Lexikon zu »Joseph und seine Brüder« (1933-43)
Abgeschlossene Einträge: 490 | Letzte Änderung: 21.07.2018
Uduntamku
Für den babylonischen Gott Uduntamku, »den Feisten, welcher dem Essen vorsteht, den Gott des Bauches«, singen Labans Leute bei der Vorbereitung zu Jaakobs Hochzeit Lieder (IV, 296).
TM folgt hier vermutlich Meissner (I, 416 f.), der Udun-tam-kú als den babylonischen ›Essensgott‹ bezeichnet.
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ummu-ummu
Bei Jaakobs Ankunft in Naharina hilft der aus Amurruland (Kanaan) stammende Hirte Jerubbaal als Dolmetscher und übersetzt seine Rede in »ummu-ummu«, d.h. in die Muttersprache Labans und seiner Hirten (IV, 224; vgl. auch 225, 233).
Akkad. »ummu« bedeutet Mutter (vgl. Wilhelm Gesenius: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das alte Testament. 18. Aufl. Berlin u.a. 1987, S. 69).
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Unterweisungsbaum Terebinthe und Tamariske
Ur (Uru)
Der Name der Stadt Ur in Chaldäa am Unterlauf des Euphrat, aus der Abraham stammt, gibt dem Erzähler Anlass zu Wortspielen, aus denen stehende Wendungen für die Bezeichnung Abrahams hervorgehen: Abraham ist »Ur-Abiram«, der »Mann aus Ur«, der »Ur-Wanderer«, der »Ur-Mann«, d.h. Abraham und die Stadt Ur sind, wie gleich auf der ersten Seite des Romans zu erfahren ist, einer jener »Anfänge bedingter Art, welche den Ur-Beginn der besonderen Überlieferung einer bestimmten Gemeinschaft, Volkheit oder Glaubensfamilie praktisch-tatsächlich bilden, so daß die Erinnerung, wenn auch wohl belehrt darüber, daß die Brunnenteufe damit keineswegs ernstlich als ausgepeilt gelten kann, sich bei solchem Ur denn auch national beruhigen und zum persönlich-geschichtlichen Stillstande kommen mag« (IV, 9 f.).
Das gilt auch für die Geschichte, die hier erzählt wird, und ihren Helden. »Joseph für sein Teil erblickte in einer südbabylonischen Stadt namens Uru, die er in seiner Mundart ›Ur Kaschdim‹, ›Ur der Chaldäer‹ zu nennen pflegte, den Anfang aller, das heißt: seiner persönlichen Dinge« (IV, 11).
In Ur wird der Mondgott Sin verehrt. Hier steht, wie Joseph weiß, die »große Mondburg von Ur«, der »getürmte Tempel des Sin-Gottes, nach welchem das ganze Land Sinear also benannt war« (IV, 11). Abraham ist der »Mondmann« (IV, 12 u.ö.): Von der Mondstadt Ur im Süden war er einst ausgezogen, um es dem Mond »gleichzutun und zu wandern« (IV, 11), und diese Wanderung führte ihn zuerst, bevor er nach Kanaan weiterzog, zu einer anderen großen Mondburg, nach Charran, der »Mondstadt des Nordens« (IV, 12), wo der Tempel des Bel-Charran steht, den Jaakob später missbilligend betrachten wird (IV, 250).
Der Erzähler vermutet allerdings, dass Abraham in Wahrheit »die Mondburg von Uru niemals gesehen« hat, sondern schon sein Vater Terach von Ur ausgewandert war (IV, 17). Ähnlich denkt auch Joseph, zumindest »in genauen Stunden, am Tage« (ebd.). Lieber allerdings ist ihm die Geschichte vom »Ur-« und »Mondmann« Abraham, an dessen Auszug aus Sinear er »im Sinne praktischen Notbehelfs« glaubt. Denn »sein Wunsch, dem Geschehen, dem er angehörte, einen Anfang zu setzen, begegnete derselben Schwierigkeit, auf welche ein solches Bemühen immer stößt: der Schwierigkeit eben, daß jeder einen Vater hat und daß kein Ding zuerst und von selber ist, Ursache seiner selbst, sondern ein jedes gezeugt ist und rückwärts weist, tiefer hinab in die Anfangsgründe, die Gründe und Abgründe des Brunnens der Vergangenheit« (IV, 17 f.).
»So bilden sich Anfänge und Vorlagerungen der Vergangenheit, bei denen besondere Erinnerung sich geschichtlich beruhigen mag, wie Joseph bei Ur, der Stadt, und des Ahnen Auszug aus ihr« (IV, 49).
Vgl. Übersichtskarte. – Wie Charran im Norden, so war Ur im Süden Hauptsitz des babylonischen Mondkultes (Jeremias I, 261). – Zur »großen Mondburg von Ur« (IV, 11) vgl. die Seite des British Museum über die Zikkurat von Ur. – Fotografien der (restaurierten) Überreste finden sich bei Wikipedia.
Abb.: Die Zikkurat von Ur nach Zeichnungen von William Loftus (um 1850).
Letzte Änderung: 11.08.2013 | Seitenanfang / Lexikon | Zurück
Urim und Tummim
Von der der »merkwürdigen Formel ›Urim und Tummim‹« ist die Rede im Zusammenhang mit Josephs Sympathie für Menfe, die von buntem »Lebensgewimmel« erfüllte Stadt mit dem »uralten Grabesnamen« (V, 1508), »deren Tote nicht übers Wasser zu fahren brauchten, weil sie schon selber im Westen des Stromes lag« (V, 1507). In seinen Reflexionen über Josephs Entschluss, in der »witzigen Grabes-Großstadt« (V, 1509) zu wohnen (V, 1505-1509), beschreibt der Erzähler diese Sympathie als Ausdruck einer »Frömmigkeit zum Tode«, die »getönt und durchwärmt ist von Freundlichkeit zum Leben, diese aber vertieft und aufgewertet von jener« (V, 1508). In ihr offenbare sich der innerste Kern und »das Tiefste seiner Natur«, die Natur des doppelt Gesegneten, »von oben herab und von der Tiefe, die unten liegt« (ebd.), die Hermes-Natur des Mittlers »zwischen entgegengesetzten Sphären und Einflüssen« (V, 1758), zwischen Leben und Tod, Ober- und Unterwelt, Tag und Nacht.
Zur Untermauerung dieser Feststellungen kommt der Erzähler dann, »einige gründliche Gelehrsamkeit« übend, auf jene hebräische Formel zu sprechen, die nur scheinbar einen Gegensatz beschreibe: Zwar bedeute »Urim« das Helle, Fröhliche, Lebensbejahende, während »Tummim« für den lebensverneinenden, »dunklen, vom Tode beschatteten Welt-Aspekt« stehe. In Wahrheit aber umfasse das Wort »Tummim«, in dem auch das Adjektiv »tâm« stecke, beides: »Tâm oder Tummim ist das Helle und Finstere, das Oberweltliche und Unterweltliche zugleich und im Austausch – und Urim nur das Fröhliche, in Reinkultur davon abgesondert.« (V, 1508) Die Formel scheint mithin das über Josephs Doppel-Natur Gesagte nur wiederholen zu wollen: Die in »Tâm oder Tummim« steckende Lebensfreundlichkeit ist durch das Wissen um ihren Widerpart, den Tod, durch die Achtung vor ihm »vertieft und aufgewertet« (ebd.) wie umgekehrt die »Andacht [...] zum Tode und zur Vergangenheit« (V, 1507) durch sie »getönt und durchwärmt« (V, 1508) wird.
Tatsächlich aber geht der Erzähler mit diesen ›gelehrten‹ Reflexionen unmerklich einen Schritt weiter, nicht umsonst markiert er die Einführung der »merkwürdigen Formel« als Übergang zu »Untersuchungen der moralischen Welt« und betont deren ›Verwickeltheit‹ (V, 1508). In der moralischen Welt geht es am Ende um die Frage, was gut und was böse sei, und auch wenn diese beiden Begriffe elegant umgangen werden, sind sie doch gegenwärtig in der Auskunft, dass das Wort »tâm«, das auch in »Tummim« stecke, soviel wie »redlich« bedeute (ebd.). ›Redlich‹ ist ja nun zweifellos ein moralischer Begriff, »Urim und Tummim«, das Helle und das Hell-Dunkle, sind demnach auch moralisch kodiert. Dass der Erzähler meint, das Wort tâm sei »mit ›redlich‹ sehr schwach übersetzt«, leuchtet in moralischer Perspektive erst so recht ein. Denn wenn tâm oder Tummim »das Helle und Finstere, das Oberweltliche und Unterweltliche zugleich und im Austausch« sind, dann sind sie, in moralischer Hinsicht, das Gute und das Böse »zugleich und im Austausch«.
Dass hier von dem moralischen Sinn des Gegenparts »Urim« nicht weiter die Rede ist, leuchtet ein: Das Gute »in Reinkultur« kommt in der »moralischen Welt, die eine verwickelte Welt ist«, nicht oder nur in der unbedarft-naiven Form des ›reinen Toren‹ vor. Man kann es sogar ganz außer Acht lassen und hat trotzdem – in dem doppelsinnigen »Tummim« – immer noch das Ganze: Eben weil Urim und Tummim »eigentlich keinen Gegensatz« bilden, kann man hier »das geheimnisvolle Faktum beobachten, daß, wenn man vom Ganzen der moralischen Welt einen Teil absondert, immer noch das Ganze dem Teile gegenübersteht« (V, 1508 f.). In »Tummim« ist dieses Ganze präsent. »Tummim« und »tâm« reflektieren offenbar die conditio humana schlechthin, bezeichnen das menschenmögliche Gute, dem sein Gegenteil immer inhärent ist. Als Beispiel wird Jaakob genannt, der sanfte »Mond-Hirte«, von dem es »immer geheißen [hatte], er sei ›tâm‹, nämlich ›redlich‹ und wohne in Zelten« (V, 1508). Gleichwohl hat er »den Hauptteil seines Lebens in der Unterwelt, nämlich bei Laban« verbracht, und »mit ›redlich‹ sind die Mittel, mit denen er dort golden und silbern wurde, mehr als ungenau bezeichnet. ›Urim‹ war er gewiß nicht, sondern eben ›tâm‹, nämlich ein Weh-Frohmensch, wie Gilgamesch.« (V, 1509)
»Urim und Thummim« bezeichneten vermutlich Lossteine, die die Hohepriester in einer an ihrem Gewand befestigten Lostasche trugen und mit deren Hilfe sie den göttlichen Willen in Losorakeln erfragten. Jeremias vermutet, dass die Urim und Thummim »Edelsteine waren, von denen der eine (helle) die Ja-Antwort und der andre (dunkle) die Nein-Antwort des göttlichen Orakels ergab« (Jeremias I, 391). Die Bedeutung der in der Bibel in Exodus 28, 30 u.ö. begegnenden Ausdrücke ist allerdings unklar; Luther übersetzt sie mit »Licht und Recht«.
Thomas Mann stützt sich bei der Explikation des Begriffspaars auf Jeremias (I, 316), der auch den etymologischen Zusammenhang zwischen »tâm« und »Tummim« herstellt: »Im Gegensatz hierzu [zu Esau] heißt es von Jakob: er war tâm (redlich) und wohnte in Zelten. tam ist ein Motivwort […], das auch in Urim und Tummim vorliegt. Es gehört zu den Gegensinn-Worten, die Ja bez. Nein, Licht bez. Finsternis, Leben bez. Tod bedeuten. Im Kreislauf können in den Wendepunkten die Eigenschaften des einen auf den anderen übergehen, da ja der Kreislaufrepräsentant in der Oberwelt oder in der Unterwelt sein kann. Die einander entgegengesetzten kritischen Punkte samt ihren Motiven können deshalb vertauscht werden […]. In Urim und Tummim steckt das tam-Motiv im bösen Sinne (Nein, Finsternis, Tod im Gegensatz zu dem lichten, bejahenden Urim), aber auch im guten Sinne. In unserer Stelle [d.i. Genesis 25,27] bedeutet es offenbar die gute Seite.«
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Uru Ur
Uruk
Die alte sumerische Stadt in Chaldäa wird im Zusammenhang mit der Geschichte von Engidu und der »Dirne aus Uruk« (aus dem Gilgamesch-Epos) erwähnt, die dem jungen Joseph besonders gut gefällt (IV, 408, 533).
Vgl. Übersichtskarte.
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Urusalim (Uru-schalim, Jebus)
Urusalim verdankt seinen Namen der westsemitischen Sonnengottheit Schalim (IV, 384). Zu Josephs Zeit dient man dort der Aschtarti (IV, 10), weshalb Jaakob seinem für die Reise zu den Brüdern gerüsteten Lieblingssohn »streng untersagt«, sich dort mit den Tempeldirnen der Aschera »auch nur in das kleinste Gespräch einzulassen« (IV, 529). Die Stadt ist Ägypten tributpflichtig und wird von einem Hethiter namens Putichepa verwaltet, der »im Auftrage des ägyptischen Ammun den Hirten und Steuereinnehmer machte« (IV, 384).
Vgl. Karte von Kanaan. – Urusalim ist Jerusalem. Die Rückführung des Namens Urusalim oder Uru-schalim auf die westsemitische Sonnengottheit Schalim (Šalim) fand TM bei Jeremias I (252).
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Usarsiph Joseph
Usir (Usiri, Osiris)
Der Fruchtbarkeitsgott und Gott der Unterwelt ist die ägyptische Entsprechung des Tammuz oder Adonis, »des blühenden Jünglings, den der Eber verstümmelte« (IV, 71). Den Part des ›Ebers‹ übernimmt hier Set, Usirs »tückische[r] Bruder«, der »rote Typhon« (IV, 192), der seinen Bruder Usir »erstens in eine Sarglade gelockt und in den Fluß geworfen, dann ihn aber auch noch wie ein wildes Tier in Stücke gerissen und völlig gemordet hatte, so daß Usir, das Opfer, nun als Herr der Toten und König der Ewigkeit in der Unterwelt waltete« (IV, 21). Den Part der Ischtar, die Tammuz aus der Unterwelt erlöst, spielt hier (mit weniger Erfolg) Usirs Schwester und Frau Eset (Isis).
Die Legende von Usir, Set und Eset wird im Roman in einem Traum Jaakobs von Anup erzählt (IV, 288-293). Danach sind Usir und Eset, Set (Seth) und Nebthot (Nephthys) Geschwister, Kinder der Götter Geb und Nut, und zugleich ehelich verbundene Paare (IV, 290). Eines Nachts zeugt Usir, im Glauben, seine Gattin Eset zu umarmen, mit seiner Schwester Nebthot den Anubis, erst am Morgen bemerken beide ihr »Versehen« und fliehen entsetzt voneinander (IV, 291 f.). Set entdeckt den Ehebruch und verfolgt seinen Bruder, lockt ihn in eine »Lade«, wirft ihn in den Nil und wird so »König aller Länder auf dem Throne Gebs« (IV, 292). Später zerreißt er den toten Bruder in vierzehn Stücke, und Eset, Nebthot und Anup suchen klagend nach den Teilen des Toten, die sie auch finden bis auf eines, »sein heilig Geschlecht, das ganz verloren scheint«. Sie setzen den Körper wieder zusammen, ersetzen das fehlende Teil durch eine »Nachbildung aus Sykomorenholz« und wickeln den Toten. Schließlich empfängt Eset, in der Gestalt eines Geierweibchens über dem Gewickelten schwebend, von dem toten Gatten den Horus, denn, so Anubis, »im Geschlecht ist der Tod und im Tod das Geschlecht, das ist das Geheimnis der Grabkammer, und das Geschlecht zerreißt die Wickelbinden des Todes und steht auf gegen den Tod«. Der träumende Jaakob findet die Geschichte »unflätig«: »Da tut man am besten, zu erwachen« (IV, 293).
Aus dem Geheimnis der ›rollenden Sphäre‹ (vgl. IV, 188-194) und ihrer »Wahrheit, daß Götter Menschen, Menschen dagegen wieder Götter werden können«, geht nach Überzeugung des Erzählers unzweifelhaft hervor, dass Osiris »einst ein Mensch war«, ein ägyptischer König, der dann »ein Gott wurde – mit der beständigen Neigung freilich, wieder zum Menschen zu werden«. Was er zuerst war, Gott oder Mensch, lasse sich nicht sagen, »denn einen Anfang gibt es nicht in der rollenden Sphäre« (IV, 190). Deshalb spreche auch vieles dafür, dass eine erste Einigung des ägyptischen Reiches nicht erst durch den legendären Pharao Menes, sondern schon weit früher durch Set und Usir bewerkstelligt worden sei, was dann auch die Annahme bestätige, dass die Geschichte des Brudermords weniger mit einem Ehebruch zu tun hatte als vielmehr mit Thronstreitigkeiten (IV, 22 f.).
Weiter sei aus den Regeln des »sphärischen Geheimnisses« zu folgern, »daß Usir selbst bereits seine Herrschaft einer Mordtat verdankte und daß ihm als König geschah, was er als Typhon getan« (IV, 191). Denn »vermöge der Drehung« der Sphäre ist »die Ein- und Einerleiheit der Person« durchaus vereinbar mit dem »Wechsel der Charakterrolle«: »Man ist Typhon, solange man in mordbrütender Anwärterschaft verharrt; nach der Tat aber ist man König, in der klaren Majestät des Erfolges, und Gepräge und Rolle des Typhon fallen einem anderen zu« (IV, 191 f.).
Set und Usir sind eine Erscheinungsform des »›großen‹ Mythus« von den ungleichen Brüdern, in dessen Spuren auch die Brüderpaare Kain und Habel, Cham und Sem, Ismael und Isaak, Esau und Jaakob gehen, in denen sich die Geschichte vom ›Roten‹ und ›Glatten‹, vom ›Jäger‹ und ›Hirten‹, vom unrechten und ›wahrhaften Sohn‹ immer neu wiederholt (IV, 200).
Die Ägypter sehen in Usir »den Wohltäter, der sie zuerst im Ackerbau unterrichtet und ihnen Gesetze gegeben hatte, worin er eben nur durch den tückischen Anschlag des Set unterbrochen worden war« (IV, 26). Usir ist »groß in der Liebe des Volkes«, und alle hängen ihm an »in Innigkeit und in der Zuversicht, gleich wie er zu werden zu ihrer Stunde und ewig zu leben« (IV, 690).
Die ›Meinung‹, dass jedermann nach seinem Tod wie Usir und Gott wird, hat sich das ägyptische Volk »erringen müssen in langem Ringen«, denn ursprünglich habe dies nur für den Pharao selbst gegolten, erklärt der alte Midianiter seinem Jungsklaven Joseph auf dem Weg nach Ägypten. »Aber alle die Hustenden, die Statuenschlepper, die Ziegelstreicher, die Töpfebohrer, die hinter dem Pfluge und die in den Bergwerken, sie haben nicht geruht und haben gerungen, bis sie's durchgesetzt hatten und gültig gemacht, daß sie nun alle zu ihrer Stunde Usiri werden« (IV, 691). Joseph sieht darin ein Zeichen für fortgeschrittene Individuation (ebd.). Aufgrund dieser Lehre tragen alle Toten den Beinamen ›Usir‹.
Usir ist der »Erste des Westens« und Herrscher über »das Untere« (IV, 690). Als Herr der Unterwelt, des »unterirdischen Schafstalls« (V, 1761), ist er in der Vorstellung des ägyptischen Volkes »König und Richter der Toten« (IV, 690) und führt den Vorsitz bei dem Totengericht, vor dem sich die Toten verantworten müssen (IV, 860 f.; V, 1448-1450).
Als Vegetationsgott ist Osiris eng mit Chapi, dem Nil, verbunden. Tod und Wiederkehr der Gottheit wiederholen sich »im Gleichmaß der Gezeiten«, weiß der alte Midianiter zu berichten. »Zählst du die Tage der Winterzeit, da der Strom klein ist und das Land trocken liegt, so sind's zweiundsiebzig, und die Zweiundsiebzig sind's, die mit Set, dem tückischen Esel, verschworen waren und in die Lade brachten den König. Aber aus dem Unteren geht er hervor zu seiner Stunde, der Wachsende, Schwellende, Schwemmende, der Sichvermehrende, der Herr des Brotes, der alle guten Dinge zeugt und alles leben läßt, mit Namen ›Ernährer des Landes‹« (IV, 692). Am Ende dieses Gesprächs mit seinem ›Herrn und Käufer‹ (IV, 689) gibt Joseph sich seinen neuen Namen: »Usarsiph« (IV, 693).
Das große Fest des Usir wird »um die Zeit des kürzesten Tages« gefeiert. Joseph betrachtet die dabei geübten Volksbräuche »um Jaakobs willen sehr abgerückt«, auch wenn er sie – ähnlich wie früher die Tammuz-Kulte in Kanaan – »mit neigungsvoller Aufmerksamkeit« verfolgt (V, 967). Seine Distanz ist der obszönen Vorstellung des »wickelzerreißenden Zeugungsstandes« des toten Usir und einer halb bewussten »Gewissensfurcht« vor Untreue geschuldet, vor »Untreue gegen den ›Herrn‹«, die sich für ihn mit dieser Vorstellung verknüpft (V, 968 f.), – es ist die Zeit, in der Mut-em-enet ein Auge auf den schönen Sklaven zu werfen beginnt.
Wie bei seiner ersten Fahrt in die ›Grube‹ dem ›zerrissenen Schäfer‹ Tammuz-Adonis, vergleicht er sich bei der zweiten Fahrt dem Osiris: Das Ochsenboot, das ihn den Nil hinab ins Gefängnis Zawi-Rê bringt, kommt ihm vor »wie Usirs Barke, wenn er niederfährt, den Unteren Schafstall zu erleuchten und die Bewohner der Höhlen zu grüßen auf seiner nächtlichen Fahrt« (V, 1301). Seinem Wächter Cha'ma't kommt die Galle hoch über soviel Anmaßung (V, 1301 f.).
Bei den Priestern im ›lehrhaften On‹ (Heliopolis) begegnet Joseph einer Form monotheistischer Theologie, die Usir – als Herrn der Nacht – mit dem Sonnengott vereinigt, indem sie ihn als dessen nächtliche Erscheinungsform deutet. Die Sonnenpriester pflegen eine »Zusammenschau« der vielen Götter Ägyptens, die das ägyptische Pantheon auf zwei Götter reduziert, »einen der Lebenden, das war Hor im Lichtberge, Atum-Rê; und einen Totenherrn, Usir, das thronende Auge. Das Auge aber war auch Atum-Rê, nämlich das Sonnenrund, und so ergab sich bei zugespitztem Denken, daß Usir der Herr der Nachtbarke war, in welche, wie jedermann wußte, Rê nach Untergang umstieg, um von Westen nach Osten zu fahren und den Unteren zu leuchten. Mit anderen Worten: auch diese beiden großen Götter waren genaugenommen ein und derselbe« (IV, 735).
Echnatôn, der den Sonnengott Atôn absolut setzt, glaubt weder an das Totengericht noch an Osiris selbst, den »Fürchterlichen«, der zwar gerecht, aber »gnadenlos« sei. Der ganze Osirisglaube sei nur ein Instrument der Einschüchterung: »Es ist alles nur Verängstigung mit diesem alten Glauben, der selber tot ist, ein Osar-Glaube, und meines Vaters Sohn glaubt nicht daran!« Deshalb äußert er auch Missfallen über den Namen, den Joseph sich gegeben hat: »Osarsiph, das ist ja ein Totenname« (V, 1448).
Potiphars Eltern Huij und Tuij, die ehelich verbundenen Geschwister, vergleichen sich Usir und Eset, und ihren Sohn nennen sie »unseren Hor« (IV, 867).
Jaakobs Leichnam wird auf Geheiß seines Lieblingssohnes nach ägyptischem Brauch behandelt, »prunkvoll ausgestopft und verschnurrt zur Osiris-Mumie« (V, 1807). Für die Ägypter heißt Jaakob nun »Osiris Jaakob ben Jizchak« (V, 1815).
Band IV: 21 f., 26, 32, 54, 71, 93, 111, 131, 190 f., 193 f., 200, 289-293, 420, 434, 457, 690-693, 710, 721, 735, 758-760, 764, 772, 789 f., 840, 859, 865, 867. – Band V: 967-969, 998, 1003, 1129, 1244, 1295, 1301 f., 1343, 1351, 1360, 1362, 1375, 1448-1451, 1466, 1598, 1626, 1761, 1807, 1809, 1812, 1815.
Vorbilder für die enge Verbindung zwischen Osiris und Tammuz-Adonis fand TM in seinen Quellen reichlich, u.a. bei Mereschkowskij: »Tammuz und Osiris sind keine zwei Götter, sondern ein Gott der [...] vorbabylonischen und vorägyptischen Urzeit« (208). Weiteres fand er bei Erman/Ranke (S. 305-309 u. pass.). – Die Verbindung zwischen Joseph und Osiris (und Tammuz) stellt bereits Jeremias I (332 u.ö.) her.
Abb.: (1) Hölzerne Osiris-Figur (um 1275 v. Chr.). – (2) Papyrus (Ausschnitt) aus dem Totenbuch des Schreibers Hunefer (um 1275 v. Chr.). – (3) Osiris als Fruchtbarkeitsgott.
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Utnapischtim (Noah-Utnapischtim, Utnapischtim-Atrachasis)
Der Held der Sintfluterzählung des Gilgamesch-Epos wird im Roman mit dem biblischen Noah identifiziert: Noah sei derselbe, »den die Babylonier Utnapischtim und dazu Atrachasis, den Hochgescheiten, nannten und der seinem späten Enkel, Gilgamesch, dem Helden jener Tafel-Mären, die anfänglichen Dinge berichtete« (IV, 24). Deshalb wird Noah oft »Noah-Utnapischtim« genannt (IV, 28, 413; V, 1297, 1485).
›Utnapischtim‹ oder ›Noah-Utnapischtim‹ ist auch der Spitz- und Spottname, den die Brüder Joseph geben: Sie nennen ihn »spottend Noah-Utnapischtim, den Erzgescheiten, den Leser von Steinen von vor der Flut« (IV, 413). Die »Gutmütigkeit dieser als Ekelnamen gedachten Bezeichnungen« erklären sich nach Überzeugung des Erzählers »durch den Mangel der jungen Leute an Erfindungsgabe und Einbildungskraft«, denn sie hätten ihm »wahrhaftig gern schärfere gegeben, nur fielen ihnen keine ein« (IV, 459).
Als Pharaos Wirtschaftsminister macht Joseph dem brüderlichen »Ekelnamen« alle Ehre, »indem er sich als Utnapischtim-Atrachasis, als Noah, der Hochgescheite, erwies, als Mann der Voraussicht und der Vorsorge, dessen Arche sich auf der Flut schaukelt« (V, 1485). Denn Noah-Utnapischtim ist das »Ur-Muster aller Weisheit, das ist: aller wissenden Vorsorge«: »Noah-Utnapischtim, hieß er nicht darum der Erzgescheite, weil er die Flut hatte kommen sehen und ihr vorgebeugt, nämlich den Kasten gebaut hatte?« (V, 1297)
Jeremias I (105, Anm. 8 und 9) nennt Utnapischtim den ›babylonischen Noah‹. Die Namensvariante »Atrachasis« referiert auf die Sintfluterzählung des altbabylonischen Atrachasis-Epos. TM kannte diese und die übrigen zu seiner Zeit bekannten Versionen der Sintfluterzählung aus Ungnad, 66-127 und Jeremias I, 117-127.
Letzte Änderung: 31.08.2010 | Seitenanfang / Lexikon | Zurück
Uto
In den »alten Hauptstädten der Länder, Buto und Enchab« (IV, 23), sind die zwei Schutzgöttinnen beider Länder beheimatet, Uto, die Schutzgöttin Unterägyptens, in Buto, und Nechbet, die Schutzgöttin Oberägyptens, in Enchab oder Necheb. Vor der ersten Rückreise der Brüder von Ägypten nach Kanaan empfiehlt Joseph ihnen, die Gerste »vom Lande Uto's, der Schlange« zu nehmen, »sie ist die bessere« (V, 1626).
Uto hat, wie TM bei Erman (32) lesen konnte, »die Gestalt einer Schlange« (vgl. ebd., Abb. 17) und war wie Nechbet in Oberägypten die Patronin des Königs von Unterägypten. Die Namensvariante ›Buto‹ sei einer »griechischen Verwechslung« ihres Namens mit dem Ortsnamen geschuldet (ebd.).
Letzte Änderung: 14.05.2018 | Seitenanfang / Lexikon | Zurück
Utukku
Ein Krankheit bringender Dämon in der mesopotamischen Mythologie. Rahels Mutter Adina legt der schwangeren Tochter Salbenverbände nach alten Rezepturen auf und murmelt Formeln, die Utukku und andere böse Geister vertreiben sollen: »Der böse Utukku, der böse Alu mögen beiseite treten; böser Totengeist, Labartu, Labaschu, Herzkrankheit, Bauchgrimmen, Kopfkrankheit, Zahnschmerz, Asakku, schwerer Namtaru, geht aus dem Hause, beim Himmel und bei der Erde sollt ihr beschworen sein!« (IV, 337).
Die Darstellung stützt sich auf Meissner (v.a. Band II, 199 ff. u.ö.). Der böse Utukku »hat es besonders auf den Nacken der Kranken abgesehen« (ebd. 200). Adinas Beschwörungsformeln und die Zusammensetzung ihrer Salbe sind ebenfalls aus Meissner entnommen (vgl. II, 222 und 317); vgl. auch Jeremias II (163 f., 410-417).