben begonnen hat. Darin ist von einigen ihrer Lehrer (Bettina RiepschlägerDr. KramritzFräulein Pohl), von ihren Schwierigkeiten mit dem Wort »Antifaschismus«, von Alexandra Paepcke und von ihrem als NS-Kriegsverbrecher gesuchten Onkel Robert Papenbrock die Rede, der im Frühjahr 1947 unverhofft am Ziegeleiweg auftaucht und den Gesine mit Jakobs Hilfe aus dem Haus wirft.

1488-1496 Im Sommer 1947 reißt Gesine von zu Hause aus und fährt allein nach Althagen. Das Haus der Paepckes ist von Fremden bewohnt. Sie geht ein paar Katen weiter zu  Ille, beide »erschraken vor einander fürchterlich«. Ille nimmt sie auf und lässt sie bei sich arbeiten »für Tisch und Bett«. Für Gesine ist es der letzte Aufenthalt auf dem Fischland. Die Erinnerung an die Paepckes und die Ferientage mit ihnen stellt sich ihr nicht mehr her. Dennoch steht für sie fest: »Das Fischland ist das schönste Land auf der Welt. Das sage ich, die ich aufgewachsen bin an einer nördlichen Küste der Ostsee, wo anders. Wer ganz oben auf dem Fischland gestanden hat, kennt die Farbe des Boddens und die Farbe des Meeres, beide jeden Tag sich nicht gleich und untereinander nicht. Der Wind springt das Hohe Ufer an und streift beständig über das Land. Der Wind bringt den Geruch des Meeres überallhin. Da habe ich die Sonne vor mir untergehen sehen, oft, und erinnere mich an drei Male, zwar unbeholfen an das letzte. Jetzt sackt das schmutzige Gold gleich ab in den Hudson.« 

1510-1516 Im Mai 1948 wird Heinrich Cresspahl aus Fünfeichen entlassen und landet zuerst auf Johnny Schlegels Hof, wo er fast den ganzen Tag lang in einem Wassertrog badet, während Axel Ohr seine verlauste Häftlingskleidung verbrennt. Mittags holt Axel Ohr Gesine vom Schulzug ab und bringt sie zu ihrem Vater, abends fährt er beide nach Hause nach Jerichow.

1516-1522 Am 9. Juli 1968 mutet de Rosny seiner Angestellten Cresspahl – in Vorbereitung ihrer Reise nach Prag – eine Befragung durch den »Lügendetektor« zu. – Der Mann hinter dem Gerät teilt ihr mit de Rosnys Erlaubnis vertraulich mit: »Sie sind zu 90 Prozent wahrheitsgetreu.«

1522-1528 Marie ist froh, dass Gesine ihren Vater nun erzählend von den Russen »zurückgeholt« hat. Gesine spricht von der schwierigen ersten Zeit mit dem körperlich und seelisch von der Haft gezeichneten Vater.

1528-1537 Die Lehrerinnen der Gneezer Brückenschule wundern sich über den »Umschlag aus einem verdüsterten in ein offenes, ja zutrauliches Wesen«, den sie an Gesine seit der Heimkehr ihres Vaters beobachten. Gesine »fühlte sich bloß aufgewacht. Unverhofft war das Drucksen vor Entschlüssen weg, das Getane richtig von Anfang an.« – Über die Auswirkungen der Währungsreform im Juni 1948. – Gesine wird die Versetzung zur Oberschule erteilt. 

1537-1541 Das ČSSR-Projekt wird konkret: Gesine soll am 20. August 1968 nach Prag fliegen, wo sie am 21. August einen Termin in der Obchodný Banka hat. – Statt sich mit Kursen und Wirtschaftsdaten zu befassen, schreibt sie am 12. Juli 1968 einen Brief an einen Professor in Deutschland (Alexander Mitscherlich) und fragt ihn, »ob sie sich für psychisch gestört halten soll«, weil sie Stimmen höre und sich mit ihren Toten unterhalten könne. »Ich will es nicht. Dennoch gelange ich (manchmal fast vollständig) zurück in vergangene Situationen und spreche mit den Personen von damals wie damals. Das ereignet sich in meinem Kopf, ohne daß ich steuere. Auch verstorbene Personen sprechen mit mir wie in meiner Gegenwart. [...] Die Toten verfolgen mich nicht, meistens kann ich mich mit ihnen einigen in solchen eingebildeten Gesprächen. Nur, ist das eingebildet? Ich spreche auch mit Verstorbenen, die ich nur vom Sehen kenne [...]. Ist dies eine Krankheit?« Die Antwort kommt am 17. August 1968 (vgl. 1856 f.). – Ihre Schrift: »große ungebrochen runde scharf unten ausfahrende Züge, was einer mal eine Tulpenschrift genannt hat. [...] wenn man Tulpen denken kann, es sind solche an kurzem Stil, aufrecht stehend.«

1541-1549 Am 13. Juli 1968 schreibt Gesine einen Brief an Anita Gantlik über ihre Beziehung zu D.E. und das zeitweilige Zusammenleben mit ihm. »Hier haben wir jemand, der sieht davon ab, uns zu verändern.« 

1551-1555 Im Juli 1948 arbeitet Gesine noch einmal als Erntehelferin auf Johnny Schlegels Hof.  Auf Johnnys Radio in der Küche steht die Verlobungsanzeige von Jakobs ehemaliger Freundin Anne-Dörte, die nach Holstein gegangen ist. Gesine glaubt nun zu wissen, »wie es ist mit der Liebe« und warum Jakob in diesem Sommer kein einziges Mal auf dem Schlegelhof zu Besuch kommt: »Mit der Liebe war es demnach ein Unglück.« – Heinrich Cresspahl spielt mit dem Gedanken, Gesine in ein Internat nach England zu schicken. Er nimmt ihre Abwehr mit einem bloßen Nicken hin, das sie erschreckt. »Nun hätte ich gern noch einen Tag Bedenkzeit gehabt.«

1556-1560 Im Herbst 1948 wechselt Gesine zur Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Über ihr gespanntes Verhältnis zu ihrer Mitschülerin Lise Wollenberg, mit der sie an einem Tisch sitzt. »Ihr war wohl bewußt, wie hübsch das aussah, wenn sie ihre langen blonden Locken schwenkte neben einer, die ihre dunklen Zöpfe ruhig halten will«. Nach den Weihnachtsferien setzt Gesine sich von ihr weg und teilt einen Tisch mit Pius Pagenkopf (vgl. 1573 ff.).

1561-1566 Bei einer Ehrung von Angestellten der Bank wird auch Gesine ausgezeichnet, erhält einen Scheck über achthundert Dollar und die silberne Medaille des Präsidenten. Sie ärgert sich über die verlogene Zeremonie, will die Medaille einer Bettlerin geben, aber Marie überredet sie, daraus einen Ring für D.E. machen zu lassen.

1573-1578 Im Januar 1949 beginnt die »Arbeitsgemeinschaft« Cresspahl-Pagenkopf in der Klasse Neun A Zwei an der Fritz Reuter-Oberschule: Gesine und Pius Pagenkopf wechseln mitten im Schuljahr ihren Platz im Klassenzimmer und setzen sich zusammen an einen Tisch »in der hintersten Ecke des Raums, schwer einzusehen vom Platz des Lehrers aus«. Dr. Kliefoth, zu dieser Zeit Direktor der Schule, duldet den eigentlich nicht erlaubten Platzwechsel mitten im Schuljahr. In der Klasse gelten Gesine und Pius schon bald als Liebespaar. – Cresspahl möchte seiner Tochter das Rauchen untersagen, »die versteckt ihre brennende Rauchware in der hohlen Hand«. 

1584-1585 Das Wochenende vom 20./21. Juli 1968 verbringen die Cresspahls mit D.E., der die jüngsten Nachrichten über Waffenfunde in der Tschechoslowakei als möglichen Legitimationsgrund für eine Intervention des Warschauer Pakts in der ČSSR deutet. »Es saß aber eine am Tisch, die soll in vier Wochen reisen in jene Gegend, die will sie etwas weniger dunkel gemalen haben.«

1585-1590 Zarah Leanders Schlager »Kann denn Liebe Sünde sein?« wird in der Neun A Zwei von Januar 1949 an »getrommelt und gepfiffen auf die Tochter Cresspahls und Pius Pagenkopf. Wir waren Das Paar.« Die gekränkte Lise Wollenberg bemerkt gehässig, »bei so einem Vater sei die Cresspahl ja klug beraten, sich an die neue Herrschaft zu hängen.« – Über Pius' und Gesines Gemeinschaft: Er tritt ihrem Schwimmverein S.V. Forelle bei, sie seiner FDJ und der »Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft«. Er wird zu Beginn der 10. Klasse (1949/50) Vorsitzender der FDJ-Klassengruppe, Gesine seine Stellvertreterin. – Gemeinsames Schwimmen im Gneezer Stadtsee: Sie sind »die, die trockneten sich an einem Handtuch ab, das Paar«. – Beide melden sich im Frühjahr 1950 auf Betreiben von Herrn Pagenkopf zu Aufräumarbeiten auf dem Bahnhof Gneez. – »Er hatte mir vom Typhustod seiner älteren Schwester erzählt, ich ihm von Alexandra Paepcke«. Wir haben gewiß sagen dürfen: Wir wissen etwas von einander.« – Gemeinsame Ausflüge und Ferien. Aber »Das Paar« vermeidet Berührungen: In einem Zwiegespräch zwischen Gesine und dem toten Pius sagt er: »Aus Spaß, Gesine, das wäre mir zu wenig.« Sie: »Wo keine Liebe wächst, gedeiht die Sünde schlecht.« Pius: »Sag ihren Namen nicht, Gesine.« Sie: »Frag mich nicht nach Jakob

1591-1595 Am 21. Juli 1968, ihrem 11. Geburtstag, schreibt Marie an Anita Gantlik: »Gesine will D.E. heiraten. Im Herbst, wenn wir Prag hinter uns haben«. Sie beschreibt Anita ihre Geburtstagsgeschenke und erzählt ihr von einer Wohnung am Riverside Drive, fünf Zimmer im vierzehnten Stock, die D.E. offenbar für das künftige Zusammenleben zu kaufen oder zu mieten beabsichtigt und die sie an diesem Tag gemeinsam besichtigt haben (vgl. 1885-1886). 

1601-1605 Im Herbst 1948 macht Gesine einen zweiten Versuch, Brüshavers Konfirmandenunterricht zu besuchen (vgl. 1456 f.), gerät aber erneut in Konflikte: »das mit der Ubiquität, sie könne es auswendig, sie werde es auf Verlangen vortragen, aber daran zu glauben, es mißlinge ihr«. Sie läuft davon und versteckt sich am Jerichower Marktplatz in einer »zerschlagenen, lichtlosen Telefonzelle, geschüttelt von keuchendem Weinen«. Cresspahl holt sie dort um die Abendbrotszeit ab, »führte sie ab wie ein Kind, einen Arm um ihre Schulter«, geht mit ihr ins Bruch, »wo nur Hasen und Füchse unbesorgt hören durften, daß ihr die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl kannibalisch vorkomme. Es war das letzte Mal, daß er sie hielt und führte wie ein Vater; von seinen Tröstungen hat sie die behalten, die sie freisprach: You gave him a chance. Versucht hast du's, Gesine.« 

1605-1618 Über Anita Gantlik, die am 1. September 1948 in Gesines Klasse Neun A Zwei an der Fritz Reuter-Oberschule eintritt.

1619-1625 Gesines Erinnerungen an ihre Freundschaft mit Anita in den fünfziger und sechziger Jahren, darunter an einen Besuch bei der Freundin in West-Berlin, wohin Anita gleich nach dem Abitur 1952 gegangen war. »Zunächst gestanden wir einander, daß die eine der anderen gut bekommen war, seit vier Jahren schon.« Gesine erzählt ihr eine Nacht lang von Alexander Paepcke, »zum Trösten gut noch im Verstorbensein«. – Nach Jakobs Tod im Herbst 1956 »betrug Anita sich harsch zu mir [...]. Sie meinte, eine Anwesenheit auf dem Friedhof wäre mir nützlich gewesen.« – Anita konnte es Gesine nur mühsam verzeihen, dass sie aus der Kirche austrat, »kaum daß sie eine Lohnarbeit gefunden hatte«. – Vor ihrer Übersiedelung in die USA verbringt sie mit Marie ihren Urlaub bei Anita in Westberlin; sie soll Anitas Freund, den »Alten«, in Augenschein nehmen und Trauzeugin bei ihrer Hochzeit sein. – Als Gesine ihre Arbeit für die deutsche Bank in New York verliert (Dezember 1961), unternimmt sie für Anitas Fluchthilfeorganisation Reisen, um »Pässe auszuprobieren auf dem Weg von Prag nach Warnemünde, von Trelleborg nach Wien. Da hieß ich oft wie die Leute, denen ein Stück solchen Transits noch bevorstand, und schützte fremde Lebensalter vor, ganz wie Anita das erbat.«

1625-1635 Über Dr. Kliefoths Entlassung aus dem Amt des Direktors der Fritz Reuter-Oberschule im April 1950. Die sechzehnjährige Schülerin Cresspahl hat ein schlechtes Gewissen, weil die Schüler nicht gegen diese Entlassung protestiert haben. Sie vermeidet Begegnungen mit Kliefoth, der in Jerichow wohnt.

1635-1644 Am 16. Juli 1968 schreibt Gesine einen Brief an Jonas Blach, in dem sie ihm die Freundschaft kündigt, weil er sich mit dem von ihr erbetenen (vgl. 1393), dann aber doch nicht veröffentlichten Beitrag zu einer Festschrift »Erinnerungen erschwindelt« hat, die er nun vor Freunden in der DDR vorliest: »du gehst da umher in deinem Lande mit unseren Erinnerungen an dich, dem Nachruf, den du dir erschwindelt hast, damit du schon zu Lebzeiten erfährst, was wir aufbewahrt haben und wert gehalten an dir. Wir hören: du liest das vor, in jeweils vertrautem Kreise, als Bitte um Mitleid für deine schlimme Lage.« Gesines Konsequenz: »Wir leugnen, dich zu kennen. Nie haben wir dich gekannt. […] Dir sagen wir Schluß und Niemals und Aus.«  

1647-1657 Am 27. Juli 1968 erzählt Gesine ihrer Tochter die Geschichte von dem ›Badeanzug-Streit‹ mit Bettina Selbich an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez im Mai 1950: Als Bettina Selbich, seit Kliefoths Entlassung kommissarische Schulleiterin, entdeckt, dass Gesine Cresspahl ihren Badeanzug am offenen Klassenfenster zum Trocknen aufgehängt hat, beleidigt sie sie mit anzüglichen Unterstellungen. Es entstehen Gerüchte, die den Vorfall aufbauschen, und da die Schüler nichts unternehmen, um die Dinge richtigzustellen, schlägt die Geschichte sehr zu Bettina Selbichs Nachteil aus: Ihre Zugehfrau Oma Rehse sagt ihr ihre Dienste auf, ihr Vermieter versucht ihr zu kündigen, Mülleimer werden im Treppenhaus so hingestellt, »daß Bettina ein bißchen hinfiel«, und die von Jakob informierten Eisenbahner kontrollieren die Reisende Selbich »mit offen gezeigtem Verdacht«. – Danach hängt der Badeanzug zum Trocknen beim Hausmeister: »Sichtbarlich am Rande des Schulhofs. Die Cresspahl-Gedenkstätte«.

1657-1662 Vor dem Pfingsttreffen der FDJ in Berlin im Sommer 1950 leihen Gesine und Pius Pagenkopf bei Horst Stellmann in Jerichow eine Kamera, mit der Pius dann Bettina Selbich bei einem heimlichen Besuch in Westberlin vor einem Schuhgeschäft fotografiert. Mit dem Foto haben Gesine und Pius sie in der Hand (machen aber keinen Gebrauch davon). 

1663-1668 Am 29. Juli 1968 wird in die Cresspahlsche Wohnung am Riverside Drive 243 eingebrochen. Dabei werden unter anderem auch das Tonbandgerät und die Tonbandkassetten mit Gesines Erzählungen gestohlen, »die eben erst übermorgen angestanden hätten zum Versand an den Tresor eines Bankhauses in Düsseldorf«.

1669-1680 Am ersten Schultag nach dem Pfingsttreffen der FDJ 1950 ist die Fritz Reuter-Oberschule in Gneez bepflastert mit Flugblättern gegen die FDJ, »darauf kann man deutsche freie junge Menschen marschieren sehen hinter und unter Stacheldraht«. Die Schüler müssen in ihren Klassen bleiben und werden einzeln von Kommissaren der Staatssicherheit verhört. Anita Gantlik spielt Gesine einen Zettel zu mit der Information, dass die Stasi sie verdächtigt, an der Flugblattaktion beteiligt zu sein. »Das war geschickt, Anita. Sollst bedankt sein abermalen

1681-1685 Über die personellen Veränderungen an der Fritz Reuter-Oberschule zu Beginn des Schuljahres 1950/51: Bettina Selbich wird durch Direktor Kramritz abgelöst, Mathias Weserich beginnt sein Schulpraktikum an der Schule, Frau Dr. Gollnow wird zum Bedauern der Schüler Gantlik, Cresspahl und Pagenkopf pensioniert und durch ›das böse Auge‹ Eberhard Martens ersetzt, die Abiturienten Sieboldt und Gollantz geben ihre Ämter in der Zentralen Schulgruppenleitung der FDJ ab, Sekretär der ZSGL wird Dieter Lockenvitz und Gabriel Manfras Erster Vorsitzender. 

1687 Im November 1950 wird Gesines Großvater Albert Papenbrock bei den Waldheim-Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. 

1689-1690 Im Dezember 1950 wird Gesines Vater mit Aggie Brüshavers und Dr. Schürenbergs Hilfe arbeitsunfähig »in die Rente« geschrieben. – Jahreswechsel 1950/51: »Im Jahre 1950 wurde zum ersten Mal seit 1937 in Cresspahls Haus das Silvester begangen. Es gab keine Karpfen, aber Jakob brachte Krebse. [...] Zum ersten Mal waren wir, in ungenauer Art, eine Familie in Cresspahls Haus.« Bei den Vorbereitungen des Essens ist Gesine abgelenkt, denn »am Fenster führte Jakob ihr eine halbe Stunde lang vor, wie ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren sich rasiert zur Feier eines Abends«.

1694-1707 In Gesines Klasse Elf A Zwei liest Mathias Weserich mit den Schülern Fontanes »Schach von Wuthenow«. Die intensive Arbeit an der Erzählung nimmt ein jähes Ende, als Dieter Lockenvitz nach den Osterferien 1951 eine Zeitschrift (»Sinn und Form«) mitbringt, in der »der amtierende Fachmann für sozialistische Theorie in der Literatur« (d.i. Georg Lukács) einen Aufsatz über »Schach von Wuthenow« veröffentlicht hat, der Weserichs akribische Arbeit zunichte macht mit der Behauptung, die Erzählung sei ein bloßes »Geschenk des Zufalls«. Weserich bleibt der Schule für eine Woche fern. »Der zurückkam, dem waren wir widerlich.« Er setzt die »Schach«-Lektüre ab, für den Rest des Schuljahres »raste er mit dieser Klasse durch den Roman ›Frau Jenny Treibel‹« und lässt sich nicht mehr auf Gespräche ein. »Der Ofen war aus.« Gesine resümiert: »wir hatten bei ihm das Deutsche lesen gelernt.«

1709 Gesine und Marie verbringen den Vormittag des 3. August 1968 mit den Blumenroths an der Jones Beach. Mr. Blumenroth beobachtet Gesine mit »Seitenblicken, die uns erinnern sollten an unsere Sitzungen vor der Bar des Hotels Marseille; Mrs. Blumenroth hatte ihre liebe Not, die Darbietungen ihres Mannes zu übersehen. Und damit es ihm zu sagen verwehrt sei, sprach sie selber aus: Auf den Busen können Sie sich was einbilden, Mrs. Cresspahl.« Gesine denkt: »Die würde ein deutsches Kind annehmen als Tochter zum Pflegen.« – Am Nachmittag beobachtet sie Anselm Kristlein mit seiner Tochter im Riverside Park.

1713-1721 Im Oktober 1950 werden Sieboldt und Gollantz, inzwischen schon Studenten in Rostock, angeklagt, für die Flugblattaktion an der Fritz Reuter-Oberschule nach Pfingsten (vgl. 1669-1680) verantwortlich zu sein. Am 30. Oktober wird die Gerichtsverhandlung in der Aula der Fritz Reuter-Oberschule abgehalten, zu der die Schüler, darunter auch Gesine Cresspahl, als Zuschauer antreten müssen. – Im Juni hatte Pius Pagenkopf Gesine ein Exemplar des Flugblatts gezeigt, was streng verboten war: »Nachdem ich zu Ende gelesen hatte, hing zwischen uns ein Blick, solchen kriegst du im Leben, wenn es hoch kommt und gut gegangen ist, vielleicht drei Mal.« Marie ereifert sich: »An einem Handtuch trocknet ihr euch ab! Wand an Wand schlaft ihr! Aber vertrauen tut ihr einander erst, wenn du ihn ins Zuchthaus bringen könntest.« Gesine: »Seit dem Augenblick hatt ich noch einen Bruder.«

1721-1733 Gesine erzählt Marie die Geschichte ihres Mitschülers Dieter Lockenvitz, den sie und Pius Pagenkopf im Frühjahr 1950 in ihre »Arbeitsgemeinschaft« einluden.

1734-1735 Am 6. August 1968 bucht Gesine ihre Reise um: Sie will auf Anita Gantliks Vorschlag über Kopenhagen (statt Frankfurt) nach Prag reisen. 

1739-1740 Gesine hat den Anwalt Josephberg beauftragt, ihr Testament zu ändern: Sie hatte Mrs. Blumenroth zur Erziehungsberechtigten ihrer Tochter Marie bestimmt. Nachdem Anita Gantlik ihr aber erklärt hat, dass sie bereit ist, »für Marie zu verzichten auf Reisen«, geht sie am 6. August 1968 zu Mr. Josephberg, um das entsprechend geänderte Testament zu unterschreiben.

1740-1741 Mr. Josephberg teilt ihr mit, das D.E. tödlich verunglückt ist. »Laut letztwilliger Verfügung von Herrn Dr. Dietrich Erichson ist Ihnen als erster Person Mitteilung zu machen für den Fall, daß er sterben sollte.« D.E. starb bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Vantaa in Finnland am Samstag, 4. August 1968, um acht Uhr morgens in einer von ihm selbst geflogenen Cessna. Gesine ist seine Alleinerbin, seine Mutter hat in seinem Haus »Wohnrecht bis zu ihrem Ableben«. Gesine lässt sich von Mr. Josephbergs Sekretärin Frau Gottlieb zu ihrem Büro bringen. 

1741-1745 Gesine Cresspahl allein in ihrem Büro mit Gedanken an D.E. – Telefonat mit Anita Gantlik, die aus Berlin anruft und fragt, ob sie nach Finnland fliegen solle: »Anita, der reiste mit einem Zettel, auf dem stand in den vier Weltsprachen: zu verbrennen am Ort des Todes ohne Gesang Ansprache Predigt Musik whatsoever. Weißt du, damit er mir keine unnötige Mühe macht mit seinem Tod«. – Gesine geht in D.E.'s Bar, die Bar von Wes, der ihr ein Taxi ordert. – Gesine in ihrer Wohnung. »Wenn man sich schminkt bis zur Ankunft von Marie und dann mit Blick aus dem Fenster sitzen bleibt; vielleicht läßt es sich überstehen.«

1745-1749 Gesine hat Marie nichts von D.E.'s Tod gesagt. Vizepräsident de Rosny gibt ihr unter einem Vorwand bezahlten Urlaub bis 19. August 1968. Mit der Post kommt ein letzter Brief von D.E., Gesine geht erneut in die Bar von Wes, um ihn zu lesen. Gesine zu Anita: »Was tut eine doppelte Witwe, die von ihren Beerdigungen beide verpaßt? Ich höre Musik«. 

1751-1755 Gesine glaubt sich zu erinnern, dass sie und ihr Vater im Sommer 1950 eine Segeltour nach Dänemark gemacht haben: Weil Cresspahl an Emil Knoop »ein dänisches Geschäft gescho – vermittelt hatte, wird auch Gesine zum Begießen eingeladen auf ein Boot, eine Yacht im Hafen von Wismar«. – Im Sommer 1951 schickt Cresspahl sie zu den Niebuhrs nach Wendisch Burg, damit sie nicht mitbekommt, dass Jakob um ihretwillen »achtzehn Tage im Keller unterm Landgericht Gneez, wegen Körperverletzung« sitzt: Um ihren guten Namen gegen üble Nachrede zu verteidigen, hat er sich für sie auf der Stalinstraße in Jerichow geschlagen. – Sie erzählt Marie von zwei Liebschaften, die sie Anfang der fünziger Jahre in Westdeutschland hatte. Marie: »Und dann kam der auf den du die ganze Zeit gewartet hast.« Gesine: »Dann kam Jakob.«

1755 Spät in der Nacht vom 7. auf den 8. August 1968 Telefongespräch mit Anita: »Im Augenblick ist gerade das Schlimmste, daß D.E. von Jakob doch wußte. Daß ich einzig mit dem hab leben wollen, und ihn noch bei mir habe.« 

1756-1758 Am 8. August 1968 fährt Gesine nach New Jersey, um D.E.'s Mutter die Todesnachricht zu überbringen. 

1758-1766 Über Gesines Freund Pius Pagenkopf: Sein vorzeitiger Schulabgang 1951, die letzten gemeinsamen Wochen in der Schule, seine Karriere als Pilot und sein Tod 1964. 

1766 Von dem Besuch bei Frau Erichson zurückgekehrt, findet Gesine eine traurige Marie vor: Ein Telegramm ist eingetroffen mit der Nachricht, dass D.E. einen Unfall gehabt hat. Urheberin des Telegramms ist Anita Gantlik: Um Marie behutsam auf die Nachricht von D.E.'s Tod vorzubereiten, schickt sie weitere Telegramme in D.E.'s Namen bis zur Abreise nach Prag (vgl. 1785, 1806, 1856).

1766-1770 Am 9. August 1968 kommt Annie Fleury mit ihren drei Kindern aus Finnland zurück, um wieder zu ihrem Mann in Vermont zu ziehen. Sie macht Station in New York, wohnt aber nicht bei Gesine, sondern in einem teuren Hotel, in das sie Gesine und Marie einlädt. Beide begleiten sie nach Vermont. 

1777-1785 Von der elften Klasse an (Schuljahr 1950/51) ist die Schule für Gesine Cresspahl, Pius Pagenkopf, Dieter Lockenvitz und Anita Gantlik »eine einzige Angstpartie«, weil Gabriel Manfras seine Mitschüler bespitzelt.

1789-1805 Im Oktober 1951 verschickt Dieter Lockenvitz anonyme Briefe mit seiner Liste von Opfern der Mecklenburgischen Justiz nach 1945 »an ausgesuchte Haushalte in Gneez, Mecklenburg, zwei auch in Jerichow«. Im Dezember 1951 wird er verhaftet. Am 2. Januar 1952 werden auch seine Mitschülerinnen Gesine Cresspahl, Anita Gantlik und Annette Dühr verhaftet. Gesine verbringt zehn Tage in »jener Villa im Komponistenviertel, in deren Kellern die örtliche Staatssicherheit die kurzfristigen Anlieferungen sortierte, bis sie reif waren zu einer Überstellung in die Straße der Geschwister Scholl zu Schwerin«. – Gesine erlebt den Prozess gegen Dieter Lockenvitz im Mai 1952 mit. Er bekommt 15 Jahre Zuchthaus. Gesine fühlt sich schuldig: »Den ließen wir allein.« 

1806-1812 Am 12. August 1968 machen Gesine und Marie einen Ausflug nach Chicago, am 13. August fahren sie mit der U-Bahn auf die Halbinsel Rockaway im Süden von Queens. Unterwegs erzählt Gesine der Tochter von Jakobs Aufenthalt bei Tonja und Feliks in Olmütz im Herbst 1955.

1813-1826 Gesines drei Zeugnisse der Reife. Das erste war der letzte Besuch bei Lockenvitz am Tag seines Prozesses, 15. Mai 1952 (1824). Das zweite, vom 25. Juni 1952, »von den Lehrern, wie die es denn wollten«: Latein: 1, Englisch: 1, Russisch: 2, Musik: 2, Biologie/Chemie: 1, Mathematik/Physik: 1, Deutsch/Gegenwartskunde: 1. Das dritte Abitur: Die erneuerte Freundschaft mit Kliefoth in Jerichow, der ihr im Sommer 1952 Privatunterricht in Englisch gibt. »Das dritte Abitur, das soll gelten.«

1820-1822 Erinnerungen an einen Ausflug der Zwölf A Zwei zum Barlach-Haus am Inselsee von Güstrow im September 1951. Dort begründen Gesine und Anita Gantlik ihr Bündnis »auf dem Kamm des Heidberges, wo ein Abhang sich öffnet, güstrower Kindern wohlbekannt als Schlittenbahn, auch dem Auge freien Weg öffnend über die Insel im See und das hinter dem Wasser sanft ansteigende Land, besetzt mit sparsamen Kulissen aus Bäumen und Dächern, leuchtend, da die Sonne gerade düstere Regenwolken hat verdrängen können: welch Anblick mir möge gegenwärtig sein in der Stunde meines – Es ist uns schnuppe, ob dir das zu deftig beladen ist, Genosse Schriftsteller! Du schreibst das hin! wir können auch heute noch aufhören mit deinem Buch. Dir sollte erfindlich sein, wie wir uns etwas vorgenommen haben für den Tod. – Sterbens.« 

1827-1845 Am 15. August 1968 fliegt Gesine mit Marie für einen Tag nach San Francisco zur Einstimmung auf den Europa-Flug und um Marie die Nachricht von D.E.'s Tod noch verschweigen zu können. Unterwegs erzählt sie von ihrem Weggang nach Halle zum Studium im Spätsommer 1952 und von dem Leben in Halle. – Um »gesellschaftliche Betätigung« nachweisen zu können, belegt sie einen Kursus im Rettungsschwimmen und lernt das Schießen mit einem Kleinkalibergewehr. – Ein Spitzel wird auf sie angesetzt. Jakob Abs besucht sie in Halle und vertreibt den Spitzel. – Über das Ende von Johnny Schlegels ›Kommune‹ und den Tod von Jakobs Fuchs im Mai 1953. – Im Frühjahr 1953 werden Gesine Cresspahls Gedanken an eine Flucht in den Westen konkret. Nach einer langen nächtlichen Diskussion mit ihrem Vater und Frau Abs besorgt Jakob ihr eine Fahrkarte nach Halle, die über Berlin führt. »›Ferien bei Anita‹ sollten es sein.« 

1847-1849 »Am 9. Juni 1953 machte der Sachwalter der ostdeutschen Republik seiner Bürgerin Gesine Cresspahl einige Vorschläge, ihre Rückkehr unter seine Fuchtel betreffend.« Es geht um die an diesem Tag vom ZK der SED veröffentlichte Ankündigung einer Politik des ›Neuen Kurses‹ (vgl. dazu Jahrestage-Kommentar zu 1847, 21 f.).

1849-1855 Im Juni 1953 reist Gesine Cresspahl nach West-Berlin, wo sie zunächst in einer Villa im Grunewald bei dem Ingenieur Unterkunft findet, an den Cresspahl einst Dr. Semigs Schäferhund Rex verkauft hatte. Sie trifft sich mit Anita zum Schwimmen im Strandbad Wannsee. Sie ist sich durchaus noch nicht sicher, ob sie im Westen bleiben will. Auch noch nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 in Ost-Berlin wäre sie »zurückgegangen, hätte nun jedermann von Gneez bis Halle sagen dürfen: wir haben gesehen, wer in diesem Lande regiert; die Sowjets«. Da das nicht der Fall ist, meldet sie sich im Juli 1953 in einem Flüchtlingslager (nach ihrer Erinnerung in Berlin-Marienfelde), wo sie D.E. zum ersten Mal begegnet. – Sie bricht das reguläre Aufnahmeverfahren als Flüchtling ab und erlangt mit Anitas Hilfe einen Westberliner Personalausweis. In der vorletzten Juliwoche 1953 fliegt sie nach Frankfurt am Main. 

1856-1857 Am 17. August 1968 bekommt Gesine Antwort von dem deutschen Professor (Alexander Mitscherlich), dem sie am 12. Juli geschrieben hatte (vgl. 1538-1541).

1857-1864 In Westdeutschland angekommen, nimmt Gesine 1953 ein Studium an einer Dolmetscherschule »am linken Ufer des Rheins in einem Talgraben« (d.i. Germersheim) auf, das sie durch verschiedene Gelegenheitsarbeiten finanziert. »Rauchen fiel aus bis 1955.« – Am Tag ihrer Mündigkeit wird ihr das Vermächtnis Kollmorgens ausgehändigt, »ein Paar goldener Ringe«. Marie: »Trauringe. Aus dem Grab.« – Eine politische Heimat findet Gesine in der westdeutschen Parteienlandschaft nicht. 

1864-1866 Nach dem Studium lebt sie als Angestellte der NATO (Amt für Manöverschäden bei Mönchengladbach) in Düsseldorf, zuerst in einem »möblierten Zimmer am Postamt Flingern-Nord«, dann in einer »abschließbaren Wohnung« in Düsseldorf-Bilk. Die Wohnung ist »ein ausgebauter Dachboden, ein weitläufiges Zimmer mit Kammer und Küche«. Hier besucht Jakob sie: »Was der Wohnung noch fehlte, als Jakob nach Düsseldorf kam, hat er verputzt, angeschraubt, verklebt, lackiert.« 

1866-1868 Über Jakobs Besuch in Düsseldorf im Herbst 1956. Über seinen Tod im November 1956. Im Juli 1957 wird Marie geboren. 

1869-1874 Über Cresspahls Besuche in Düsseldorf nach Maries Geburt. Er setzt Marie als Erbin seines Guthabens auf dem Konto der Bank von Richmond ein, richtet für Gesine, die zwischenzeitlich wieder zur Untermiete wohnt, eine »Gartenwohnung ein am Lohauser Deich« und bezahlt die Miete für ein Jahr im voraus, »da die Mutter noch einmal eine Lehre begann, in einer Bank; dem Kind zuliebe«. – Die Bank bietet ihr »zwei Jahre zur gehobenen Ausbildung [...] bei einer ›uns befreundeten‹ Bank in Brooklyn« an. Gesine akzeptiert, weil sie das politische Klima in der Bundesrepublik nicht erträgt. Vor allem zwei Dinge treiben sie aus dem Land: Das Fortbestehen antisemitischer Ressentiments, von denen sie sogar anzunehmen scheint, dass sie Dr. Semig das mühsam über die NS-Zeit gerettete Leben gekostet haben (vgl. 1872), und die Karriere von Franz Josef Strauß (vgl. 1872-1874).

1874-1875 Im April 1961 geht Gesine mit der vierjährigen Marie für ihre Düsseldorfer Bank nach New York. Marie: »Endlich sind wir angekommen, wo meine Erinnerung Bescheid weiß. Welcome home!«

1875-1876 Im Herbst 1962 stirbt Heinrich Cresspahl in Jerichow. »Amerika ist mir zu weit zum Denken. Fœundsœbentich is nauch.« [Vierundsiebzig ist genug.]

1876-1879 Schon im Dezember 1961 wird Gesine entlassen, weil sie eine Kundin vor einem schlechten Geschäft warnt. »Sie werden von uns bezahlt fürs Verkaufen!« – Während der Zeit der Arbeitslosigkeit unternimmt sie Reisen für Anita Gantliks Fluchthilfeorganisation (vgl. 1623). – 1962 stellt de Rosny sie an seiner Bank »trotz der Vorstrafe« ein, »weil sie sie zugab. Oder wegen der Natur des Vergehens.« – »1962 fand uns ein Prof. Dr. Dr. D. Erichson und trug eine Ehe an, nachdem er Marie zu kennen gelernt hatte«.

1880-1887 Gesine resümiert im weiteren Ereignisse der Jahre 1963 bis in die Gegenwart des 19. August 1968, an dem Mr. Robinson sie fragt, ob sie ihre Wohnung aufgeben will: »Auf was für Einfälle Sie kommen, Mr. Robinson [...]. Am Klingeln des Telefons können Sie hören, daß wir ein Lebensrecht behalten möchten am Riverside Drive.«

1888-1891 Auf dem Weg nach Prag machen Gesine und Marie Cresspahl am 20. August 1968 auf Anita Gantliks Wunsch einen Zwischenstopp in Dänemark (vgl. 1735). In einem Badehotel an der dänischen Küste treffen sie Julius Kliefoth. An diesem Tag liest Gesine Cresspahl keine Zeitung. 

Gesines zweiter Vorname wird S. 298 (»Gesine Lisbeth«) und S. 1519 (»Gesine L.«) erwähnt. – Gesine Cresspahl ist neben Jakob Abs, Jonas Blach und Hauptmann Rohlfs eine der Hauptfiguren in »Mutmaßungen über Jakob« (1959). – In »Karsch und andere Prosa« (1964) agiert sie neben Jakob Abs in der Geschichte »Osterwasser« (K 7-17), ist in »Beihilfe zum Umzug« Grete Selenbinder bei der Ausreise in den Westen behilflich (K 18-22) und erscheint in »Geschenksendung, keine Handelsware« als unermüdliche Versenderin von Päckchen mit westlichen Waren an alte Jerichower Bekannte (K 23-38). – In »Begleitumstände« (1980) befasst Johnson sich ausgiebig mit seiner Figur (vgl. B 124, 299-302, 405-425 u.ö.)

Cresspahl, Heinrich

Vater von Gesine Cresspahl, Ehemann von Lisbeth, geb. Papenbrock. Bruder von Gertrud Niebuhr. Geboren 1888 als Sohn von Berta und Heinrich Cresspahl sen. auf einem Gut an der Müritz, auf dem sein Vater als Stellmacher arbeitete. Geht 1902 bei Tischlermeister Redebrecht in Malchow am See in die Lehre, verliebt sich in dessen Enkelin Gesine Redebrecht. Militärdienst beim Holsteinischen Artillerie-Regiment 24 zu Güstrow, 2. Batterie. Im Ersten Weltkrieg als Unteroffizier mit diesem Regiment an der Ostfront, zusammen mit Erwin Plath. SPD-Mitglied bis zu einem Streit über Parteitagsbeschlüsse zu den Kosten für die Wehrmacht in der Weimarer Republik. Während des Kapp-Putsches 1920 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Waren an der Müritz. Danach Auswanderung in die Niederlande, 1925 nach England. Liebesbeziehung mit Elizabeth Trowbridge, die nach ihrer Trennung (1931) einen Sohn von ihm zur Welt bringt, Henry, geb. 1932. Von 1928 bis 1933 Verwalter der Tischlerei »Pascal und Sohn« in Richmond. Bei einem Besuch in Mecklenburg im Sommer 1931 verliebt er sich in Lisbeth Papenbrock. Heirat am 31. Oktober 1931 in der Petrikirche von Jerichow. Lisbeth geht mit ihm nach Richmond, kehrt aber nach anderthalb Jahren nach Jerichow zurück, wo sie am 3. März 1933 die Tochter Gesine zur Welt bringt. Cresspahl folgt ihr widerstrebend im Herbst 1933. Die Familie bezieht das Haus am Ziegeleiweg, das Albert Papenbrock seiner Enkelin Gesine vermacht hat. Cresspahl richtet sich auf dem Anwesen eine Werkstatt ein. Von 1935 bis 1938 profitiert er wie viele Handwerker der Umgebung von Aufträgen der Luftwaffe beim Ausbau des Fliegerhorstes Mariengabe in Jerichow Nord. Nach Lisbeths Tod und dem Verlust der Werkstatt im November 1938 arbeitet er als angestellter Tischler auf dem Fliegerhorst. Seit Beginn des Krieges Arbeit für die britische Abwehr; sein Kontaktmann ist Fritz. Nach Kriegsende von der englischen Besatzung als Bürgermeister von Jerichow eingesetzt, von den nachrückenden Sowjets im Amt bestätigt. Am 22. Oktober 1945 Verhaftung durch die Sowjets. Bis zum Februar 1947 in verschiedenen Gefängnissen (Gneez, Schwerin) in Haft unter wechselnden Beschuldigungen. Ab Februar 1947 interniert im Lager Fünfeichen. Seinen Haushalt versorgen währenddessen Marie Abs und ihr Sohn Jakob. Im Mai 1948 Freilassung und Rückkehr nach Jerichow. Kleinere Arbeiten, zumeist Restauration von Möbeln. Seit Dezember 1950 in Rente. Nach Jakobs Tod im Herbst 1956 ziehen Jakobs Freund Jöche und seine Frau bei ihm ein und versorgen ihn. Stirbt im Herbst 1962. Grab auf dem alten Friedhof an der Petrikirche in Jerichow.

16-18 Im August 1931, »in einem schattigen Garten an der Travemündung«, sieht er zum ersten Mal seine spätere Frau, Lisbeth Papenbrock. »Er war damals in seinen Vierzigern, mit schweren Knochen und einem festen Bauch über dem Gürtel, breit in den Schultern. In seinem graugrünen Manchesteranzug mit Knickerbockers sah er ländlicher aus als die Badegäste um ihn [...]. Er war damals füllig im Gesicht, mit trockener schon harter Haut. In der Stirn war sein langer Kopf schmaler. Sein Haar war noch hell, kurz in kleinen wirbligen Knäueln. Er hatte einen aufmerksamen, nicht deutbaren Blick, und die Lippen waren leicht vorgeschoben«. – Cresspahl betreibt zu dieser Zeit schon die Werkstatt in Richmond, »voll teuren Werkzeugs, bei verläßlicher Kundschaft«, und ist im Begriff, das Haus am Manor Grove, in dem er zwei Zimmer bewohnt, zu kaufen. Anlass seiner Reise war die Hochzeit seiner Schwester Gertrud mit Martin Niebuhr, und eigentlich sollte es sein letzter Aufenthalt in Deutschland sein: »Er hatte auf der Reise noch einmal gesehen, wo er ein Kind gewesen war, wo er das Handwerk gelernt hatte, wo er zum Krieg eingezogen wurde, wo die Kapp-Putschisten ihn in einen Kartoffelkeller gesperrt hatten, wo jetzt die Nazis sich mit den Kommunisten schlugen. Er hatte nicht vor, noch einmal zu kommen.« Die Begegnung mit Lisbeth Papenbrock durchkreuzt seine Pläne. »Mein Vater, als sein Boot nach England in Hamburg ablegte, nahm sich ein Zimmer im Lübecker Hof in Jerichow.«

30-34 Cresspahl schaut sich in Jerichow um, trinkt bei Peter Wulff sein Bier, informiert sich über die Papenbrocks, trifft sich mit Dr. Semig (vgl. 70).

48-51 Annäherungen an Lisbeth Papenbrock, erste Treffen und Gespräche mit ihr.

59 Gesine fragt: »Was wollte Cresspahl in einer solchen Familie

68-73 Nach acht Tagen hält Cresspahl bei Albert Papenbrock um Lisbeths Hand an. Obwohl der Alte Vorbehalte gegen ihn hat, willigt er schließlich ein.

85-88 Cresspahl bleibt bis Ende August in Jerichow (vgl. 93), »blind vor Verstrickung in sein Bild von der jüngsten Tochter Papenbrocks, als sei sie für sein Leben die einzig Nötige«. Gesine Cresspahl und/oder ihr Genosse Schriftsteller fragen sich: »Wie weit war Cresspahl vom Ekel, als er Tag nach Tag im August 1931 in Jerichow vertat, ein gesunder Mensch als Müßiggänger mitten in der Ernte«, und mutmaßen, dass er sich »vor der Wiederholung« (des Verliebtseins) geekelt haben muss. – Cresspahl »hatte den Leuten in Jerichow Wochen lang Spaß gemacht mit seiner Liebschaft und hatte den Kopf voll von dem Geheimnis, das zwischen ihm und Lisbeth Papenbrock eingerichtet war, für niemand zu sehen als für sie und ihn«. Peter Wulffs Frau Meta versucht ihn vor Lisbeths übertriebener Religiösität zu warnen.

93-96 Kehrt Anfang September nach Richmond zurück. Über die Tischlereiwerkstatt »Pascal und Sohn«, die er mit zwei Gesellen, Jim Smith und Perceval Ritchett, für den Besitzer Albert A. Gosling verwaltet. Er löst seine Verbindung mit Elizabeth Trowbridge und lässt sich von Anwalt Salomon einen Abfindungsvertrag für sie entwerfen.

102-106 Ende September 1931 besucht Lisbeth Papenbrock ihn heimlich in Richmond. Er »war erschrocken über die Einfälle, die er nach diesem von ihr gewärtigen mußte. Ihm war unheimlich, wie blind sie sich in einem Schritt, in einer Zeit mit ihm glaubte; wo ihn noch Fremde und Entfernung scheuerten, bemerkte sie keinen Abstand mehr.«

111-115 Die Hochzeit am 31. Oktober 1931 in Jerichow. Die Trauung in der Petrikirche vollzieht Pastor Methling. Auf einem der Hochzeitsfotos, das Gesine ihrer Tochter Marie zeigt, sieht Cresspahl aus wie ein »verkleideter Bauer in seinem lockeren schwarzen Anzug (von Ladage & Oehlke, Alsterarkaden), ein Auswärtiger, der träg vorgeschobene Lippen anbietet anstatt des Lächelns, ein Fremder, der auf den Schnellzug Stettin-Hamburg vertraut«.

120-121 Seine letzten Lebensjahre in Jerichow mit Jöche und Muschi Altmann.

122-124 Über das Leben der Frischvermählten in Richmond. Sie »sah etwas Neues an ihm: er vermochte seine Ohren zu verschließen. Was er nicht hören wollte lief ab wie Wasser an seiner wachsamen freundlichen Miene.«

128-131, 141-143, 146-149 Das Leben der Eheleute in Richmond; Lisbeths Schwierigkeiten in dem fremden Land; Ehestreitigkeiten.

140 Cresspahl als Bürgermeister von Jerichow 1945: Als Amalie Creutz nach Vergewaltigungen durch elf Sowjetsoldaten schwanger wurde, beantragte er eine Abtreibung. Das Gesuch wurde zurückgewiesen, und Cresspahl »wurde von der Spionageabwehr der Roten Armee in Haft genommen«.

159 Im Sommer 1932 wird Lisbeth schwanger. Sie schreibt nach Hause: »Cresspahl will ein Mädchen. Und wenn ich recht bekomme, heißt der Junge Heinrich.«

163-165 Im Spätherbst 1932 bekommt Cresspahl Briefe »von den Leuten aus Peter Wulffs Hinterzimmer« über die politische Situation in Deutschland und über Schlägereien zwischen Nazis und Kommunisten in und um Jerichow.

169-171 Briefwechsel zwischen Peter Wulff und Cresspahl Anfang 1933. – Über die Gründe ihrer wechselseitigen Sympathie mutmaßt Gesine: »Vielleicht konnten sie auskommen wegen ihres ähnlichen Alters. Sie waren beide Mittelstand, beide waren für ein paar Jahre Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gewesen. Vor allem, sie konnten einer des anderen Nähe ertragen, bei einander sitzen, auch ohne Gespräch. Das sah nur aus wie Intimität. Und beide hatten Spaß am gegenseitigen Aufziehen, und konnten es ertragen.« Cresspahl schickt ihm Ausschnitte aus dem Daily Express. Peter Wulff berichtet ihm von Elisabeth Lieplow aus Kröpelin, die spätere Frau von Lisbeth Cresspahls Bruder Horst.

180-183 Ende Januar 1933 eröffnet Lisbeth ihm, dass sie ihr Kind in Jerichow zur Welt bringen möchte, und bittet ihn, ihr eine Schiffspassage nach Hamburg zu buchen. »Cresspahl war sich nichts vermutend gewesen. Er hatte Lisbeth Papenbrock eingewöhnt geglaubt in Richmond, in England.«

191-194 Cresspahl bleibt allein in Richmond zurück. Er geht jetzt jeden Abend in eine Kneipe und trinkt, um einschlafen zu können. Er schreibt Lisbeth eine »Ansichtenkarte« nach Jerichow mit Nachrichten über den Fortgang der Geschäfte. »Denn es mochte zwar sich so verhalten, daß er ohne sie schlecht leben konnte, aber es ging nicht an, daß er ihr das aufschrieb, nicht wahr. Als sie ihm drei Wochen fehlte, war er ziemlich überzeugt, sie sei mit seinem Einverständnis, wenn nicht auf sein Drängen hin nach Jerichow gefahren, zum mindesten ohne Streit.«

194-201 Anfang März 1933, kurz vor Gesines Geburt, reist er nach Jerichow. In Lübeck unterbricht er die Reise, um seinen ehemaligen SPD-Parteigenossen Erwin Plath aufzusuchen, der nicht zu Hause ist. Er trifft ihn in der Stadt und bringt für ihn zwei illegale Pässe zu einer konspirativen Adresse, obwohl er 1922 aus der SPD ausgeschlossen worden ist. »Sie hatten ihn immer noch nichts sagen lassen über seine Entfernung von der S.P.D. seit 1922.« Er wartet lange vergeblich in der Wohnung einer alten Frau, Anna Niederdahl, auf Erwin Plath. Als er ihn am Abend noch einmal in seinem Haus aufsuchen will, wird er verhaftet wie vorher schon Erwin Plath. Am nächsten Morgen, während in Jerichow seine Tochter Gesine geboren wird (3. März 1933), kommen beide frei, weil Cresspahl dem vernehmenden Kommissar mit seinem Militärdienst im »Holsteinischen Artillerie-Regiment 24 zu Güstrow, 2. Batterie« Eindruck macht.

202-206 Am Nachmittag des 3. März 1933 trifft Cresspahl in Jerichow ein. Sein Schwiegervater trinkt mit ihm auf das Kind. Die Eheleute haben keine Gelegenheit, allein zu sein.

214-217 Es gelingt Cresspahl nicht, »mit Lisbeth unbefangen zu reden (außer in der ersten Nacht, die er auf dem Fußboden neben ihrem Bett verbrachte, die Hände im Nacken verschränkt, leise redend, bis sie ihre plötzliche Angst vergaß und einschlafen konnte). Sie versprach ihm kein Reisedatum, aber sie widersprach ihm auch nicht. Wenn er das Kind ansah, das blind und hilflos Tropfen Zuckerwasser von seinem rissigen Finger nippte, hatte er ein heftiges Gefühl von Eile.« – Beide beratschlagen über den Namen für das Kind. Cresspahl schlägt den Namen Gesine vor. Es ist der Name seiner Jugendliebe Gesine Redebrecht.

245-246 Cresspahl meldet seine Tochter bei Pastor Brüshavers Frau Aggie zur Taufe am 12. März 1933 an (später verlegt auf  19. März).

250-253 Imaginiertes Streitgespräch zwischen Heinrich und Lisbeth Cresspahl: Sie möchte nicht nach Richmond zurück und verlangt von ihm, in Jerichow zu bleiben. Ihr Vater Albert Papenbrock unterstützt sie, indem er seiner neugeborenen Enkelin das Grundstück am Ziegeleiweg schenkt. Außerdem hat er die Tischlerei von Heinz Zoll aufgekauft, um seinen Schwiegersohn nach Jerichow zu ziehen.

259-263 »Cresspahl mochte ein Leben in Jerichow nicht einmal denken. Es wäre ein Leben mit den Papenbrocks gewesen.« Über sein Verhältnis zu Lisbeths Eltern und Geschwistern. Sympathie hegt er nur für Lisbeths Schwester  Hilde Paepcke und ihren Mann. – Am Tag vor dem für Gesines Taufe vorgesehenen 12. März 1933 ruft ihn seine Schwester Gertrud Niebuhr ans Sterbebett seiner Mutter Berta. Er fährt »weg von Jerichow, mit einer Erleichterung, die ihm noch lange auf dem Gewissen liegen sollte«. Die Taufe wird auf den 19. März 1933 verschoben.

267-268, 279-282 Cresspahl trifft seine Mutter nicht mehr lebend an. Berta Cresspahl ist im Haus von Erna Schmoog  gestorben. »Cresspahl fand seine Mutter in einem Dorf südöstlich von Malchow, in einem fremden Bett. Sie war im Tod nicht kleiner geworden, aber als er sie anhob, fühlte er sie wie ein schlafendes Kind in den Armen.« Einige Tage später beerdigen er und seine Schwester Gertrud ihre Mutter in Malchow. Von den Papenbrocks nimmt nur Hilde Paepcke – auf Geheiß ihres Vaters – an der Beerdigung teil.

273 Ohne Cresspahls Wissen hat Albert Papenbrock den Tod von Cresspahls Mutter im Gneezer Tageblatt angezeigt, mit falschem Namen (»Grete Cresspahl«). »Er wollte seinen Schwiegersohn wohl festbinden in Jerichow, und wenn er mit dem Gedächtnis der Jerichower anfangen mußte.«

273-275 Nach seiner Rückkehr aus Malchow nimmt Cresspahl das Anwesen am Ziegeleiweg in Augenschein, das Albert Papenbrock seiner Enkelin Gesine überschreiben möchte. »Wenn man will, lassen zwei Drittel der Türfläche sich verglasen. Dann käme genug Licht hinein für Tischlerarbeiten.«

297-300 Cresspahl meldet die verschobene Taufe seiner Tochter Gesine bei Pastor Brüshaver für den 19. März 1933 an und bestellt den Taufspruch (Psalm 71, 6). Er wählt Dr. Semig als Taufpaten. Gesine ist überzeugt, dass er schon zu diesem Zeitpunkt keine Wahl mehr hatte: »Das Kind und dazu die Frau konnte er nur noch in Jerichow behalten, nicht mehr in Richmond, nicht in Lisbeths fremdem Land.«

305-310 Albert Papenbrock sucht mit Cresspahl den Rechtsanwalt Avenarius Kollmorgen auf, um den Vertrag über die Schenkung des Hauses am Ziegeleiweg an Gesine aufzusetzen. Nach Papenbrocks Vorstellung soll Cresspahl das verfallene Anwesen renovieren und bis zur Übergabe an Gesine an ihrem 21. Geburtstag (am 3. März 1954) instandhalten, ansonsten soll der Besitz »hinten und vorne und oben und unten gegen den Vater der Eigentümerin geschützt« sein. »Dor hefft wi nicks von: sagte Cresspahl ohne Bitterkeit«. Kollmorgen beobachtet mit größtem Vergnügen, wie er sich gegen die Zumutungen seines Schwiegervaters verwahrt und erreicht, dass Papenbrock die Renovierung des Hauses übernimmt und nur die Einrichtung der Tischlerwerkstatt auf Cresspahls Kosten geht. Kollmorgen »hatte Papenbrock bei einer Niederlage beobachtet. Papenbrock hatte für Gefühle viel Geld verschrieben, und mehr als er wollte.«

316-321 Gesines Taufe am 19. März 1933. »Das Kind trug Cresspahl, etwas hoch vor seiner Brust und sehr angestrengt, bis er es vor dem Altar an die Mutter zurückgeben konnte.« Bei der anschließenden Feier im Haus Papenbrock fühlt er sich fremd und »auswärtig«. Gleich danach fährt er allein nach Richmond zurück. »Nu hest din Willn, Lisbeth. / Nu sast din' all Tied hem, Hinrich.« [Nun hast du deinen Willen bekommen, Lisbeth. / Von jetzt an soll alles nach deinem Willen gehen, Heinrich.]

331-335 Gesine und Marie Cresspahl erinnern sich an ihren Besuch in Richmond mit D.E. Anfang der sechziger Jahre. »Cresspahl ist nicht älter geworden als vierundsiebzig, das wissen wir; sie [Lisbeth] aber hätte hier überlebt, und in eine jener roten Säulen mit dem Topfdeckel ohne Henkel könnte sie noch heute Briefe einwerfen nach New York: Liebe Tochter.«

348-353 Cresspahls letzte Monate in Richmond. »Cresspahl konnte acht Monate von außen zusehen, wie die Nazis ihren Staat einrichteten. Er muß es wahrgenommen haben. Seit er in den Städten war, hatte er die Zeitungen gelesen, wenn auch mehr auf die bäuerliche Weise: erst nach der Arbeit, nur wenn zuverlässig keine nützliche Beschäftigung anlag, langsam, nahezu wie eine Erholung und mit festwurzligem Mißtrauen, das den Befund über Wahrheit der Nachrichten den eigenen Augen vorbehielt. Aber er hatte ja gesehen, was die Meldungen aus Deutschland ihm fortsetzten. Was er vom März verpaßt hatte, lieferten die londoner Blätter ihm gehörig nach.« – Im Mai 1933 kündigt er den Pachtvertrag für die Tischlerei Pascal und Sohn. »Nun konnte er erst nach einem halben Jahr reisen. Wenn ihm um Bedenkzeit zu tun war, so hatte er sich reichlich damit eingedeckt«. 

375-377 Cresspahl bekommt Besuch von aus Deutschland geflohenen Sozialdemokraten. Einer von ihnen, Manning Susemihl, ist entsetzt, als er erfährt, dass Cresspahl im November 1933 nach Deutschland zurückgehen will. Er sucht sich eine andere Bleibe und sagt ihm zum Abschied: »Ick hev dat vesöcht. Öwe nè. Ick vestå Se nich: sagte Manning Susemihl.« [Ich habe es versucht. Aber nein. Ich verstehe Sie nicht]. 

377-381 Im Juli 1933 will Cresspahl seine ehemalige Geliebte Elizabeth Trowbridge besuchen und erfährt von ihrer Vermieterin, dass sie ein Kind von ihm hat, mit dem sie zu Verwandten in der Nähe von Bristol gezogen ist. Er wird dabei von dem wegen seiner Kündigung erbosten Albert A. Gosling beobachtet, der ihm nachspioniert (vgl. dazu auch 812-813).

389-392 Im November 1933 reist Cresspahl endgültig nach Deutschland. Kurz vor seiner Abreise versucht Manning Susemihl ihn dazu zu überreden, illegale Flugschriften der SPD nach Deutschland einzuschmuggeln. Beide geraten in Streit über die Rolle der SPD bei der Machtergreifung der Nazis. Nach einer beleidigenden Äußerung Susemihls streckt Cresspahl den naseweisen jungen Mann mit einem Faustschlag nieder und wirft ihn hinaus. Gesine kommentiert: »Es gibt so eine überwache, schnell fließende Wut, die es gründlich anstellt mit einem Verlust, wenn denn etwas verloren werden soll, nicht wahr, Cresspahl.« Cresspahls imaginierte Antwort: »Right you are, Gesine. Un du kennst dat nich bloß von mi. Du hest dat sülben.« [Stimmt, Gesine. Und du kennst das nicht nur von mir. Du hast das auch.] – Es schließt sich ein imaginiertes Streitgespräch der Tochter mit ihrem toten Vater über seine Rückkehr nach Deutschland an. »Du harst din Fru in Dütschlant, un süss hest du di nich vel dacht. / Süss hev'ck mi nich vel dacht.« [Du hattest deine Frau in Deutschland, und sonst hast du dir nicht viel dabei gedacht. / Sonst hab ich mir nicht viel dabei gedacht.]

389-402 Bei Cresspahls Ankunft in Jerichow beträgt Lisbeth sich, »als sei mit seiner Ankunft etwas Gefürchtetes eingetreten«. Die Wintermonate 1933/34 lebt das Ehepaar bei Papenbrocks, weil das Haus am Ziegeleiweg erst im Frühjahr bewohnbar wird. – »Cresspahl fiel es nicht leicht, schnell in Jerichow anzuwachsen. Es war nicht, daß die Gegend anders war als um Malchow, kahler, kälter, ziemlich baumlos. Es war nicht die Fremde. Er war auch in Malchow fremd gewesen. In den Niederlanden, in England auch. Er brauchte das nicht, wie Lisbeth, daß er von jedem Fenster wußte, wer dahinter wohnte. Die Fremde war immer gut für ihn gewesen, wenn auch nicht zu ihm. Hier fehlte etwas.«

409-412 »In Jerichow hieß es schon im Dezember 1933, dieser Cresspahl sei ein sturer Hund«. Cresspahl baut die Scheune des Anwesens am Ziegeleiweg zu einer Tischlerwerkstatt aus. Im Ort wird viel über ihn geklatscht. – Im Mai 1934 zieht er mit Lisbeth und dem Kind in den Ziegeleiweg.

415-418 Cresspahls »Wünsche an das Jahr 1934«. Anfang Juni 1934 lässt er sich von Bürgermeister Friedrich Jansen  einen »Aufnahmeantrag für die Nazipartei« geben (den er nie ausfüllt; vgl. 474).

427 Cresspahl beobachtet Lisbeths engen Umgang mit Aggie Brüshaver mit Sorge. Er »mochte es nicht, dass sie sich das Gewissen so voll lud mit den Sorgen der Kirche«.

444-448 Cresspahls Verhältnis zur Tischlerinnung und zum Innungsmeister Willi Böttcher. Von dessen Sohn Klaus  erfährt er, dass die Hitlerjugend ein von der Bündischen Jugend gebautes »Landfahrerhäuschen« am Ufer des Gneezer Sees besetzen will, und informiert seinen Lehrjungen Heine Klaproth. In der Nacht bauen die Pfadfinder und Jugendliche von der SAJ, der (verbotenen) Jugendorganisation der Sozialdemokraten, Haus und Bootssteg ab. – In der Tischlerinnung findet er allmählich Aufnahme und trifft dort auf Gleichgesinnte, die den Nazis kritisch gegenüberstehen. »Mit solchen Kollegen war doch gut umgehen, Bier trinken, über Maschinen und Material und Arbeiter reden, den Nazis Schabernack spielen, leben eben. War das doch. / Holl din Muul, Gesine. Holl din Muul.« [Halt deinen Mund, Gesine. Halt deinen Mund.]

467-471 Im März 1935 legt Cresspahl auf dem Grundstück am Ziegeleiweg einen Garten an. – Die Innung teilt die Aufträge für den Ausbau des Flugplatzes Jerichow Nord unter sich auf. Cresspahl bekommt den Auftrag für die Anfertigung von Betten, Wandschränken und Schilderhäuschen. Er stellt zusätzliche Gesellen und Arbeiter an und kauft neue Maschinen, mit Hilfe von Dr. Erdamer zu günstigen Preisen. Lisbeth möchte, dass er die Aufträge zurückgibt, um nicht mitschuldig am Krieg zu werden.

471 Ist enttäuscht über das Flottenabkommen der Engländer (vom 18.6.1935), das Hitler erlaubt, »die deutsche Flotte bis zu 35 Prozent der britischen zu verstärken«. 

474-475 Cresspahls bekommen ein Telefon, Rufnummer Jerichow 209.

497-498 Im Jahr 1936, während der Arbeiten für den Militärflugplatz Jerichow Nord, beschäftigt Cresspahl acht Angestellte in seiner Tischlerei. Er rechnet mit einem baldigen Krieg. Bürgermeister Friedrich Jansen meldet seine Äußerungen an die Gestapo in Gneez, bekommt dafür aber eine Abfuhr vom Luftwaffenamt Hamburg.

509-513 Am 1. Weihnachtstag 1936 treibt Lisbeth Cresspahl ihr zweites Kind ab und unternimmt damit zugleich einen Selbstmordversuch, ruft aber Dr. Berling zu Hilfe, der sie ins Kreiskrankenhaus nach Gneez bringt.

523-528 Über das schwierige Eheleben mit Lisbeth, über ihre wechselnden Gemütszustände und Heinrich Cresspahls Hilf- und Ratlosigkeit. »Und so oft er verglich und sich einprägte, wie ihre Zustände umschlugen, er fand nicht, was sich da in Gang setzte, oder ob er das tat. Das kam von einem Tag auf den anderen«.

527 Von seinem englischen Bankguthaben gehen monatlich Beträge an Elizabeth Trowbridge für den gemeinsamen Sohn Henry (vgl. dazu 812).

529-533 Cresspahl in den Augen der Jerichower. Sie nennen ihn ›den Engländer‹. Seine Distanz zu den Papenbrocks. »Der besorgte sich seine Arbeit allein, der brauchte und nahm dazu nicht den alten Papenbrock. Bißchen still der Mann. Mitten im Gespräch stellt der seine Augen auf Fernsicht und ist nicht mehr da. Ein Engländer.« – Über seine Vorgeschichte und Herkunft.

539-540 Heinrich und Lisbeth Cresspahl schlafen schon bald nach Gesines Geburt in getrennten Betten.

577-578 Cresspahl hat das Grundstück am Ziegeleiweg eingezäunt. Im Sommer 1937, im Vorfeld des Prozesses gegen Hagemeister und Warning, versieht er das Zufahrtstor mit einem Schloss, um Lisbeth vor ungebetenen Besuchern zu schützen. In Jerichow heißt es, er halte seine Frau in einem Gefängnis. »Wen Cresspahl zu Lisbeth durchließ, den brachte Heine Klaproth zu ihr; die anderen mußten bei ihm stehenbleiben, mit Blick auf nichts als die zugezogenen Fenster«.

579-580 Ende September 1937 macht Lisbeth erneut einen Selbstmordversuch. 

617-619 Die ›Regentonnengeschichte‹: Im Sommer 1937 sieht Lisbeth tatenlos zu, wie die vierjährige Gesine in die Regentonne fällt. Cresspahl kann das Kind rechtzeitig herausziehen. »Er war hinter ihr um die Hausecke gekommen und hatte ihr beim Zusehen zugesehen. Er hat es mir nach dem Krieg nicht genau erzählen mögen, nur daß sie stehen blieb ›wie erstarrt‹ als er mich triefendes Bündel an ihr vorbei ins Haus trug.« Er versetzt der Tochter eine Tracht Prügel, »ich sollte mir die Regentonne merken ein für alle Male. Nur so konnte er mich vor Lisbeth schützen.«

625-626 Abschied von Arthur und Dora Semig im Dezember 1937, die sich nach Semigs Inhaftierung im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Hagemeister und Warning schließlich doch zur Emigration entschieden haben.

631-635 Über Ostern 1938 besuchen Cresspahls die Paepckes in Podejuch. 

652-657 Cresspahl stellt sich vor, wie sich sein Leben in Jerichow im Mai 1938 in den Augen seines früheren Gesellen in Richmond, Jim Smith, ausnehmen würde. 

654 Dr. Semigs Hund Rex lebt jetzt bei Cresspahl.

656 Rex, der »verwirrt und verloren sich auf dem Hof umherdrückte und immer noch keinen festen Schlafplatz hatte nehmen mögen«, heißt nun King.

665-666 Als Bürgermeister Friedrich Jansen Semigs Hund Rex kaufen will, gibt Cresspahl an, er habe das Tier nur in Pflege, und verkauft den Hund vorsorglich an einen Ingenieur in Berlin-Grunewald. 

673-674 Cresspahls Aussehen im September 1938: »Fünfzig Jahre alt. 1 Meter neunzig Zentimeter groß. (Sechs Fuß zwei Zoll.) Von fern aufrechte Haltung, bei nahem besehen, vorsinkende Schultern; Arbeitsschaden oder Mutlosigkeit. Ein länglicher, noch voller Kopf, steingraue harte Haare, gekräuselt. Der Blick beim stummen Gesicht: so gleichmäßig, daß der Eindruck von Aufmerksamkeit jeden Ausdruck verbergen kann. Beim Reden, beim Arbeiten: auf die Sache gerichtet, streng, prüfend, scharf. Augenfarbe: Helles Blau bis Grau bis Grün. Die Lippen nicht mehr locker vorgewölbt wie Anfang der Dreißiger Jahre, eng verschlossen, so daß sie magerer scheinen. Harsche, geknickte Falten zu beiden Mundwinkeln. Der Mundausdruck zeigte nicht Erwartung, nur noch Wachsamkeit, leicht angewidert. Dennoch ahnungslos. Kleidung: In der Regel blaues Maschinistenzeug in der Werkstatt Holzpantoffeln. Das Alter hieß früher einmal die besten Jahre.«

674-679 Im Oktober 1938 fährt Cresspahl zur Beerdigung von Anna Niederdahl nach Lübeck und nimmt an dem als Leichenschmaus getarnten illegalen Treffen der Lübecker SPD-Genossen in Erwin Plaths Haus teil, die ihn, obwohl er nicht mehr Mitglied ist, mit abstimmen lassen. Ihm wird aufgetragen, nach Dänemark zu fahren, seinen Umgang mit Peter Wulff abzubrechen und dafür zu sorgen, dass Bienmüller alles bekommt, was er benötigt.

684-687 Überzeugt davon, daß die Nazis in den Krieg steuern, deckt er sich im Herbst 1938 mit Werkzeug und Material für die Werkstatt ein und verlangt auch von Lisbeth eine Liste mit unverzichtbaren Dingen für den Haushalt. 

692-695 Er entdeckt, dass Lisbeth das Kind hungern lässt, und nimmt Gesine fortan tagsüber mit sich, um ihre Ernährung sicherzustellen.

710-711 Nach der Eröffnung des Flugplatzes Jerichow Nord Ende Oktober 1938 bekommt Cresspahl keine weiteren Aufträge mehr auf dem Flugplatzgelände und hat auch sonst wenig Arbeit. In seiner Werkstatt arbeiten nur noch Alwin Paap und ein junger Geselle. »Cresspahl hatte Zeit zum Spazierengehen.«

720-721, 725-730 Am 8. November 1938, einem Dienstag, fährt Cresspahl mit Gesine nach Malchow und von dort weiter nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs. In einem Hotel am Malchower See, in dem er mit dem Kind übernachtet, hat er ein unverhofftes Wiedersehen mit seiner Jugendliebe Gesine Redebrecht, die dort als Bedienung arbeitet. Bei seiner Schwester Gertrud  und ihrem Mann Martin Niebuhr in Wendisch Burg trifft er auch Martha und Peter Niebuhr an. Tags darauf, am Morgen des 10. November 1938, erhält er die Nachricht von Lisbeths Tod. Er reist sofort ab und lässt Gesine in der Obhut seiner Schwester zurück.

738-744 Imaginiertes Gespräch zwischen Cresspahl und Kriminalkommissar Vick in Gneez am Donnerstag, 10. November 1938. Vick hatte den aus Wendisch Burg zurückkehrenden Cresspahl in Güstrow aus dem Zug holen und nach Gneez zum Verhör bringen lassen. Von ihm erfährt Cresspahl einige nähere Umstände von Lisbeths Tod.

745-750 Cresspahl bleibt nach dem Verhör in Gneez. Er kauft bei Innungsmeister Böttcher bestes Holz für Lisbeths Sarg und übernachtet im Hotel Stadt Hamburg, von wo er Telegramme mit der Todesnachricht verschickt. Am nächsten Morgen, es ist Freitag, 11. November 1938, versucht er vergeblich, Lisbeth, deren Leichnam zur Obduktion ins Krankenhaus Gneez gebracht worden ist, noch einmal zu sehen; man lässt ihn nicht zu ihr. Er fährt nach Jerichow, besichtigt die Reste seiner niedergebrannten Werkstatt und sucht in Haus und Garten nach Spuren, die ihm Aufschluss über Lisbeths letzte Wege geben könnten.

753-759 Danach geht er zu Pastor Brüshaver, um von ihm Näheres über Lisbeths letzte Stunden zu erfahren und die Trauerfeier für Montag, 14. November 1938, zu bestellen. Für die »Zeremonie am Grab« überreicht er Brüshaver ein aus der Hotelbibel im Hotel Stadt Hamburg ausgerissenes Blatt mit dem 39. Psalm. Noch am Vormittag fährt er zurück nach Gneez, um in Böttchers Werkstatt Lisbeths Sarg zu tischlern. Dort sucht Brüshaver ihn am Abend auf, um mit ihm noch einmal über Lisbeth und seine Überzeugung zu sprechen, dass Lisbeth Selbstmord begangen hat. »Brüshaver betrachtete mit einer Art Entsetzen den Mann, der seiner Frau solchen Tod nachsagte, der den Verlust der Versicherungssumme für Werkstatthaus und Maschinen in Kauf nehmen wollte, damit sie diesen ihren Tod für immer behielt.« Am Sonnabend, 12. November 1938, erscheint seine Todesanzeige im Gneezer Tageblatt. »Da stand: Lisbeth Cresspahl ist aus dem Leben gegangen.« An demselben Tag wird Lisbeth nach Jerichow überführt und im Haus aufgebahrt. Cresspahl lässt niemanden ins Haus.

761-768 Lisbeths Beerdigung am Montag, 14. November 1938, zu der auch Mr. Smith aus Richmond angereist ist.

780-783 In den Tagen nach Lisbeths Beerdigung lässt Cresspahl durch das Bauunternehmen Koepcke die Ruine seiner Werkstatt abtragen und das Grundstück in Ordnung bringen. Von Sonnabend, 19. November 1938, an verschwindet er mit Gesine aus der Stadt, niemand weiß wohin. Für die Zeit seiner Abwesenheit führt Altgeselle Alwin Paap das Regiment auf seinem Anwesen.

784-788 Marie diskutiert mit Gesine über die Frage, wo Heinrich Cresspahl während seiner mysteriösen Abwesenheit zwischen dem 19. November und Ende Dezember 1938 gewesen sein könnte. 

808 Nach seiner Rückkehr richtet Cresspahl in einer Ecke des Wohnhauses eine kleine Werkstatt ein, »die für Reparaturen an Möbelstücken ausreichte«. Er lässt Pastor Wallschläger, den Nachfolger des verhafteten Brüshaver, von Alwin Paap vor die Tür setzen.

809-814 Gesine erzählt Marie von Cresspahls Arbeit für den britischen Geheimdienst. »Wann Cresspahl damit anfing, habe ich zu fragen vergessen; im September 1939 arbeitete er schon einige Monate für die britische Abwehr.« Als Beweis kann Gesine ihrer ungläubigen Tochter einen Half Penny von 1940 vorweisen, den man ihr nach Cresspahls Tod aus Jerichow geschickt hatte. Sie nimmt an, dass die Engländer ihn mit seinem (von dem rachsüchtigen Albert A. Gosling ausfindig gemachten) englischen Bankkonto zur Mitarbeit nötigen konnten, weil er das Konto den deutschen Behörden bei Strafe hätte melden müssen. Zudem glaubt sie, dass sein Verbindungsmann Fritz ihm in Aussicht gestellt hat, ihm zur Erstattungszahlung der Brandversicherung zu verhelfen. »Sobald er angenommen hatte, kam das Geld von der Brandversicherung.« Gesine: »Erpreßt und gekauft und sicher. Nur daß er sich aus eigenem entschlossen hatte und seine Freiheit zuverlässig behalten hatte.«

827-830 Nach Lisbeth Cresspahls Tod bringt Cresspahl die fünfjährige Gesine für ein halbes Jahr bei den Paepckes in Podejuch unter. Er will sie nicht »unter die Fuchtel von Oma Papenbrocks Religion geben«, weil er überzeugt ist, dass seine »eigene Frau davon gelernt hatte, zu Grunde zu gehen«.

831-836 Auf Vorschlag von Innungsmeister Willi Böttcher wird Cresspahl auf dem Flugplatz Jerichow Nord als Tischler angestellt. Die meisten Tischler der Innung stimmen Böttchers Vorschlag zu: »Der Mann hatte die Frau verloren, und die Werkstatt obendrein. Arbeit muß er haben, sonst wird er uns noch brägenklüterig [verrückt, verwirrt].« Gesine ist überzeugt, dass Cresspahl die Anstellung genutzt hat, um Informationen für die britische Abwehr zu sammeln.

841 Nachdem Gesine die Sommerferien 1939 mit den Paepckes in Althagen verbracht hat, holt Cresspahl sein Kind wieder nach Hause.

853-856 Cresspahl beschäftigt verschiedene Haushälterinnen: Zuerst Oma Klug, die schon im Oktober 1939 stirbt, dann Frieda Dade, die nach vier Wochen wieder geht, zuletzt Grete Selenbinder, die er wegschickt, nachdem sie Gesine ungerecht behandelt hat. Danach bleibt er mit Gesine allein, nur Amalie Creutz kommt noch zweimal pro Woche zum Saubermachen, »aber gekocht wurde bei Cresspahl für lange Zeit nicht mehr«, Gesine bekommt ihr Mittagessen nach der Schule auf dem Flugplatz. – Kurz nach Grete Selenbinders Weggang werden französische Kriegsgefangene, »die für die Ziegelei angefordert worden waren«, und ein Wachtposten bei Cresspahl einquartiert. 

859-862 Marie und Gesine debattieren erneut über die Frage, ob Heinrich Cresspahl wirklich für die Britische Abwehr gearbeitet hat. 

860 Im März 1942 besuchen Cresspahl und Gesine die Paepckes in Podejuch. Cresspahl und Alexander hören Sendungen des B.B.C. 

869 Am Abend des 30. April 1942 trifft Bürgermeister Tamms Cresspahl beim gemeinsamen Abendessen mit zwei französischen Kriegsgefangenen an. »Es war bei Strafen verboten, mit Kriegsgefangenen an einem Tisch zu essen; Tamms erwähnte den Verstoß nicht, gab zwar den Franzosen nicht die Hand, bot ihnen jedoch die Tageszeit in ihrer Sprache.« 

872-873 Imaginiertes Streitgespräch Gesines mit ihrem Vater über die Luftangriffe auf Lübeck (März 1942), Coventry und Birmingham und die Frage der Schuld. 

884-886 Im Sommer 1942 besucht Cresspahl Gesine und die Paepckes in ihren Ferien in Althagen, trifft dort seinen Verbindungsmann Fritz. Er bezahlt Alexander Paepckes Schulden; er »verließ sich darauf, daß Gesine ein Anteil an Paepckes althäger Haus überschrieben würde, wenn Alexander es von seinem Großonkel erben sollte«.

891-894 Lässt sich im September 1942 einen französisch abgefassten Brief Dora Semigs von Kliefoth übersetzen. Kliefoth versteckt den Brief bei sich. Am Tag darauf durchsucht die Gestapo Cresspahls Haus nach dem Brief.

895 Schenkt seiner Tochter Nazi-Bücher zur Tarnung: »Cresspahl bekam seine Mimikry. Das Kind bekam seine Verletzungen.«

909-910 Trifft seinen Verbindungsmann Fritz in dessen Villa am Deich von Rande, in der Leslie Danzmann seit 1942 als Hausdame lebt.

912 Cresspahls Arbeit als angestellter Tischler auf dem Flugplatz Jerichow Nord.

936-937 Das Zusammenleben des Witwers Cresspahl mit seiner Tochter, der Fahrschülerin Gesine. 

941-945 Im März 1968 schreibt Leslie Danzmann an Gesine Cresspahl in New York: »Gesine, du glaubst es nicht. Der Ziegeleiweg soll umbenannt werden. In Cresspahlweg. Und an euer Haus soll eine Tafel, Bronze, und der Kindergarten, den sie darin untergebracht haben, der soll Heinrich-Cresspahl-Kindergarten heißen. [...] Nun muß die D.D.R. auch ihre Kundschafter haben. Und Cresspahl soll einer gewesen sein. Nicht für die Sowjets, das ginge doch übers Bohnenlied; aber für die Engländer, gegen die Nazis eben«.  

963-969 Die letzten Monate des Krieges in Jerichow: Cresspahl lässt sich »ertappen bei einem überraschten, dann deftigen Lachen«, als Gesine die Mär von der Wunderwaffe V2 aus der Schule heimbringt. Seither weiß das Kind, dass der Krieg bald vorbei sein wird. – Die Briten interessieren sich nicht mehr für Cresspahls Berichte über den Flugplatz Jerichow Nord. Seit 1944 wünschen sie von ihm Informationen über Flugzeugwerke in Mecklenburg. Cresspahl fügt seinen Berichten »Angaben über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, damit wohl die heinckelschen [recte: heinkelschen] Betriebsauslagerungen getroffen wurden, nicht aber die ausländischen Zwangsarbeiter bei Krakow, in Retzow bei Rechlin, in Neustadt-Glewe, Rövershagen, Reiherhorst bei Wöbbelin und besonders in der Comthurey bei Alt-Strelitz«. – Cresspahl entgeht der Einziehung zum Volkssturm, indem er sich zur Luftwaffe einziehen lässt. »Auf dem Flugplatz würde der Krieg still zu Ende gehen, und er war wieder einer von denen, die ohne Schießen und Erschossenwerden durchkommen sollten.«

980-981 Zu Beginn des Passahfestes 1968 in New York erinnert sich Gesine, dass Cresspahl zu Ostern 1939 einen jüdischen Flüchtling namens Gronberg weggeschickt hat. »Er erklärte mir nach dem Krieg, er habe um dieses Einen willen nicht seine Sache mit den Engländern (gegen die Deutschen) gefährden dürfen. Oft glaubte ich, dies zu verstehen. Ich wünschte sehr, Cresspahl auch hierin zu verstehen.«

986-987 Im Juni 1945 machen die Briten Cresspahl zum Bürgermeister von Jerichow. 

984 Im Januar 1945 endet Cresspahls Arbeit für die britische Abwehr. 

993-994 Cresspahls Arbeit als Bürgermeister im Frühjahr 1945. Er hat Leslie Danzmann als Sekretärin eingestellt.

994 Cresspahls Haus ist voller Flüchtlinge aus Pommern und Ostpreußen. Gesine und Hanna Ohlerich sind an Typhus erkrankt. Cresspahl übergibt sie der Pflege von Frau Abs.

998 Am 1. Juli 1945 übernehmen die Sowjets Jerichow.

1002 Die Sowjets richten ihre Kommandantur in der Ziegeleivilla gegenüber von Cresspahls Haus ein. Ihr Angebot, Cresspahls Haus von Flüchtlingen zu räumen, schlägt Cresspahl aus.

1040-1048 Die Jerichower machen Cresspahl für nahezu alles verantwortlich, was unter sowjetischer Militärverwaltung geschieht, selbst dafür, dass die Sowjets überhaupt nach Jerichow gekommen sind: »Cresspahl war schuld an den Russen.«

Anhang I-XVIII »Mit den Augen Cresspahls«: Antworten Cresspahls auf Fragen seiner Tochter im Jahr 1949. 

1059-1065 Cresspahls Verhältnis zum Jerichower Stadtkommandanten K. A. Pontij.

1076-1079 Seine schwierige Arbeit als Bürgermeister. »So ein Bürgermeister steht immer mit einem Bein im
Gefängnis.«

1098-1106 Cresspahls Bemühungen, die Ernährung der Stadt sicherzustellen.

1123-1125 Bei Albert Papenbrocks Verhaftung im Juli 1945 schickt man nach seinem Schwiegersohn, dem Bürgermeister Cresspahl, »der so langsam gegangen kam, als könne er bei solcher Verwandtschaft erst recht nicht helfen«. Die Jerichower nennen ihn »Russenknecht« und »Volksverräter«.

1160 Cresspahl spielt mit dem Gedanken, aus Jerichow wegzugehen. Er befürchtet, »ins Gefängnis [zu] müssen für die Straftaten, mit denen er die Befehle des Herrn Stadtkommandanten ausführte, von der verrutschten Buchführung bis zum Schwarzhandel im Amt, mal zu Gunsten mal zu Lasten der Stadt«.

1160-1164 Im August 1945 kommt Erwin Plath über die grüne Grenze nach Jerichow. Er und Cresspahl begehen das Wiedersehen »wie Kinder, eifrig, ohne Mißtrauen, einer am anderen vergnügt«. – Zuletzt rückt Plath mit dem eigentlichen Zweck seines Besuchs heraus: Er möchte Cresspahl dazu bewegen, die anstehende Neugründung der Kommunistischen Partei zu übernehmen, um dabei möglichst viele alte SPD-Genossen darin unterzubringen, weil er voraussieht, »daß die Kommunisten die sozialdemokratische Partei nur aufbauen wollten, um sie später in einem Bündnis zu schlucken«. Er sei »nun gekommen, die richtigen Leute gleich bei den Kommunisten unterzubringen. [...] Kommunisten der ersten Stunde, und doch heimliche Posten der Sozialdemokratie.« Mit Alfred Bienmüller habe er schon gesprochen, der »wollte das Opfer bringen«. Cresspahl will nicht heran und ist enttäuscht. »Er hatte gedacht, Plath wäre einmal seinetwegen gekommen, nicht der Sache zuliebe.«

1180-1181 Cresspahl und Peter Wulff reden wieder miteinander, nachdem die Lübecker Parteileitung der SPD ihnen vor mehr als sechs Jahren einen Streit verordnet hatte. »Mit der S.P.D. waren sie immerhin so weit, daß sie der Partei solche Personalpolitik in stillschweigendem Einvernehmen nicht nachsehen wollten. Es war genug übrig, beide begingen gerne den Feierabend gemeinsam, bald nicht mehr nur den früheren Zeiten zuliebe, auch verbündet in der Absicht, das verrutschte Jerichow auf anderen Kurs zu kriegen.« – Auf Peter Wulffs Vorschlag macht Cresspahl den Opportunisten Fritz Schenk  zum Polizeichef von Jerichow. Peter Wulff »empfahl diesen eher, damit er sich reinritt«. 

1186-187 Cresspahl lädt den jungen KPD-Aktivisten Gerd Schumann nach Jerichow ein in der Hoffnung, ihm das Bürgermeisteramt von Jerichow übertragen zu können.

1192-1199 Cresspahl und das Leben in seinem Haus 1945 aus der Sicht von Frau Abs.

1208 Am 22. Oktober 1945 wird Cresspahl von den Sowjets verhaftet.

1214-1222 Über Cresspahls erste Haftzeit in Gneez und Schwerin und die wechselnden Anschuldigungen gegen ihn. Im August 1946 wird er in ein Lager im Südwesten Mecklenburgs verbracht. »Es war ein Lager zum Warten.«

1281-1285 Cresspahls Leben in dem »Lager an der Westgrenze Sowjetmecklenburgs«. Er wird genötigt, mehrfach seinen Lebenslauf zu schreiben.

1285-1298 Im Februar 1947 wird er in das Lager Fünfeichen verlegt. Über sein Leben dort.

1341-1342 Über Cresspahls Leben im Lager Fünfeichen.

1510-1516 Im Mai 1948 wird Cresspahl aus Fünfeichen entlassen und schlägt sich in den Jerichower Winkel durch. Er geht zuerst zu Johnny Schlegel und badet dort stundenlang in einem Wassertrog. Mittags lässt Johnny Schlegel Gesine vom Schulzug abholen, am Abend bringt Axel Ohr Vater und Tochter nach Jerichow. »Jedermann mit Augen im Kopf, wenn auch kaum ein Mädchen wie Cresspahls Tochter, konnte im Dunklen erfassen, daß sie ihren Vater kaputt zurückbekommen hatte, reinweg krank; da gehörte sich Fahren im Schritt.«

1522-1528 Cresspahls erste Wochen in Jerichow: »Als sei er in dem Halbtagesbad bei Johnny nicht rein genug geworden, saß er noch oft in einer Wanne voll Wasser in der Küche, wenn wir aus dem Haus waren.« – Marie und Gesine Cresspahl über die möglichen juristischen Gründe seiner Entlassung. – Der von der Haft gezeichnete Cresspahl ist nicht mehr der Alte, er ist ängstlich und anpassungsbereit. »Saß stumm und höflich an Lisbeths Sekretär, am Küchentisch, auf der Milchbank.« Vater und Tochter kommen einander nur langsam wieder näher. – »Mit Jakob konnte Cresspahl viel besser sprechen; Jakob war der geschicktere Arzt.« – Um die sowjetische Zone zu verlassen, »war er zu beschädigt«.

1530-1533 Cresspahl wurde entlassen mit der Auflage, sich regelmäßig zu melden, und mit dem Auftrag, eine Tischlerwerkstatt aufzubauen und treuhänderisch zu verwalten. Davon wird er befreit durch den Umstand, dass ihm während seiner Haft sämtliche Maschinen gestohlen worden sind, und durch einen Brand, bei dem die benachbarte Ziegelei samt dem Schuppen in Flammen aufgeht, in dem er die Werkstatt hätte einrichten sollen.

1533-1535 Die Währungsreform in der Sowjetischen Besatzungszone im Juni 1948 ist für Cresspahl ohne Belang, weil er kein Geldvermögen mehr hat. Es reicht nicht einmal für die »Kopfquote von siebzig Mark, die im Postamt gegen Scheine mit aufgeklebten Coupons eingetauscht wurden«. – Seine Schwiegermutter Louise Papenbrock dagegen verliert ihr ganzes Vermögen; sie überwindet ihren Widerwillen gegen Cresspahl und sucht ihn zum ersten Mal seit 1943 in seinem Haus auf, weil sie einen Rat von ihm erhofft.

1554-1555 Cresspahl würde Gesine gern auf eine Schule in England schicken, wo sie von seinem Guthaben bei der Richmond Bank of Surrey leben könnte. Er nimmt ihre Ablehnung mit einem bloßen Nicken hin.

1566-1572 »Weil Cresspahls dumme Gesine sich sträubte gegen ein Leben in England, mußte er sich darauf einrichten, sie durchzubringen in jenem Mecklenburg vor zwanzig Jahren«: Er nimmt wieder Kontakt zu Innungsmeister Willi Böttcher auf, der sich ausgiebig vor ihm zu rechtfertigen versucht. Cresspahl bringt ihn auf die Idee, den einflussreichen Emil Knoop für die Befreiung seines Sohnes Klaus aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft einzuspannen, und sichert sich damit Böttchers Dankbarkeit. Kurz vor Weihnachten 1948 kehrt Klaus Böttcher nach Hause zurück. Und Cresspahl bekommt von Knoop »einen Posten finnischer Bretter« geliefert, aus denen er hinter dem Haus eine kleine Werkstatt baut, »eine große Stube auf Stelzen im rechten Winkel zu Lisbeths Schlafzimmer«. Er bekommt Aufträge für Restaurationsarbeiten vom Landesmuseum Schwerin und von Antiquitätenhändlern. »Von da an hat er nur noch allein gearbeitet.« 

1595-1599 Im Spätsommer 1948 nimmt Aggie Brüshaver wieder regelmäßigen Kontakt mit den Cresspahls auf. Cresspahl »war es zufrieden, daß sie ihn mit seiner Tochter und Frau Abs in der Küche zugange sah, wie von einer Familie behütet, und gab sich abweisend mit der Frage, was denn zu Diensten sei«. Als Aggie aber berichtet, dass ihr Mann sich geweigert hatte, Kriminalkommissar Vick christlich zu beerdigen, da »waren die zehn Jahre zwischen ihnen
vergangen und verfallen; wie unter sich sprachen sie nun«. Und am nächsten Tag geht Cresspahl ins Pastorat, um ein Fenster zu reparieren: Er »ging wahrhaftig ein Stück in die Stadt, unter Leute, zum ersten Mal seit dem Oktober vor drei Jahren, seit dem Mai von diesem. Ging zu einer Arbeit.« Dabei kommt er auch wieder mit Brüshaver ins Gespräch.

1603 Als Gesine aus Brüshavers Konfirmandenunterricht flüchtet und sich in einer Telefonzelle versteckt, weil sie die Ubiquitätslehre verabscheut, holt Cresspahl sie heraus und geht mit ihr ins Bruch, »wo nur Hasen und Füchse unbesorgt hören durften, daß ihr die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl kannibalisch vorkomme. Es war das letzte Mal, daß er sie hielt und führte wie ein Vater; von seinen Tröstungen hat sie die behalten, die sie freisprach: You gave him a chance. Versucht hast du's, Gesine.«

1687 Als Albert Papenbrock 1950 verurteilt und hingerichtet wird, trägt Cresspahl »keinen Trauerflor wegen des Menschen, den er erinnern mochte als seinen Schwiegervater«.

1689 Auf Betreiben von Aggie Brüshaver lädt Kreismedizinalrat Schürenberg Cresspahl im Dezember 1950 vor und schreibt ihn »arbeitsunfähig, in die Rente«. – Im Jahr 1950 »wurde zum ersten Mal seit 1937 in Cresspahls Haus das Silvester begangen«. Es gibt Krebse. Cresspahl zieht »Striche in seinen letzten berufstätigen Büchern« und sagt zu Frau Abs: »Bliwen Se man bi uns, Fru Abs.« [Bleiben Sie man bei uns, Frau Abs.]

1703 »Heinrich Cresspahl, Ziegeleiweg in Jerichow, wurde die Rente beschnitten, wegen treulich angemeldeter Einkünfte aus der Heilung von Truhen und sideboards; seine Tochter fuhr wahrhaftig nach Westberlin, ihm Schnitzmesser zu besorgen, solche mit ausfahrbarer Klinge«.

1750 Im Juli 1951 »machte die Staatssicherheit Haussuchung bei Cresspahl. Der Vorwand war, daß er inzwischen viel Geld bekam für seine Arbeit, mehr als die Rente. In Wahrheit ging es dem Staat über den Verstand, daß er einem Menschen Unrecht zufügen kann ein zweites und ein drittes Mal, und immer noch hütet dieser Cresspahl sich vor dem Gesetz.«

1751-1752 Gesine glaubt sich zu erinnern, dass sie und ihr Vater im Sommer 1950 eine Segeltour nach Dänemark gemacht haben: Weil Cresspahl an Emil Knoop »ein dänisches Geschäft gescho – vermittelt hatte, wird auch Gesine zum Begießen eingeladen auf ein Boot, eine Yacht im Hafen von Wismar«.

1828-1829 Im Spätsommer 1952 geht Gesine aus dem Haus zum Studium nach Halle. »Der Abschied 1952 war wie 1944 zum ersten Mal. Cresspahl brachte seine Tochter an die Haustür, lehnte am Rahmen, redete ein letztes Wort mit ihr. Binde dich ein Schaol um dein Hals. Als ginge es bloß zum Gustav Adolf-Lyzeum in Gneez, statt zu einer Martin Luther-Universität an der Saale.« – Er finanziert das Studium seiner Tochter ohne staatliche Beihilfen: »Für Cresspahl war der Staat jemand, mit dem hatte er keinen Vertrag; der besaß bloß Macht über seine Arbeit. Von dem wollte er keine Studienbeihilfe für seine Tochter geschenkt.«

1844 Im Sommer 1953 geht Gesine Cresspahl in den Westen. Nach einer langen nächtlichen Diskussion mit Cresspahl und Frau Abs besorgt Jakob ihr eine Fahrkarte nach Halle, die über Berlin führt. »Cresspahl hoffte, das Kind werde sich besinnen. Er sprach von einer Erholung. ›Ferien bei Anita‹ sollten es sein.«

1867-1868 Im November 1956 stirbt Jakob Abs. »Das Begräbnis hat Cresspahl ausgerichtet. Frau Abs und seiner Tochter gab er erst Bescheid, als Jakob unter der Erde war.«

1868-1871 Im April 1958 fährt Cresspahl nach Düsseldorf, um seine Tochter und seine im Juli 1957 geborene Enkelin Marie zu besuchen. – Er legt sein immer noch auf dem englischen Konto in Richmond liegendes Geld für Marie an. »Cresspahl, mit seinen bald neunundsechzig Jahren, er steigt zum ersten Mal in ein Flugzeug, einen Kontoauszug nach Düsseldorf zu bringen.« Und er fährt zum Headquarter der britischen Airforce bei Mönchengladbach, um sich seinen Lohn für die Geheimdiensttätigkeit während des Krieges bezahlen zu lassen. Cresspahl »baute in einem Testament zu Düsseldorf zwei große Haufen Pfund in einen Kasten aus Gesetzesstäben, den knackst weder du noch ich; allenfalls ein Vormund mit testamentarischer Vollmacht«. – Er richtet Gesine »eine Gartenwohnung ein am Lohauser Deich; dem Kind zuliebe. Er bezahlte die Miete ein Jahr im voraus, da die Mutter noch einmal eine Lehre begann, in einer Bank; dem Kind zuliebe.«

1875 Cresspahls Tod im Herbst 1962. »Cresspahls Tochter lebte in New York, als er starb im Herbst 1962. Amerika ist mir zu weit zum Denken. Fœundsœbentich is nauch.« [Vierundsiebzig ist genug.]

Heinrich Cresspahl ist neben Jakob Abs, Gesine Cresspahl, Jonas Blach und Hauptmann Rohlfs eine der Hauptfiguren in »Mutmaßungen über Jakob« (1959). – In »Karsch und andere Prosa« (1964) wird er mehrfach erwähnt. – Auch in »Begleitumstände« (1980) ist von ihm die Rede (vgl. B 123 f., 415, 428 u.ö.).

Cresspahl, Heinrich sen.

Vater von Heinrich Cresspahl, Ehemann von Berta, geb. Niemann, Stellmacher.

49 Imaginiertes Gespräch zwischen Heinrich Cresspahl und Lisbeth Papenbrock im Sommer 1931: »Mein Name ist Cresspahl. Ich bin dreiundvierzig Jahre alt. Mein Vater war Stellmacher auf dem Gut Bobzin bei Malchow und ist tot

279 Hat 45 Jahre auf dem Gut Bobzin der von Haases gearbeitet.

726 »Auf dem Friedhof von Malchow waren die Gräber von Heinrich und Berta Cresspahl so ordentlich abgedeckt wie der Auftraggeber nur verlangen konnte«.

Vgl. auch 281. 1283.

Cresspahl, Lisbeth

Frau von Heinrich Cresspahl und Mutter von Gesine Cresspahl. Jüngstes Kind von Albert und Louise Papenbrock, geboren am 12. November 1906, gestorben am 10. November 1938. Schwester von Hilde PaepckeRobert und Horst Papenbrock, Lieblingskind des Vaters. Höhere Töchterschule in Rostock, von der sie im Juni 1928 in die elterliche Getreidehandlung nach Jerichow zurückkehrt. Lernt im Sommer 1931 Heinrich Cresspahl kennen. Obwohl in eine Ehe nach Lübeck versprochen, Verlobung. Besucht im September 1931 ihren Bräutigam heimlich in Richmond. Hochzeit am 31. Oktober 1931 in Jerichow. Sie zieht mit Cresspahl nach Richmond, kehrt aber Ende Januar 1933 nach Jerichow zurück, um dort ihre Tochter Gesine am 3. März 1933 zur Welt zu bringen. Ihr zuliebe gibt Cresspahl die Tischler-Werkstatt in Richmond auf und folgt ihr im November 1933 nach Jerichow. Ausbau des Anwesens am Ziegeleiweg, das Albert Papenbrock seiner Enkelin Gesine überschrieben hat, zu einer Werkstatt für Kunsttischlerei. Der religiöse Eifer der Mutter verstärkt sich bei Lisbeth zu wahnhaften Schuldgefühlen. Um ihr Kind vor Schuld zu »retten«, versucht sie wiederholt, es umzubringen, und unterbricht eine zweite Schwangerschaft zu Ende des Jahres 1936. In der Nacht der Judenpogrome vom 9. auf den 10. November 1938 ohrfeigt sie den NS-Bürgermeister Jansen, der die Zerstörung von Oskar Tannebaums Laden leitet. In einer Art ›Opfergang‹ für die in dieser Nacht erschossene Tochter der Tannebaums steckt sie noch in derselben Nacht Cresspahls Werkstatt am Ziegeleiweg in Brand und kommt in den Flammen um. Bei ihrer Beerdigung am 14. November 1938 erteilt Pastor Brüshaver ihr den Segen, den die Kirche Selbstmördern nicht zugesteht.

17 Während eines Sonntagsausflugs der Familie Papenbrock im August 1931 sieht die fünfundzwanzigjährige Lisbeth ihren künftigen Ehemann Heinrich Cresspahl zum ersten Mal in einem Wirtshausgarten an der Travemündung. Gesine über ihre Mutter: »Auf Familienbildern steht sie hinten, die Hände verschränkt, den Kopf leicht schräg geneigt, nicht lächelnd. Man sah ihr an, daß sie noch nie anders denn aus freien Stücken gearbeitet hatte. Sie war so mittel groß wie ich, trug unser Haar in einem Nackenknoten, dunkles, locker fallendes Haar um ihr kleines, gehorsames, ein bißchen gelbliches Gesicht. [...] Sie allein hatte gemerkt, daß der Mann, der sie ebenmäßig ohne ein Nicken beobachtete, ihnen nachgegangen war von der Priwallfähre bis an den nächsten freien Gartentisch.« 

48-51 Spaziergang mit Cresspahl in Rande im August 1931. Lisbeths Stimme war »klein, biegsam, ein hoher Alt«. Sie »soll nach Lübeck heiraten«. Sie überschüttet ihn mit Fragen: »Schläfst du mit einem Kopfkissen? Glaubst du an Gott? Ist es von Richmond weit zur See? [...] Wünschst du dir Kinder, Heinrich Cresspahl?«

56-57 Während des Kapp-Putsches 1920 beherbergt ihr Vater auf Gut Vietsen bei Waren an der Müritz Soldaten und Waffen der Reichswehr. Als Landarbeiter die umliegenden Güter nach Waffen absuchen, verrät die vierzehnjährige Lisbeth arglos das Waffenversteck. Lisbeth »wurde für zwei Wochen auf Wasser und Brot gesetzt. Papenbrock sprach von Verrat durch sein eigen Fleisch und Blut. Seine Frau sprach von der Liebe des Christen zur Wahrheit«. – 1922 gibt Papenbrock die Gutspacht in Vietsen auf; im Dezember 1923 zieht die Familie nach Jerichow (vgl. 504-507).

57-59 In einem der Zwiegespräche Gesine Cresspahls mit ihrer toten Mutter spricht Lisbeth über die Zeit in Vietsen: »In Vietsen hatten wir Mädchen jedes für sich ein Dienstmädchen. / Dann gab es noch die von der Plättstube, der Küche, der Waschküche, die zum Saubermachen, und die Mamsell. / Eine Zeit lang hatte Louise Papenbrock einen Hausgeistlichen.« – Sie hindert ihren Bruder Robert daran, ein Pferd zu misshandeln; der Bruder richtet seine Pistole auf sie, der Schuss verfehlt sie nur zufällig. – Gesine fragt sich: »Was wollte Cresspahl in einer solchen Familie.«

69-73 Cresspahl hält bei Albert Papenbrock um Lisbeths Hand an. Verlobung. – Lisbeth ist Papenbrocks »Vorzugstochter«.

88 Meta Wulff warnt den verliebten Cresspahl vor Lisbeths religiösem Übereifer, spricht von ihren regelmäßigen Kirchgängen und von den Bibelstunden, die sie für Kinder abhält. »Cresspahl hat nicht mehr verstanden als: sie kann auch noch gut mit Kindern.«

96 Schickt Cresspahl nach Richmond eine Photographie des »Lichtbildners« Horst Stellmann: »ein nicht auffälliges Mädchen, das seine Haare mit einem Mittelscheitel geteilt hat und seitlich über die Ohren gelegt hat, Lisbeth Papenbrock mit den Händen vor dem Bauch aufgebaut vor Stellmanns eigenartig gerafften Vorhängen. Sie blickt vorsichtig und belustigt auf die Plattenkamera, an der Stellmann sich windet unter seinem schwarzen Tuch, und ihre Lippen waren ein wenig offen. Alle früheren Bilder vergaß Cresspahl sogleich.« 

102-106 Mit Unterstützung ihrer Freundin Leslie Danzmann fliegt Lisbeth im September 1931 heimlich nach England und besucht ihren Bräutigam. »Alle Worte, die er ihr über das Haus und über Salomon und über Richmond angeboten hatte, nahmen unverzüglich für sie die Gestalt seiner Treppe, seiner Küche, seines Zimmers und der Gaswerkschornsteine vor dem Fenster an. Sein Besuch in Jerichow nahm unaufhörlich an Wirklichkeit zu. Schon ängstigte sie sich davor, ihn zu verlieren; sie wünschte sich, vor ihm zu sterben.« Cresspahl »war erschrocken über die Einfälle, die er nach diesem von ihr gewärtigen mußte. Ihm war unheimlich, wie blind sie sich in einem Schritt, in einer Zeit mit ihm glaubte; wo ihn noch Fremde und Entfernung scheuerten, bemerkte sie keinen Abstand mehr.« 

111-115 Die Hochzeit in Jerichow am 31. Oktober 1931. Für die Trauung in der Petri-Kirche durch Pastor Methling hat Lisbeth den Bibelspruch aus Lukas 9, 62 gewählt: »Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der taugt nicht zum Reiche Gottes«. – Am Abend reist das Paar ab, Übernachtung im Hamburger Hotel Reichshof.

122-124 Lisbeth lebt sich nur schwer in Richmond ein. »Und Cresspahl sah nicht, daß sie getröstet werden wollte! Cresspahl kam vergnügt zu den Mahlzeiten heraufgestiegen und streckte die Beine lang unter den Tisch und lobte das Essen.«

128-131 Das Leben in Richmond, mit dem Lisbeth sich nicht anfreunden kann. Auch die Kirche bleibt ihr fremd: »Sie erkannte ihren Gottesdienst in dieser Sprache nicht wieder.« Cresspahl glaubt sie glücklich. – Sie bekommt einen Brief von ihrer Jugendliebe Herbert Wehmke.

141-143 Sie hat Angst vor den Arbeitslosen und entdeckt bei einem Besuch der Eltern von Perceval, Cresspahls Gesellen, die Armut. Die Wirtschaftskrise, von der sie Cresspahl sprechen hört, verunsichert sie, und sie fühlt sich schuldig, weil sie erkennt, dass »Wohltätigkeit über ein gutmütiges Maß hinaus [...] ihr ins Küchengeld geschnitten, [...] den Traum vom eigenen Haus beschädigt« hätte. »Und insgeheim dachte sie wieder und wieder: So schlimm ist es in Deutschland nicht. Als sie dem Kapitalismus zum ersten Mal begegnete, hielt sie ihn für etwas Ausländisches.«

146-149 Lisbeths erfolglose Bemühungen, in Richmond Fuß zu fassen. Sie führt ein Tagebuch, in das sie »viele kleine Klagen, die sie mit Verstand und Gerechtigkeit nicht aussprechen konnte«, einträgt, das sie dann aber verbrennt. »Sie faßte immer neue Vorsätze, und immer von neuem geriet sie in Streit mit Cresspahl, fand nicht heraus, wandte sich wortlos ab und blieb für Tage gefangen in einem Schweigen, das sie vor den Arbeitern mit krampfiger Gesprächigkeit verdeckte.«

158-159 Ihr Briefwechsel mit der Mutter. Im November 1932 schreibt Lisbeth ihr von ihrer Schwangerschaft. »Cresspahl will ein Mädchen. Und wenn ich recht bekomme, heißt der Junge Heinrich. / Henry meinst du. Henry mein ich, Cresspahl

180-183 Während Cresspahl glaubt, dass Lisbeth sich eingelebt hat, geht sie mit Reiseplänen um. Ende Januar 1933 bittet sie ihn, ihr eine Schiffspassage nach Hamburg zu buchen. Sie will das Kind in Jerichow zur Welt bringen. Er erkennt, »daß sie sich auf den Streit vorbereitet hatte wie auf eine Arbeit«, und macht nur einen schwachen Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen: »Er sagte vorsichtig: Du kannst nicht beides haben, ein Kind bei dir zu Hause und mich auch in Jerichow. Und sie sagte, nicht unfreundlich: Was geht dich das Kind an, Cresspahl.«

193 Ihre Abreise aus Cresspahls Sicht: »Sie hatte hinter der Scheibe gestanden, mit hängenden Armen, als sei ihr das Öffnen des Fensters zu beschwerlich. Sie hatte nichts angesehen als ihn. Es war ein anderes Gesicht. Sie schien jünger, und zu jung für ihre neuen Erfahrungen. Sie hatte wieder ein Mädchengesicht, etwas ungenau um die Augen, ein Weniges starrsinnig.«

202-206 Am 3. März 1933 bringt Lisbeth im Haus ihrer Eltern die Tochter Gesine zur Welt. Cresspahl trifft am Nachmittag in Jerichow ein. Die Eheleute haben keine Gelegenheit, allein zu sein. »Cresspahl hatte einen Blick von seiner Frau erwischt, als er an ihrem Kopfende entlang ins Nebenzimmer ging, einen benommenen Blick, der aus Träumen kam.«

214-217 Zu Cresspahls Verdruss liegt Lisbeth »Staat im Teezimmer und mußte die Aufwartungen der befreundeten Familien hinnehmen«. Es gelingt Cresspahl nicht, »mit Lisbeth unbefangen zu reden (außer in der ersten Nacht, die er auf dem Fußboden neben ihrem Bett verbrachte, die Hände im Nacken verschränkt, leise redend, bis sie ihre plötzliche Angst vergaß und einschlafen konnte). Sie versprach ihm kein Reisedatum, aber sie widersprach ihm auch nicht.« Sie einigen sich auf den Namen Gesine.

246 Sie besteht auf einer kirchlichen Taufe anstelle einer Haustaufe, die Cresspahl vorgezogen hätte, um möglichst rasch mit ihr und dem Kind nach Richmond zurückreisen zu können. Gesine in einem imaginierten Totengespräch mit ihrem Vater: »Sie hat dich reingelegt, Cresspahl

250-253 Imaginiertes Streitgespräch der Eheleute über ihren künftigen Wohnort, nachdem Albert Papenbrock seiner neugeborenen Enkelin das Anwesen am Ziegeleiweg überschrieben hat: Lisbeth möchte in Jerichow bleiben. Sie hat ihren Vater zu der Schenkung veranlasst, um Cresspahl an Jerichow zu binden.

262 Louise Papenbrock hat einen »Zaun« um die Wöchnerin Lisbeth gezogen, »den Cresspahl nicht etwa mit Erlaubnis, sondern auf Anweisung zu übersteigen hatte«. Die Eheleute sind weiterhin kaum allein.

279-282 Hilde Paepcke fährt an Lisbeths Stelle zur Beerdigung von Cresspahls Mutter Berta Cresspahl. Trotzdem bleibt Lisbeth »die Beerdigung ihrer Schwiegermutter nicht erspart. Ihre Schwester Hilde nahm sich einen Nachmittag lang Zeit, davon zu erzählen.« Sie macht ihr ein schlechtes Gewissen. »Als Cresspahl nach Jerichow zurückkam, hatte Hilde ihre Schwester so weit, daß er Lisbeth über sein eigenes Unglück trösten mußte. Jetzt wäre sie mitgegangen zum Bahnhof, hätte er es gesagt.«

286-287 Am 12. November 1967 hält Gesine Cresspahl ihrer Mutter die »jährliche Rede« auf ihren Tod. »Alle Leute in ganz Jerichow, ganz Mecklenburg, ganz Deutschland bestanden nicht vor deinem Hochmut. Für die warst du dir zu gut. [...] Du wolltest nicht alle kränken. Ihn hast du gekränkt. Du hast mich gekränkt. Ein Kind. Wir verzeihen dir gar nicht

300 Cresspahl hatte schon im März 1933 »keine Wahl mehr. Das Kind und dazu die Frau konnte er nur noch in Jerichow behalten, nicht mehr in Richmond, nicht in Lisbeths fremdem Land.«

316-321 Gesines Taufe am 19. März 1933. »Lisbeth, meine Mutter, deine Großmutter, zeigte nicht viel, aber es war an ihren Blicken auf Brüshaver zu sehen, auch an ihrem bereitwilligen, zeitgleichen Einfallen in Gebet und Antwort, daß sie mit einem Fest beging, daß sie alles Gewünschte bekommen hatte.« Am Abend fährt Cresspahl allein nach Richmond zurück. »Nu hest din Willn, Lisbeth. / Nu sast din' all Tied hem, Hinrich.« [Nun hast du deinen Willen bekommen, Lisbeth. / Von jetzt an soll alles nach deinem Willen gehen, Heinrich.] 

349 »Als Perceval begriff, daß die Frau des Meisters nicht in ein paar Tagen und nicht in einigen Wochen nachkommen würde, kündigte er seine Stellung.«

353 »Ende April 1933 stellte Dr. Berling der jungen Frau Cresspahl die Rückreise nach England frei. [...] Sie konnte ihm nicht nachweisen, daß er sich erdreistet hatte, einer verheirateten Tochter eines Albert Papenbrock einen Rat zu geben. Sie war so verdutzt, daß Jemand ein Gegenteil von ihren Wünschen für etwas Vernünftiges ansah, sie sagte ihm nicht Bescheid, nicht einmal als er sagte: Und grüßen Sie den alten Schweden in Richmond!«

354-367 Sie schreibt Cresspahl Briefe nach Richmond. »Am Kind fand sie wenig für Briefe«, aber »das Schreiben stieß sie auf den Wunsch, daß Cresspahl doch selber dem Kind beim Wachsen zusehen sollte, und auf die ärgerliche Erinnerung, daß er aber ihr zuliebe in England beschäftigt war, ein Arbeitsverhältnis und einen Hausstand aufzulösen. Es war nicht etwa, daß sie sich aus ihren Wünschen ein Gewissen machte; nur das Schreiben an Cresspahl fiel ihr nicht bequem.« – Über die Ereignisse in Deutschland schreibt sie ihm wenig, gerät aber seit dem Tag des ›Judenboykotts‹ (1. April 1933) zunehmend in Verwirrung. Sie hat unbestimmte Schuldgefühle und fragt sich, ob angesichts des geschehenden Unrechts nicht doch ein Leben im Ausland besser wäre. Der Konflikt überfordert sie, und insgeheim wirft sie Cresspahl die Nachgiebigkeit ihr gegenüber vor: Er habe sie »an ihren eigenen Wünschen hineingezogen in eine Lage, an der sie ihren Teil hatte. Er nahm einfach nicht die Verantwortung für sich allein. Das mochte Respekt vor ihrer Person sein; das war von ihr zu viel verlangt. Cresspahl wollte von ihr nicht mehr und nicht weniger, als daß sie ihren Gründen sämtlich den Hals umdrehte und mit dem Kind nach England kam. Manchmal schien es ihr möglich, und nicht einmal das Gerede der Jerichower hätte sie zurückhalten können; dann wieder fiel ihr ein, daß sie sich damit etwas von ihrem Stolz vergab.« Es wäre ihr »recht gewesen, hätte Papenbrock ihr befohlen, nach England abzureisen«.

389-392 Im November 1933 kommt Cresspahl endgültig nach Jerichow. 

398-402 Lisbeth beträgt sich, »als sei mit seiner Ankunft etwas Gefürchtetes eingetreten«. In den Wintermonaten 1933/34 lebt das Ehepaar bei Papenbrocks, weil das Haus am Ziegeleiweg erst im Frühjahr bewohnbar wird. – Lisbeth verfällt oft »unverhofft aus einer spaßlustigen Laune in düsteres Brüten«, wehrt aber Cresspahls Nachfragen ab. »Manchmal auch war sie so fahrig, ungeduldig, empfindlich, daß er sie darauf ansah, ob sie Erzählungen von Elizabeth Trowbridge überhaupt vertragen werde. Er schob das auf später, nicht gerne.«

409-412 Cresspahl baut die Scheune des Anwesens am Ziegeleiweg zu einer Tischlerwerkstatt aus. Lisbeth bringt ihm jeden Tag das Mittagessen. Im Ort wird viel über beide geklatscht. – Im Mai 1934 zieht das Paar mit dem Kind in den Ziegeleiweg. 

415-416 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ gehört, dass »Lisbeth aufhören würde, ihm Angst zu machen«, und dass sie »ihm wieder sagen würde, was sie in ihren Gedanken hin und her schob. Sie konnte ihr Gesicht so verschließen, es sah wütend aus, und war nicht erreichbar. Und sie hatte sich angewöhnt, vor dem Herd zu stehen und für Minuten in die Flammen zu starren. [...] Wenn er in die Küche kam, bewegte sie sich wie eine Aufwachende.« Weiter wünscht er sich, »daß sie ihre Empfindlichkeit wieder aufgab. Ein hart abgesetzter Wassereimer, eine vom Wind ins Schloß geworfene Tür, und sie betrug sich, als sei auf sie geschossen worden.«

417 Lisbeths Mutter Louise Papenbrock kommt nicht wegen des Kindes ins Haus, sondern »um ihre frommen Sprüche zu verbreiten. [...] Nach solchen Belehrungen war Lisbeth gefaßt in eine Sicherheit, so still fröhlich, daß ihr nicht zu trauen war; und es hielt nicht an.«

424-425 »Bis Weihnachten 1934 war Lisbeth Cresspahl mit ihrer Kirche längst wieder im Benehmen und half aus beim religiösen Unterricht für Kinder [...]. Und mit Pastor Brüshavers Frau war sie schlankweg befreundet. Sie hatte die Familie der eigenen Schwester gegenüber ihrem Haus wohnen, aber ihr nachbarschaftlicher Umgang war mit Aggie Brüshaver.« – »Durch Aggie aber erfuhr Lisbeth mehr von den Streitigkeiten der evangelischen Kirche mit dem Österreicher als sonst ein Gemeindeglied in und um Jerichow wissen konnte.« – »Cresspahl mochte es nicht, daß sie sich das Gewissen so voll lud mit den Sorgen der Kirche.«

433 Lisbeth entwickelt eine Abneigung gegen Fleisch. »Wir essen die Tiere, und wir töten sie dazu: Es ist nicht recht. [...] Also kam bei Cresspahls nur Fleisch auf den Tisch, wenn er darauf bestand, und sie aß nicht mit.«

470 Lisbeth weigert sich, Cresspahl bei seinen Arbeiten für den Flugplatz Jerichow Nord zu unterstützen. »Aber ich werd doch mitschuldig, Heinrich! / Woran wirst du mitschuldig. / Am Krieg! Die Kasernen sind doch für den Krieg.«

504-508 Rückblick auf die Ansiedelung der Papenbrocks in Jerichow und ihren Einzug in den »Palast« der Adelsfamilie Lassewitz am Markt im Dezember 1923 aus der Sicht der Jerichower. – Lisbeth wurde auf die Töchterschule nach Rostock geschickt, von der sie erst im Juni 1928 nach Jerichow zurückkehrte. – Sie »sollte nach Lübeck heiraten«. – Die Jerichower Ende 1936 über Lisbeth: »Die sieht nicht aus wie 30; wer das nicht weiß, gibt fünf Jahre zu. Fromm ist sie immer gewesen; aber wenn jetzt die Kinder aus ihrer Christenlehre zurückkommen, die bringen ein Gewissen mit, das kann Einer gar nicht brauchen am täglichen Tag. [...] Ihr ist immer alles so anzusehen gewesen. Heut magst sie gar nicht ansehen. Verkniffen. Vertückscht. Nein, vertückscht nicht; als ob sie eingesperrt wäre. [...] Ihre großen Augen jetzt, daran erkennst sie noch. Am Blick nicht; sieht dich an, als wärst nicht da, als träumte sie was Ängstliches.«

509-513 Lisbeth wird am ersten Weihnachtsfeiertag 1936 von Dr. Berling ins Kreiskrankenhaus Gneez eingeliefert, weil sie ihr zweites Kind verloren hat. »Für Cresspahl ging es so unverhofft, es kam ihm erst mittags planmäßig vor.« Dr. Berling, der ihre Fieberreden im Krankenhaus gehört hat, meint, sie habe »gehofft, mit dem zweiten Kind auch das eigene Leben zu verlieren, um zu entkommen aus der Schuld. Sie wußte, auf dieser Fahrt durch den Schnee und während der Operation, viele Arten von Schuld, und manche gehörten ihr gar nicht, und gehörten doch zu den ihren.« – Weiteres über Lisbeths Schuldgefühle. »Um so viel Schuld nicht zu behalten, und nicht zu vermehren, hatte sie eine der größten begehen wollen: zwar ein ungeborenes Kind vor Schuld bewahren, aber das eigene Leben weggeben.«

523-528 Lisbeth und das Zusammenleben mit ihr aus Cresspahls Sicht. Über die Wirkung der »blind frommen Erziehung«, mit der Louise Papenbrock nur bei Lisbeth Erfolg gehabt hat; über Lisbeths rasch wechselnde Zustände. »Und so oft er verglich und sich einprägte, wie ihre Zustände umschlugen, er fand nicht, was sich da in Gang setzte, oder ob er das tat. Das kam von einem Tag auf den anderen«.

530 Die Papenbrock-Töchter aus der Sicht der Jerichower. »Uns' Lisbeth, unnötig kirchenzahm, war von denen die beste.«

540 In dem Bett, das Cresspahl nach Lisbeths Wünschen getischlert hatte, will Lisbeth nun allein schlafen.

568 Sie beginnt sich zu vernachlässigen. Den Entschluss ihres Bruders Horst im Sommer 1937, sich zur Wehrmacht zu melden, nimmt sie als erneutes Indiz dafür, dass ihre Familie »Cresspahl behilflich war, ihr Schuld in den Nacken zu legen«.

570-571 Horst Papenbrock erzählt »vor Zeugen [...], was Lisbeth Cresspahl am vorigen Sonnabend in der Eisenbahn, an der Station Wehrlich, von dem Gespräch zwischen dem Landarbeiter Warning und dem Forstaufseher Hagemeister mitbekommen hatte«, – Ausgangspunkt des Prozesses gegen Warning  und Hagemeister im Oktober 1937, in dem Lisbeth aussagen muss. – Im September bekommt sie die Vorladung des Landgerichts Gneez. Die Anzeige gegen Warning und Hagemeister hat ihr Bruder Robert erstattet.

577-580 Cresspahl versucht, Lisbeth vor ungebetenen Besuchern zu beschützen, die ihr im Vorfeld des Prozesses »ins Gewissen reden« wollen. Nachdem Dr. Semig Ende September im Zusammenhang mit dem Prozess in Untersuchungshaft genommen worden ist, macht Lisbeth einen erneuten Selbstmordversuch: Sie schwimmt auf die Ostsee hinaus. Fischer Stahlbom bemerkt ihre weiße Badekappe und zieht sie aus dem Wasser. »Die Badekappe, das war mein Fehler: sagte Lisbeth am nächsten Morgen, fast behaglich in ihrer Müdigkeit liegend, mit einem spielerischen, gedankenlosen Lächeln, das dann hinter wütend gestrafften Lippen verschwand.«

601-608 Der Prozess gegen Hagemeister und Warning. Lisbeth sagt wahrheitsgemäß aus. Auf die Frage, warum sie nicht selbst Anzeige erstattet habe, antwortet sie: »weil es dumm Tüch sei. Unsinn, Quatsch. Nonsense. Nicht klug im Kopf. Nur jemand, der von Jerichow nichts kenne, sei zu solchen dowen Vermutungen über Dr. Semig oder Griem imstande, und Hagemeister wisse das so gut wie sie.« – Nach der Urteilsverkündung bedankt Hagemeister sich bei Lisbeth. »Er bestand darauf, Lisbeth die Hand zu geben. – Dat wier je ne düre Ünnerhollunk [Das war ja eine teure Unterhaltung]: sagte er.«

613-615 Nach dem Prozess glaubt sie »sich nun im Streit auch noch mit Jerichow [...]. Sie wollte gar nicht verziehen haben, daß sie vor einem Gericht gegen andere ausgesagt hatte; blieb ihr so doch die Schuld erhalten.« – Sie scheint ruhig und ausgeglichen, »und Cresspahl glaubte wiederum eine Zeit mit Vernunft an der Reihe (an Krankheit mochte er nicht denken). Es war eher so, daß Lisbeth nicht mehr in reinlichem Nacheinander von ihrer Verwirrung und dann der Ungestörtheit überkommen wurde; oft muß ihr eine Mischung aus beiden Zuständen im Kopf gehangen haben.« Sie zieht sich weiter zurück, vermeidet Gänge in die Stadt, erledigt Einkäufe in Lübeck statt in Gneez, um keine Jerichower zu treffen. Tatsächlich denken die Jerichower gut von ihr.

615-619 Als die vierjährige Gesine in die Regentonne fällt, schaut Lisbeth tatenlos zu. Gesine am 19. Januar 1968 zu Marie: »Sie hätte das Kind sicher gewußt, fern von Schuld und Schuldigwerden. Und sie hätte von allen Opfern das größte gebracht.« Marie: »Du willst sagen, sie liebte dich.« Gesine: »Das will ich sagen.« – Imaginierter Dialog zwischen Cresspahl und Lisbeth: »Lisbeth ick schlå di dot. / Schlå mi dot Hinrich. Mi is kein Helpn mihr.« [Lisbeth, ich schlag dich tot. / Schlag mich tot, Hinrich. Mir ist nicht mehr zu helfen.]

625 Abschied von den Semigs, die ihre Auswanderung beschlossen haben. Lisbeth liegt Dora Semig »im Arm wie ein Kind, das sich ausgeweint hat«.

631-635 Über Ostern 1938 besuchen Cresspahls die Paepckes in Podejuch. »Cresspahl war es recht, daß Lisbeth einmal etwas verlangt hatte, was zu machen war [...]. Er versprach sich von Hilde, daß sie die Jüngere mit Fragen auf einen anderen Weg brachte«. Hilde »fand Lisbeth wenig verändert, wenn sie ihre Müdigkeit nicht rechnen wollte. Ihr ging die Arbeit so fix durch die Hände wie früher, nur daß es jetzt ohne Eifer ging und ohne Spaß.« – Gesine in einem ›Totengespräch‹ mit Lisbeth: »Du hast nachgesehen, ob da ein Platz wäre für mich.«

643, 646 »Im April 1938 hörte Wilhelm Brüshaver, evangelischer Pastor in Jerichow, seine Frau von einer Behauptung Lisbeth Cresspahls erzählen, wonach die Heilige Schrift an keiner Stelle den Selbstmord verbiete.« Er vergisst seiner Frau zu sagen, »was er im Seminar gelernt hatte«, nämlich dass Selbstmord »Abfall von Gott« sei. »Hätte Lisbeth erfahren, daß es diesen Zaun gab, sie hätte vielleicht nicht daran gedacht, ihn zu übersteigen.«

652 Nach Dora Semigs brieflichem Bericht über ihre schwierige Lage im Exil spricht Lisbeth »von der Schuld, die Dora Semig ihr auflegen wolle«.

684-686 Zur Vorbereitung auf den Krieg schickt Cresspahl Lisbeth zu Hamsterkäufen nach Lübeck und Schwerin, von denen sie oft vergnügt zurückkommt. An anderen Tagen, »an denen sie schon müde anfing«, meidet sie die Geschäfte und geht ins Kino. »Noch wenn sie abends in Jerichow ankam, war sie benommen, unaufmerksam, aber doch erholt von den anderthalb Stunden Vergessens, von der Abwesenheit in einer Welt aus Spiel und Vortäuschung, ohne eine Spur von Cresspahls Krieg.«

692-695 Lisbeth lässt ihr Kind hungern. »Nicht nur das Essen, auch das Vergnügen wollte sie dem Kind verweigern. Wenn sie das Kind vorerst nicht opfern durfte, so wollte sie ihm doch mit Leiden Gutes tun.« 

704 Am Tag der Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord (26. Oktober 1938) gehen Cresspahl und Lisbeth abends auf einen der Festbälle. »Uns' Lisbeth ließ zweieinhalb Stunden keinen Tanz aus. Sie war so munter, lachlustig locker, ganz anders als die Leute von ihr erzählten. Wenn sie einmal saß, so doch immer neben Cresspahl, eine Hand wie vergeßlich aber fest auf seiner Schulter.«

712-713 Gespräch mit Cresspahl über einen Zeitungsbericht zum Tod Ernst Barlachs am 27. Oktober 1938.

721 Lisbeth schlägt Cresspahl vor, Gesine auf die Reise nach Malchow und Wendisch Burg mitzunehmen, die er am 8. November 1938 antritt. Sie winkt ihrem Kind nach.

721-725 Am darauffolgenden Abend, in der Pogromnacht des 9. November 1938, »wurde meine Mutter noch zweimal gesehen«, zuerst in Gneez an der brennenden Synagoge, dann in Jerichow vor Oskar Tannebaums Laden, in dem die SA unter Leitung von Bürgermeister Friedrich Jansen wütet. Nach dem Mord an der achtjährigen Tochter der Tannebaums ohrfeigt sie Friedrich Jansen. »Sie schlug wie ein Kind, ungeschickt, als hätte sie es nicht gelernt. Friedrich Jansen hielt ihr einfach die Hände fest.« Der Polizist Ete Helms führt sie zum Schein ab und lässt sie vor dem Haus ihrer Eltern gehen.

730 Am frühen Morgen des 10. November 1938 bekommt Cresspahl in Wendisch Burg die telefonische Nachricht von Lisbeths Tod.

738-744 Imaginiertes Gespräch zwischen Cresspahl und Kriminalkommissar Vick in Gneez am Donnerstag, 10. November 1938. Vick hat den aus Wendisch Burg zurückkehrenden Cresspahl in Güstrow aus dem Zug holen und nach Gneez zum Verhör bringen lassen. Von ihm erfährt Cresspahl einige nähere Umstände von Lisbeths Tod. 

747-750 Am nächsten Morgen, Freitag, 11. November 1938, besichtigt Cresspahl die Reste seiner niedergebrannten Werkstatt und sucht in Haus und Garten nach Spuren, die ihm Aufschluss über Lisbeths letzte Wege geben könnten. Sie muss sich, nachdem sie in der Werkstatt den Brand gelegt hat, in der Futterkammer eingeschlossen und mit Stücken ihrer Wäscheleine die Füße zusammengebunden haben.

754-761 Pastor Brüshaver berichtet Cresspahl über die Bergung von Lisbeths Leiche. – Er fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod. »Die Bibel verbietet an keiner Stelle ausdrücklich den Selbstmord. Die junge Frau Cresspahl hatte danach gefragt, als sie noch am Leben war. Wenn man es recht besah, hatte sie unüberhörbar um Hilfe gebeten. Es mochten andere in der Stadt sein, von denen sie Beruhigung, Stütze, Auskunft erhofft hatte; die mußten das nicht zugeben. Der Pastor hatte die Pflicht, das einzugestehen.« – Er spricht noch einmal mit Cresspahl, der als einziger von Selbstmord gesprochen hatte. »Brüshaver betrachtete mit einer Art Entsetzen den Mann, der seiner Frau solchen Tod nachsagte, der den Verlust der Versicherungssumme für Werkstatthaus und Maschinen in Kauf nehmen wollte, damit sie diesen ihren Tod für immer behielt.« – Am Sonnabend, 12. November 1938, erscheint die von Cresspahl aufgegebene Todesanzeige im Gneezer Tageblatt. »Da war keine Rede von tragischem Geschick, von Gottes (unerforschlichem) Ratschluß oder davon, daß Lisbeth aus dem Leben genommen (gerissen) worden sei. Da stand: Lisbeth Cresspahl ist aus dem Leben gegangen.« – Am Sonntag, 13. November 1938, hält Brüshaver die Predigt, »die Cresspahl am Grab nicht hatte hören wollen«. Lisbeth Cresspahl habe »ein Opfer angeboten für ein anderes Leben, den Mord an sich selbst für den Mord an einem Kind [Marie Tannebaum]«.

761-768 Am Montag, 14. November 1938, wird Lisbeth beerdigt. Brüshaver liest die von Cresspahl ausgewählten Passagen aus Psalm 39 (vgl. 754 f.) und verrichtet auch die liturgischen Handlungen, die Cresspahl bestellt hat (vgl. 755), die die Kirche Selbstmördern aber nicht gewährt.

Vgl. auch 559. 561. 691-692. 808. 837. 838. 893. 898. 945. 952. 1062. 1178-1179. 1194. 1481. 1856. Anhang III-IV, V, VII, IX.

Cresspahl, Marie Henriette

Tochter von Gesine Cresspahl und Jakob Abs, geboren am 21. Juli 1957 in Düsseldorf. Sie kommt am 28. April 1961 mit der Mutter nach New York, wohnt mit ihr am Riverside Drive 243, besucht eine von Nonnen geleitete Privatschule am oberen Riverside Drive. Blonde Zöpfe. Sopranstimme. Liebt die samstäglichen Fahrten mit dem Fährschiff von Manhattan nach Staten Island und zurück. – Seit August 1967 erzählt Gesine ihr die Familiengeschichte der Cresspahls. 

14 Gesines Zeitungshändler an der Südwestecke der 96. Straße über das Kind seiner Kundin: »ein zehnjähriges Mädchen mit einem ähnlich kugeligen Kopf, aber sandblonden, ausländischen Zöpfen, sagt guten Morgen, als hätte es das auf der 75. Schule einen Block weiter gelernt, und kommt heimlich an Sonntagmorgen, sich eine Zeitung zu holen, die ganz und gar aus gezeichneten Bilderstreifen besteht«.

19-21 Die Ankunft in New York im Frühjahr 1961. Damals »sollte es für zwei Jahre sein«. Über Maries stummen Protest gegen den Umzug und die mühsame Wohnungssuche.

22-23 Kommt am 25. August 1967 von einem Ferienlager heim, schickt der Mutter vorher eine Postkarte mit der Zeit ihrer Ankunft. »Ihre Schrift hat die Bogen und Schleifen der amerikanischen Vorlage. Beim Malnehmen schreibt sie den Multiplikator unter, nicht neben den Multiplikanden. Sie denkt in Fahrenheitgraden, in Gallonen, in Meilen. Ihr Englisch ist dem Gesines überlegen in der Artikulation, der Satzmelodie, dem Akzent. Deutsch ist für sie eine fremde Sprache, die sie aus Höflichkeit gegen die Mutter benutzt, in flachem Ton, mit amerikanisch gebildeten Vokalen, oft verlegen um ein Wort. Wenn sie achtlos Englisch spricht, versteht Gesine sie nicht immer. Wenn sie fünfzehn ist, will sie sich taufen lassen, und sie hat die Nonnen in der Privatschule am oberen Riverside Drive dazu gebracht, sie M'ri zu nennen statt Mary. Allerdings sollte sie von dieser Schule verwiesen werden, weil sie die Plakette GEHT RAUS AUS VIET NAM nicht im Unterricht abnehmen wollte.« – Sie trägt gern enge Hosen aus weißem Popeline und Turnschuhe, ist »begehrt als Aufpasserin für kleine Kinder, sie ist aber streng gegen kleine Kinder, bisweilen derb«. – Geht »heimlich an den Kasten mit Gesines Fotografien, sie hat sich von ihrem Taschengeld ein Bild kopieren lassen, auf dem Jakob und Jöche zu sehen sind, vor der Lokomotivführerschule in Güstrow. Sie hat ihre Freunde in Düsseldorf vergessen.« – »Sie wippt in den Knien, wenn sie sich versprochen hat und gesagt, daß Neger eben Neger sind, sie wippt in den Knien und bewegt die aufgestellten Handflächen wie schiebend gegen Gesine und sagt: O.K.! O.K.!«

24-25 Sätze, die Marie sagt: »Mein Vater war Delegierter bei der Internationalen Fahrplankonferenz in Lissabon. Er vertrat die Deutsche Demokratische Republik.« – »Meine Mutter ist aus einer Kleinstadt an der Baltischen See, man muß sie das nicht fühlen lassen.« – »Meine Mutter hat die schönsten Beine auf dem ganzen Fünferbus, oberhalb der 72. Straße.« – »Meine besten Freunde sind PamelaEdmondoRebecca, Paul und Michelle, Stephen, Annie, Kathy, Ivan, Martha Johnson, David W., Paul-Erik, Bürgermeister Lindsay, Mary-Anne, Claire und Richard, Mr. Robinson,  Esmeralda  und Bill, Mr. Maxie Fruitmarket, Mr. Schustek, Timothy Shuldiner, Dmytri Weiszand, Jonas, D.E. und Senator  Robert F. Kennedy.« – »Nach zwei Jahren wollte meine Mutter zurück nach Deutschland, und ich habe gesagt: Wir bleiben«. – Sie sieht älter aus als zehn Jahre. »Sie sieht ihrem Vater nicht ähnlich.«

29 Marie sammelt Bilder aus der Zeitung.

43-44 Ihr freundschaftliches Verhältnis zu D.E., der auch seinen Namen von ihr hat, »weil sie den geringen Schluckauf zwischen ›Di‹ und ›I‹ genießt«.

46 Ihre erste Begegnung mit Rebecca Ferwalter im Riverside Park nach dem Einzug in die Wohnung am Riverside Drive.

66-68 Maries schwierige Eingewöhnung in das Leben in New York; ihr selbstbewusstes Auftreten in den Geschäften am Broadway sechs Jahre später. 

89 Bei der Siegesparade nach dem Sechs-Tage-Krieg auf dem Riverside Drive am 15. September 1967 geht Marie »neben Rebecca Ferwalter am Rande einer Reihe, als gehörte sie hinein, nicht im blauweißen Aufzug, aber winkend mit einem Fähnchen, dem Davidsstern«.

90-93 »Sonnabend ist der Tag der South Ferry. Der Tag der South Ferry gilt als wahrgenommen, wenn Marie mittags die Abfahrt zur Battery ankündigt. [...] Die South Ferry war ihr erster Wunsch an New York [...]. Damals beschrieb sie New York in Zeichnungen für düsseldorfer Freunde als einen bloßen Hafen für orange vielfenstrige Schwimmhöhlen, in denen neben reichlich Autos ein Kindergarten versammelt war. [...] Und an den Drehkreuzen der South Ferry durfte sie zum ersten Mal in der Stadt selbst eine Fahrt bezahlen; hier war sie unter die Bürger aufgenommen worden.«

99-100 Vor ihrer Einschulung besuchte sie einen privaten Kindergarten am Riverside Drive mit Erzieherinnen, denen es, wie Gesine Cresspahls Tote ironisch anmerken, »nicht an Lohn fehlte zur Geduld mit den Kindern des Mittelstands, Mrs. Jeuken, Mrs. Davidoff, die Marie glauben machten an eine Welt, in der Freundlichkeit und Mangel an Neid und Gehorsam sich auszahlen«. – Auch die Schule, in der Gesine ihr Kind dann anmeldete, ist eine private katholische Schule, geleitet von Nonnen; sie kostet Gesine bis zu drei ihrer Monatsgehälter.

101 Maries Verhältnis zu ihrem Kinderarzt, Dr. Brewster, Park Avenue. Im September 1967 wird Dr. Brewster nach Vietnam eingezogen.

109-111 Marie will Dr. Brewster noch einmal sehen, trifft aber nur seine Sprechstundenhilfe Miss Gibson, geht dann zu Brewsters Wohnung, wo sie nur noch Mrs. Brewster antrifft. 

134-137 Am 2. Oktober 1967 lädt Dmitri Weiszand Gesine und Marie Cresspahl zu einem Essen in das tschechische Restaurant U Svatého Václava (Zum heiligen Wenzel) ein. Marie gefällt das Restaurant nicht.

143-144 Gesine in einer »Phonopost« an D.E. am 5. Oktober 1967: »Marie besteht darauf, daß ich ihr weiter erzähle wie es gewesen sein mag, als Großmutter den Großvater nahm. Ihre Fragen machen meine Vorstellungen genauer, und ihr Zuhören sieht aufmerksam aus. Sie sitzt am Tisch mit den Händen an den Schläfen, so daß sie das mecklenburger Wappen macht, deinen Ossenkopp. Aber was sie wissen will ist nicht Vergangenheit, nicht einmal ihre. Für sie ist es eine Vorführung von Möglichkeiten, gegen die sie sich gefeit glaubt, und in einem andern Sinn Geschichten. (Gefragt habe ich sie nicht.) So verbringen wir einige Abende.«

150-157 Am 7. Oktober 1967 fahren Gesine und Marie Cresspahl für ein Wochenende zu Annie Fleury und ihrer Familie nach Vermont. Unterwegs äußert Marie den Wunsch, die Mutter möge ihr alles, was sie erst später wird verstehen können, auf ein Tonband sprechen. Gesine: »Für wenn ich tot bin?« Marie: »Ja. Für wenn du tot bist.« 

177-179 Marie muss einen Aufsatz schreiben mit dem Thema »Ich sehe aus dem Fenster«. Sie beschreibt aber nicht den Ausblick von ihrem Zimmer auf den Riverside Park, sondern den Blick aus Charlies ›Gutem Eßgeschäft‹ an der Ecke der 96. Straße und des Broadway im Mai 1966, als gegenüber ein Haus brannte und ihre Mutter bemerkte, dass es nach Krieg rieche. Gesine vermutet: »Morgen wird Schwester Magdalene [sic] sie fragen, ob sie an Viet Nam gedacht hat. Und so wird es ein Thema auf der nächsten Elternversammlung werden. Sie erziehen Ihr Kind nicht richtig, Mrs. Cresspahl.« Tatsächlich wird Sister Magdalena darauf zurückkommen (vgl. 313).

183 »Würdest du es erheblich vorziehen, geboren zu sein in Richmond? sagt das Kind, sagt Marie. Das ist nun ihr Deutsch.«

189 Marie hat kein Heimweh nach Deutschland. »Die ist schon geniert, wenn es doch herauskommt, daß sie in Düsseldorf geboren ist, und nicht in New York.«

202-206 Marie als kritische Zuhörerin von Gesines Erzählungen. Sie möchte, dass Gesine das Eheleben ihrer Eltern aus Lisbeths Sicht erzählt. »Das kann ich nun nicht«, sagt Gesine.

218-221 Disput zwischen Gesine und Marie über Maries gespaltenes Verhältnis zu ihrer farbigen Mitschülerin Francine. Marie hat ihretwegen »Sorgen«, seit Sister Magdalena sie neben sie gesetzt hat: »Sie ist eine Alibinegerin. [...] Ein Alibineger ist einer, der umsonst in unsere Schule gelassen wird.« Gesine: »Damit das Institut nicht die Bundeszuschüsse verliert.« Marie: »Damit das Gesetz belogen wird.« – Marie hat »Arbeit« mit ihr: »Die Arbeit ist das Freundlichsein.« Gesine: »Du magst sie nicht.« Marie: »Ganz recht, ich finde sie häßlich. [...] Nun sagt sie mir ins Gesicht hinein: sie findet mich nett.« – Marie sorgt sich, ihre Freundinnen könnten denken, dass sie Francine »nicht aus Anstand allein« hilft. »Die denken, was Francine denkt: Ich täte das aus Liebe. Ich will da raus.« Gesine rät ihr, die Freundinnen in die Hilfe für Francine einzubeziehen. Während des Gesprächs läuft ein Tonband. 

247-250 Marie macht ihre Ankündigung, an Halloween eine Party zu veranstalten und Francine dazu einzuladen, nicht wahr. Stattdessen zieht sie mit ihren weißen Freundinnen durch das Viertel am Riverside Drive und nimmt Francine nicht mit. Gesine macht ihr Vorhaltungen. Marie schämt sich.

268-272 Am 7. und 8. November 1967 besuchen Gesine und Marie D.E. und seine Mutter, Frau Erichson, in New Jersey. 

275-278 Wie Marie gelernt hat, unerwünschte Telefonanrufe abzuwehren, und wie es zur Erfindung von Onkel Humphrey kam.

282-286 Am 11. November 1967 treffen Gesine und Marie Karsch zu einem Essen im Restaurant der Vereinten Nationen in New York. – Marie ist von dem Haus der U.N. enttäuscht, weil es ganz gewöhnlich aussieht und nichts »Heiliges« an sich hat. Und »Herr Karsch hat es lange schwer mit dem Kind«. Nach dem Essen bekundet sie, dass sie ihn hasse. »I hate him! sagt sie. – I hate him!«

296-300 Marie gefällt Heinrich Cresspahls Nachgiebigkeit gegen Lisbeth im Frühjahr 1933 nicht, die schließlich zu seiner Übersiedelung von Richmond nach Jerichow führt: »Kannst du es nicht anders erzählen?«, fragt sie ihre Mutter.

311-315 Am 17. November 1967 bekommt Gesine Post von der Schule, sie wird zu einem Gespräch mit Maries Lehrerin Sister Magdalena zitiert: Marie hatte »Bugs Bunny for President« an die Tafel geschrieben.

316 Gesines Erzählung von ihrer Taufe im März 1933 enttäuscht Marie. »So erzählt, wird es Marie vielleicht abbringen von ihrem Plan, in fünf Jahren die Zeremonie am eigenen Leibe wiederholen zu lassen.«

321-330 Am 19. November 1967 wird Karsch in New York entführt. Gesine und Marie treiben mit D.E.s Hilfe das Lösegeld auf, übergeben es in Newark und bringen den befreiten Karsch zum Busbahnhof in Manhattan. Seinen Dank will Marie nicht annehmen: »Für Sie hab ich es nicht getan! sagte Marie.« Am nächsten Tag meldet er sich telefonisch aus London.

331-335 Gesine und Marie erinnern sich an ihren Besuch in Richmond mit D.E. Anfang der sechziger Jahre.»Ich fand es nicht aufregend: sagt Marie.« Sie »weiß von Richmond am besten ein großes scheunenhaftes Puppenhaus in einem Laden Ecke Paradise Street und Kirchweg, und D.E. ließ sich nicht gern abhalten, es für viele Pfund, für 220 Dollar nach Amerika zu kaufen«.

335-342 Gesines Reflexionen über das Reisen und Leben mit D.E. und über Maries Verhältnis zu ihm. »Als Marie nach der Ermordung des Präsidenten Kennedy nicht in den Alltag zurückfinden konnte, nahm er sie von einem Mittagstisch weg auf ein Pendelflugzeug nach Washington und kam zurück mit einem besänftigten Kind, das nun wenigstens das Grab gesehen hatte.« Gesine erinnert sich, wie beide bei dem gemeinsamen Besuch in Richmond Anfang der sechziger Jahre auf der Themsepromenade vor ihr hergingen, »ganz ohne Sorgen nebeneinander. Sie war nicht nur stolz auf den schwarzen Mantel mit dem Pelzkragen, den er ihr an der Regent Street gekauft hatte; sie war außerdem zufrieden, in der Gesellschaft dieses eleganten Herrn gesehen zu werden. Sie lachten in ihrem Gespräch, und allein in Maries Kopfwendung zu ihm ist genußvolle Neckerei.«

344-347 Maries Aussagen über ihre schwarze Mitschülerin Francine.

348 Maries Meinung über Heinrich Cresspahls Verhalten 1933: Sie »will es nicht billigen, daß Cresspahl noch acht Monate unterschlug in Richmond, Greater London. Sie verlangt, daß die Leute zusammen leben, sind sie einmal verheiratet. Hier hat sie Vorstellungen von Ordnung.«

367-374 Am Sonntag, 26. November 1967, ist Marie Cresspahl »seit dem frühen Vormittag« mit der U-Bahn unterwegs, um die am selben Tag veränderten Linienführungen bei acht der 36 Routen »wenigstens in Manhattan nachzuprüfen«. Sie ruft ihre Mutter von verschiedenen Stationen aus an und kommt schließlich mit der neuen Karte nach Hause. »Nun werden wir sehen ob dies ein Kind ist, das etwas hält von Tradition.« Marie nimmt die alte Karte von der Wand über dem Telefon ab, faltet sie aber behutsam zusammen und gibt sie der Mutter »zum Aufheben«. Gesine: »Zum Aufheben für wen. Für dich?« Marie: »Für dich doch, Gesine, Mensch: sagt Marie.«

385-388 Gesine spricht zum ersten Mal Erinnerungen für Marie auf Tonband »für wenn ich tot bin«, wie Marie es sich gewünscht hatte (vgl. 151).

393-397 Karsch schickt einen Blankoscheck »für was eine neue Telefonnummer kostet« und die Druckfahnen seines Artikels über seine Erfahrungen mit der Mafia in New York (vgl. 321-330), in dem er auch von Marie spricht: »Dem Korrespondenten sei durch das Verhalten des Kindes die Romantik des Verbrechens zuverlässig ausgetrieben. Er habe nun auch verstanden, daß das Kind keinen Dank wollte; Solidarität fahre besser, wenn sie schlicht wahrgenommen werde.« Das versöhnt Marie mit ihm: »Meinetwegen kann er wieder anrufen: sagt Marie.«

419-423 Gesine erzählt Marie auf Tonband von ihrem Tag (8. Dezember 1967).

434-439 Rückblick auf Maries Erfahrungen im Kindergarten und auf ihre ersten Freundschaften (Pamela Blumenroth, Edmondo Barrios).

440-443 Marie hat zum ersten Mal Besuch von Francine, die ihre Lebensverhältnisse grenzenlos bewundert. – Seit Anfang Dezember 1967 hat Marie ihr Zimmer »zu einem verbotenen Gebiet erklärt«, das Gesine nicht betreten darf. »Sie macht dort etwas Geheimes« (das Miniaturmodell des Jerichower Hauses am Ziegeleiweg, vgl. 537-540).

454-459 Marie will den Wahrheitsgehalt von Gesines Erzählungen prüfen: »Ich werde jetzt mal nachsehen, woher du deine Vergangenheiten hast. Das hat jetzt ein Ende mit dem Anlügen. Erzähl mal was über das Kind Gesine, als es zwei Jahre alt war!« 

460-466 Am 16. Dezember 1967 sind Gesine und Marie in de Rosnys Haus am Long Island-Sund eingeladen. »Marie glaubt sich sicher in einer Welt, in der die Tüchtigkeit nach Verdienst entlohnt wird. Solange der Wagen noch in der Stadt war, mag sie bedauert haben, daß seine Fenster in einem diskreten Dunkelgrün getönt sind und keinem Kind aus ihrer Klasse die Chance gaben, sie bei einer der Art vornehmen Ausfahrt zu beobachten; auf den Autobahnen beginnt sie schon auszuprobieren, was für ein Benehmen zu solchem Gefährt passen könnte. Sie gibt einer aufrechten, strengen Haltung in den fülligen Polstern den Vorzug.« – Sie genießt den Aufenthalt, bemerkt nicht, dass ihre Mutter einer strengen Prüfung unterzogen wird, sondern »versteht den ganzen Abend als einen Besuch unter Freunden«. – Fragt de Rosny in aller Unschuld: »Trifft es zu, daß die Kreditinstitute aus dem Krieg in Viet Nam Gewinne ziehen?«, und glaubt de Rosny jedes Wort. Gesine denkt: »Niemals hätte man Marie in dies Haus mitnehmen dürfen.« – Zum Abschied schenkt de Rosny ihr eine italienische Weihnachtsschnitzerei.

478 Gesine: »Einmal wird das Kind aussehen wie ich auf den ersten Blick, aber mögen wird die Welt es auf den zweiten, und nicht einmal sie wird wissen, daß sie zurücklächelt wie Jakob.«

487-491 Gesine und Marie im Schwimmbad des Hotels Marseille. – Marie hat ›grau und grüne‹ Augen.

491-492 Sie wischt sich beim Kochen »mit verkantetem Unterarm ihr heißgewordenes Haar aus der Schläfe wie schon ihre Großmutter und deren Mutter, dennoch nicht wie ein Kind, das als Hausfrau aushilft, sondern als ein Mitglied des Haushalts, das seinen Teil daran versteht und übernimmt. So fotografiert, würde sie in zehn Jahren sich ausdeuten als ein Kind, das in glücklichen Umständen aufwuchs, in einer Zeit des Friedens.«

493-494 Marie ist im Konflikt zwischen Gesines strikter Ablehnung des Vietnamkrieges und der Meinung ihrer Schulfreunde und deren Eltern, die »die Angelegenheit Viet Nam für ausgeleiert« und im übrigen für eine Sache des Präsidenten halten. Als sie das »zu Testzwecken, zu Hause vorbrachte, kam obendrein heraus, daß sie die Plakette GEHT RAUS AUS VIET NAM nur so lange angesteckt trug, wie die Mode in ihrer Klasse sich hielt«. Gesine: »Sie ist so unaufrichtig, wie ich sie erzogen habe. Mit meinen Ausrüstungen kann sie gegen das Land nicht besser bestehen als ich.« – Dass Präsident Lyndon B. Johnson Senator Robert F. Kennedy angreift, empört Marie, aber es »fiel ihr nicht auf, daß Kennedy mit Friedensabsichten denunziert werden sollte. Sie lebt hier seit sechs Jahren. Sie möchte nirgends leben als hier. Sie möchte nicht leben in einem Land, dem sie mißtraut. Diesem vertraut sie.« – Gesine: »Sie kann so ein vernünftelndes Gehabe zeigen. Das Kinn auf die zusammengelegten Hände gestützt, den Kopf freundlich schräg, so sah sie mich an. Sie hatte mir bewiesen, daß sie ihrer Mutter aufs Wort zuhört.«

494 Marie zu Gesine: »So kann ich nicht leben, wie du es von mir verlangst! Ich soll nicht lügen, weil du nicht Lügen magst! Du wärst längst ohne Arbeit, und ich aus der Schule, wenn wir nicht lögen wie drei amerikanische Präsidenten hintereinander! Du hast deinen Krieg nicht aufgehalten, nun soll ich es für dich tun!«

499-503 In ihrem Weihnachtsbrief an Dr. Kliefoth gibt Gesine ihrem alten Lehrer eine ausführliche Beschreibung von Maries Aussehen, Charakter und Lebensgewohnheiten.

513-519 Gesine rechtfertigt sich in Gedanken vor Marie für ihre tägliche Lektüre der New York Times.

537-540 Am Neujahrstag 1968 schenkt Marie ihrer Mutter die Miniatur des Jerichower Hauses, wie sie es aus den Erzählungen ihrer Mutter kennengelernt hat. »Ich wollte nur einmal versuchen, was das denn wäre, wovon du erzählst. Wie das aussieht.«

559-563 Streitgespräch mit Gesine über die Geschichte von Robert Papenbrocks angeblichem Aufenthalt in New York, über Heinrich und Lisbeth Cresspahl und über das Verhalten der Familie Papenbrock und der Jerichower während der NS-Zeit. – Marie ist »sicher, daß Einer wenn nach New York auch zur Vernunft kommen müsse«. Gesine: »Was sie als Kind geglaubt hat, man sollte es ihr aufschreiben.«

564-567 Im Januar 1968 nehmen Marie und Gesine Cresspahl Annie Fleury, die ihren Mann verlassen will, mit ihren drei Kindern bei sich auf. »Marie hat entschieden, daß wir mit Annie Fleury und ihren Kindern genug befreundet sind, um mit ihnen zusammen zu leben, so wie sie gekommen sind aus dem Blauen, aus dem hohen Norden, aus Vermont, vom Windhundbus.«

580-592 Das Leben mit Annie und ihren Kindern in der Cresspahlschen Wohnung. – Marie zeigt den Fleury-Kindern die Stadt. – An einem Sonntag (14. Januar 1968) ist Annie Zuhörerin bei Gesines Erzählungen für Marie.

615-619 Gesine erzählt Marie die »Regentonnengeschichte«, die Marie schockiert: »Das nächste Mal, Gesine, wenn du mir eine Geschichte nicht erzählen willst, tu es nicht.«

627-631 Am 22. Januar 1968 bekommt Marie von ihrem ersten New Yorker Kinderarzt Mr. Brewster eine Karte aus Vietnam. – Rückblick auf ihre erste Begegnung mit ihm 1961, als er noch Arzt am Krankenhaus St. Lukas war. Für Marie war er »einer der ersten Amerikaner, auf die sie sich einließ, als sie im Frühsommer 1961 in dies fremde Land hatte mitkommen müssen«.

640-642 Marie und Gesine über die Gründe von Annie Fleurys überstürzter Abreise.

670-673 Marie debattiert mit Gesine über deren Erzählungen von früher und ihren Wahrheitsgehalt: »Was dir fehlt beim Erzählen, füllst du auf mit anderem, und ich glaube es doch«.

687-690 Am 7. Februar 1968 schreibt Gesine für Marie auf, was sie ihr »noch acht Jahre verschweigen möchte«: Es geht um den Fall des in Prag tot aufgefundenen Charles H. Jordan.

705-710 Am 11. Februar 1968 nehmen Cresspahls Francine bei sich auf, nachdem ihre Mutter bei einer Messerstecherei verletzt worden ist.

732-734 Disput zwischen Marie und Gesine um Maries Vorurteile gegen Francine.

750-753 Am 20. Februar 1968 holt Marie ihren Kinderarzt Dr. Rydz zu Hilfe, als ihre Mutter mit Fieberphantasien im Bett liegt.

769-771 Marie und Francine versorgen gemeinsam die kranke Gesine.

772-774 Nach zwölf Tagen Aufenthalt bei den Cresspahls wird Francine von der Fürsorge abgeholt und zur Mutter gebracht. Marie versucht, den Vertreter der Fürsorge abzuwimmeln.

784-788 Diskussion mit Gesine über die Frage, wo Heinrich Cresspahl während seiner mysteriösen Abwesenheit zwischen dem 19. November und Ende Dezember 1938 gewesen sein könnte.

809-814 Gesine erzählt Marie von Heinrich Cresspahls Arbeit für die britische Abwehr während der NS-Zeit. Marie gefällt nicht, dass er »sein Land verriet«, und sie hat Gesine im Verdacht, dass sie ihren Vater reinwaschen möchte.

831 Marie ignoriert Francine in der Schule. »Sie kann sich nicht ausdenken, daß Francine zu der eigenen Mutter nicht zurückgehen wollte. Ihr ist das wie ein Riß im Verständnis von Francine, für den sie noch kein Pflaster hat. Es sieht aus, als habe Francine sie gekränkt.«

831-836 Erneuter Disput mit Gesine um Heinrich Cresspahls Arbeit für die britische Abwehr.

841-848 Am 9. März 1968 möchte Marie nach Francine in den Slums der Oberen Westseite suchen, um sich mit ihr »ins Reine zu bringen«. Gesine begleitet sie. Sie können Francine nicht finden. – Vom Portier des Mediterranean Swimming Club, Mr. Welch, erfahren sie, dass Francine dort zweimal nach ihnen gefragt hat. Sie beauftragen ihn, Francine auf ihre Kosten hereinzulassen, falls sie noch einmal auftauchen sollte.

859-862 Marie und Gesine debattieren erneut über die Frage, ob Heinrich Cresspahl wirklich für die Britische Abwehr gearbeitet hat. Marie erfindet einen bei Jerichow abgestürzten englischen Piloten, um zu erklären, wie Cresspahl in den Besitz eines Half Penny mit dem Prägejahr 1940 gekommen sein könnte.

862 Am 13. März 1968 gibt es im Mediterranean Swimming Club eine »ungenaue Aussöhnung« zwischen Marie und Francine. »Die Aussöhnung gilt nicht; sie mögen nicht allein sein, vermeiden einander zu berühren, sitzen weit auseinander. Francine hat sich ein allgemeines Betragen angenommen, nachlässig, unaufmerksam, als verlohnten wir die Anstrengung im Grunde doch nicht.«

887-889 Am 18. März 1968 spricht Gesine für Marie auf Tonband (»für wenn ich tot bin«) über ihren Umgang mit Bettlern in New York.

933-937 Marie möchte wissen, wie Gesine als Kind war. Schulische Misserfolge der Mutter gefallen ihr nicht. Sie möchte »angeben können damit, ihre Mutter habe kein großes Geld ererbt und könne doch für unser Leben sorgen bloß mit dem Verkauf von Gelerntem«. Sie glaubt, Gesine habe nach dem Tod ihrer Mutter gelebt »wie ein Hund«, was Gesine bestreitet.

962 Nach der Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 schickt Marie ein Beileidstelegramm an seine Witwe.

972-973 Am Abend der Beerdigung von Martin Luther King, von der Marie und Gesine Fernsehbilder im Schaufenster eines Fernsehgeschäfts sehen, verlangt Marie, dass Gesine einen Fernsehapparat anschafft. »Für den nächsten, Gesine. Für den nächsten, den sie totschießen. Für den nächsten!«

981 An den jüdischen Festtagen darf Marie ihre Freundin Rebecca Ferwalter nicht besuchen.

983 Am U-Bahnhof an der Stillwell Avenue gibt es nach Maries Überzeugung »die besten heißen Hunde New Yorks«.

983-987 Disput mit der Mutter über das Kriegsende in Jerichow.

997-998 Marie möchte erzählt bekommen, wie ihr Vater Jakob Abs im letzten Kriegswinter nach Jerichow kam.

1003-1007 Am 18. April 1968 lädt de Rosny Gesine und Marie zu einem Baseball-Spiel ins Shea Stadion ein.

1017-1028 Das Wochenende vom 20./21. April 1968 verbringen Gesine und Marie in einem Ferienhaus von Bekannten am Patton Lake. Beim Schwimmen im See möchte Marie wissen, in wievielen Seen ihre Mutter schon geschwommen ist. Die Ostsee nennt sie »Baltic Sea« und lässt sie nicht gelten. »Es ist ein amerikanisches Kind.« – Die »Hiesigen [...], ausgehungert nach Zurückhaltung, Aufmerksamkeit, höflichem Betragen bei Kindern«, nennen sie ein »europäisches Kind«.– Reflexionen über Maries Erziehung, ihre Entwicklung und ihr Leben mit Gesine.

1039-1040 Gesines Vergleiche des Blicks auf den Hudson mit Mecklenburg gefallen Marie nicht. »Wo käme sie hin, wenn ihr New York samt Fluß und Ufer etwas anderes wäre, oder nur vergleichbar! Ihr ist es unvergleichlich. Sie hat noch Zeit, hier zu leben.«

1065-1068 Gespräch mit Gesine über die sowjetische Besatzung in Jerichow 1945 und über den Stadtkommandanten K.A. Pontij, den Marie »smart cat« nennt. »Sie denkt über K.A. Pontij so innig nach, fast belustigt, als sollte sie eine Freundschaft mit ihm erwägen (wie die Gesine von damals. Wie ich!).«

1069-1075 Am 27. April 1968, dem Tag der Loyalty Day Parade, gehen Marie und Gesine Cresspahl zu einer Gegendemonstration am Central Park, einem Friedensmarsch, können sich aber nicht entschließen mitzumarschieren. Dass Bürgermeister Lindsay »bei den Feinden wie den Anhängern des fremden Krieges auftreten kann wie ein Freund gleicher Massen«, enttäuscht Marie schwer. Am Abend reißt sie seine Seiten aus ihrem Sammelbuch.

1079 Sie nennt Bürgermeister Lindsay einen Halunken.

1085-1091 Gesine und Marie treffen D.E. zwischen zwei Flügen im Restaurant des Kennedy Airport (30. April 1968). D.E. schimpft mit ihr gemeinsam über John Vliet Lindsay.

1092-1096 Disput mit Gesine über die Studentenunruhen an der Columbia University im Mai 1968.

1106-1110 Marie stellt ihr Modell von Gesines Haus am Ziegeleiweg, das sie der Mutter am Neujahrstag geschenkt hat (vgl. 537-540), am 4. Mai 1968 beim Schulbasar aus und will es versteigern lassen. 

1143-1151 Marie lässt sich von D.E. aus dessen Leben erzählen.

1214 Sie lernt auf ihrer Schule das »Denken des weißen Mittelstands«.

1214-1222 Gesine erzählt Marie über die Umstände von Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945. Marie: »Mach Cresspahl unschuldig, Gesine. Wenn du ein wenig lügen könntest.«

1223-1226 Am Sonntag, 26. Mai 1968, zeigt Marie ihrer Mutter Staten Island: »Hier hast du Leben auf dem Lande, Mecklenburg, California; bleib hier, Gesine. Hier, sobald ich kann, kauf ich dir ein Haus

1244-1246, 1250-1251, 1255-1265 Ferienwochenende vom 30. Mai bis zum 2. Juni 1968 in einem Ferienhaus am Sund von Long Island mit Gesine, Amanda WilliamsNaomi und Clarissa Prince.

1246-1250 Gesines Erinnerungen an einen Ausflug mit Marie in die Holsteinische Schweiz im Jahr 1964.

1298-1302 Die Nachricht vom Attentat auf Robert F. Kennedy am 5. Juni 1968 und von seinem Tod am 6. Juni erschüttert Marie tief. Sie leiht von ihrem Taschengeld ein Fernsehgerät und entwirft einen Aufsatz über Kennedy und seinen Mörder. Die folgenden Tage sind beherrscht von ihrer Trauer um ›ihren‹ Senator.

1317-1327 Am Wochenende vom 8./9. Juni 1968 kommt D.E. nach New York und verbringt mit Marie eine lange Nacht vor dem Fernseher mit der Übertragung der Trauerfeierlichkeiten für Robert F. Kennedy. Marie zu Gesine: »Thank you for letting me have this.«

1327-1334 Gesine macht sich Sorgen, dass Marie, die »ratlose Antikommunistin«, die Geschichte von Cresspahls Verhaftung und das Leben in der Sowjetischen Besatzungszone »in den falschen Hals« bekommt.

1341-1350 Marie möchte von Gesine mehr über ›ihre‹ Sowjets und das Leben in »Sowjetmeeklenburg« wissen. Gesine erzählt ihr bei laufendem Tonband die Geschichte von Slata und Alma Witte. Marie mutmaßt, dass Gesine viele »solche Geschichten« kennt und überzeugt ist, »daß ich etwas Falsches mit ihnen anfangen werde«. Gesine räumt ein, dass sie es befürchtet.

1350-1358 Marie möchte wissen, ob die Sowjets in Mecklenburg »wüster als die Briten in Indien« hausten. Gesine erzählt ihr von den vom Jerichower Stadtkommandanten Pontij beförderten Gründungen bürgerlicher Parteien im Herbst 1945, um ihr vorzuführen, »daß du dich gelegentlich irrst mit deiner gnadenlosen Unterdrückung durch die Sowjets«.

1369 Fährt am 15. Juni 1968 zum ersten Mal allein auf der South Ferry. Marie zu Gesine: »Da wollte ich dich strafen. Das ist mir gelungen.«

1374-1382 Marie fordert Gesine auf, ihr von einem zu erzählen, dem der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetischen Besatzungszone »Spaß« gemacht hat: »Der das freiwillig tut. So einen. Der Bescheid weiß. Der glücklich ist damit. Einen mußt du doch wissen.« Gesine erzählt ihr an diesem Tag (18.6.1968) und den folgenden Tagen die Geschichte von Gerd Schumann.

1393 Marie kauft Blumen für die Cresspahlsche Wohnung, weil Karsch Geburtstag hat.

1406-1407 Gesine und Marie suchen nach einem Ferienlager für Marie.

1482-1488 Über Cydamonoe, die Phantasiewelt, in die sich die vierjährige Marie nach dem Umzug von Düsseldorf nach New York im Frühjahr 1961 gerettet hat. »Cydamonoe, die Marie von heute will es kaum noch wahrhaben.« 

1541-1549 Am 13. Juli 1968 fährt Marie mit D.E. auf der South Ferry und streift mit ihm durch verschiedene Viertel New Yorks, während Gesine einen Brief an Anita Gantlik schreibt.

1590-1595 Am 21. Juli 1968, ihrem elften Geburtstag, schreibt Marie einen Bedankbrief an Anita Gantlik und erzählt von ihrem Geburtstag, den sie mit D.E. und Gesine verbracht hat. – Die Fünfzimmerwohnung, die D.E. »für das künftige Ehepaar Cresspahl-Erichson« am oberen Riverside Drive, Höhe Columbia-Universität, zu kaufen oder zu mieten beabsichtigt, hat auch eine abschließbare Wohnung für Marie. – Von Jason, Shakespeare und Robinson Adlerauge hat sie zum Geburtstag einen »Luxuskarton Kaugummi« bekommen.

1624-1625 Anita Gantlik lädt Marie ein, »in Westberlin zu leben für die Zeit der tschechoslowakischen Arbeit«.

1662 In ihrem ersten Kindergartenjahr in New York hatte Marie den Spitznamen »our lil' Kraut«.

1663-1668 Am 29. Juli 1968 wird in die Cresspahlsche Wohnung am Riverside Drive 243 eingebrochen. Marie findet die aufgebrochene Wohnungstür vor. Gestohlen wurden unter anderem auch das Tonbandgerät und einige Tonbandkassetten mit Gesines Erzählungen für Marie.

1708 In Charlies ›gutem Eßgeschäft‹ bestellt Marie sich »einen Klops in der Jacke mit einer Zwiebelscheibe dazu. Was ruft Charlie zum heißen Blech hinüber? – Burger takes slice! Do it special for my special lady, mind! und Marie blickt vor sich hin so verlegen wie es ihr ansteht. Und stolz, weil sie dazugehört.«

1709-1710 Gesine und Marie verbringen den Vormittag des 3. August 1968 mit den Blumenroths an der Jones Beach. Über Maries Verhältnis zu Pamela Blumenroth.

1713 Gesine wettet mit Marie: »erst von Ende Oktober an [d. h. nach der Prag-Reise] streiten wir mit einander«. Marie: »Wetten, daß ich gewinne?«

1739-1740 Gesine macht vor der Prag-Reise ihr Testament: »Hiermit übertrage ich das Eigentum an meinem gesamten Besitz meiner Tochter Marie Cresspahl, geboren am 21. Juli 1957 in Düsseldorf als Tochter des Eisenbahninspektors Jakob Wilhelm Joachim Abs. [...] Marie ist gebeten, von den mecklenburgischen Büchern jene mit einem Druckvermerk vor 1952 aufzuheben bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Das Erziehungsrecht übertrage ich auf Mrs. Efraim Blumenroth.« – Am 6. August 1968 geht sie zu ihrem Anwalt Mr. Josephberg, um an Mrs. Blumenroths Stelle Anita Gantlik als Erziehungsberechtigte eintragen zu lassen.

1740-1741 Am 6. August 1968 erfährt Gesine, dass D.E. tödlich verunglückt ist. Sie verheimlicht Marie das Unglück. Zu Anita Gantlik sagt sie: »Wenn ich's ihr sage, schmeißt sie um« (vgl. auch 1745, 1749, 1758).

1766 Aus einem Telegramm erfährt Marie, dass D.E. einen Unfall gehabt hat. Urheberin des Telegramms ist Anita Gantlik: Um Marie behutsam auf die Nachricht von D.E.s Tod vorzubereiten, schickt sie weitere Telegramme in D.E.s Namen bis zur Abreise nach Prag (vgl. 1785, 1806, 1856).

1785 Marie möchte zum Abschied ihre Freundinnen und Freunde einladen.

1806-1812 Am 12. August 1968 machen Gesine und Marie einen Ausflug nach Chicago, am 13. August fahren sie mit der U-Bahn auf die Halbinsel Rockaway im Süden von Queens. Unterwegs erzählt Gesine der Tochter die Geschichte von Jakobs Aufenthalt in Olmütz im Herbst 1955.

1827-1845 Am 15. August 1968 fliegt Gesine mit Marie für einen Tag nach San Francisco zur Einstimmung auf den Europa-Flug und um Marie die Nachricht von D.E.s Tod noch verschweigen zu können. Unterwegs erzählt sie von ihrem Weggang nach Halle zum Studium im Spätsommer 1952 und von ihrem Leben in Halle.

1868-1871 Über Heinrich Cresspahls testamentarische Verfügungen zugunsten seiner Tochter und Enkeltochter. – Über Marie als kleines Kind in Düsseldorf.

1879-1880 Den Spitznamen D.E. hat Marie erfunden, weil sie »das gern mochte, den winzigen Schluckauf zwischen einem amerikanischen Laut für D und E. Di-i. Später wußte sie, sie hatte gemeint: Dear Erichson.«

1888-1891 Auf dem Weg nach Prag machen Gesine und Marie Cresspahl am 20. August 1968 auf Anita Gantliks Wunsch einen Zwischenstopp in Dänemark (vgl. 1735). In einem Badehotel an der dänischen Küste treffen sie Gesines alten Lehrer Julius Kliefoth. Der fragt sie: »Will you take good care of my friend who is your mother and Mrs. Cresspahl?« Marie: »Ich versprech es, Herr Kliefoth. Meine Mutter und ich, wir sind befreundet.«

Vgl. auch 28. 63. 118. 145. 149. 166. 172. 174. 210. 213. 240. 258-259. 270. 276. 278. 292. 343. 385. 392. 406-408. 450. 453. 475. 477. 498-499. 513. 519-521. 533-537. 549-551. 607-608. 662. 770. 790-792. 824. 850. 873. 938. 1029-1032. 1035. 1048. 1084-1085. 1115-1116. 1167. 1203. 1209. 1338-1340. 1393-1399. 1421. 1423. 1425. 1455. 1507. 1523-1528. 1537. 1541. 1542. 1545. 1555. 1566. 1583-1584. 1585. 1604-1605. 1622-1623. 1643-1644. 1645-1657. 1680. 1720-1721. 1756. 1767. 1770. 1784-1785. 1845-1847. 1856. 1877. 1884-1885.

Creutz (»Der alte Creutz«)

Friedhofs-Gärtner in Jerichow, Nachbar der Cresspahls, Vater von Erich Creutz.

424 Wenn Lisbeth Cresspahl ihre Freundin Aggie Brüshaver im Pastorat besucht, geht sie »durch Creutzens Pforte und auf den Wegen zwischen seinen Beeten und Treibhäusern zur Hintertür des Pfarrgartens. Dem alten Creutz war das recht, er ließ sich recht gern mit einer jungen Frau ein wenigstens in ein Gespräch.«

468 Bringt im Frühjahr 1935 zehn Obstbäume für Cresspahls neu angelegten Garten.

702 Für die Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord im Oktober 1938 liefert er die Tannengirlanden, mit denen die Fahnenstangen auf dem Jerichower Marktplatz »verbunden und umwunden« sind, und repariert noch kurz vor Beginn des Festakts gelockerte Stellen, »ganz ungeniert schimpfend auf die Lausejungen, die ihn in seinem handwerklichen Rufe hatten schädigen wollen. Er meinte die Polizisten, die sich nicht immer vorgesehen hatten«.

711 Abendliches Gespräch über den Gartenzaun mit Lisbeth und Heinrich Cresspahl im Oktober 1938: »Ob sie denn ihre Dahlien schon in den Keller genommen hätten: fragte er.«

1235 Nach dem Selbstmord von Amalie Creutz im Oktober 1945 traut sich der Alte »nach fünfzig Jahren Lebens an einem Friedhof und Aufsicht bei Begräbnissen« nicht in das Zimmer zu seiner toten Schwiegertochter. Jakob Abs muss Amalie »von ihrer Drahtschlinge abschneiden«, und während Frau Abs die Tote versorgt und umkleidet, verharrt Creutz bei seinen Goldregenbüschen und geht »bis zum Morgen nicht ans Haus«. Bei der Beerdigung stützt er sich auf Jakob.

1236 Bringt Weihnachten 1945, nach Cresspahls Verhaftung, den Adventskranz »wie jedes Jahr«.

Vgl. auch 239. 273-274. 467. 675. 754. 1034.

Creutz, Amalie

Erste Frau von Erich Creutz, Friedhofsgärtner in Jerichow; Nachbarin der Cresspahls; erhängt sich im Oktober 1945.

140 »Erhängte sich im Oktober 1945 in ihrem Schlafzimmer. Sie tat es am hellichten Tag, zur Mittagszeit, vielleicht in der Hoffnung, sie würde noch rechtzeitig gefunden [...]. Sie war im dritten Monat schwanger, von irgend einem der elf Sowjetsoldaten, die sie im Gräfinnenwald vergewaltigt hatten. Das Gesuch des Bürgermeisters Cresspahl um eine Abtreibung wurde im Krankenhaus von Gneez und im Gesundheitsamt Schwerin zurückgewiesen. (Und Cresspahl wurde von der Spionageabwehr der Roten Armee in Haft genommen.) Nun hatte Amalie Creutz Angst vor ihrem Mann, der noch in französischer Gefangenschaft lebte. Sie hatte Angst vor der öffentlichen Meinung Jerichows, die Creutz hindern würde, ihr zu glauben.«

855 Kommt nach Lisbeth Cresspahls Tod (1938) und nach dem Weggang verschiedener Haushälterinnen »an zwei Tagen der Woche zum Saubermachen« zu Cresspahl.

1235 Nach ihrem Selbstmord muss Jakob Abs sie »von ihrer Drahtschlinge abschneiden«, und seine Mutter sie waschen und umkleiden, weil der alte Creutz vor dem Anblick seiner Schwiegertochter Angst hat. Auf Gesines Betreiben organisieren sie auch die Beerdigung. Amalie hat einen Brief an den inzwischen von den Sowjets inhaftierten Cresspahl hinterlassen, »der kam zu Cresspahls Sachen unter die Dielen«.

Vgl. auch 754. 783. 853. 1044. 1045. 1183. 1194. 1220-1221. 1236. 1243.

Creutz, Emmy (geb. Burbach)

Zweite Frau des Jerichower Friedhofgärtners Erich Creutz, geborene Burbach, Witwe; stammt aus Reichenberg in Schlesien.

137-140 Regelmäßig im Oktober schickt sie Gesine die Rechnung über die Pflege der Gräber von Jakob Abs, Lisbeth und Heinrich Cresspahl und legt Bilder von den Gräbern bei, die zeigen, dass sie Gesines Wünsche nur teilweise erfüllt. Sie lässt sich mit Westwaren bezahlen, die Gesine ihr auf komplizierten Umwegen über Ite Milenius schickt. – Sie ist 12 Jahre jünger als Erich Creutz, der sie 1950 geheiratet hat; sie war eine der Arbeiterinnen in seiner Gärtnerei. Anfangs war Erich Creutz »froh, daß sie ihm die Geschäftsführung abnahm«.

503 Im Dezember 1967 bittet Gesine Cresspahl Dr. Kliefoth nachzusehen, ob die Gräber ordentlich abgedeckt sind. »Erich Creutz mag wohl etwas tun wollen für mein Geld, aber Emmi Creutz hat schon versucht, ihn davon abzuhalten, und ich gönne ihr nicht die Befriedigung, daß sie zwar den alten Cresspahl nicht hat hereinlegen können, dafür seine Tochter um so mehr.«

944 Im Zuge der Befragungen, die die SED-Parteileitung von Jerichow im Herbst 1967/Frühjahr 1968 wegen Gesines Brief an die Gemeindeverwaltung von Rande (vgl. S. 8) durchführt, wird auch Emmy Creutz nach Gesine Cresspahl ausgefragt, wie Leslie Danzmann in ihrem Brief an Gesine vom März 1968 berichtet: »Emmy Creutz, bei der waren sie auch gewesen, dachte sich wohl was ganz Gefährliches.«

Creutz, Erich

Friedhofsgärtner in Jerichow, Sohn des alten Creutz, nach dem Tod seiner ersten Frau Amalie Creutz (1945) in zweiter Ehe verheiratet mit Emmy, geb. Burbach. Nachbar der Cresspahls.

121 Hat sich Jakob Abs' Grab »gerichtet als Ausstellung«, und »jedes Mal sagt er: So schön möcht ich auch mal liegen. Und dann kaufen sie.«

139 Er ist 1967 einundsiebzig Jahre alt.

140 Seine erste Frau Amalie hat sich im Oktober 1945 umgebracht, weil sie im dritten Monat schwanger war von einem der elf Sowjetsoldaten, die sie vergewaltigt hatten. Sie hatte »Angst vor ihrem Mann, der noch in französischer Gefangenschaft lebte. Sie hatte Angst vor der öffentlichen Meinung Jerichows, die Creutz hindern würde, ihr zu glauben.« Fünf Jahre später heiratet Creutz eine seiner Arbeiterinnen, »Emmy Burbach aus Reichenberg in Schlesien, Witwe. Sie war zwölf Jahre jünger als er, und anfangs war er froh, daß sie ihm die Geschäftsführung abnahm. Früher setzte er über ihre Rechnungsbriefe an Cresspahls Tochter: Liebe Gesine, und darunter: dein Erich Creutz. Jetzt steht da: Hochachtungsvoll, Emmy Creutz.«

503 Im Dezember 1967 bittet Gesine Cresspahl Dr. Kliefoth nachzusehen, ob die Gräber ordentlich abgedeckt sind. »Erich Creutz mag wohl etwas tun wollen für mein Geld, aber Emmi Creutz hat schon versucht, ihn davon abzuhalten, und ich gönne ihr nicht die Befriedigung, daß sie zwar den alten Cresspahl nicht hat hereinlegen können, dafür seine Tochter um so mehr.«

Vgl. auch 467. 644. 783. 1044. Anhang X.

Creutz, Jürgen

Sohn von Erich und Amalie Creutz.

139-140 »Jürgen, stellvertretender Befehlshaber im Militärbezirk Schwerin, Offizier der ostdeutschen Armee und Gegner des westdeutschen Fernsehens«.

Crivitz

Ort in der Nähe von Schwerin.

525 Bei Crivitz hatte Albert Papenbrock früher ein Gut gepachtet.

1286 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 kommt der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl durch Crivitz: Der »Weg durch Crivitz, er sollte ihn erinnern an etwas, ein Versprechen womöglich, er fand es nicht«.

Mit der Lokalisierung von Jakob Abs' Geburt »in einer Inspektorwohnung bei Crivitz« (1193) ist Johnson offenkundig ein Fehler unterlaufen. Jakob ist in Hinterpommern in einem Dorf an der Dievenow, einem Mündungsfluss der Oder, geboren (1083).

Cub, Gustav

1524 Gesine und Marie Cresspahl kommen überein, dass Heinrich Cresspahl mit seiner Haftzeit bei den Sowjets im Vergleich mit der üblichen Rechtspraxis der sowjetischen Besatzer noch geradezu glimpflich davongekommen ist. Im August 1948 etwa verurteilte das Sowjetische Militärtribunal Schwerin »einen Rostocker namens Gustav Cub und acht andere wegen Verbindung zu einem ausländischen Nachrichtendienst zu insgesamt 185 Jahren Arbeitslager«.

Cydamonoe

Phantasiewelt, in die sich die vierjährige Marie nach dem Umzug von Düsseldorf nach New York im Frühjahr 1961 rettet.

1482-1483 »Cydamonoe, die Marie von heute will es kaum noch wahrhaben. Gefunden hat es die andere, das Kind vom April und Sommer 1961, das unter seinem Kapotthut hervor sehr vorsichtig die Stadt New York betrachtete.« – »Sie sprach es angelsächsisch aus, mit scharfem S und dunkelbraun schaukelnden Vokalen«. Im Kindergarten beeindruckte sie ihren Freund David Williams mit ihren geheimnisvollen Reisen nach Cydamonoe. Er lachte sie nicht aus. »David Williams wurde ein Freund des Hauses Cresspahl.«

1484 Cydamonoe war »ein Ort, nur durch die Luft zu erreichen. Die Reise begann in dem Moment, da es dunkel wird im Kopf und das Kind am ganzen Leibe sich schlafen weiß. Das Fluggerät war Kopf und Körper, selbstgesteuert, ohne ›Stewardessens‹. Die Flugdauer betrug soviel Zeit, als man braucht, um sich fliegen zu merken. Das Aufsetzen geschah in dem Moment, da die Sonne hinter der Erde hervorfährt in einem beflissenen Hochsprung, wie ein befreundetes Tier, und es ist hell. Cydamonoe war eine Kolonie für Kinder, ein Kinder-Garten, was das Wort doch sagen will, war eine Zeit als Entschädigung für den falschen Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.«

1484-1488 Leben und Leute in Cydamonoe. – »Cydamonoe ist eine Republik der Kinder.«

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