Lexikon zu Uwe Johnsons »Jahrestage« (1970-1983)
K
Kägebein, Waldemar
Verwalter von Albert Papenbrocks Kornspeicher in Jerichow.
570 Kägebein wusste »aus Aereboes Handbuch der Landwirtschaft Manches auswendig [...], was Papenbrock nachzuschlagen hatte«.
1163. 1358. Nach dem Krieg Mitbegründer der CDU in Jerichow.
Vgl. auch 1351. 1371. 1403.
Bei dem S. 570 erwähnten Handbuch handelt es sich um: Handbuch der Landwirtschaft. Hrsg. von Friedrich Aereboe, Johannes Hansen und Theodor Roemer. 5 Bde., Berlin 1929/1930.
Kalkhorst
Gemeinde im Nordwesten Mecklenburgs im Klützer Winkel.
1114 Eine der Gemeinden im Jerichower Winkel, in denen die angeschwemmten Leichen vom Untergang der Cap Arcona im Mai 1945 beerdigt wurden.
Karow
Gemeinde in Mecklenburg in der Nähe des Plauer Sees.
725-726 Am 8. November 1938, nach Lisbeth Cresspahls Tod, fährt die fünfjährige Gesine mit ihrem Vater nach Malchow und von dort weiter nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs. »Das Kind lernte: Blankenberg am See, Sternberg am See, Goldberg am See, Malchow am See, und noch heute ist der Name Karow im Gedächtnis eine trockene Stelle, weil da nichts war als Bahnhof und Straße und der Gasthof Habben.«
1286 Auf dem Gefangenentransport nach Fünfeichen kommt Cresspahl u.a. durch Karow.
Vgl. auch 946.
Karsch
Deutscher Journalist, wohnhaft in Mailand. Langjähriger Freund von Gesine Cresspahl.
118 »In Mailand lebte eine Zeitlang Vito Genovese als Nachbar von Karsch.«
157 Gesine nimmt sich vor, einen Bericht der New York Times über die New Yorker Mafia an den »früheren Nachbarn« von Mafiaboss Vito Genovese in Mailand zu schicken.
167-168 In seiner »Phonopost« berichtet D.E. von einem vergeblichen Versuch, Karsch in Mailand zu treffen. »Euren Karsch laßt euch abmalen.«
278 Karsch ruft Gesine am 9. November 1967 an.
282-286 Mittagessen mit Gesine und Marie Cresspahl am 11. November 1967 im Restaurant der Vereinten Nationen in New York. – »Das gibt es nicht, daß man einem noch nach Jahren traut, ohne Frage, ohne Prüfung, in ganz verdachtloser Freude des Wiedersehens. Das gibt es.« – Hat einen Sohn in Hamburg. – »Karsch ist nach New York gekommen, um für ein Buch zu arbeiten«, ein Buch über die Mafia. – »Karsch sieht krank aus. Seine Haare sind fast ganz weiß geworden, mit wenigen dunkleren Strichen darin. Er trägt sie lang, sie stehen ihm wie kleine Wolken um die Schläfen«. – Nach dem Essen bekundet Marie, dass sie ihn hasse.
322-330 Wird am 19. November 1967 von der Mafia entführt und befreit durch das Lösegeld, das Gesine und Marie Cresspahl mit Hilfe von D.E. auftreiben und in Newark übergeben. Am Tag darauf meldet Karsch sich wohlbehalten aus London.
393-397 Karsch schickt einen Blankoscheck »für was eine neue Telefonnummer kostet«. Gesine liest die Druckfahnen eines seiner Artikel über seinen Aufenthalt in den USA und seine Erfahrungen mit der Mafia in New England.
977 Ist in den letzten Kriegstagen desertiert, findet Unterschlupf bei Martin und Gertrud Niebuhr, die ihn im April 1945 auf dem Dachboden ihres Hauses an der Havelschleuse bei Wendisch Burg verstecken.
981 Er hat auf Gesines Bitte in Deutschland ein Rosenthal-Service für Mrs. Ferwalter besorgt.
993 Kommt nach dem Krieg auf seinem Weg aus dem sowjetisch besetzten Deutschland in die Britische Zone durch das anfangs noch britisch besetzte Jerichow, das ihm »geradezu opulent« erscheint.
1393 Am 20. Juni 1968 kauft Marie Cresspahl Päonien. »Heute hat doch Karsch Geburtstag.«
1422 Muss ein halbes Kapitel aus seinem Buch über die Mafia umarbeiten, nachdem im Juni 1968 in Palermo 17 Mafiosi von der Anklage freigesprochen worden sind.
1657 Gesine redigiert Karschs Buch über die Mafia.
Vgl. auch 305. 342. 343. 477. 1002. 1088. 1446.
Karsch ist eine der Hauptfiguren in Johnsons »Das dritte Buch über Achim« (1973) und »Karsch und andere Prosa« (1964). Vgl. auch »Begleitumstände« (1980), 299-302.
Kaschnitz, Marie Luise
Deutsche Dichterin (1901-1974).
1449 Im Zusammenhang mit Reflexionen über Gesine Cresspahls Kindheit: »Marie Luise Kaschnitz aber hat gesehen und sagt, wie ein Kind sich schaden kann an einem vollkommenen Bündnis der Eltern. Die halten zusammen gegen das Kind, lassen es nicht zu sich einzeln, verweigern ihm das Aussuchen unterschiedlicher Ansätze fürs Lieben«.
Katze(n)
43 Marie Cresspahl glaubt D.E.'s Geschichten, auch der »von seinen Katzen, die zählen können«.
64 Die ›Katze Erinnerung‹: »Das Stück Vergangenheit, Eigentum durch Anwesenheit, bleibt versteckt in einem Geheimnis, verschlossen gegen Ali Babas Parole, abweisend, unnahbar, stumm und verlockend wie eine mächtige graue Katze hinter Fensterscheiben, sehr tief von unten gesehen wie mit Kinderaugen.«
65 Die Regentonnengeschichte: Eine Katze, die »innen am Küchenfenster lag«, hat die vierjährige Gesine veranlasst, auf die Regentonne zu steigen, in der sie fast ertrunken wäre.
121 Heinrich Cresspahls Katze in seinen letzten Lebensjahren in Jerichow: »Wo der Ofen die Dielen gewärmt hat liegt die Katze die ganze Nacht, so breit ausgestreckt wie sie kann. Sie horcht. Sie horcht auf die Taschenuhr auf dem Tisch, auf das Knacken des Stuhls.«
149 Lisbeth Cresspahls unglückliches Leben in Richmond: »Aber allein mit Cresspahl und der Katze hätte sie nicht einmal die Katze harmlos anreden können.«
269 Katzen in D.E.'s Haus in New Jersey.
358 Am Tag des ›Judenboykotts‹ am 1. April 1933 stehlen Ossi Rahn und seine SA-Kumpanen Oma Klug eine kranke Katze aus ihrem Korb.
388 Gesine zu Marie: »Dein Vater konnte gut mit Mädchen. Er konnte gut mit alten Frauen, mit Cresspahl meistens, mit Katzen, mit allen seinen Freunden.«
454 Über die zweijährige Gesine Cresspahl: »Das Kind hielt die folgenden Worte für wichtig und versuchte sie nachzuahmen: Cresspahl, Bär, Buttermilch, Katze.«
617-619 Die Rolle der Katze in der Regentonnengeschichte: »Sie mochte mich nicht. Ich wollte sie zum Spielen überreden; sie aber lag lieber innen am Küchenfenster und besah sich die Vögel. Sie war auch alt, nicht bloß träge. Das Kind stand oft da draußen, hatte den Kopf im Nacken, sah zur Katze hinauf und redete mit ihr, und die Katze sah mich an, als wüßte sie ein Geheimnis und würde es mir doch nicht sagen.« – Nachdem Cresspahl das Kind aus der Regentonne gerettet hat und die Familie am Mittagstisch sitzt, legt sich die Katze auf Cresspahls Fuß. »Und ich sagte: Vadding de Katt! Und er sagte: Dor kann se ruich sittn gån [Da kann sie sich ruhig hinsetzen]. Und sah mich an, als wundere er sich mit mir gemeinsam über die Katze und sei mit mir zusammen wie sonst.«
654 Cresspahls Beziehung zu Katzen.
670 Gesine im Gespräch mit Marie: »ich weiß nicht, warum meine Erinnerung es aufgehoben hat. Warum nicht einen anderen Anblick, einen mehr vernünftigen Wortwechsel?« – Marie: »Die Katze Erinnerung, wie du sagst.« – Gesine: »Ja. Unabhängig, unbestechlich, ungehorsam. Und doch ein wohltuender Geselle, wenn sie sich zeigt, selbst wenn sie sich unerreichbar hält.« – Vgl. auch Erinnerung und Gedächtnis.
838 Bei den Paepckes werden auch Katzengeburtstage gefeiert.
1106 Heinrich Cresspahl reagiert auf die Drohungen des sowjetischen Stadtkommandanten von Jerichow, K. A. Pontij, wie die grinsende Katze von Cheshire auf die Herzkönigin (in »Alice in Wonderland«), die langsam verschwinden kann, bis nur noch ihr Grinsen übrig ist.
1471 Gesine Cresspahl beobachtet de Rosny, während er ihr eine unangenehme Mitteilung macht: »er ist immer schneller geworden; bei jedem anderen hätte sie Befangenheit, Scham, Geniertheit für sicher angenommen. Dieser lächelt nur ein wenig. Bei Cresspahls Katzen hab ich das gesehen, da hielten sie die Pfote über der Maus.«
1532-1533 Die Schülerin Gesine Cresspahl hindert die Cresspahlsche Katze daran, ein aus dem Nest gefallenes Amselküken zu fangen, »und nahm in Kauf, daß das Biest sie für verblödet erachtete«.
1601 Über Jakob Abs: »Seht diesen Jakob an, der eine eingeregnete Katze mitbringt ins Haus und das triefende Bündel am Nacken vor sich hält, bis er es endlich fallen läßt mit dem Befund: Naß wie ein Jonas!«
1809 Die versehentlich eingesperrte Katze von Tonja und Feliks in Olmütz verwüstet die Wohnung.
Vgl. auch 818. 854. 866. 935. 1494. 1743. 1847.
Kennedy, John F.
Amerikanischer Politiker (1917-1963), 35. Präsident der USA von 1961 bis zu seiner Ermordung am 22. November 1963 in Dallas/Texas.
24 »Marie sagt: [...] Wenn John Kennedy lebte, wäre alles besser.«
90 »Wenn wir nur wüßten, ob John Kennedy umgebracht wurde von einem Irren oder auf Bestellung.«
Vgl. die Auflistung aller Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.
Kennedy, Mrs. John F. (›die Witwe des Präsidenten‹)
Jacqueline Kennedy (1929-1994), Witwe des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy.
119 »Nicht weit von hier [von der 96. Straße], von diesen verrotteten Autos, dem schleimigen Abfall auf dem Bürgersteig, 1040 Fifth Avenue, wohnt neuerdings die Witwe des ermordeten Präsidenten Kennedy. Die Tochter geht zur Schule um die Ecke.«
1321 Marie Cresspahl und D. E. verfolgen im Fernsehen die Beisetzungsfeierlichkeiten für den ermordeten Senator Robert F. Kennedy: Marie »gesteht vorerst nur D.E. den Spaß zu, den er hat mit dem Benehmen der anderen Mrs. Kennedy, der Witwe des Präsidenten, steif und still steht sie fast vier Minuten auf der obersten Treppenstufe, as sühst mi woll [so, dass du mich gut siehst], mag doch die Wagenkolonne unheilbar in die Verspätung geraten, sie will ihren Anteil am öffentlichen Aufsehen, und Marie sagt schließlich doch, halb geniert, halb ärgerlich: Das möcht ihr so passen. Sie lädt doch geradezu ein zum Schießen!«
1325 »Die Witwe von neulich will sich noch einmal behaupten gegen die des Senators, mit viel Umstand beschäftigt sie ihre Kinder und sich mit dem Niederlegen von Blümchen auf die eigenen Grabplatten.«
Vgl. auch 53. 434. 1312. 1488.
Der Vorname wird konsequent weggelassen. Die Figur wird überwiegend als ›die Witwe des Präsidenten Kennedy‹ (zur Unterscheidung von der Witwe des Senators Robert Kennedy) apostrophiert.
Kennedy, Robert Francis
Amerikanischer Politiker (1925-1968), seit 1964 Senator von New York, am 5. Juni 1968 in Los Angeles lebensgefährlich angeschossen, stirbt am 6. Juni 1968.
25 Marie Cresspahl zählt Senator Robert F. Kennedy zu ihren besten Freunden.
493-494 In einer Fernsehansprache im Dezember 1967 spricht Präsident Johnson von einer »Kennedy-McCarthy-Bewegung«, und die New York Times ist »nicht unzufrieden« mit dem »›tödlichen Bindestrich‹, der den Senator Kennedy in größere Nähe zu den Antikriegs-Vereinigungen bringe, als ihm wahrscheinlich lieb sei«. Marie ist empört, »daß der Präsident ihren Senator darstellte als einen ungebührlich ehrgeizigen Menschen, der nichts wolle als ihm seinen Job abjagen. Es fiel ihr nicht auf, daß Kennedy mit Friedensabsichten denunziert werden sollte.«
1299-1327 Über seine Ermordung und Marie Cresspahls Erschütterung über den Tod »ihres Senators«: Sie leiht sich auf eigene Kosten ein Fernsehgerät, um die Trauerfeierlichkeiten sehen zu können. D.E. reist aus New Jersey an, um sie zu trösten. – Gesine muss sich beherrschen, nicht herauszuplatzen: »Dieser dein Robert Kennedy, der hat das Telefon von Martin Luther King abhören lassen, so ein Justizminister war das, daß du es weißt – !«.
Vgl. die Auflistung aller Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.
Kennicott II, Mr.
Personalchef in der New Yorker Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet.
1464-1473 Nimmt an dem Arbeitsessen mit de Rosny, Gesine Cresspahl und anderen leitenden Angestellten der Bank am 1. Juli 1968 teil.
1563 Wird bei einer Ehrung der Angestellten der Bank »verarztet, auch einer von den Vergeßbaren, jetzt führt er in einem kleine rundliche Verbeugungen durch, ›er wird immer zu den Siegern gehören‹, und das in der Personalabteilung, wobei der letzte Satz ihm vermittelt, ›er wird uns im nächsten Jahr verlassen‹«.
Vgl. auch 288. 716-717. 751. 819. 822. 1748.
Kern, Arri
Tischler in Gneez.
1235 Jakob Abs kauft bei ihm 1945 einen Sarg für Amalie Creutz.
1434 Gesine Cresspahl erfragt 1946 bei Arri Kern und Willi Böttcher den Preis für ein Butterstampffass. Den Zuschlag erhält dann Willi Böttcher.
Kern, Elke
Enkelin des Tischlers Arri Kern.
120 Sie erzählt dem alten Cresspahl »von einem Winter, als das Eis in hohen Plattenstapeln aufgeschoben war vor der Steilküste«.
Kiesinger
Kurt Georg Kiesinger (1904-1988), deutscher Politiker, Bundeskanzler 1966-1969.
173 Die New York Times bringt am 14. Oktober 1967 ein Bild, »das im Vordergrund den allbekannten Antifaschisten Willy Brandt als Außenminister der Westdeutschen zeigt und, weniger scharf, hinter und über ihm den Chef der so genannten Christlichen Demokraten, der während der Herrschaft der Faschisten blind, taub und lahm gewesen ist«. – Vgl. auch 257.
253 »Der Kanzler Westdeutschlands, ehemals Angehöriger und Beamter der Nazis, hat als neuen Sprecher seiner Regierung einen ehemaligen Angehörigen und Beamten der Nazis benannt. – Sie lernen es nicht. Sie betrachten die Hand, mit der sie ihre überlebenden Opfer ohrfeigen, und begreifen es nicht: sagte der Schriftsteller Uwe Johnson. Darauf bekam er eine Ohrfeige.«
1091 Am 1. Mai 1968 berichtet die New York Times von Wahlerfolgen der NPD bei Landtagswahlen in der Bundesrepublik. »Es soll dem Kanzler Kiesinger peinlich sein, Nazi der er war, und sein Kompagnon Brandt, der Anti-Faschist, er soll den Verlust an Vertrauen bedauern. So heißt es.«
1496-1497 Am 5. Juli berichtet die New York Times über den Auftritt Kiesingers als Zeuge der Verteidigung im Prozess gegen Fritz Gebhardt von Hahn, »angeklagt der Mitschuld am Tod von mehr als dreißigtausend bulgarischen und griechischen Juden. Für die Verteidigung trat auf ein Zeuge, auch ehemals in leitender Funktion beschäftigt beim Außenministerium der Nazis, Abteilung Abhören. Er nannte seine Vornamen, war als Kiesinger bekannt. Beruf: Bundeskanzler. Solche Silberhaarigen haben das Vertrauen der Westdeutschen. Mit solchem arbeitet die Sozialdemokratie in einer Regierung.« Kiesinger bezeugt, dass von Hahn nicht habe wissen können, »was denn mit den Juden geschah, die er auf den Weg schickte«, und bis zum Ende des Krieges nichts von der »Endlösung« gehört habe.
1876 »Am westdeutschen Kanzler hält die Times heute für berichtenswert [...]: er ist Boot gefahren auf dem Starnberger See und rettete einen Dackel vorm Ertrinken.«
Vgl. die Auflistung aller Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.
King, Martin Luther
Amerikanischer Baptisten-Pastor und Politiker (1929-1968). Führer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Friedensnobelpreis 1964. Am 4. April 1968 in Memphis/Tennessee ermordet.
957-960 Reaktionen auf seine Ermordung. Gesine Cresspahl versucht vergeblich, dem Hauswart Bill Shaks ihr Mitgefühl glaubhaft zu machen.
961-962 Marie hat der Witwe Coretta King ein Beileidstelegramm in einem »impulsiven und unbeherrschten Ton« geschickt. Gesine möchte sich dafür in einem Brief entschuldigen, findet aber keine Worte. Sie spricht darüber mit ihren Toten.
970-975 Berichterstattung über die Stellungnahmen der US-Behörden, über die Beerdigung und über die Unruhen.
Vgl. auch 928. 989. 1075.
Vgl. die Auflistung aller Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.
Kirchdorf
Ort auf der Insel Poel.
1174-1177 Kirchdorf ist der Geburtsort von Dr. Kliefoths Frau. Als sie im August 1945 stirbt, versucht er, sie dort zu beerdigen, aber kein Fischer ist bereit, ihn mit dem Sarg überzusetzen. Zuletzt bietet Ilse Grossjohann ihm einen Grabplatz in Rande an und hilft ihm, die Tote zu bestatten.
Kitt, Eartha
Amerikanische Sängerin und Schauspielerin (1927-2008).
612-613 Wird am 18. Januar 1968 mit fünfzig weiteren Damen zu einer Diskussionsrunde über »die Kriminalität auf der Straße« ins Weiße Haus geladen und bringt die Präsidentengattin mit ihren Vorwürfen gegen die amerikanische Vietnam-Politik beinahe zum Weinen.
622 »Die New York Times, die sittenstrenge Tante, will es der Eartha Kitt doch nicht hingehen lassen, daß sie Mrs. Johnson eine Antwort gegeben hat. Die Times [vom 20.1.1968] spricht von einem ›rüden Auftritt‹. Und wie sehr es für die Gattin des Präsidenten spreche, daß sie aufrichtig geantwortet habe, sie verstehe nicht die Dinge und das Leben, die Miss Kitt verstehe.«
627 »Die New York Times läßt Eartha Kitt immer noch einmal vortreten. Will doch diese Negerin nicht einsehen, daß ihre Äußerung über den Krieg in Viet Nam ein Verstoß gegen die Etikette war, weil sie sie gegen die Gattin des Präsidenten tat. Sagte doch Miß Kitt dem Sender WEEI in Boston ungerührt: Ich wüßte nicht wie. Ich bin ziemlich erstaunt. Ich hob die Hand und sollte meine Ansichten erklären. Das hab ich getan.«
636 »Wiederum hat Eartha Kitt sich zu verteidigen dafür, daß sie der Frau von Johnson den Krieg als Grundproblem der nationalen Kriminalität ausdeutete, und daß dies Tränen in Mrs. Johnsons Augen trieb.« (23. Januar 1968)
641 »Gestern wurde die Frau des Präsidenten zwischen Limousine und Clubtür von Jugendlichen mit einem Schild belästigt, auf dem stand: Wir sind auf der Seite von Eartha Kitt« (25. Januar 1968)
Der Vorfall bedeutete das vorläufige Aus für Eartha Kitts Karriere: Sie wurde von amerikanischen Sendern und Poduktionsfirmen boykottiert. Erst zehn Jahre später wurde der Boykott aufgehoben. Vgl. auch den Jahrestage-Kommentar zu 612, 33 f.; 622, 34 f.; 627, 2-9; 636, 3-12; 641, 22-26.
Klaproth, Heine
Lehrjunge bei Cresspahl in Jerichow, ehemals Christlicher Pfadfinder.
446-447 Cresspahl erfährt durch Klaus Böttcher, dass die HJ ein 1931 von der Bündischen Jugend gebautes »Landfahrerhäuschen« am Ufer des Gneezer Sees besetzen will. Er informiert Heine Klaproth, der die Pfadfinder und Jugendliche von der SAJ, der (verbotenen) Jugendorganisation der Sozialdemokraten, alarmiert. In der Nacht bauen die Jugendlichen Haus und Bootssteg ab. Cresspahl bekommt einen Teil des Holzes. Für die Jugendlichen »stand nun von Gneez bis Jerichow fest, daß dieser Cresspahl sich nur verstellte, wie eben sie auch«. – »Und Heine Klaproth benahm sich wie ein Kind im Hause. Der Junge war immer fleißig gewesen, aber nun konnte Lisbeth sich kaum retten vor den Hilfeleistungen, die er ihr an den Augen abgelesen haben wollte.«
Vgl. auch 457-458. 467. 497. 578. 759. 1243.
Klein
Schlachter in Jerichow.
433 Gilt nur als ›zweitbester‹ Schlachter in Jerichow (nach Methfessel).
710-711 Verdient am Ausbau des Flugplatzes Jerichow Nord, liefert das »Fleisch für die Besatzung«.
1772 Bei ihrem »Ausflug« von Berlin (West) nach Mecklenburg im Mai 1968 sieht Anita Gantlik vor dem Schaufenster von Schlachter Klein »eine Schlange, als sei sie eingerichtet auf ein Ausharren bis zum Ladenschluß«.
Anhang XI Heinrich Cresspahl 1949 über Schlachter Klein und seinen »antifaschistischen Widerstandskampf«.
Vgl. auch 457.1040. 1104.
Kleineschulte (Kleinschulte)
Gutspächter im Jerichower Winkel.
164-165 Lässt im Herbst 1932 den »angeberischen Gedenkkranz« der SA vom Kriegerdenkmal entfernen. »Es ist mir nicht bekannt, daß diese Rotzbengel S.A. Blutzoll im Kriege entrichteten: sollte Gutspächter Kleinschulte ausgerufen haben, vielleicht im Suff und zu später Stunde, aber doch unter Beifall, in Anwesenheit eines jungen von Plessen. Dann hatte er das Gerippe des Kranzes auf seinem Misthaufen ausgestellt. Horst Papenbrock konnte das nicht begreifen, da Kleinschulte früher Bargeld gespendet hatte an die Nazipartei. Kleinschulte, Herr über achtzig Hektar an der Ostsee, kniff neuerdings ein Auge zu, wenn er in seinem Kutschwagen an dem jungen Papenbrock vorbeifuhr, so daß er noch verschlafener und tückischer aussah als sonst, und das nüchtern.«
Zum Fall von Erich Schulz, einem HJ-Mitglied, der (mutmaßlich von kommunistischen Jugendlichen) verprügelt wurde, soll er in einer Stadtverordnetensitzung gesagt haben: »Wer schwängert, soll auch schwören«.
1839 Von der Parzellierung der Rittergüter bleiben das Plessensche Gut und das ehemals Kleineschultesche Gut ausgenommen, »die hielt die Rote Armee sich zur eigenen Versorgung«.
Vgl. auch 225. 237. 474. 1103. 1271.
Kliefoth, Julius
Dr. phil., Lehrer für Englisch und Latein, aus Malchow gebürtig, wohnhaft in Jerichow seit 1932. Oberstleutnant im Ruhestand. Raucher. Kommt 1932 aus Berlin in den Jerichower Winkel. Oberlehrer am Gymnasium in Gneez. Bei Kriegsbeginn meldet er sich freiwillig, wird 1940 genommen, später an der Ostfront eingesetzt. Nach dem Krieg Direktor der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, im April 1950 abgesetzt.
413 Erklärt Ottje Stoffregen die Etymologie seines Nachnamens (Platzregen, Wolkenbruch). Er hat das Haus des abgesetzten Bürgermeisters Erdamer gekauft. Stammt aus Malchow am See.
496 »Von Oberlehrer Kliefoth galt es als sicher, daß er nicht umsonst aus Berlin in eine Gegend geschlichen war, in der die Nazis die Macht schon ein halbes Jahr länger genossen hatten als anderswo und ihm eher verzeihen würden, aber was?« (Vgl. dazu 1627).
499 Am 23. Dezember 1967 schreibt Gesine Cresspahl ihm einen Brief. Am Schluss bittet sie ihn nachzusehen, ob die Gräber ihrer Eltern und Jakobs ordnungsgemäß für den Winter abgedeckt worden sind.
532 Wie Heinrich Cresspahl stammt auch Kliefoth aus Malchow am See. In Jerichow wird er deshalb »Klattenpüker« genannt, »nach den Kletten, die die Malchower aus der Schafwolle pusseln mußten, bevor sie ihr Tuch anfangen konnten«.
777 Wird nach dem Krieg Direktor der Fritz Reuter-Oberschule, aber im April 1950 abgesetzt, »auch als Lehrer« (vgl. 1625-1635).
860 Ist im Krieg an der Ostfront eingesetzt. Hört heimlich BBC-Sendungen.
891-894 Im November 1942 übersetzt er Heinrich Cresspahl einen aus dem unbesetzten Frankreich eingeschmuggelten Brief von Dora Semig. Cresspahl »ging nicht gern zu Kliefoth. Er war ein Malchower, ein Klattenpüker; er war einer von den Gebildeten. Er hatte in England gelebt, aber an Universitäten. Den Ersten Weltkrieg hatten sie gemeinsam, aber 1918 war Kliefoth längst Leutnant gewesen.« Cresspahl misstraut ihm, weil er sich 1939 sofort zur Waffe gemeldet hatte, zwar zunächst nicht genommen wurde »wegen der Flecken in seiner berliner Karteikarte«, aber vom Frankreichfeldzug an bis zu seiner Entlassung »wegen Erreichens der Altersgrenze« dabei war. Und seine Frau hatte »für ihn die Hakenkreuzfahne herausgehängt. Cresspahl fand es nicht leicht, den Mann in Eile herauszukriegen.«
Nachdem Kliefoth ihm erzählt hat, wie er 1940 »eine Schülerin mit einem jüdischen Namen arisch schwor«, traut Cresspahl sich, ihm Dora Semigs Brief zu zeigen. Kliefoth übersetzt ihn und bewahrt ihn für Cresspahl auf, so dass die Gestapo, die am nächsten Tag bei Cresspahl in der Tür steht, nichts bei ihm findet.
900 Nachdem Gesine dem Direktor der Jerichower Schule, Gefeller, vor die Füße gespuckt und in Betragen eine Vier bekommen hat (899), wollen Gefeller und Stoffregen sie in eine Sonderschule umschulen. »Herr Dr. Kliefoth aber, Träger hoher und höchster Auszeichnungen, promoviert über das französische Wort aller und ein Fürst im Reiche des Schulrats von Gneez, hatte dies Kind artig geschworen.« Gesine kommt auf das Lyzeum nach Gneez.
911 Im November 1942 stellt Kreisleiter Swantenius Kliefoth zur Rede, weil er nicht Parteimitglied ist. Kliefoth verweist auf seine militärischen Verdienste, und Swantenius gibt klein bei.
1170-1171 Bei Kriegsende geht er »den ersten Abgesandten der Roten Armee in der Ausgehjacke der deutschen Wehrmacht« entgegen, »fertig zu einer Verhaftung«. Aber Stadtkommandant Pontij begegnet dem »eigensinnigen Menschen« freundlich, hat mit ihm ein langes Gespräch über die beiden Weltkriege und verfügt die »Fortzahlung der Offizierspension als eine städtische Ausgabe«, befreit ihn zudem von Arbeitseinsätzen und Einquartierung und spricht mit einigem Stolz von dem »großen, ehrenhaften Militaristen in seinem Befehlsbereich«. Als Kliefoth dennoch drei seiner vier Zimmer für Obdachlose hergibt und sich für die Feldarbeit einteilen lässt, »brütete K.A. Pontij etwas Finsteres«. Bei den Feldarbeiten übernimmt Kliefoth nach und nach eine Führungsrolle.
1171-1176 Als Kliefoths Frau im August 1945 stirbt, will er sie in ihrem Geburtsort Kirchdorf auf der Insel Poel beerdigen und bringt den Sarg mit der Hilfe des zwölfjährigen Gabriel Manfras auf einem Handkarren nach Rande. Dort ist aber kein Fischer bereit, ihn mit dem Sarg nach Poel überzusetzen. Zuletzt bietet Ilse Grossjohann ihm einen Grabplatz in Rande an und hilft ihm, die Tote zu bestatten. – 1950 hat er sie dann doch noch nach Kirchdorf auf Poel umbetten lassen (1177).
1176-1178 Als er am Abend nach Jerichow zurückkehrt, findet er seine Wohnung von Rotarmisten besetzt vor, seine Bücher liegen auf der Straße. K. A. Pontij hilft ihm nicht. – Wie später erzählt wird, wohnt Kliefoth seitdem in einem »Untermietzimmer an der Feldstraße von Jerichow« (1625).
1280 Im Sommer 1946 werden Kliefoth, Pastor Brüshaver, Leslie Danzmann, Peter Wulff und Frau Uhren-Ahlreep für einige Stunden festgenommen und verhört. Der Zweck dieser Aktion bleibt undeutlich. Eine der Fragen, die ihnen gestellt werden, deutet darauf hin, dass die Sowjets Cresspahl in einen Zusammenhang mit Waffengeschäften des Geheimrats Hähn in den zwanziger Jahren bringen möchten.
1402 Dr. Kliefoth gehört zu den wenigen Erwachsenen, mit denen die Schülerin Gesine sich gut versteht. Sie fahren gelegentlich gemeinsam von Gneez nach Jerichow zurück.
1460 Die »alte Gilde« des Gneezer Bildungsbürgertums möchte Dr. Kliefoth integrieren, aber »der kam nicht« zu Lesungen und sonstigen Kulturveranstaltungen. »Låt em. Murrjahn wier'n bösen Hund, œwe tauletzt müßt hei sick doch gewn.« [Laß ihn. Murrjahn war ein böser Hund, aber zuletzt mußte er doch klein beigeben.]
1532 Gesines Erinnerung an den eichenen Schreibtisch, den ihr Vater für Kliefoth getischlert und ihm auf der Schulter ins Haus getragen hat.
1577-1578. 1587 Kliefoths Unterricht an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, sein Wirken als Direktor der Schule.
1625 Noch vor dem Ende des Schuljahres 1949/50, im April 1950 (vgl. 1633), wird Kliefoth seines Amtes als Direktor der Fritz Reuter-Oberschule enthoben. Die Schüler bekommen dafür keine Begründung.
1625-1635 Mögliche Gründe: Sein störrisches Verhalten gegenüber den DDR-Behörden, darunter seine Weigerung, Begünstigungen anzunehmen; seine Weigerung, an Wahlfälschung mitzuwirken. – Über sein Verhalten in der NS-Zeit: »Kliefoth war der Hitlerpartei von Berlin schon 1932 ausgewichen in die ländlichen Gefilde von Jerichow, hatte seit Anfang des Krieges vor ihr sich verborgen gehalten in der Wehrmacht.« – Über Angebote der sowjetischen Besatzungsbehörden 1948, die Kliefoth ablehnte: »Wer so reichlichem Großmut sich versagt, dem darf man ein wenig böse sein.« (1628) – Sein nachlässiger Umgang mit der Direktive, die Gründung der DDR in der Schule angemessen zu feiern. – Kassiert einen Verweis, weil er den Musiklehrer Buck wegen seiner despektierlichen Behandlung der neuen Nationalhymne nicht angezeigt hat. – Missachtet die Anordnung, wonach Schulfeste im Winter 1949 »nur für den Generalissimus« Stalin zu dessen 70. Geburtstag erlaubt sind.
In einem imaginierten Zwiegespräch mit Gesine Cresspahl nennt Kliefoth den letzten Anlass seiner Absetzung: Er hatte sich der Anordnung widersetzt, die Schüler einen Aufsatz mit dem Titel »Was mir mein Lehrer von Stalin erzählt hat« schreiben zu lassen.
Kliefoth verbringt sein »vorzeitiges Altenteil« in Jerichow »mit den Herren Juvenal und Cicero und Seneca« und in seinem Kleingarten, in dem er »Kartoffeln und Tomaten und Zwiebeln und Mohrrüben« anbaut, »wie er das gelernt hatte als Kind in Malchow am See«.
1649-1650 Gesine Cresspahls Erinnerungen an Kliefoths Unterricht
1824-1826 Im Sommer 1952 nimmt Gesine Cresspahl tägliche Englischstunden bei Dr. Kliefoth, bevor sie ins Studium geht. Es ist ihr »drittes Abitur«, und das »soll gelten«. – Über Gesines Verbundenheit mit Kliefoth, ihre jährlichen Briefe, »Rechenschaft« an ihn. – Rückblick auf seine Kindheit in Malchow. – Gesine Cresspahl versorgt ihn regelmäßig mit Zigarren und Tabak.
1888-1891 Gesine und Marie Cresspahl treffen ihn, durch Vermittlung von Anita Gantlik, auf dem Weg nach Prag am 20. August 1968 in einem Badehotel an der dänischen Küste.
Vgl. auch 416. 477. 562. 671. 711. 778. 856. 918. 920-923. 943-944. 986. 1062. 1142. 1179. 1184. 1205. 1235. 1460. 1587. 1647. 1652. 1681. 1697. 1829. 1840. 1859.
Klug, Oma
Bürgerin von Jerichow, Katzenfreundin, kurzzeitig Haushälterin bei Cresspahls nach Lisbeth Cresspahls Tod, stirbt 1939.
358 Wird von Ossi Rahn und seinen SA-Kumpanen bedrängt, die sich am Tag des ›Judenboykotts‹ am 1. April 1933 vor Dr. Semigs Tierarzt-Praxis in der Bäk in Jerichow versammelt haben. Nach Ossi Rahns Zusammenstoß mit Baron von Rammins Kutschgespann beschimpft sie die SA-Leute, die ihr eine kranke Katze aus ihrem Korb gestohlen haben, »in unermüdlich keifendem Ton«, so dass niemand der Umstehenden sich um den verletzten Rahn kümmert, »alle hörten auf Oma Klug, die ihren leeren Korb schwenkte und nach ihrer Katze schrie«.
854 Versieht nach Gesines Rückkehr von den Paepckes im Sommer 1939 die Stelle einer Haushälterin und Erzieherin bei dem verwitweten Cresspahl. »Oma Klug hatte dem Leben in Cresspahls Haus als einem bequemen Altenteil entgegengesehen«, wird aber, nachdem Cresspahls Geselle Alwin Paap zur Wehrmacht eingezogen wird, mit den »groben Arbeiten« nicht fertig. »Hätte wohl gern noch lange gesessen auf dem Stuhl, den sie sich vor Cresspahls Haus in die Sonne gestellt hatte, angenehm betäubt von der Sonne. Es gefiel ihr, daß es zwei Katzen im Haus gab. Sie erzählte dem Kind Märchen in der Nacht, eigensinnig, mit geschlossenen Augen.« Sie stirbt im Oktober 1939. Ihre Nachfolgerinnen in Cresspahls Haus sind Frieda Dade und Grete Selenbinder.
Vgl. auch 429. 590. 853.
Klupsch, Käthe
Bürgerin von Jerichow, unverheiratete Frau und Klatschbase, nach dem Krieg Vorsitzende des CDU-Ortsvereins in Jerichow.
364 Lisbeth Cresspahl betet 1933, »daß Käthe Klupsch nicht so gotteslästerlich in den Geschäften über die Juden herzog«.
853-854 Nach Lisbeth Cresspahls Tod 1938 bewirbt sie sich bei Cresspahl als Haushälterin. Die »ältliche Jungfer« verbindet damit sichtlich Hoffnungen auf eine spätere Ehe mit Cresspahl, der im Ort als gute Partie gilt, seit die Brandversicherung ihm den Gegenwert seiner niedergebrannten Werkstatt ausgezahlt hat. Sie ist eine »mächtige, knochige Person« in Kleidern, die sie »am ganzen Leib kantig (machten)«. Der peinlich berührte Cresspahl fühlt sich von der Bigotterie und Sentimentalität der »Betschwester« abgestoßen.
1040-1041 Wird während der anfänglich britischen Besatzung Jerichows wegen Verbreitung des Gerüchts, dass die Briten Jerichow an die Sowjets abgeben würden, eine Nacht lang im Rathaus festgehalten und dramatisiert den Vorgang nachher ausgiebig. »Die Soldaten hüteten sich wohl, der beleibten Dame mit dem schwer bewegten Busen nahe zu kommen, und für sie war es ›körperliche Gewalt‹ gewesen.«
1357-1358 Der Jerichower Stadtkommandant Pontij macht sie zur Vorsitzenden der örtlichen CDU.
1370-1371 Die CDU-Ortsvereinsvorsitzende Klupsch in den Augen des CDU-Mitglieds Louise Papenbrock: »Da saß nun die Klupsch vorn, Vorsitzende, die Klucke; Louise gönnte ihr die Arbeit, nicht den Platz, hätte auch gern auf den Tisch geklatscht. [...] Der Klupsch hing mehr Fett an als ihr Knochengerüst haben wollte [...]. Die Klupsch durfte dann die Zeitung vorlesen, die Neue Zeit [...]. Die Klupsch durfte das Wort erteilen.«
Vgl. auch 244. 317. 411. 765. 857. 969. 1034. 1476.
Klütz
Kleinstadt im nordwestlichen Mecklenburg.
1243 »Wenn Jerichow zum Westen gekommen wäre«: »Manchmal, und öfter, benähmen sich die Jerichower als wären sie Klützer. Sperren die Stadtstraße für ausgewachsene drei Tage, nur um Stromkabel auszuwechseln.«
1511 Geschichte von den beiden Klützern, die in die weite Welt reisen wollen und sich schon am Damshäger Krug wiedertreffen. – Über die Glocken von Klütz.
Klütz ist das mutmaßliche Vorbild für Jerichow.
Klütz, Frieda
Telegrafistin in Jerichow.
69 Gibt den Inhalt eines Telegramms, das Cresspahl 1931 aus Richmond erhält, an Albert Papenbrock weiter.
165 Liest ein Telegramm, dass der junge Schuster Erich Schulz nach seinem Verschwinden 1932 an seine Eltern geschrieben hat, und möchte es Peter Wulff erzählen. Aber der »ließ das aufgeregte alte Mädchen stehen, damit es platzte von seinem ungesagten Geheimnis«.
624 Im Oktober 1937 spuckt sie auf dem Gneezer Bahnhof Dora Semig an (weil die mit einem Juden verheiratet ist). Dora »hatte den beschmutzten Mantel ausgezogen und der keifenden Altjungfer ordentlich in den Arm gelegt«.
Vgl. auch 759. 857. 1034.
Knaak, Franz
Tanzlehrer in Gneez.
1462 Bei ihm lernt Gesine Cresspahl, zusammen mit Lise Wollenberg, im Frühjahr 1947 im Hotel Sonne das Tanzen. »Den Unterricht erteilte Franz Knaak, ein Mensch aus hamburger Familie, außer einem alle örtliche Tanzpädagogen, seit 1847. Dieser war fett, sprach gern Französisch, nasal; auf seine mechanischen Manieren war er so stolz, daß er sich mit müden braunäugigen Blicken hinwegtrösten konnte über seine umfängliche Leiblichkeit.«
Die Tanzschüler lernen bei ihm zunächst »altdeutsche Tänze, Kegel, Rheinländer, sämtlich mit Hinweis auf das Erbe unserer Väter, statt etwa sowjetisches. Auf den Schieber ließ er sich erst ein nach allgemeinen, fast ungestümen Bitten; diese Art der Bewegung machte er vor in einer schmierigen Art, daß man für den Rest seines Lebens einen Ekel davor bewahren sollte. Er trug so etwas wie einen Gehrock, seifig im Nacken, davon hielt er die Säume mit jeweils zwei Fingern erfaßt und trat die Schritte der Mazurka zum Beispiel mit schwächlichen Beinen. Was für ein unbegreiflicher Affe: dachte Gesine Cresspahl in ihrem Sinn. Aber sie sah wohl, daß Lise, die schöne, die lustige, die langbeinige Lise, die Sprünge Herrn Knaaks mit einem selbstvergessenen Lächeln verfolgte; Lise wußte in allem so Bescheid.«
Die Figur wird als Nachfahre von Tonio Krögers Tanzlehrer François Knaak inszeniert, ist ihrem fiktiven Vorfahren überaus ähnlich. Auch Gesines Reaktion ist ein starker intertextueller Verweis auf die entsprechende Szene in Thomas Manns »Tonio Kröger«.
Knesebeck
Eisenbahnstation, drei Kilometer vor Jerichow.
702 Zur Einweihungsfeier des Flugplatzes Jerichow Nord im Oktober 1938 lässt Bürgermeister Friedrich Jansen die Soldaten schon an der Station Knesebeck aussteigen und von dort in die Stadt marschieren.
Vgl. auch 1099.
Knewer, Berthold (Knever, Berthold)
Obersekretär am Postamt in Jerichow. Nach dem Krieg Polizist, später Bürgermeister von Jerichow.
649-650 Stößt sich an der Briefüberwachung, die ihm nach 1933 zugemutet wird, und beruft sich auf die »Standesehre eines deutschen Postbeamten«, bis ihm sein Vorgesetzter, Edgar Lichtwark, mit Entlassung droht. Knewer fügt sich und wird mit einer Rückstufung bestraft. Er begegnet Lichtwark, den er für »einen verbummelten Oberbriefträger aus Berlin-Lichtenberg« hält, fortan mit stillem Hohn. Dabei sieht er aus »wie ein Papagei mit gesträubtem Gefieder, so krauste er die Nase, und gewann damit nicht die seit fünf Jahren ausstehende Beförderung, sondern einen Spitznamen. Im übrigen ging es ihm um das Grundsätzliche an seiner Würde, und er hätte einen zur Kontrolle angeforderten Brief nicht zu Gunsten des Empfängers unterschlagen«. – Sein Spitzname: »Stummer Papagei« (vgl. auch 1182).
1182-1185 Anstelle einer Beförderung wird Knewer von Lichtwark »zurückgedrängt in den Schalterdienst, schließlich in den Rang des Zustellers«. – Nach dem Krieg geht er auf Betreiben Friedrich Schenks zur Jerichower Polizei. Bürgermeister Cresspahl »war es recht gewesen. Es war Knevers Sache, daß er unter den Sowjets nicht an eine Fortführung des Postbetriebs glauben mochte, und er dachte sich den alten Herrn als einen Aufpasser für Schenk.« – Über seine Arbeit als Polizist. – Der »pflichttreue Beamte Knever« zweigt bei der Beschlagnahmung der von Duvenspeck illegal gehorteten Briketts einen Teil für sich ab.
1525 Als Cresspahl im Mai 1948 aus der Haft entlassen wird, ist Knewer Bürgermeister von Jerichow, »höher gestiegen als je Postamtsvorsteher Lichtwark, ganz zappelig und verdruckst geworden unter seinen ehrenvollen Bürden«. Jakob beantragt bei ihm eine Lebensmittelkarte für Cresspahl. Knewer »war der erste, dem die Rückkehr seines ehemaligen Vorgesetzten peinlich kam«.
1535 In den Tagen nach der Währungsreform im Juni 1948 agiert er »nun doch noch einmal hinter dem Paketschalter der Post«; ihm »vergingen die Tage mit dieser Aktion etwas rascher, so daß er gelegentlich wegdenken konnte von seinen Sorgen und an Cresspahl ein wenig Herrschaft ausübte, in schnippischem Ton, nicht mehr ein schwärzlich, ein grau gesträubter Vogel«.
1723 Ab 1950 arbeitet Dieter Lockenvitz als Eilzusteller der Post für den Landkreis Gneez; seine Vergütung wird von Knewer berechnet.
Vgl. auch 158. 651. 1515.
Die Schreibung des Namens wechselt zwischen Knever und Knewer.
Knick, Frau
Frau des Englischlehrers Hansgerhard Knick in Gneez.
1814 Gesine Cresspahls Mitschüler Dieter Lockenvitz kennt Frau Knick »aus der verlorenen Heimat« (Pommern): Eine »vermögliche Bürgerstochter, keine Tochter von Arbeitern und Bauern, wie sie sich gehörte für einen Englischlehrer, der möchte von der Einheitspartei angenommen werden als Kandidat«.
Knick, Hansgerhard
Junglehrer für Englisch an der Oberschule in Gneez nach 1945.
777-778 Er verspielt sich den Respekt seiner Schüler gleich zu Beginn seiner Unterrichtstätigkeit. Seinen Wunsch, die Schüler beim Vornamen anzureden, beantwortet Lise Wollenberg mit »Aber gern, Hansgerhard«, worauf er einen Wutanfall bekommt. – Lässt anstelle englischer Schriftsteller Schriften von Stalin lesen. – Gesine bekommt durch ihn die Zulassung zum Anglistikstudium »mit einem holprigen Aufsatz über die Aussichten einer kommunistischen Partei in einer parlamentarischen Monarchie«.
1814 Gibt Gesine Cresspahl als Abiturnote in Englisch eine Eins. Hat sein Englisch »mit Hilfe von Schallplatten erlernt« und glaubte, sie zu beherrschen, »nachdem er noch einmal in kurzen Hosen zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1951 nach Berlin gereist war, als Dolmetscher für eine Gruppe sozialistisch gesinnter Mädchen aus England von diesen nachsichtig behandelt«.
Vgl. auch 1702. 1817. 1819. 1859.
Knoop, Emil
Geschäftsmann, der durch Handels- und Schiebergeschäfte in den Nachkriegsjahren zum »König der Wirtschaft« in Gneez aufsteigt; Sohn von Johannes Knoop in Gneez, Mitschüler von Klaus Böttcher; Schulabschluss in einem Internat; 1939 zur Wehrmacht eingezogen; nach 1945 zunächst in Kiel und Hamburg; 1947 Rückkehr nach Gneez, wo er ein weitgespanntes Netz von Geschäftsbeziehungen aufbaut. Mitte der fünfziger Jahre von den Kommunisten fallengelassen und verhaftet.
445 Sein Vater, den man 1932 in Gneez für den »größten Mann« der Stadt hält, hat eine Jagd, »und Söhner Emil durfte an den Gewehrschrank. Mit den Waffen seines Vaters brachte Emil Knoop schon 1931 seine ganze Klasse, die den ›Christlichen Pfadfindern‹ angehört hatte, in die H.J.«, darunter auch seinen Mitschüler Klaus Böttcher. Wird vom Vater in ein Internat geschickt.
1497-1498 Er lernt »von Vaters Betrieb am besten den Griff in die Kasse, und durch das Abitur mußten die Lehrer ihn vermutlich tragen. Dann sollte der Arbeitsdienst ihn bessern, er kam aber zurück von einem schwangeren Mädchen in Rostock.« – Lebt auf Kosten des Vaters, fährt einen Sportwagen. Das »trug die Firma nicht«, er meldet sich bei der Panzerabwehr Magdeburg, wird Reserveoffiziersanwärter, geht 1939 als Gefreiter in den Krieg und kommt »mit den Sowjets als Oberleutnant« zurück. »Nicht gleich nach Gneez. Die Briten ließen ihn Juni 1945 im Hafen von Kiel auf die Zivilbevölkerung los, da er ihnen nachweisen konnte, er habe mit der N.S.D.A.P. nie etwas zu tun gehabt«. Danach einige Zeit in Hamburg. Kommt Anfang 1947 nach Gneez zurück und wird »König der Wirtschaft«, der »stand außerhalb der Gesetze im Stil von F[riedrich] Zwo«, erscheint in der Stadt »mit stillem Glanz und sanftem Gloria, auf den wußten die Leute bald keine Vergleiche«.
1498-1502 »Anfang 1947 übernahm er Gneez. Es kamen eben doch Leute aus dem Westen hierher! Seinem Vater überließ er den Kohlenhandel. Seine Eignung für das Fuhrgeschäft lag auf Auge wie Hand«. – Über seine Geschäfte mit der Sowjetischen Besatzungsmacht. »Ja: sagte Emil in seiner behaglichen Art: Ohne mich können di nich. Manchmal konnten sie doch, dann saß er eine Weile unterm Gneezer Landgericht«, wird aber immer wieder schnell entlassen. Sein Vater »wurde immer durchsichtiger vor Angst«. – Sorgt dafür, dass die Eltern in den Westen nach Hamburg übersiedeln. – Hat für seine Schiebergeschäfte Kontore und Büros in Brüssel, im sowjetischen und im britischen Sektor von Berlin.
»Emil war bald geachtet, fast beliebt bei den ordentlichen Leuten von Gneez. Konnte er nicht leben wie Louis der Letzte bei den Belgiern, und schuftete doch sich ab für Mecklenburg und die S.M.A. [Sowjetische Militäradministration]?« Seine Schiebergeschäfte. Seine öffentlichen Wohltaten: Versorgt Gneez zu Weihnachten 1947 mit Salzheringen und Apfelsinen und »brachte zuwege, daß die Sachen in passender Menge geklaut wurden im Hafen von Hamburg. Längst hatte Gneez gelernt, an Emil zu glauben. So sühnte dieser.«
Die Kommunisten hofieren ihn, solange sie ihn brauchen. Nach neun Jahren lassen sie ihn fallen. Er wird verhaftet. Für Gesine Cresspahl, die zu diesem Zeitpunkt schon im Westen lebt, »ist es zu spät« (für Mitleid): »Sie konnte da begreifen, daß die Kommunisten ihn hatten aushelfen lassen auf der Ebene der Warenzirkulation, solange sie noch lernen mußten von ihm und der Sowjetunion, und er wird ihr auch leidgetan haben, als er abgeführt wurde an erbleichenden Staatssekretären in seinem Wartezimmer vorbei, aber es war zu spät. Sie hatte zu lange sich schämen müssen für ihren Griff in den Sack mit den Apfelsinen.«
1535-1536 Macht bei der Währungsreform 1948 »seinen Schnitt«.
1568-1572 Tischlermeister Willi Böttcher erzählt dem aus Fünfeichen zurückgekehrten Cresspahl von Emil Knoops Macht und über seine Geschäfte mit ihm und den Sowjets. Cresspahl bringt ihn auf die Idee, Knoop für die Entlassung seines Sohnes Klaus aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft einzuspannen. Weihnachten 1948 kommt Klaus Böttcher nach Hause.
1614-1615 Emil Knoop, »der Mann mit dem Goldenen Herzen«, besorgt auf Befehl des Gneezer Stadtkommandanten Jenudkidse Penicillin für die nach Vergewaltigungen durch Rotarmisten kranke Anita Gantlik. »Von Knoop war etwas zu lernen; leider Strafbares.«
1617 Anita muss die Kosten für das Penicillin bei Knoop abzahlen »bei einem Kurs von sechs bis acht Ostmark für eine einzige des ›Westens‹ (– umsonst ist der Tod: sprach Emil Knoop in seiner gemütlichen Art; dem entging ihr Zusammenzucken bei dem Wort)«. Er gibt ihr Arbeit »in seinem Schriftverkehr mit der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, wo Jenudkidses Beihilfe versagte«.
1751-1752 Cresspahl verschiebt Geschäfte an Knoop, die, im Beisein Gesines, auf einer Yacht im Wismarer Hafen begossen werden. Mit dieser Yacht glaubt Gesine 1950 eine heimliche Reise nach Dänemark gemacht zu haben.
Vgl. auch 1405. 1530. 1658. 1781. 1859.
Knoop, Johannes
Inhaber eines Kohlenhandels, Fuhrgeschäfts und Im- und Exportunternehmens in Gneez, Vater von Emil Knoop.
445 Man hält ihn Anfang der dreißiger Jahre für »den größten Mann unter den 25 023 Einwohnern von Gneez«.
1405 Sein Neuanfang nach 1945 unter sowjetischer Besatzung schlägt fehl: »Knoop ging hoch, der hatte zu früh auf den Großhändler umsteigen wollen. N.Ö.P. ist eben nicht für jeden das kleine Einmaleins, da mußte erst Emil kommen.«
1429 Zu seinen Liegenschaften in Gneez gehört das »Fürstenhaus« am Bahnhofsvorplatz, »umgebaut zu Knoops Lager und Spedition, gekreuzte Hämmer auf den Milchglasscheiben«.
1499 Der steile Aufstieg seines im Frühjahr 1947 zurückgekehrten Sohnes Emil zum ›Wirtschaftskönig‹ von Gneez und die ebenso dubiosen wie riskanten Geschäfte, denen Emil diesen Aufstieg verdankt, machen Johannes Knoop »immer durchsichtiger vor Angst«. Schon im Herbst 1947 siedeln er und seine Frau auf Betreiben des Sohnes nach Hamburg um.
Vgl. auch 507. 1343. 1431. 1453. 1460.
N.Ö.P.: Neue Ökonomische Politik (Wirtschaftprogramm mit Zugeständnissen an privatwirtschaftliche Unternehmen); Näheres dazu im Jahrestage-Kommentar zu 1405,10.
Koch, Ilse
Ilse Koch, geb. Köhler (1906-1967), Frau von Karl Otto Koch, dem Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, berüchtigt wegen ihrer sadistischen Handlungen an Häftlingen, von denen sie »Die Kommandeuse« oder »Hexe von Buchenwald« genannt wurde; 1951 zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt.
49-51 Am 3. September 1967 berichtet die New York Times, dass Ilse Koch, die »Bestie von Buchenwald«, sich am Tag zuvor in ihrer Zelle in der Frauenhaftanstalt Aichach umgebracht hat. Der Artikel rekapituliert ihren Lebenslauf und ihre Taten sowie die wechselvolle Geschichte ihrer Strafverfolgung und Verurteilung.
Vgl. auch 90.
Auszüge aus dem Artikel im Jahrestage-Kommentar zu 49,7.
Kollmorgen, Avenarius
Dr. iur., Rechtsanwalt in Jerichow, Junggeselle, ausgiebigem Weingenuss zugetan. Anfang der dreißiger Jahre ist er etwa siebzig Jahre alt (vgl. 891). Anwalt von Albert Papenbrock und Baron Rammin.
243-244 März 1933: »Avenarius Kollmorgen, zugelassener Rechtsanwalt, ein bißchen kurz, dafür sehr stämmig, wandelte mit ausfahrenden Ellenbogen über den Markt und machte sein Gesicht mit spreizigen Lippen und zwinkernden Augen noch breiter und zog den Hut vor Cresspahl und quäkte mit seiner eingeklemmten Stimme: Gut bei Sach, Herr Cresspahl? Gut bei Sach? und ruderte weiter und sah sich nicht um und hatte auf eine Antwort nicht gewartet. Gut bei Sach, Cresspahl?«
305-306 Lebt allein, versorgt von seiner Haushälterin Ilse Grossjohann. »Im Inneren wünschte er allein gelassen zu werden.« Er hat »es geschafft, sich von innen zu sehen nicht als jenen ›Avi‹ in der wismarer Stadtschule, nicht als jenen ›Arius‹ in Erlangen, wahrhaftig als den echten und geheimen Avenarius Kollmorgen, der sich Keinem mehr auf die Nase band. Diesen Avenarius kannte er als ein sanftes, verletzliches Wesen.«
»Allerdings, er lebte allein. Welcher Frau denn hätte er sich ausdeuten können? Die Kinder, die ihm Sprüche nachschrien, die Jerichower, die seinen Gang und seine Redensarten erheiternd fanden, mochten ihn für verschlagen halten, für hochmütig, für schrullig überhaupt. Das war eine so schlechte Tarnung nicht.«
Den Lübecker Hof betritt er selten, weil ihm missfällt, »was der Pächter mit den Weinen anstellte. Der kaufte zweifelhafte Lagen. Der lagerte über dies Flaschen auf der Sonnenseite des Kellers. Dergleichen war in der Familie Kollmorgen nicht aufgetragen worden. Und er konnte mit Leuten in Mengen wenig anfangen. Er hatte nicht viel zu reden, weil er so viele Geheimnisse wußte, daß ihm die Grenze zur offenen Tatsache gelegentlich verschwamm. Nein, was er brauchte, waren einzelne Personen, denen er in seiner eigenen Wohnung einen Stuhl und seine Regeln anweisen konnte, die sich nicht zu wehren vermochten dagegen, daß Avenarius K. sie in aller Ruhe betrachtete, auseinanderdachte und erkannte.«
306-310 An einem Märzabend 1933, zwei Wochen nach Gesines Geburt, kommen Albert Papenbrock und Heinrich Cresspahl zu ihm, um die »merkwürdige Schenkung an ein vierzehn Tage altes Kind« (Papenbrocks Überschreibung des Hauses am Ziegeleiweg auf die Enkelin Gesine) zu besprechen. Er beobachtet mit größtem Vergnügen, wie Cresspahl sich gegen die Zumutungen des von Papenbrock gewünschten Schenkungsvertrags verwahrt. »Avenarius Kollmorgen schritt noch lange nach Mitternacht durch seine drei Zimmer, weniger aufrecht, und manchmal krümmte er sich ein bißchen vor Vergnügen. [...] Er hatte Papenbrock bei einer Niederlage beobachtet. [...] Es war ein schöner Abend für Avenarius K. gewesen.« Seine heimliche Sehnsucht, sich einmal darstellen zu können »als das weise und doch tief fühlende Wesen, das er in Wirklichkeit war«.
360-362 Vertritt Baron von Rammin im Prozess gegen Ossi Rahn. Vor Übergriffen von Rahns S.A.-Kumpanen schützt ihn seine Haushälterin Ilse Grossjohann durch ihre Verwandtschaft mit dem Polizisten Ete Helms. Nachdem Kollmorgen mit »seinen Freunden aus dem Justizministerium in Schwerin« gesprochen und »unter ihnen die Weisheit des Weintrinkens verbreitet« hat, bekommt er eine Audienz beim »Reichsstatthalter« Hildebrandt, den er über Ossi Rahns kriminelle Machschaften aufklärt und so eine Distanzierung der Nazis von Ossi Rahn erwirkt. In dem Prozess bekommt Ossi Rahn zweieinhalb Jahre Gefängnis. »Oberes und unteres Bürgertum atmeten auf, weil der Gerichtsbeschluß versprach, daß die S.A. eben doch nicht alles sich herausnehmen durfte.«
473 Löst 1935 seine Praxis auf »und zeigte sich selten außer Hauses und fragte nur noch ganz wenige Leute, ob sie gut bei Sach seien«.
546-547 Bemüht sich um Hilfe für Dr. Semig, der sich aber weiterhin gegen eine Emigration wehrt.
578 Versucht Lisbeth Cresspahl im Herbst 1937 dazu zu bewegen, im Prozess gegen Hagemeister und Warning die Zeugenaussage zu verweigern.
625-626 Hält den Semigs vor deren Ausreise eine Abschiedsrede, die »auf das entschiedenste in die Büsche« geht. »Das war das letzte Plädoyer, das Dr. jur. Avenarius Kollmorgen hielt.«
853 Nach Lisbeth Cresspahls Tod berät er Heinrich Cresspahl bei der Auswahl einer Haushälterin.
889-891 Nimmt sich im Juni 1942, im Alter von fast achtzig Jahren, das Leben. Er wurde seit der Schließung seiner Praxis 1935 nur noch selten gesehen, und wer ihn ansprach, »war auf einen peinlich gestörten Menschen getroffen, der ungeduldig hin trat und her, auf das Ende der Unterhaltung aus«. – Über seine sorgfältig vorbereiteten Verfügungen von Todes wegen. – »Schriftstücke persönlicher Art hatte Dr. Kollmorgen beseitigt; von sich wollte er nichts hinterlassen als das Geheimnis Avenarius. [...] Am Ende war ihm doch nicht recht gewesen, daß die Stadt ihm das Bedürfnis nach Alleinsein erfüllt hatte. [...] Es war Avenarius' Sache gewesen, allein zu leben und zu sterben.«
1863 Am Tag ihrer Mündigkeit, am 3. März 1954, bekommt Gesine Cresspahl im Auftrag von Rechtsanwalt Jansen in Gneez ein versiegeltes Päckchen zugesandt, in dem sich »ein Paar goldener Ringe« befindet, die Avenarius Kollmorgen ihr vermacht hat: »›Zu Ihrer Mündigkeit, sehr verehrtes Fräulein Cresspahl, Ihnen zu Füßen zu legen erlaubt sich.‹ ›Da ich selbst, infolge Begegnens widriger Umstände.‹ ›Zu jedweder ehelicher Verbindung, sie sei nur gewählt, Sie meiner Ergebung.‹ Mit Kollmorgen ist eine Art zu sprechen ausgestorben.«
Vgl. auch 318. 402. 418. 505-506. 544. 559. 562. 569-570. 572. 578. 591. 607. 650. 652. 869. 1067. 1103. Anhang XIII.
Konstantinov, Fjodor Vassiljevič
Sowjetischer Parteifunktionär und Journalist (geb. 1901).
1365-1366 Seine Auseinandersetzung mit dem tschechoslowakischen Politiker Čestmir Cisař.
Vgl. auch 1374.
Köpcke, Mine (Mining)
Frau des Bauunternehmers Willi Köpcke in Jerichow.
1042-1043 Muss im Sommer 1945 als Vertreterin ihres (noch) verschollenen Mannes den Bau des Zauns leiten, mit dem die Sowjetische Besatzung die Bäk von der übrigen Stadt abtrennen lässt. Sie spart dabei mit der Farbe. Als sie ihre Rechnung präsentiert, bestellt Bürgermeister Cresspahl sie aufs Rathaus und »rechnete ihr vor auf Quadrat und Kubik, daß sie Schmu gemacht hatte«. Sie besteht auf ihrer Rechnung. »Geld bekam sie vorerst nicht, und sie rechnete es Cresspahl als russisches Geschäftsgebaren an, als seine Schuld übrigens.«
1078 Cresspahl akzeptiert, dass sie ihre Forderungen aus dem Bau des Zaunes mit den Steuerforderungen der Stadt an sie verrechnen kann.
1355-1357 Im Herbst 1945 schlägt Stadtkommandant Pontij ihr und Bergie Quade die »Gründung / einer Ortsgruppe / einer Partei / des Liberalismus / (oder: der Liberalität) und / der Demokratie Deutschlands« vor. – »Mining stak in einem fast neuen Kleid, im Rücken mit zwei Stegen geweitet, erworben dem verwitweten Duvenspeck zuliebe, sie fühlte sich neuerdings noch einmal als Frau.« – Den Vorsitz des LDPD-Ortsvereins Jerichow übernimmt dann keine der beiden Frauen, sondern Böhnhase, dessen »männlichen Appetit« sie unterschätzt hatten.
1372-1373 Verhältnis mit Eduard Duvenspeck. – Um ihre Flüchtlingseinquartierungen loszuwerden, setzt sie sich politisch für die »Vergrößerung des Wohnraums« ein.
1489 Als ihr Mann aus sowjetischer Gefangenschaft zurückkehrt, verlässt Duvenspeck die Stadt, und »wenn Mine Köpcke eine ganze Weile nicht zu sehen war auf der Stadtstraße, danach gleich müde wie zahm, so war sie gewiß für ein anderes Vergehen verhauen worden«.
1534 Ist »seit der häßlichen Auseinandersetzung mit ihrem Mann über Gaswerksdirektoren namens Duwenspeck [sic!] dem innerlichen Wesen und der Religionsausübung bedenklich zugeneigt«.
Vgl. auch 1044. 1063. 1184. 1207. 1394.
Köpcke, Willi
Bauunternehmer in Jerichow.
411 Ärgert sich 1933/34 wie andere Handwerker der Stadt darüber, »daß sie an Cresspahl noch keinen Pfennig verdient haben«, weil Cresspahl fast alle Handwerksarbeiten an dem Haus im Ziegeleiweg selbst macht.
1042 Gilt als verschollen, seine Frau muss ihn im ersten Nachkriegsjahr geschäftlich vertreten.
1489 Kehrt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück, schlägt seine Frau wegen ihres Verhältnisses mit Eduard Duvenspeck.
Vgl. auch 469. 561. 711. 1534.
Kossygin, Alexej Nikolajewič
Sowjetischer Politiker (1904-1980). Ministerpräsident der UdSSR 1964-1980.
89 Hält sich im September 1967 in New York auf. »Kossygin fuhr in schwarzem Trauerauto die Dritte Avenue nordwärts, und die Zuschauer in den modernen maschinentemperierten Bürotürmen konnten die Fenster nicht öffnen, ihm zu winken. Dann reiste er doch die Niagara-Fälle besichtigen.«
1226-1227 Die New York Times schreibt am 27. Mai 1968 über Kossygin. Die Zeitung äußert die Ansicht, dass er gegen den Prager Frühling nicht mit Gewalt vorgehen wird.
Vgl. auch 1200. 1212.
Kraczinski
Mitglied des Gemeinderats im Seebad Rande in den sechziger Jahren.
385 Einer der Unterzeichner des Briefes, mit dem der Gemeinderat von Rande am 24.11.1967 auf Gesine Cresspahls Anfrage vom 20. August 1967, die »Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933« betreffend (vgl. 8), antwortet.
943 In ihrem Brief an Gesine Cresspahl vom März 1968 gibt Leslie Danzmann Auskunft über die Unterzeichner des Briefes: »Kraczinski ist die Kreisleitung in Gneez«.
Kraczinski, Staatsanwalt
Dr. iur., Staatsanwalt am Landgericht in Gneez.
597 Ankläger im Prozess gegen Hagemeister und Warning 1937.
602-607 Kraczinski aus der Sicht des Landgerichtsdirektors Wegerecht. Sein Verhalten im Prozess Hagemeister/Warning im Oktober 1937.
Krahnstöwer, Ludwig
944-945 In ihrem Brief an Gesine Cresspahl vom März 1968 berichtet Leslie Danzmann von einem Zeitungsartikel in der Gneezer Volkszeitung »über einen Ludwig Krahnstöwer, zu seinem Siebzigsten. Ein Held des antifaschistischen Widerstandes, oder so. Er will Funker gewesen sein, von 1943 bis 1945 in Hamburg, mit dem Stationsnamen Jürss, oder J.Ü.R.S.S., aber für die Sowjets und die Briten gleichzeitig, und ein großer Teil der mecklenburgischen Berichte sei von einem Mann gekommen, und er sagt: von Cresspahl. Er gibt zu, daß er ihn im Leben nicht gesehen hat. Er sagt: Cresspahl.«
Vgl. auch 984.
Krakow am See
Stadt in Mecklenburg südlich von Güstrow.
112, 114 In Krakow wirkt Alexander Paepcke bis zu seinem Ausschluss aus der Anwaltskammer als Rechtsanwalt, danach als Pächter einer Ziegelei, die 1932 in Flammen aufgeht. Er und seine Familie leben hier bis zum Umzug nach Jerichow 1933.
158 Im »Kurhotel Krasemann am See« nehmen Alexander und Hilde Paepcke trotz Alexanders zunehmender Verschuldung an Festen teil.
968 Bei Krakow wird während des Krieges ein Lager mit ausländischen Zwangsarbeitern betrieben, wie Cresspahl an die Britische Abwehr berichtet.
Vgl. auch 50. 158. 261. 295. 355. 356. 367. 530. Anhang XV. 1360. 1688. 1845.
Kramritz, Eduard
Dr. phil., Lehrer in Gneez, zunächst an der Brückenschule, seit 1948 an der Fritz Reuter-Oberschule. Kriegsverletzter.
1436-1437 Klassenlehrer von Gesine Cresspahl an der Brückenschule in Gneez im September 1946.
1453-1454 Nimmt mit der Klasse die mecklenburgische Verfassung durch. – Wohnt in zwei Zimmern in Knoops ›Fürstenhaus‹ am Gneezer Bahnhof zur Miete.
1476 »Solche wie Dr. Kramritz glaubten sich geachtet, verehrt geradezu, nur weil es in deren Stunden still war; über ihn wurde kaum gesprochen. Es war einmal ausgemacht, daß es in Gneez anders zuging als nach seinen Erläuterungen zur Mecklenburgischen Landesverfassung. Das steife Knie hatte er sich abgeholt in eben jenem Krieg, den er nun darstellte als nationale Schuld, statt seine. Es sah aber unkorrekt aus, wenn er sich die silberdrahtige Brille noch fester auf den Nasenrücken drückte; dann schien er sich zu bewaffnen.«
1681 Wird 1950 Direktor der Fritz Reuter-Oberschule.
1684-1685 Während einer Ehekrise macht er Bettina Selbich Avancen. »Damit er für den Fall einer Scheidung doch wisse wohin und eine Zuflucht.« Klaus Böttcher beobachtet das Paar auf einem Waldweg. Kurz darauf wird Bettina aus ihrer Wohnung am Domhof geklagt, die von der wieder versöhnten Familie Kramritz bezogen wird.
Vgl. auch 1497. 1533. 1557. 1559. 1611. 1682. 1687. 1713. 1719.
Kravtschenko, Viktor
Ehemaliger russischer Major (1905-1966). Als Mitglied der sowjetischen Einkaufskommission bat er 1944 in den USA um Asyl, veröffentlichte kurz darauf seine Autobiografie (»Ich wählte die Freiheit«). Beging 1966 Selbstmord in New York.
1779 An der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez läuft Krawtschenkos Autobiografie ›auf verborgenen Wegen‹ unter den Schülern um. »Dieser Viktor Kravtschenko hatte eine kommunistische Zeitung in Frankreich verklagen müssen, weil sie ihn verleumdet hatte als einen bezahlten Hetzer der Amerikaner«.
Vgl. dazu den Jahrestage-Kommentar zu 1779,28 (10. August 1968).
Kreikemeyer, Willi
Deutscher Kommunist (1894-1950), KPD-Mitglied seit 1919. Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg; Exil in Frankreich; Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk von Noel H. Field zur Unterstützung und Rettung verfolgter deutscher Kommunisten; 1946 Rückkehr nach Deutschland (Ost); Aufstieg zum Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn (1949); im August 1950 Parteiausschluss und Verhaftung im Zusammenhang mit den stalinistischen ›Säuberungsaktionen‹ anlässlich der Festnahme Noel H. Fields in Prag.
1684 Zur Eröffnung des Schuljahres 1950/51 an der Fritz-Reuter-Oberschule in Gneez hält der neu gewählte Erste Vorsitzende der ›Zentralen Schulgruppenleitung‹ der FDJ, Gesines Mitschüler Gabriel Manfras, seine Antrittsrede mit einer »Einschätzung der Weltfriedenslage«. Er lobt die »Wachsamkeit der Partei, wie sie aufgetreten ist bei der Entlarvung der führenden Genossen Kreikemeyer und Konsorten, Verschworene des amerikanischen Provokateurs Noel H. Field und seiner widerlichen Dreiecksehe, diese Wachsamkeit wird auch uns«.
1685-1686 Ergänzungen Gesines bzw. des Erzählers zum Stichwort »Kreikemeyer und Konsorten«: Bericht über Kreikemeyers wenig rühmliches Wirken als »Öberster der Deutschen Reichsbahn, Jakobs Generaldirektor«, der die Eisenbahner mit Versprechungen hinhält, die er nicht einlöst, »alles für seine Partei«, die ihn nun, Ende August 1950, der Spionage für den amerikanischen Geheimdienst beschuldigt. – Jahre später bittet Gesine den ›Club der Carola Neher‹, »einen Lebenslauf für Willi Kreikemeyer« zu recherchieren. Aber »all die drei Gelehrten mit ihrer Gewitztheit in Registern und Quellen und Querverweisen fanden keine Lebenserwartung für ihn seit dem August 1950«.
Nach Darstellung des Ministeriums für Staatssicherheit soll er sich am 31. August 1950 in seiner Zelle das Leben genommen haben; vgl. auch Jahrestage-Kommentar zu 1684,4 (Willi Kreikemeyer) und 1684,4 f. (Noel H. Field).
Krejew
Berater der sowjetischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen.
25 Am 26. August 1967 berichtet die New York Times von der Verhaftung zweier Unteroffiziere der US-Army, die geheime Dokumente an den ersten Sekretär der sowjetischen Botschaft, Popov, und an den Berater der sowjetischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen, Krejew, übergeben haben sollen. Popov und Krejew seien ausgewiesen worden, »die Herren sind zu Luft außer Landes«.
47 Am 2. September 1967 wird berichtet, dass die Sowjets nach der Ausweisung von Popov und Krejew ihrerseits zwei Diplomaten der USA ausgewiesen haben.
Die New York Times schreibt den Namen Anatoly T. Kireyev; vgl. den Wortlaut der Zeitungsberichte im Jahrestage-Kommentar zu 25,30 und 47,36.
Kreslil, Anatol
Professor, Emigrant aus Budweis, Gesine Cresspahls Tschechisch-Lehrer in New York.
301-304 Gesines erster Besuch bei Kreslil. Er lebt in einem heruntergekommenen Haus in einem heruntergekommenen Viertel »in einer der neunziger Straßen zum East River hin«. An der Tür hat er seine Visitenkarte ausgehängt, »angegilbten eleganten Karton, mit Zierschrift bedruckt vor dreißig Jahren. [...] die Abkürzung für ›Professor‹ hat er entwertet mit einem säuberlichen, nicht aufgeregten Strich.« – Über seine ›Haushälterin‹ Jitka Kvatshkova, die »Frau, die mit ihm lebt«.
923-927 Eine Tschechisch-Stunde bei Kreslil und eine Skizze seines Lebens. Lebt seit fast zwanzig Jahren in New York. Von den Deutschen verfolgt, lebten er und seine Frau versteckt in Prager Vorstädten. Wenige Tage vor der Befreiung starb seine Frau am Hunger.
1133-1135 Kreslil kommt zum Tschechisch-Unterricht in Gesines Büro. Über die Neuigkeiten aus Prag mag er nichts hören, »seit darin das polizeiliche Durchfegen des Landes in den fünfziger Jahren vorkommen kann, oder andere Kooperationen mit der U.d.S.S.R., wir dürfen nach diesem Teil seines Lebenslaufs nicht noch fragen«.
Vgl. auch 619. 661. 790. 1003.
Kriegsgefangener, französischer
1001 Neben Albert und Maurice gab es noch einen dritten französischen Kriegsgefangenen in Cresspahls Haus, »dessen Name vergessen ist. Ein Bauernsohn aus der Gegend von Clermont-Ferrand, der sich abseits von den Städtern, und den Deutschen, gehalten hatte«.
Krijgerstam, Herr
In Cresspahls Haus nach Kriegsende einquartierter Flüchtling, Balte.
1233 Der »geschickte Überlebende aus den baltischen Provinzen trug gelegentlich die Uniform der roten Flotte«. Er ist ein »gelbhäutiger Vierziger, nach Früchten duftend«, handelt mit Damenwäsche, »ein privater Sowjetmensch«.
1252 Gesines Russisch-Lehrerin Charlotte Pagels nimmt bei ihm Russisch-Stunden, »privat, nicht etwa in seinem Kulturbundkurs«, mit eher mittelmäßigem Erfolg (vgl. 1689).
1401 Auch nach dem Auszug der Flüchtlinge im Herbst 1946 scheint Herr Krijgerstam noch gelegentlich im Cresspahlschen Haus zu nächtigen: Jakob Abs, der während Cresspahls Gefangenschaft den ›Hausvorstand‹ übernimmt und mit Leutnant Vassarion und Krijgerstam Schwarzhandelsgeschäfte betreibt, hält eine der Vorratskammern »als Unterkunft für Herrn Krijgerstam oder verwandte Geschäftsleute« frei.
1405 Die dreizehnjährige Gesine besteht darauf, dass Jakob ihr »die Bewandtnisse des Herrn Krijgerstam« erzählt. »Danach bekam dieser gewandte Veteran der Baltischen Flotte von der Firma Abs & Cresspahl kaum noch Speck, für den er in seinem Rasno-Export jene Ölgemälde eintauschen wollte«.
Vgl. auch 1243. 1254. 1435. 1689.
Offenbar handelt es sich bei Herrn Krijgerstam um einen der von sowjetischen Handelsgesellschaften (darunter der ›Rasno-Export‹) in der Sowjetischen Besatzungszone eingesetzten Händlern, die sowjetische Handelsgüter absetzten und, die Not der Bevölkerung ausnutzend, Wertgegenstände zu Schwarzmarktpreisen ankauften und exportierten; vgl. dazu die Hinweise im Jahrestage-Kommentar zu 1377,34.
Kristlein, Anselm
Romanfigur von Martin Walser (»Halbzeit«, »Das Einhorn«, »Der Sturz«), die Gesine Cresspahl gelegentlich in New York über den Weg läuft.
331 Zum ersten Mal hat Gesine ihn 1966 in einem Hotel in London »von Angesicht zu Angesicht« gesehen.
874-878 Gast bei einer Party von Gräfin Seydlitz am Riverside Park, zu der auch Gesine geladen ist.
1423 Gast bei einer Party von Ginny Carpenter. »Anselm Kristlein konnte eine halbe Stehparty lang nicht sich lösen von ihrem hohen bebenden Hals, ihrem tiefkehligen Alt, der ernsten Drolligkeit, die sie für wörtliche Flirts benutzt«.
1663 Bei einer nicht näher bezeichneten Begegnung riss Gesine Cresspahl »dem vertrauensvollen Weltmanne Anselm Kristlein seine Börse erst einmal auf ihre Seite«, um ihn vor Diebstahl zu schützen.
1710-1712 Hält sich Anfang August 1968 in New York auf, bittet Ginny Carpenter um Beratung bei Einkäufen, erkundigt sich nach »frischen Schwangerschaften« in Ginnys Bekanntenkreis, »nennt man ihm eine, schnickt er mit den Fingern einer Hand, als habe er sich verbrannt«. – Gesine sieht ihn im Riverside Park mit seinem Kind, wie er den Frauen nachschaut.
Kröpelin
Gemeinde bei Bad Doberan in Mecklenburg. Schuhmacherstadt.
159 Aus Kröpelin stammt Ilse Papenbrock, geb. Lieplow, die Frau von Horst Papenbrock (vgl. auch 165, 172, 319, 569, Anhang IX und 1352).
531-532 Horst Papenbrock verbringt »halbe Wochen« in Kröpelin bei seiner Braut.
1394-1395 Über die Vereinigung von SPD und KPD in Kröpelin nach 1945. »Kröpelin nannten sie die Schausterstadt [Schusterstadt].«
1531 In einer Tischlerei in Kröpelin wird eine von Cresspahls Werkmaschinen gefunden, die während seiner Gefangenschaft in Fünfeichen aus seinem Schuppen verschleppt wurden.
Krosinskaja
Witwe eines bei Stettin gefallenen sowjetischen Offiziers, Aufseherin des Landratsamtes in Gneez.
1434-1435 Im Zuge ihrer »Geschäfte« besucht Gesine die Krosinskaja in ihrer Wohnung in Gneez. Die Hausbesitzer versuchen »diese Einquartierung hinauszuekeln mit unsachgemäßer Bedienung«, geben ihr keine Möbel und keine Bettwäsche. Statt sich welche zu kaufen, kauft die Krosinskaja Likör. »Einmal zog sie sich vor dem Kind aus Jerichow aus bis auf den seidenen Unterrock, stemmte ein unsichtbares Gewicht auf beiden Armen und fragte: ob sie noch schön sei. Das Kind schätzte sie auf vierzig Jahre, nannte sie mit dem gewünschten Wort, gar nicht lügenhaft. Nur, bei der Krosinskaja war alles ein wenig zu groß, zu schwer, von den Beinen bis zum Busen.«
1437 Auf ihren »energischen Wunsch« soll der ehemalige Landrat Dr. Grimm nach der Verhaftung Gerd Schumanns im Oktober 1946 wieder Landrat werden. Daraufhin setzt sich seine Familie in den Westen ab, er selbst schwimmt am nächsten Tag durch den Ratzeburger See in den Westen.
Krupp
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), deutscher Industrieller.
90 Anfang September 1967 resümiert Gesine Cresspahl den zurückliegenden Sommer: »Krupp ist gestorben, und Ilse Koch hat sich umgebracht.«
382 Mr. Wakefield, ein Vertreter der Firma Dow Chemical, die Napalm für den Vietnamkrieg herstellt, nennt die Krupps »schlechte Menschen«.
Kühlungsborn
Ostseebad westlich von Rostock.
931-932 Nach dem Luftangriff auf Rerik (wo Gesine im Sommer 1943 Ferientage mit den Niebuhrs verbringt) werden die Kinder in Bussen der Flakschule Rerik nach Kühlungsborn gefahren und in Hotels gebracht. – Kühlungsborn hieß früher Arendsee: »Arendsee war ›Aaronssee‹ gewesen in den Zeiten, als hier noch die Juden baden durften.«
Vgl. auch 996.
Kurhotel Krasemann am See
Hotel in Krakow am See.
158 Trotz zunehmender Verschuldung nehmen Alexander und Hilde Paepcke Anfang der dreißiger Jahre an »Festen im Kurhotel Krasemann am See« teil.
Der Wirt des Schützenhauses in Jerichow, Prasemann, erscheint S. 1371 versehentlich als Krasemann.
Kutschenreuther
Letzter Kommandant des Fliegerhorstes Jerichow Nord.
984 Er hätte Cresspahl bei Kriegsende einen Marschbefehl in den Westen gegeben, wenn Cresspahl gewollt hätte. »Kutschenreuther bot sogar der Truppe Entlassungspapiere an«.
986 Übergibt den Flugplatz an die Briten, bekommt Auftrag, die Verwaltung weiterzuführen.
987 Cresspahl ist mit ihm »bequem zurechtgekommen«. Schuhfabrikant aus Osnabrück, »tüchtig und umsichtig gewiß, ein kleiner Mann, mit einer Art zu befehlen, als glaube er doch nicht, daß man ihm gehorchen werde«.
Kvatshkova, Jitka
Lebensgefährtin von Anatol Kreslil, Gesine Cresspahls Tschechisch-Lehrer in New York; gibt sich als seine Haushälterin aus.
301-302 Gesine bei ihrem ersten Besuch bei Prof. Kreslil: »Die Wohnung wird verteidigt von einer alten Frau, von der wir erst nach und nach erfahren haben, daß sie Jitka Kvatshkova heißt.« Nach außen »will sie die Haushälterin sein und nicht die Frau, die mit ihm lebt, vielleicht weil sie es schon in České Budějovice [Budweis] so gehalten haben«. – Sie erinnert Gesine manchmal an Frau Abs.
L
Laabs, Friedrich
SPD-Genosse von Peter Wulff und Heinrich Cresspahl, Opfer des Kapp-Putsches 1920.
Anhang XII Peter Wulff hat während der NS-Zeit in jedem März Blumen auf das Grab von Friedrich Laabs geschmuggelt, »den die Kapp-Putschisten im Keller des Hotels Erbgroßherzog in Gneez umgebracht hatten«.
Vgl. auch 1180.
Laabs, Mudding
Kreishebamme in Jerichow.
203 Waltet ihres Amtes bei Gesine Cresspahls Geburt am 3.3.1933 in Papenbrocks Haus.
Ladage & Oelke
Herrenausstatter in Hamburg, Alsterarkaden.
87 Bräutigam Heinrich Cresspahl kauft sich dort im August 1931 ein englisches Hemd.
113 Auch Cresspahls Hochzeitsanzug stammt von »Ladage & Oehlke, Alsterarkaden«.
Lafrantz (Olsching Lafrantz)
Lehrerin an der Hermann-Göring-Schule in Jerichow.
896-897 Sie ist »erbittert« über den Namen »Olsching« (Alte), »den die Kinder ihr angehängt hatten, denn sie hielt sich für heiratsfähig, weil sie ihr Haar noch mit vierzig Jahren rot nennen konnte. Sommersprossig, hager, den Gouvernanten in Büchern ähnlich.« Im Rechenunterricht benutzt sie »S.A.-Kolonnen in Dreierreihen und Sechsergruppen« zur Veranschaulichung und führt die lateinische anstelle der deutschen Schrift ein, weil nach ihrer Meinung »die Deutschen so schreiben sollten wie das Weltreich, das sie erobern würden«.
Lakenmacher, Frau
1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.
1842-1843 Wird im Februar 1953 mit Johnny Schlegel und zwei weiteren Mitgliedern der »Kommune« verhaftet und angeklagt. Johnny Schlegel wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. »Für die übrigen Angeklagten: von acht bis zwölf. Einzug des Vermögens.«
Lalendorf
Gemeinde in der Nähe von Güstrow.
644 Auf dem Friedhof von Lalendorf liegt Pastor Brüshavers erste Frau begraben. Es wird ihm verwehrt, seinen im Spanischen Bürgerkrieg (auf deutscher Seite) gefallenen Sohn aus erster Ehe dort zu begraben.
Lämmerhirt, Frieda
Dienstmädchen bei Paepckes in Podejuch.
839 Kündigt, weil Paepckes sich mokieren über das Hitlerbild, das sie aus dem »Norddeutschen Beobachter« geschnitten und sich »sorgsam an ihre Zimmerwand gepinnt hatte«. Sie berichtet den Vorfall dem Obersturmbannführer Bindeband, den sie offenbar auch vorher schon mit Informationen über die Paepckes versorgt hat.
Lassewitz
Adelsfamilie im Jerichower Winkel.
504-506 Das Papenbrocksche Haus am Marktplatz von Jerichow war bis 1923 das Stadthaus der Familie. 1923 kauft Albert Papenbrock es samt Nachbargrundstücken auf und zieht mit seiner Familie im Dezember 1923 von Vietsen nach Jerichow.
Vgl. auch 595. 1370.
Lazar, Mrs.
Empfangsdame im 16. Stock der New Yorker Bank, in den Gesine Cresspahl durch das Prager Projekt aufsteigt.
820-821 »Mrs. Lazar, eine ältere Dame mit dem Betragen einer Rektorin, sieht die Neue unveränderlich streng und aufmunternd an, und mit dem Bieten der Tageszeit kommt das weit aufgefaltete Lächeln, als werde ihr mit der Erkundigung nach dem Ergehen ein tägliches Geburtstagsgeschenk überreicht.«
Vgl. auch 1135. 1159. 1301. 1312. 1314. 1635. 1737.
Le Fort, Baron Stephan
Rittmeister a. D., Gutsbesitzer auf Gut Boek an der Müritz.
56 Während des Kapp-Putsches 1920 »beschoß Baron Stephan le Fort, Rittmeister a. D., Besitzer von Boek (2622 Hektar) die Stadt Waren an der Müritz mit einer Kanone, weil die Arbeiter die Stadt übernommen hatten. Der Einschuß am Rathaus ist heute noch zu sehen.«
Vgl. auch 1286 f.
Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 56, 23. Es handelt sich aber um Baron Stephan Lothar Peter von le Fort (1884-1953), einen Bruder von Gertrud von le Fort, der das Gut Boek 1914 nach dem Tod seines Onkels David Johann Peter von le Fort übernahm.
Leber, Julius
Sozialdemokratischer Politiker (1891-1945). Der Journalist am »Lübecker Volksboten« war von 1924-1933 Mitglied des Deutschen Reichstages. Mitglied des Widerstands (Kreisauer Kreis). Im Juli 1944 wurde er verhaftet und am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
198 Bei dem konspirativen Treffen in einer Lübecker Wohnung, an dem Cresspahl Anfang März 1933 teilnimmt, beklagen sich die Genossen über die verzerrte Darstellung, die der Lübecker General-Anzeiger über die Tötung eines Lübecker SA-Manns am 31. Januar 1933 brachte, in die Leber verwickelt war.
Am Abend des 31. Januar 1933 hatte Lebers Leibwächter Willi Rath bei Zusammenstößen zwischen SA und Reichsbanner in Lübeck den SA-Mann Rudolf Brügmann niedergestochen und tödlich verletzt. Leber wurde unter Missachtung seiner Immunität als Reichstagsabgeordneter verhaftet und als ›geistiger Urheber‹ der Tat verurteilt. Vgl. dazu Jahrestage-Kommentar zu 198, 17-34.
Lefkowitz, Louis J.
Amerikanischer Politiker (1904-1996), Justizminister des Bundesstaates New York 1957-1979.
116 Nimmt an der Steuben-Parade am 23. September 1967 teil. Der Gouverneur Rockefeller steckt ihm eine Kornblume ans Revers.
Lehmann
Kommissar im Ministerium für Staatsicherheit in Schwerin.
1672-1679 Zusammen mit einem mecklenburgischen Kollegen verhört er die Schülerinnen und Schüler im Mai 1950 in der Fritz Reuter-Oberschule zur Flugblatt-Aktion nach dem Pfingsttreffen der FDJ. Er ist ein junger Mann, »ein Junge, um dessentwillen Lise Wollenberg einer Eifersucht verfallen wäre, hätte er sie bei Damenwahl übergangen; ein Herr. Schmuck geschnittener Stoff um die Brust, über den Knien Bügelfalten wie frisch unterm Eisen weg. Strenger, spöttischer Blick, der sagte: Dich kriegen wir auch noch.«
1679-1680 Nach den Verhören nimmt er Bettina Selbichs Anordnung, die Flugblätter zu beseitigen, zurück, um die »mutmaßlichen Täter davor zu bewahren, bei der Kratzarbeit auch das übrig gebliebene Kleingedruckte noch zu studieren«, und stellt sich Gesine Cresspahl vor: »Lehmann sei sein Name.« Gesine würde ihn noch heute erkennen »an einer zu hastig reparierten Hasenscharte«.
Lehrer für Biologie und Chemie
Lehrkräfte an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1815-1816 In Biologie und Chemie bekommt die Abiturientin Gesine Cresspahl »eine Eins von einem ältlichen Männchen. Eine Tante wie die für Latein, nur eben dicklich kugelig.« Beim Sexualkundeunterricht »hatte dieser Sabberer, nach eigenem Verständnis ein Schwerenöter, seiner unausgelebten Lüsternheit Zucker gegeben«. Verehrt »den Lieblingssohn Stalins, den sowjetischen Biologen Trofim Denissowitsch Lyssenko«, seine Schüler »hielten das für unvereinbar mit der Herkunft des Lehrers von der Universität Heidelberg«.
Lehrer für Latein
Lehrkraft an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1813-1814 Die Abiturnote für Latein bekam Gesine Cresspahl »von einem bückichten, schreckhaften Greis«, der aus Schwerin an die Fritz Reuter-Oberschule in Gneez strafversetzt worden war. »Der sehnte sich dem Ruhestand entgegen«, und wer ihm »stille Rede stand über den ablativus absolutus, dem gab er eine Eins für den Abgang; aus Dankbarkeit für die Schonung«.
Lehrerin aus Marienwerder
Aus dem westpreußischen Landkreis Marienwerder geflüchtete Studienrätin, die 1945 mit ihrem Säugling in Cresspahls Haus Unterkunft findet.
1232-1233 Sie beschwert sich bei Jakob Abs (der nach Cresspahls Verhaftung den ›Hausvorstand‹ am Ziegeleiweg macht), weil er für die Erhebung von Miete keinen Mietvertrag vorweisen kann.
1234 Jakob überlässt ihr die ihm auf Rezept verordnete Milch für ihren Säugling, worauf sie ihm »Herzenstakt« nachsagt.
1400 Im September 1946 zieht sie aus und kommt mit zwei anderen Familien in der Försterei Wehrlich unter.
Vgl. auch 1195-1196. 1270.
In »Karsch und andere Prosa« (1964) erscheint sie in der »Osterwasser«-Geschichte (K 7-17) als die »Lehrerin aus Westpreußen« (K 10).
Leiter der Gestapostelle Gneez
913 »Der Leiter der Gestapostelle Gneez, er braucht einen Namen nicht« will im Herbst 1942 »bei einer nächtlichen Rückkehr seine Frau mit einem Beil totgeschlagen gefunden haben und betrieb panische Ermittlungen gegen sich selbst: wie Herbert Vick meinte«. Er erschießt sich »zweieinhalb Jahre früher als seine Kollegen es taten«.
Leutnant, Herr
1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.
1843 Nach Johnny Schlegels Verhaftung und Verurteilung im Frühjahr 1953 flieht er mit den meisten anderen Mitgliedern der Kommune in ein Flüchtlingslager nach Westberlin.
Vgl. auch 1848.
Lichtwark, Edgar
Postbeamter, Leiter des Postamts Jerichow, Nationalsozialist.
649 Als Obersekretär Berthold Knewer unter Berufung auf die »Standesehre eines deutschen Postbeamten« die Briefüberwachung kritisiert, droht Lichtwark ihm mit Entlassung und bestraft ihn mit einer Rückstufung. Knewer hält ihn für »einen verbummelten Oberbriefträger aus Berlin-Lichtenberg«.
1182 Hat fortgesetzt Zank mit Knewer, den er zuerst »in den Schalterdienst, schließlich in den Rang des Zustellers« zurückdrängt.
Vgl. auch 691. 1525.
Liedtke, Hermann
Angestellter Tischler in Heinrich Cresspahls Tischlerei in Jerichow.
693-694 Beschwert sich im Oktober 1938 bei Cresspahl darüber, dass sein Mittagsbrot öfter angebissen sei, »wie von einer Katze«. Cresspahl findet schließlich heraus, dass die fünfjährige Gesine die Übeltäterin ist (Lisbeth Cresspahl lässt sie hungern).
Liepskanal
Kanal zwischen Lieps- und Tollensesee südlich von Neubrandenburg.
1294 Teil des Fluchtweges, den zwei Mithäftlinge von Heinrich Cresspahl in Fünfeichen für ihren geplanten Ausbruch aus dem Lager nehmen wollen.
Lindemann
Pächter des »Lübecker Hofes« in Jerichow.
305 Weinkenner Avenarius Kollmorgen hält Lindemanns Auswahl und Lagerung der Weine für indiskutabel: »Der kaufte zweifelhafte Lagen. Der lagerte über dies Flaschen auf der Sonnenseite des Kellers.«
1033 »In Lindemanns Lübecker Hof hatten die Engländer ihren Club unterhalten« (während der kurzen Zeit der britischen Besatzung Jerichows im Mai/Juni 1945).
1602 Wehrt Pastor Brüshavers Versuch ab, ein Hinterzimmer des Lübecker Hofes (der nun Ratskeller heißt) für seinen Konfirmandenunterricht zu bekommen.
Vgl. auch 318. 504. 1205.
Lindsay, John Vliet
Amerikanischer Politiker (1921-2000). Bürgermeister von New York 1966-1973.
24 »Marie sagt« unter anderem: »John Vliet Lindsay ist der Größte.«
275 Die New York Times berichtet am 9. November 1967 vom »Vorhaben des Bürgermeisters, sich von der Geschäftswelt ein halbstündiges Fernsehprogramm bezahlen zu lassen. Die alte Dame haut seiner Ehren John Vliet Lindsay den Arsch voll.«
513 »Bürgermeister Lindsay bereut Fehler, gelobt Besserung und verfügt in seinem Hausbüro übrigens über eine versteckte Fernsehkamera, mit der er sich auf sechs new yorker Kanäle bringen kann. Nun wissen wir es; wer weiß wozu.«
1069 Nimmt am 27. April 1968 die Loyalty Day Parade in New York ab, die seit zwei Jahren als Zeichen gilt, »das den amerikanischen Truppen in Viet Nam Mut machen soll, den Gegnern des Krieges jedoch eine drohende Faust zeigen«.
1074-1075 Am Nachmittag desselben Tages wird er zu einer Veranstaltung mit der Witwe von Martin Luther King erwartet. Marie kann nicht »einsehen, daß der Bürgermeister bei den Feinden wie den Anhängern des fremden Krieges auftreten kann wie ein Freund gleicher Massen, der von allen ihre Stimmen haben will für die Zeit nach dem 31. Dezember nächsten Jahres«. Zutiefst enttäuscht von ›ihrem‹ Bürgermeister, reißt sie die ihn betreffenden Seiten aus ihrem Sammelbuch.
1090 Marie und D.E. am 30. April 1968: »John Vliet Lindsay ist ein ...: sagt Marie. [...] John Vliet Lindsay ist ein ...: sagt D.E., und übertrumpft sie noch in bösem Leumund. Es ist ein Wort, das kennt nicht jedermann in New York, es gehört sich gewiß nicht für die Ohren um unseren Tisch herum, und es sollte vor Kindern nie und nimmer in den Mund genommen werden. Aber Marie ist getröstet.«
Vgl. auch 25. 56. 453. 514. 725. 847. 961. 1003. 1025. 1069. 1071. 1079. 1085. 1180. 1777.
Lindsetter, Frau
Mitglied der ›feinen Familien‹ in Gneez.
1459 Frau »Landgerichtspräsidentin Lindsetter« hält nach dem Krieg Vorträge, in denen sie »öffentlich ihre Erinnerungen an die Mangelrezepte des Kriegsjahres 1916 vortrug«.
1460-1462 Zusammen mit anderen ›feinen‹ Damen hält sie sich über Leslie Danzmann auf.
1534 Die »würdige Patriarchin« benimmt sich bei der Währungsreform schäbig gegen Leslie Danzmann.
1558 Frau »Landgerichtsrat Lindsetter« schläft während einer Aufführung von Barlachs »Sündflut« ein.
1585 Ihre Nichte Monika Lindsetter ist Mitschülerin Gesine Cresspahls in der Fritz Reuter-Oberschule.
Vgl. auch 1571-1572. 1628. 1630. 1634.
Lindsetter, Monika (Peter)
Nichte von Frau Lindsetter, Mitschülerin von Gesine Cresspahl an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1585 Sitzt seit Januar 1949 in der Klasse Neun A Zwei neben Lise Wollenberg, die sie an ihren Tisch geholt hat. Sie ist »eine zierliche Blonde, die trotz ihres sanften Fleisches Peter genannt wurde, weil sie seit den Anfängen der sowjetischen Besatzung immer noch ihre Haare kurz schnitt«.
1647 Ist die »Schwächste« in der Klasse.
1701 In einer Arbeitsgemeinschaft mit Anita Gantlik für Chemie und Mathe.
Lockenvitz, Dieter
Mitschüler von Gesine Cresspahl an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Sein Vater, städtischer Gartendirektor in Hinterpommern, ist in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben; flieht mit seiner Mutter 1945 nach Gneez; neben der Schule Arbeit in einer Fahrradwerkstatt, später als Eilzusteller der Post. Fertigt Namenslisten von Opfern der Justiz in Mecklenburg seit 1945 an, die er 1951 anonym per Post verbreitet. Im Mai 1952 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
1557-1558 Wie Gabriel Manfras und Pius Pagenkopf verliebt auch er sich unglücklich in Lise Wollenberg: »Lockenvitz, ein schüchterner, spillriger Brillenträger, ein Primus, sackte in vielen Fächern ab auf Drei, nachdem er sich Lise erklärt hatte.« – Trägt ein Foto von ihr in seinem Jackett, dort, »wo das Herz sitzt und arbeitet«.
1559 Lise Wollenberg schlägt ihn als Klassensprecher vor, zunächst sträubt er sich (»er war Flüchtling, er würde es bitter haben mit den Einheimischen«), lässt sich dann aber ihr zuliebe aufstellen und wird im dritten Wahlgang gewählt. Nach dem Verbot der Schülervertretungen wird er von den Mitgliedern der FDJ zum »Vorsitzenden unserer Klassengruppe« gewählt und muss unentwegt »Sitzungen mit der Zentralen Schulgruppenleitung (Z.S.G.L.)« absolvieren, während seine Mitschüler frei haben. – Trägt auch ein Passfoto von Gesine bei sich, das er sich von Lise Wollenberg besorgt haben muss.
1608 Er bemerkt nicht, dass Anita Gantlik in ihn verliebt ist. »Lockenvitz standen die weißen Haare zu Berge vor Zerstreutheit, vor drängender Nachdenkerei übersah er, daß dies Mädchen gern für eine Minute an seinem Tisch hätte sitzen mögen«.
1650-1651 Muss in Bettina Selbichs Gegenwartskundeunterricht »Erfreuliches vortragen [...] zum Niedergang des westdeutschen Wirtschaftssystems an mehr als zwei Millionen Arbeitslosen. Er wand sich, er versetzte die Füße, er versuchte sich am Kartenständer festzuhalten«. Die Lehrerin bemerkt nicht, »daß der Schüler Lockenvitz im Sprechen stolperte über das, was er beim Denken bewegte«.
1682 Wird im Schuljahr 1950/51 zum »neuen Sekretär für Organisation der Schulgruppe« in der Schulgruppenleitung der FDJ gewählt.
1701-1702 Bei der »Schach von Wuthenow«-Lektüre im Deutschunterricht von Mathias Weserich kritisiert Lockenvitz Fontane. Weserich »stiftet« ihm ein »apartes Wort«, das ihn bis übers Abitur auf Flügeln tragen solle: »der auktoriale Erzähler«.
1705-1707 Die »Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf/Cresspahl« erlaubt seinem neuen Mitglied Dieter Lockenvitz, Weserich einer Prüfung zu unterziehen: Lockenvitz konfrontiert ihn mit einem Aufsatz aus der Zeitschrift ›Sinn und Form‹, in dem der »amtierende Fachmann für sozialistische Theorie in der Literatur« (d. i. Georg Lukács) Fontanes »Schach von Wuthenow« als »Werk des Zufalls« und die von Weserich so detailliert erarbeitete Sozialkritik als ›absichtslos‹ und ›unbewusst‹ bezeichnet. Weserich »hörte zu, den Mund viereckig geöffnet, als horche er einem Schmerz nach«. Es ist das Ende des guten Einvernehmens mit diesem Lehrer. Weserich bleibt der Schule eine Woche lang fern. »Der zurückkam, dem waren wir widerlich.« – »Lockenvitz war kleinlaut, geknickt.« Er bemüht sich, das Gespräch wieder in Gang zu bringen, aber Weserich wehrt ab. – Lockenwitz schreibt »zwanzig Seiten Aufsatz über ›Schach von Wuthenow‹, unberaten, unbefohlen, und schickte sie dem Deutschlehrer Weserich nach in die Ferien«. Er bekommt keine Antwort.
1721-1733 Gesine Cresspahl erzählt Marie auf deren Wunsch Näheres über Dieter Lockenvitz (»Nur was ich weiß.«): Im Frühjahr 1950 lädt ihn die »Arbeitsgemeinschaft der Jugendfreunde Pagenkopf und Cresspahl« ein, ihr Mitglied zu werden. »Aus Eigennutz. Von diesem lang aufgeschossenen, verhungerten Kerl wollten wir lernen wie er lateinisch denken konnte.« – Seine Herkunft: Der Vater, geboren in Dassow am See, war »Direktor der städtischen Gärten, Parks und Friedhofsbepflanzung« in einer größeren Stadt »im heutigen Volkspolen«, hielt sich von den Nazis fern, wurde nach dem Krieg trotzdem von den Sowjets interniert und starb im Lager. Seiner Mutter, die mit dem Elfjährigen 1945 nach Gneez kam, wurde die Rente abgesprochen. Sie verdient ihr Geld als Gartenarbeiterin. Dieter arbeitet in einer Fahrradwerkstatt und seit 1950 als »Eilzusteller der Deutschen Post für den Landkreis Gneez«, wofür Anita Gantlik ihm ihr schwedisches Fahrrad preiswert verkauft. Wohnte mit seiner Mutter zuerst in einem einzigen Zimmer am Friedhof beim Totengräber Budniak, seit 1949 in zwei Zimmern an der Molkerei.
»Ein empfindliches Kind.« – Der Sechzehnjährige hat Streit mit der Mutter, weil er »nach nächtlichem Herrenbesuch« das Bild des Vaters von der Wand nimmt und versteckt. – Der Sohn eines Biologen zerstört die Mär von den durch die Amerikaner abgeworfenen Kartoffelkäfern und hält zur Verwirrung der Lehrerin Bettina Selbich einen Exkurs über die ökologischen Gefahren der Bodenreform, bei der Knicks und Hecken zerstört werden, in denen Vögel nisten, die Kartoffelkäfer fressen. – Wird zu einem Lehrgang der FDJ in Dobbertin bei Goldberg delegiert, bei dem er sich mit den Leitern anlegt.
»Verbissen war er. In sich gekehrt.« – Nach Bekanntwerden eines Todesurteils gegen einen 18-jährigen Oberschüler in Dresden wegen »Boykotthetze« und dessen Rechtfertigung durch Walter Ulbricht im Januar 1951 gerät Lockenvitz zunehmend in einen Dissens mit dem politischen System der DDR.
1789-1805 Verschickt zum »ostdeutschen Staatsfeiertag am 7. Oktober 1951« an »ausgesuchte Haushalte« in Gneez und Jerichow seine ersten Briefe, die nach und nach eine »vorläufige Liste zur Justiz in Mecklenburg seit 1945« ergeben. Er wird schnell identifiziert und zu Beginn der Weihnachtsferien 1951 verhaftet. Auch Gesine Cresspahl, Anita Gantlik und Annette Dühr werden verhaftet und verhört. – Er hatte den Kontakt mit Gesine und Pius Pagenkopf im Frühjahr 1951 ohne Angabe von Gründen abgebrochen: »Er hatte sich ausgerechnet, daß man der Schülerin Cresspahl seit mindestens acht Monaten keinen Umgang mit ihm nachweisen könne; mit einem seiner Fehler.« – Sein Prozess findet am 15. Mai 1952 im Landgericht Gneez statt. Die Brille wurde ihm zerschlagen. »Nun wurde er hineingeführt mit nacktem Gesicht, tat blind, stolperte; hing auf dem Sünderstuhl, als gehe schon das über seine Kraft. Der mochte den Kopf horchend halten: einen Blick auf uns vermied er. Weil ihm die oberen Vorderzähne abhanden gekommen waren, Schwierigkeiten in der Lautbildung«. Er wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, seine Mutter wegen »aktiver Mitwisserschaft« zu zwei Jahren. – »Im September begann die Fortsetzung der unterbrochenen Korrespondenz.« – »Die Erinnerung an Lockenvitz bringt ein geringfügiges Flattern ins Denken; im Dunkeln aufgescheuchte Vögel. [...] Wir haben ihn im Stich gelassen, den Schüler Lockenvitz.«
1824 Gesine Cresspahls drei Reifeprüfungen: »Das erste Abitur, das war der letzte Besuch bei dem Schüler Lockenvitz gewesen, am 15. Mai 1952.«
Vgl. auch 1611. 1617. 1619. 1659. 1660. 1676. 1714. 1715. 1752. 1760. 1779. 1780. 1813. 1814. 1818. 1820. 1830. 1855. 1861.
Die Figur hat zahlreiche Merkmale (die äußere Erscheinung, die Herkunft aus Pommern u.a.) mit dem Autor gemeinsam; Einzelheiten im Jahrestage-Kommentar zu S. 1721-1733. – Nicht »Lockenvitz und Gollantz« (1682), sondern Sieboldt und Gollantz übergeben am Beginn des Schulfahres 1950/51 ihre FDJ-Ämter: Lockenvitz gehört zu Gesines Jahrgang und übernimmt bei dieser Gelegenheit überhaupt erst ein Amt.
Lockenvitz, Gerda
Mutter von Dieter Lockenvitz, Witwe, geboren 1909.
1722-1723 Flieht 1945 mit dem elfjährigen Sohn aus Pommern nach Gneez. Man erkennt ihr die Witwenrente ab, obwohl ihr Mann weder bei der NS-Partei noch bei der Wehrmacht war. Verdient ihren Lebensunterhalt als Gartenarbeiterin.
1803 Wird beim Prozess gegen ihren Sohn am 15. Mai 1952 im Landgericht Gneez im Saal verhaftet und wegen »aktiver Mitwisserschaft« zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.
1805 Nach Verbüßung der Haft ist sie zunächst nach Gneez zurückgekommen, um auf ihren Sohn zu warten. Dort wurde sie von dem Domprediger öffentlich angegriffen. »Es heißt, sie warte im Bayerischen.«
Loerbrocks (Loerbroks)
Maler in Jerichow, später Hausmeister an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1330 Den »Triumphbogen«, den die sowjetischen Stadtkommandanten Wendennych vor ihrem Amtssitz, der ehemaligen Ziegeleivilla, in Jerichow errichten ließen, »mußte Maler Loerbroks frisch beschriften zu den sowjetischen Festtagen, auch zu Jubiläen großer Schlachtensiege. Wenn Loerbroks nicht gestorben ist, kriegt er noch heute auswendig ein Porträt von Jossif Vissarionovič Stalin hin, allerdings nur mit drei Farben und im Format A 2 der Deutschen Industrienormen, denn so mußte er den alle Weihnachten erneuern«.
1656 Im Jahr 1950 ist er Hausmeister der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Nach dem ›Badeanzugkonflikt‹ mit Bettina Selbich (1651-1657) hängt Gesine ihren Badeanzug bei Loerbrocks am Rand des Schulhofs zum Trocknen auf.
1671 Am Tag der Verhöre wegen der Flugblattaktion verteilt Loerbrocks ›verbissen wortkarg‹ Brötchen an die wartenden Schüler.
Vgl. auch 1631.
Bei der ersten Nennung (1330) erscheint die Schreibung ›Loerbroks‹, sonst stets ›Loerbrocks‹.
Loohse, Irene
448 Cresspahl wird 1934 am Stammtisch der Tischlerinnung gewarnt: »Und bei Irene Loohse mußt du dich vorsehen, die hat einen Schwager, der ist Justi-zi-ar bei der Arbeitsfront, da kannst du gleich auf die Polizei gehen. Nu weitst Bescheit, Cresspahl.« [Nun weißt du Bescheid, Cresspahl.]
Lowell, Robert
Amerikanischer Lyriker (1917-1977).
1130 Setzt sich bei den Vorwahlen zur Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten 1968 für Senator Eugene McCarthy ein.
1320 Marie Cresspahl erkennt ihn am Fernseher als Teilnehmer an der Trauerfeier für Robert Kennedy am 8. Juni 1968.
Lübecker Generalanzeiger
In Lübeck erscheinende Tageszeitung, seit 1942 zwangsfusioniert mit dem NSDAP-Blatt »Lübecker Volksbote« zur »Lübecker Zeitung«.
112 Lisbeth und Heinrich Cresspahls Heiratsanzeige erscheint im Oktober 1932 u.a. auch im Generalanzeiger.
685 Dass die Zeitung noch 1938 in ihren Sonntagsausgaben 16 Seiten mit Werbeanzeigen enthält, beruhigt Lisbeth Cresspahl, die von Heinrich Cresspahls Überzeugung, dass bald Krieg sein würde, verstört ist.
691-692 Lisbeth Cresspahl empört sich über die Londoner »Messenger Boys«, über die der Generalanzeiger im Herbst 1938 berichtet (vgl. dazu auch Jahrestage-Kommentar zu 691, 31-37).
720 Lisbeth Cresspahl liest den Bericht der Zeitung vom 8. November 1938 über das Attentat auf den Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris und mokiert sich über die Behauptung, »es sei im nationalsozialistischen Deutschland keinem Juden ein Haar gekrümmt, geschweige denn nach dem Leben getrachtet worden«.
870 Am 31. März 1942 berichtet der Generalanzeiger über die Zerstörungen in Lübeck nach dem Bombenangriff in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942. Zwei Tage später, am »zweiten April gab es die Zeitung nicht mehr; der Verlag Charles Coleman war nun mit dem N.S.D.A.P.-Verlag Wullenwewer zusammengelegt, den die Nazis den Sozialdemokraten gestohlen hatten. ›Lübecker Zeitung‹ hieß es nun, und sollte aus Siegeszuversicht siebenmal in der Woche erscheinen.«
872 Am 6. April 1942 meldet die Lübecker Zeitung die Zahl der Todesopfer der Bombennacht in Lübeck mit 280, am 11. April mit 295 (zur Datierung vgl. Jahrestage-Kommentar zu 872, 1).
910 »Der Fortsetzungsroman in der Lübecker Zeitung hieß G.P.U., / Grauen / Panik / Untergang / und der Doppeladler im Titelkopf der Zeitung saß nunmehr noch stilisierter links von klobig veränderter Schrift und trug an Stelle des Wappenschildes ein von dessen Rand umrissenes Kreuz mit Haken.«
Vgl. die Auflistung aller Fundstellen (Lübecker Generalanzeiger/Lübecker Zeitung/Lübecker Volksbote) im Register des Jahrestage-Kommentars.
Lübecker Hof
Gasthaus in Jerichow, geführt von Pächter Lindemann (318).
214 Im Lübecker Hof begießt Albert Papenbrock mit acht Herren die Geburt seiner Enkelin Gesine Cresspahl.
305 Weinkenner Avenarius Kollmorgen meidet das Gasthaus. Er hält Lindemanns Auswahl und Lagerung der Weine für indiskutabel: »Der kaufte zweifelhafte Lagen. Der lagerte über dies Flaschen auf der Sonnenseite des Kellers.«
532 Wenn Cresspahl in eine Wirtschaft geht, dann nicht in den Lübecker Hof, »wo der Adel hinging«, schon gar nicht in die Bahnhofswirtschaft, »wo die Nazis soffen«, sondern in Peter Wulffs Krug, »den Ortsgruppenleiter Jansen ein sozialdemokratisches Rattennest genannt hatte«.
1033 Im Lübecker Hof »hatten die Engländer ihren Club unterhalten« (während der kurzen Zeit der britischen Besatzung Jerichows im Mai/Juni 1945).
1602 Nach dem Krieg versucht Pastor Brüshaver, ein Hinterzimmer des Lübecker Hofes (der nun Ratskeller heißt) für seinen Konfirmandenunterricht zu bekommen. Pächter Lindemann wimmelt ihn ab.
Vgl. auch 164. 214. 245. 318. 504. 1141. 1232.
Lübke, Heinrich
Deutscher Politiker (1894-1972). Zweiter Präsident der Bundesrepublik Deutschland von 1959-1969.
788 »Immer noch haben sie in Westdeutschland einen Greis zum Staatspräsidenten, der im Jahre 1944 Baupläne für Konzentrationslager unterzeichnet haben soll. Er glaubt nicht, daß er es tat; einen Eid könnte er nicht darauf ablegen. Ein amerikanischer Schriftensachverständiger hat die Signatur auf den Plänen als die des Staatspräsidenten erkannt. Ein bonner Student, der neben dem Namen des Staatspräsidenten in einer Ehrenrolle die Berufsbezeichnung ›K.Z.-Baumeister‹ eintrug, wurde von der Universität gewiesen. Die Christlich-Demokratische Union, der die Sozialdemokraten beim Regieren helfen, antwortet auf Forderungen nach dem Rücktritt des Belasteten: Wer das verlange, wolle nur die Koalition unter Druck setzen und die Weichen für die Wahl einer anderen stellen; das ist der Stellenwert von Konzentrationslagern in der westdeutschen Politik, ein solches Land ist das.«
790 Über Mrs. Ferwalters Haltung zu dem Verdacht gegen Lübke.
794 Die New York Times meldet am 29. Februar 1968 aus Westdeutschland, »daß die Regierung eine Illustrierte verbietet, die nach der Unterschrift des Staatspräsidenten unter Bauplänen für Konzentrationslager gefragt hat«.
809 Die New York Times berichtet am 2. März 1968 über einen Fernsehauftritt Lübkes, in dem dieser angab, »er könne sich nicht erinnern, im Reich der Nazis Baupläne für Konzentrationslager unterzeichnet zu haben. Auch nicht daran, daß er sie nicht unterzeichnet habe.«
Ludwigslust
Stadt in Mecklenburg, südlich von Schwerin; herzogliche Residenz von Mecklenburg-Schwerin von 1763 bis 1837.
544 Um Ludwigslust liegt die »griese Gegend« (graue/arme Gegend), aus der Arthur Semig und Marie Abs stammen.
1476 Aus Ludwigslust stammt auch die Lehrerin Bettina Selbich, geb. Riepschläger.
Vgl. auch 919. Anhang XIV. 1361. 1612. 1654. 1703.
Zum Landschaftsnamen »Griese Gegend« vgl. Jahrestage-Kommentar zu 544,22.
Lulatsch
Sportlehrer an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1586-1587 Trainiert sein ›kraulendes Ass‹ Gesine Cresspahl. Nachdem Pius Pagenkopf die Freundin über die Art der Förderung aufgeklärt hat, die die DDR sportbegabten Jugendlichen angedeihen lässt, sacken Gesines Leistungen zur Enttäuschung des »Lulatsch für Sport« ab. Er führt das auf ihre Beziehung zu Pius zurück, befreit sie aber vom Training, »denn Paare mochte er nicht verbieten«.
1655 »In der Lehrerkonferenz hatten wir einen Verbündeten, den Lulatsch für Sport. Der zuverlässig zwinkerte, wenn er sein ehemaliges As mit ihrem Pius beim Schwimmen betraf.«
Vgl. auch 1682-1683.
Lüsewitz
Adeliger Gutsherr im Jerichower Winkel.
496 Ist für das Land, das er für den Bau des Fliegerhorstes Jerichow Nord hergeben musste, »zu seiner Zufriedenheit entschädigt worden und erwähnte seither gern sein ›Opfer‹«.
1352 Hält während der NS-Zeit »Zwangsarbeiter in Ställen«.
M
Maaß, Martha und Richard
Inhaber eines Schreibwarenladens mit Druckerei und Buchbinderei am Markt 14 in Jerichow.
292 Machen sich im März 1933 Gedanken über Cresspahl, der zu Gesines Geburt aus Richmond angereist ist, und vermuten, dass er nach Richmond zurückgehen wird.
760 Pastor Wilhelm Brüshaver hält seine Predigt am Sonntag vor Lisbeth Cresspahls Beerdigung auch »für Leute wie Richard Maass, die den Kirchgang an diesem Tage eher als einen Tadel für ungehöriges Betragen auffassen wollten«.
781 Am Mittwoch nach der »Reichskristallnacht« stellt Richard Maass einen Globus in sein Schaufenster, auf dem, wie er auf einem Zettel vermerkt, »schon die neuen deutschen Grenzen eingedruckt« sind. Er bekommt 21 Bestellungen.
1034 Nach dem Abzug der Briten Anfang Juli 1945 nehmen Martha und Richard Maass an, dass die russische Besatzung nicht lange dauern wird.
1371 Bei einer Versammlung des CDU-Ortsvereins Jerichow spricht Martha Maaß, »zum Behagen ihres Mannes, über die Unrechtlichkeiten bei der Enteignung des Großgrundbesitzes«.
1514 Gegen »gutes Rapsöl« lässt Johnny Schlegel sich von Richard Maass ein »Buch mit weißen Seiten« anfertigen, in dem er fast täglich Notizen über politische Ereignisse macht.
1800 Bei den Verhaftungen im Zusammenhang mit Dieter Lockenvitz' Briefaktion 1951 wird Lise Wollenberg bei Buchbinder Maaß auf dem Dachboden versteckt und soll, falls die Staatssicherheit nach ihr fragt, von Frau Maaß nachts in den Gräfinnenwald gebracht werden »zu einem Auto, mit dem sie gerettet worden wäre nach Berlin«. Die ganze Aktion ist müßig, denn die Staatssicherheit interessiert sich nicht für Lise Wollenberg.
Vgl. auch 236. 293. 1031. 1232. 1601.
Die Schreibung des Namens ist uneinheitlich (›Maass‹, ›Maaß‹).
Maaß, Otto
1358 Mitglied der CDU in Jerichow.
MacDonald
James Ramsay MacDonald (1866-1937), britischer Staatsmann, Kind einer Landarbeiterfamilie, 1924 Premierminister der ersten englischen Labour-Regierung, dann wieder 1929. Während der Weltwirtschaftskrise trennte er sich im Herbst 1931 von der großen Mehrheit der Partei und trat an die Spitze einer bürgerlichen »Nationalregierung«.
130 Heinrich Cresspahl hält MacDonald »für einen Verräter an der Labour Party [...], weil er eingewilligt hatte, die Arbeitslosen-Unterstützung zu kürzen«.
Machate, Frau
Zimmerwirtin von Anita Gantlik in Westberlin.
1619-1620 Gleich nach dem Abitur (1952) geht Anita nach Westberlin und wohnt dort »in einem schmutzigen Haus zwei Blocks von der Karl-Marx-Straße in Neukölln, an einem Hinterhof bei Frau Machate«.
Vgl. auch 1850.
Malchin
Kleinstadt in Mecklenburg zwischen Kummerower und Malchiner See.
633 Im Frühjahr 1938 fahren Lisbeth, Heinrich und die fünfjährige Gesine auf ihrer Zugfahrt zu den Paepckes nach Podejuch an der Stadt vorbei. Gesine erhascht »einen Blick auf einen kleinen Hafen mit aufgebockten Booten und Holzwerkstätten«.
Vgl. auch 946. 948. 1030. 1795. 1890.
Malchow am See
Tuchmacherstadt in der mecklenburgischen Seenplatte, in deren Nähe Heinrich Cresspahl aufwuchs und in der er seine Tischlerlehre absolvierte und seinen Meisterbrief machte. Seine Eltern sind hier begraben. Auch Dr. Kliefoth stammt aus Malchow (413).
121 Der vierundsiebzigjährige Cresspahl, an seinen Tod denkend: »In Malchow wurde ein Meister noch nur von Meistern auf den Wagen gesetzt und ins Grab gelassen. Die Tuchmacher und die Schuster, die hatten einen eigenen Leichenwagen. Im Februar vor diesem Jahrhundert war in Malchow Heitweckenmarkt. Heitwecken, mit Zucker und Zimt gewürzt, in der Form einer Narrenkappe. Vöeunsöbentich is nauch.« [Vierundsiebzig ist genug.]
263 Am 12. März 1933 fährt Heinrich Cresspahl nach Malchow zu seiner sterbenden Mutter.
532 Die Jerichower nennen den in Malchow geborenen Julius Kliefoth »Klattenpüker, nach den Kletten, die die Malchower aus der Schafwolle pusseln mußten, bevor sie ihr Tuch anfangen konnten«.
721 Kurz vor den Novemberpogromen 1938 reist Heinrich Cresspahl mit der fünfjährigen Gesine nach Malchow, um nach den Gräbern seiner Eltern zu sehen.
725 Die Reise geht mit dem Zug »über Blankenberg und Sternberg und Goldberg nach Süden, das letzte Stück von Karow nach Malchow auf einer Strecke, die es nach dem Krieg nicht mehr gab«.
726-727 Cresspahl quartiert sich mit dem Kind in einem Hotel am Malchower See ein, in dem seine Jugendliebe Gesine Redebrecht als Bedienerin arbeitet.
1283 Heinrich Cresspahl wurde »zu Ostern 1900 bei dem Tischlermeister Redebrecht zu Malchow/Meckl. in die Lehre gegeben«.
1286-1287 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 kommt der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl an Malchow vorbei. Er erinnert sich an den Sommer 1904, in dem er als sechzehnjähriger Tischlerlehrling die fünfzehnjährige Gesine Redebrecht liebte, an die Angst der Malchower vor dem Baron Stephan le Fort während des Kapp-Putsches und an die Sagen von den ›Unterirdischen‹, die man ihm als Kind erzählte.
1825-1826 Gesine fragt Kliefoth, »wie es zuging für zehnjährige Kinder im Jahre 1898 in Malchow am See«. Kliefoth schickt ihr eine 30-seitige Beschreibung.
Vgl. auch 17. 49. 86. 95. 104. 217. 268. 273. 281. 350. 402. 413. 416. 418. 508. 525. 739. 891. 947. 1192. 1280. 1288. 1294. 1635. 1751. Anhang I, IV, X.
Maltzahn, Herr von
Adeliger Gutsbesitzer im Jerichower Winkel.
496 Nach einem halbtägigen Streik der Arbeiter auf der Baustelle des Flugplatzes Jerichow Nord im September 1936 hat Herr von Maltzahn in seinen Wäldern ein kommunistisches Flugblatt gefunden und es Bürgermeister Friedrich Jansen »eilfertig in die Hand gedrückt, ›ungelesen‹. Nun sprach von Maltzahn nicht von einem Flugplatz, sondern von ›unserer Rache für Versailles‹.«
Anhang XIII Aus Cresspahls Erinnerungen 1949: Die Maltzahns »hätten beide Söhne in die S.S. gehen lassen«.
Vgl. auch 507. 1842.
Manfras, Frau
Mutter von Gesine Cresspahls Mitschüler Gabriel Manfras.
1778 »Gabriel Manfras war gestraft mit einer Mutter, die drohte ihm noch fünf Jahre nach dem Krieg: Unser Führer kehrt wieder und wird dich richten!«
Manfras, Gabriel
Mitschüler von Gesine Cresspahl in der Hermann-Göring-Schule in Jerichow, in der Brückenschule und später in der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
897 »In der dritten Klasse geriet die Schülerin Cresspahl in die erste Verwirrung. Da fiel ihr ein Junge namens Gabriel Manfras auf, weil er nicht sprechen mochte. Auch sein Gesicht war verschwiegen, slawisch in den Backenknochen, schlitzig um die Augen. Wenn aber die Lehrerin es wollte, sprach er.« Um ihn auf sich aufmerksam zu machen, führt sie ihren Mitschülern ein Kunststück vor, bei dem eine Fensterscheibe zu Bruch geht.
1173-1176 Im August 1945 hilft der »maulfaule Kerl« Dr. Kliefoth bei der Beerdigung seiner Frau, »und wenn er später von diesem Morgen sprach als einem gewöhnlichen, so war er fast umgekommen vor Angst. Kliefoth betrug sich ja, als sei er nicht bei sich.«
1529 Nach dem Englischunterricht bei Frau Dr. Weidling an der Gneezer Brückenschule im Schuljahr 1947/48 schreiben Gesine und Gabriel Manfras zu Frau Weidlings Entsetzen »öffentlich (!) an die Tafel, was sie verstanden hatten, Gesine ›usually‹, nun ja, Gabriel ein ›jugewelly‹, strich dann Gesines Version durch«.
1557-1558 Beim Übergang zur Fritz Reuter-Oberschule 1948 ›strandet‹ Gabriel Manfras in der Neun A Eins, einer Parallelklasse von Gesine Cresspahls Neun A Zwei. Er verliebt sich in Gesines Banknachbarin Lise Wollenberg. Nach einem Treffen mit ihr ist er »noch mehr in sich gekehrt als wir gewöhnt waren von ihm«.
1682-1684 Wird zu Beginn des Schuljahrs 1950/51 »mit 220 Stimmen und einer Menge Enthaltungen« zum Ersten Vorsitzenden der ›Zentralen Schulgruppenleitung‹ der FDJ gewählt. »Nie hätten wir gedacht, Gabriel könnte auftreten als ein Redner! Und doch, was für eine tragende Stimme holte dies wortkarge Kind unversehens aus dem Hals.« Er hält eine linientreue Rede zur »Einschätzung der Weltfriedenslage sowie auch in Gneez«. Er sieht seine Mitschüler »fremd an, umfaßte das vordere Ende des Pults mit der Rechten, stemmte die Knöchel der Linken gegen die hintere Unterkante, blickte nieder in sein Manuskript, vermochte eine Rede zu halten. (Da stand ein Kind, das hatte Bescheid bekommen, es würde aufgestellt zur Wahl und angenommen: das besaß ein vorbereitetes Referat.)«
1719-1720 Beim Prozess gegen Sieboldt und Gollantz im Herbst 1950 gibt Gabriel Manfras mit vor Wut zitternder Stimme eine Stellungnahme ab, um sich von Sieboldt und Gollantz wirksam zu distanzieren, die ihn im Juni 1950 bei einer Protestveranstaltung gegen den Korea-Krieg mit einem offenbar nicht linientreuen Redetext »hereingelegt« hatten.
1761 Schlägt der FDJ-Schulgruppe am Ende des Schuljahres 1950/51 vor, sie möge Pius Pagenkopf »zum Dienst bei der bewaffneten Polizei delegieren; Pius betrachtete ihn aufmerksam so lange, bis Manfras, dem der Mumm zu solchem Dienst abging, ein Mal doch rot wurde im Gesicht«.
1778-1784 Gabriel Manfras leistet Spitzeldienste, die ihm den Weg zu einer Parteikarriere ebnen. Unter anderem liefert er die Lehrerin Habelschwerdt »ans Messer der Strafversetzung«. Erst spät kommen Gesine Cresspahl und ihre Freunde ihm auf die Spur und warnen ihre Mitschüler vor ihm. Als Manfras die Schüler, die sich vor dem Kartoffelkäfer-Einsatz drücken, an Bettina Selbich verrät, hält Anita Gantlik ihm mit einer »vor Leidenschaft orgelnden Stimme« eine Strafrede: »Wer Gespräche unter uns, die wir führen mit einander im Vertrauen, wer Sachen aus der Familie und dem Privatleben ins Rektorat schleppt und auf die Partei, der ist, der ist [...] der ist ein schlechter Mensch.« Gabriel versucht auszusehen »wie jemand, der für die politisch notwendige Sache auch dies noch zu erdulden gewillt ist«. – Für Gesine und ihre Freunde bleibt er unvergesslich: »Seitdem gedenken wir seiner, wenn die Rede ist von Les Lettres Françaises, oder vom Verleumden einer offenbarten Wahrheit. [...] Zuverlässig bist du uns erinnerlich. Denn du warst es, der hat unsere Klasse Zehn A Zwei verwandelt in einen Einschüchterungssalon. Dir ist zu danken, wenn die Schule von der elften Klasse an eine einzige Angstpartie war. Na, sei froh.« – Macht nach dem Abitur eine Parteikarriere, die freilich gewissen Einschränkungen unterliegt, weil er nicht Sohn eines Landarbeiters, sondern eines Büdners ist und darum »proletarischen Adels« entbehrt.
1802 Beim Prozess gegen Dieter Lockenvitz im Sommer 1952 verleumdet er seinen ehemaligen Mitschüler.
Vgl. auch 1534. 1656. 1658. 1715. 1728. 1800. 1815. 1817. 1822. 1832.
Mann, alter (Mecklenburg)
Bekannter, Freund oder Geliebter von Berta Cresspahl aus Jugendtagen.
280-281 Kurz bevor der im Haus der Schmoogs aufgebahrte Sarg von Berta Cresspahl geschlossen werden soll, machen die Trauergäste »einen weiten Gang frei für einen alten Mann, der krumm ging bis in die geknickten Knie. Er war sehr klein geworden. Er nahm den Zylinder in die Hand, als er die Diele noch gar nicht betreten hatte. Er hatte mit Berta Niemann kein Wort gesprochen, seit sie Heinrich Cresspahl geheiratet hatte, auch den Schmoogs nie mehr die Tageszeit geboten, einmal wegen ihrer Freundschaft mit der neuen Frau Cresspahl, zum anderen wegen eines Streits um 1890, über einen Streifen Acker. [...] Er stand lange vor dem Sarg. Er versuchte, seinen Rücken gerade zu halten. Dann war seinem Nacken anzusehen, daß er der Toten zugenickt hatte.«
Mann, alter (New York)
Gast in Charlies ›Gutem Eßgeschäft‹, offenbar ein Emigrant und Verfolgter des NS-Regimes.
1545-1546 Beim Zeitunglesen in Charlies ›Gutem Eßgeschäft‹ fällt Gesine Cresspahls Blick »auf den Nachbarn, vom Sehen wohlbekannt. Ein alter Mann, ein Augenwegwender, ein Beiseitetreter, den Nacken hält er immer wie eben geschlagen. Einer von denen, die sie... dachte ich: A victim. Leider gibt es auch das Wort to victimize.« Gesine verlässt das Geschäft, Charlies Gastlichkeit zuliebe »Übelbefinden« vortäuschend.
Eine vergleichbare Episode beschreibt Johnson in seiner Büchner-Preis-Rede (1971), S. 59 und in der »Skizze eines Verunglückten« (1982), S. 7 f.
Mann, Thomas
Deutscher Schriftsteller (1875-1955).
1683 Bei der Eröffnung des Schuljahres 1950/51 an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez schlägt die »Zentrale Schulgruppenleitung« der FDJ ihre Kandidaten für ihr »Ehrenpräsidium« vor, darunter neben Stalin, Mao Tse-tung und Hewlett Johnson auch Thomas Mann »zum Andenken an seinen verstorbenen Bruder, den Träger des Goethe-Nationalpreises, der durch seine Reise nach Weimar den Realismus an den Tag gelegt hat, wie er seinen Schriften aus den Knopflöchern scheint!«
1685 Die (falsche) Nachricht, dass Thomas Mann den ›Stockholmer Appell‹ zur Ächtung der Atombombe im Mai 1950 unterschrieben habe, tröstet die Schülerin Gesine Cresspahl und ihre Freunde. Ein Jahr später hören sie von Thomas Manns Dementi: »Ein Jahr später hatten wir uns zu schämen.«
1687 Über Thomas Manns Brief an Walter Ulbricht vom Juni 1951 zu den sog. Waldheim-Prozessen 1950.
Das S. 1685 zitierte Dementi zum Stockholmer Appell entstammt einem Brief Thomas Manns vom 8. April 1951 an die Redaktion der New Yorker Emigrantenzeitschrift »Aufbau«, die ihn am 13.4.1951 unter dem Titel »Ich stelle fest ...« druckte. – Der S. 1687 zitierte Appell an Walter Ulbricht entstammt einem zwischen dem 10. und 15. Juni 1951 entstandenen Brief an den Staatsratsvorsitzenden, der in Auszügen erstmals 1963 in der ›Welt‹ vom 15.6.1963, in voller Länge erstmals in der ›Neuen Rundschau‹ 101 (1990), Heft 2, abgedruckt wurde.
Marjahn
Superintendent in Gneez.
1459-1460 Die nach 1945 sich wieder formierende ›feine Gesellschaft‹ in Gneez hält seine Predigten für »erhebend und unschädlich«, sofern sie nicht zu lange dauern: »geriet er bei den großen Festen nur ein wenig ins Schwimmen, so klangen ihm hinterher gewiß die Ohren von den Schimpfreden der pflichtbewußten Damen, die mit der Schürze vor dem Festtagskleid eine Gans zu spät aus der Röhre holten oder mit dem Karpfen ins Hintertreffen kamen. Im Hungerwinter 1946.«
Marjorie
Ein Mädchen in New York, eine Straßenbekanntschaft von Gesine und Marie Cresspahl aus dem Winter 1966/67, die sie gelegentlich in der Umgebung des Riverside Drive treffen.
263-266 »Sie heißt nicht Marjorie. Wir wissen ihren Namen nicht. Wir kennen sie nicht. Sie ist uns zugekommen im vergangenen Winter, ein Mädchen, das an der 97. Straße auf den Bus 5 wartete. Es war ein Tag mit ätzendem Wind, kalt genug das Warten eindringlich und inständig zu machen. Sie stand nicht krumm und im Unglück der Kälte zusammengezogen; sie machte aus dem Frieren eine sorgfältige und zierliche Pantomime. Es sah aus, als fröre sie aus Kameradschaft. Wir gaben ihr nur ganz wenig Worte, und schon vertraute sie uns an: sie sei froh, dies Wetter nicht versäumt zu haben.« – Sie ist schön: »Das Wort schön, für sie ist es übriggeblieben. Sie kann unter wuchtigen Capes verbergen, daß sie schon sechzehn Jahre lang richtig gewachsen ist, sehr schlank, noch nicht schmächtig, auf langen Beinen, die auch die Blicke weiblicher Passanten auf sich ziehen.« – »Sie sieht uns, sie strahlt. Sie redet mit ihren schwarzen Augen, und wir glauben ihr. Es ist nicht erfindlich, warum sie glücklich sein sollte, uns zu sehen; wir nehmen es hin ohne Widerrede in Gedanken.« – »Sie kennt von uns nicht den Namen. Wir kennen von ihr nicht den Namen. Sie will von uns nichts. Wir können von ihr nichts wollen. Es ist ohne Zweck.«
»Wenn jemals, Mrs. Cresspahl, die Stadt New York Ihnen Schaden oder Leides getan hat, bin ich beauftragt, Ihnen zu sagen: Es sollte nicht sein. Es ist geschehen durch ein Versehen. Es tut uns leid, und ich werde Sie trösten.«
541-543 In der Sauna des Hotels Marseille am 2. Januar 1968 ist sie, inzwischen siebzehn Jahre alt, »die einzige mit einem noch vollkommenen Körper hier, und wird für älter gehalten«. Sie macht den Frauen, die über die zunehmenden Vergewaltigungen in der Stadt klagen, vor, wie sie sich zur Wehr setzen würde.
1668 Nach dem Einbruch in ihre Wohnung am 29. Juli 1968 gehen Gesine und Marie Cresspahl abends durch die Straßen. »Vielleicht suchten wir Marjorie. (Wenn jemals, Mrs. Cresspahl, die Stadt New York Ihnen Schaden oder Leides getan hat...) Es war zu spät am Abend. Nirgends war sie zu sehen.«
Markshaw, Mark T.
190 Amerikaner, der Anita Gantlik im Oktober 1967 ein Päckchen von Gesine Cresspahl überbringt. Dass sich darin der Pass von Henri R. Faure befindet, den Anita für eine ihrer Fluchthelferaktionen benötigt, weiß er nicht.
Martens, Eberhard
Lehrer für Mathematik und Physik an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1681 Rückt zu Beginn des Schuljahres 1950/51 an die Stelle von Frau Dr. Gollnow, die in den Ruhestand geht: »soldatische Haltung, blonde Haare im Rekrutenschnitt, ›Das böse Auge‹«.
1817 Gesine Cresspahl und Anita Gantlik bekommen im Abitur von ihm eine Eins in Mathematik und Physik. Er wird ›Das Böse Auge‹ genannt, »weil er aus Unteroffizierszeiten einen hypnotischen Blick behalten hatte, der suchte nach Vergehen«. – Bei dem Versuch, die DDR 1954 zu verlassen, wird er mit belastenden Privatphotos von SS-Größen im Gepäck geschnappt und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. »Diesem Lehrer schützten wir eine Fügsamkeit vor bis zum Abitur.«
Masaryk, Jan
Tschechoslowakischer Politiker (1886-1948). 1945-1948 Außenminister der ČSSR. Sohn von Thomas Masaryk.
852 Über Ereignisse in Prag im März 1968: »Am Grab des Außenministers Jan Masaryk, der vor zwanzig Jahren aus einem Fenster seines Amtssitzes sprang oder gestoßen wurde, durften sich 3000 Studenten zum Gedenktag versammeln.«
1027 Marie bringt ihrer Mutter einen übersehenen Artikel der New York Times vom 20.4.1968, in dem berichtet wird, dass der tschechische Major Bedřich Pokorný, der 1948 mit der Untersuchung des Todes von Jan Masaryk beauftragt war, vor drei Wochen erhängt in einem Waldgebiet bei Brünn gefunden wurde.
1514 Im Mai 1948 macht Johnny Schlegel mit Heinrich Cresspahl, der nach zweieinhalb Jahren aus sowjetischer Haft zurückkommt, »einen Schnellkurs in den Sachen, die der seit dem Herbst 1945 verpaßt hatte«, darunter auch die Meldung von Jan Masaryks Tod. »Ob Cresspahl jemand wisse, der bei uns aus dem Fenster springen wolle, wenigstens in Mecklenburg, damit es hier so komme wie da?«
1810 Während Jakob Abs' Aufenthalt in Olmütz erzählen ihm seine Gastgeber Feliks und Tonja von der »Parfümkisten-Verschwörung« gegen Masaryk.
Zu den Hintergründen des Todes von Masaryk vgl. den Jahrestage-Kommentar zu 852,31 f. und 1027,34; zur »Parfümkisten-Verschwörung« den Kommentar zu 1810,16.
Masaryk, Thomas
Tomáš Garrigue Masaryk (1850-1937), tschechischer Politiker, Mitbegründer und erster Staatspräsident der ČSSR von 1918 bis 1935. Vater von Jan Masaryk.
1165 Am 15. Mai 1968 liest Gesine Cresspahl in der New York Times, Masaryk »habe 1918 einem antibolschewistischen Terroristen 200,000 Rubel gezahlt, damit er Lenin umbringe. In Prag wollen sie eine Straße neu nach Thomas Masaryk nennen.«
1169 Unter der Präsidentschaft von Thomas Masaryk hatten die Juden keine Angst, erinnert sich Mrs. Ferwalter.
1169-1170 In ihrer Ausgabe vom 16. Mai 1968 äußert sich die New York Times über »Moskaus Ehrabschneiderei gegen Thomas Masaryk und nennt sie schändlich«.
Matschinsky, Eva Maria
Mitschülerin von Gesine Cresspahl in der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, befreundet mit Dagobert Haase (Saitschik).
1576 Lehrerin Habelschwerdt ermahnt sie: »Man legt nicht seine Fülle auf den Tisch, Eva Maria! Gerade du... Die Habelschwerdt war verblüfft von unserem Gelächter, sie hatte die jugendliche Fülle ihres eigenen Busens vergessen; sie hatte uns wie Eva erinnert daran, daß die Friseurstochter (rückständiger Mittelstand) ihre soziale Herkunft mit mindestens musterhaftem Betragen abzugelten hatte.«
1725-1726 Bei Pius Pagenkopf hören Gesine, Dieter Lockenvitz, Eva Matschinsky und Dagobert Haase heimlich »den Rundfunk Im Amerikanischen Sektor«.
Vgl. auch 1589. 1659. 1695. 1704.
Mau, Eva
Jugendliebe von D.E., Freundin von Ingrid Babendererde, ehemals Schülerin an der Oberschule in Wendisch Burg.
41 Bei D.E.'s Entscheidung, 1953 in den Westen zu gehen, hatten »auf der einen Seite Wendisch Burg gestanden, der Sozialismus in der ostdeutschen Manier und eine verschleppte Liebschaft mit Eva Mau«, auf der anderen die schlechten Ausbildungschancen.
Vgl. auch 42. 815. 1018.
Eva Mau ist eine Figur aus »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953«, dem erst posthum (1985) veröffentlichten Romanerstling Uwe Johnsons. Vgl. auch »Begleitumstände« (1980), S. 84 f.
Mauro, Don
Ladenbesitzer am Broadway, Puertoricaner.
1200-1203 Weil Don Mauro einen fünfzigjährigen Stadtstreicher und Bettler aus dem Laden wirft, möchte Gesine Cresspahl künftig darauf verzichten, bei ihm Zigaretten zu kaufen.
Max (Maxie, Mr. Maxie Fruitmarket)
Obst- und Gemüsehändler in New York.
23 Ist Marie Cresspahl »tributpflichtig […] mit Pfirsichen«.
25 Marie zählt »Mr. Maxie Fruitmarket« zu ihren besten Freunden.
247-248 An Halloween 1967 gibt Max den umherziehenden Kindern Obst, das sie noch in seinem Laden zertreten, weil sie lieber Geld bekommen hätten. Eines der Kinder scheint Marie Cresspahl zu sein, aber der Erzähler dementiert (halbherzig): »Von Marie sagte Max nichts. Seit sechs Jahren hat Max das Kind mit dem Ruf Hey, Blondie! begrüßt und mit Pfirsichen oder Äpfeln beschenkt, Zentner Obst hat Marie in seinem Laden verzehrt, und wenn er sie bemerkt hätte in der Halloweenhorde, würde er es erwähnt haben.«
528 Auflistung des Einkaufs in Maxie's Gemüsegeschäft am 29. Dezember 1967.
Vgl. auch 1023.
Mays, Willie
Amerikanischer Baseballspieler (geb. 1931); spielte in den sechziger Jahren für die San Francisco Giants.
1005-1007 Bei einem Baseballspiel im New Yorker Shea-Stadion am 18. April 1968, zu dem de Rosny Marie und Gesine Cresspahl eingeladen hat, verwandelt de Rosny sich »in den kleinen Jungen, der angestrengt geradeaus sieht, während er von Willie Mays erzählt, dem er von Kindheit an zugesehen hat, jeweils mit klopfendem Herzen. [...] Wo der Chef lebt, weiß man nicht, daß Willie Mays bei den radikalen Negern als Verräter gilt. Er hat sich geweigert, für den Boykott der olympischen Spiele durch Negersportler anzutreten. [...] In festem Ton, trotzig verspricht de Rosny dem fernen, zuschlagenden, wild rennenden Freund: Wenn er mal nicht mehr kann –. Er kriegt einen Posten in unserer Zweigstelle in San Francisco!«
McCarthy, Eugene J.
Amerikanischer Politiker (1916-2005), Vertreter der Demokraten im Repräsentantenhaus 1948-58, Senator für Minnesota 1949-1971; kandidierte 1968 bei den Vorwahlen zur Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Gegner des Vietnam-Krieges.
493 Lyndon B. Johnson redet von einer »Kennedy-McCarthy-Bewegung«, und die New York Times »spricht nicht unzufrieden von einem ›tödlichen Bindestrich‹, der den Senator Kennedy in größere Nähe zu den Antikriegs-Vereinigungen bringe, als ihm wahrscheinlich lieb sei«.
700 New York Times vom 10. Februar 1968: McCarthy wird vom Weißen Haus und vom Pentagon »gerügt, weil er behauptet habe, es seien taktische Atomwaffen für den Einsatz in Viet Nam angefordert worden«.
1127-1133 Über die Vorwahlen in Indiana und New Hampshire. Studenten setzen sich für die Wahl McCarthys ein. Gesine und Marie mutmaßen über die Gründe der Studenten: »Er war einer der Wenigen, die sich im Radio anlegten mit dem anderen McCarthy, dem Kommunistenschnüffler, sie mögen es ihm anrechnen als Tapferkeit. Aber fünf Regierungsperioden für die Demokraten im Senat, und kein Gesetz, das seinen Namen trüge.« – Über die Unterstützung McCarthys durch John Kenneth Galbraith, Robert Lowell und Paul Newman.
1245 An dem Ferienwochenende vom 30. Mai bis zum 2. Juni 1968, das Gesine und Marie Cresspahl mit Amanda Williams, Naomi und Clarissa Prince in einem Ferienhaus am Sund von Long Island verbringen, wollen sie »die Präsidentschaftskandidaten im T.V. diskutieren sehen, das Arbeitspferd McCarthy gegen das nervöse Fohlen Kennedy«.
Vgl. auch 940. 1071. 1128. 1255. 1260. 1261. 1304. 1320.
McIntyre, Mr.
Barkeeper im Hotel Marseille in New York.
488-489 Mr. McIntyre kommt »kaum je zum Stillstand vor seinen neunundneunzig Flaschen Feuerwassers«.
1137 Nach einem Kinobesuch am 9. Mai 1968 (»The Fifth Horseman Is Fear« von Zbyněk Brynych) sitzt Gesine Cresspahl niedergeschlagen in der Hotelbar, so dass Mr. McIntyre auf ein Gespräch mit ihr verzichtet. Stattdessen schaltet er die Sechsuhrnachrichten ein.
1880-1882 Am 19. August 1968, dem Tag vor der Abreise nach Prag, denkt Gesine über die New Yorker Jahre seit 1961 und ihr Verhältnis zu der Stadt nach; dazu gehört auch die Erinnerung an die Stunden in der Bar des Marseille und an die Gespräche mit Mr. McIntyre in den ersten Jahren: »Das waren Gespräche, die sich lohnen. Mr. McIntyre nahm sich, jeweils mit Entschuldigungen, das Amt eines Lehrers heraus und brachte zu Gehör, wie man englische Worte ausspricht auf Amerikanisch«.
1881 Wird offenbar im Sommer 1968 verhaftet, »damit ihm zunächst versagt ist, hinter einer Bar verborgen Geschichten zu erzählen; was nur das Bundeskriminalamt als Wissen verwalten darf«.
Mechow
Dorf nordöstlich von Ratzeburg am Mechower See.
1238 Bei dem zur Grenzbereinigung vereinbarten Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets im Dezember 1945 werden »die Dörfer Bäk, Mechow und Ziethen [...] zu Schleswig-Holstein geschlagen; Dechow, Groß Thurow und das ganze Ostufer des Schaalsees mitsamt dem Stintenburgschen Werder gehörte nun zu Sowjetmecklenburg«.
Zum Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1238, 3-16.
Mecklenburg
95 Anwalt Salomon von Burse, Dunaway & Salomon in Richmond »hatte Gefallen gefunden an dem hartnäckigen Handwerker aus ›Michelinberg‹« (d.h. an Heinrich Cresspahl).
142 Von der Armut in Mecklenburg hat Lisbeth Cresspahl als Kind und Jugendliche nichts bemerkt, sie »war vor ihr versteckt gewesen: in der Verspätung der mecklenburgischen Seele, im Vertrauen der Familie Papenbrock auf ihr Recht zu bevorzugtem Leben, in regelmäßigen Spenden an die Kirche« u.a.
268 »›Nein! Nein! Nein! rief Frau Erichson. Sie sah uns vor ihrer Tür und sagte Nein zu uns, Begeisterung im Gesicht [...]. Es sollte Freude ausdrücken. Es ist eine mecklenburgische Eigenheit, Besuch oder Nachricht willkommen zu heißen. So tun alte Leute in Mecklenburg.«
294 Im März 1933 sorgt der alte Papenbrock dafür, dass die öffentlichen Gebäude in Jerichow nicht nur, wie angeordnet, mit der Reichsfahne (Schwarz-Weiß-Rot) und der Hakenkreuzfahne beflaggt werden, sondern daneben auch die mecklenburgische Landesflagge (Blau-Weiß-Rot) aufgezogen wird, und bestellt bei Schneider Pahl sogar noch drei weitere Fahnen. »Er hatte zwar nicht sagen wollen, wozu, aber es war so gut wie sein Wort, daß das Land Mecklenburg-Schwerin auch noch diese siebente Reichsregierung binnen eines Jahres überstehen würde.«
869 Dass Bürgermeister Eduard Tamms »sich nicht die Zeit ließ für die mecklenburgischen Umständlichkeiten«, stört manche Jerichower.
913 »Der 1. mecklenburgische Verfassungsgrundsatz hatte geheißen: Dat bliwt allns so as dat is.« [Es bleibt alles so, wie es ist.]
945-950 Eine Liste mit Opfern der »Justiz in Mecklenburg während des Nazikrieges«.
1457-1458 »Sogar Mecklenburg als eine Provinz hatte die revolutionäre Rote Armee ihnen belassen; der störende Zusatz ›-Vorpommern‹ wurde durch das Gesetz vom 1. März 1947 beseitigt, so daß die nun weniger zu sagen hatten und eigentlich gerechnet werden konnten als ein Gewinn für Mecklenburg.« Auch die alten Landesfarben Blau-Gelb-Rot werden beibehalten. »Das Hergebrachte, wer ficht das an.«
1643 Gesine »sitzt [...] da und macht den mecklenburgischen Ossenkopp, beide Fäuste gegen die Schläfen«.
1775-1776 Über ihren Besuch in Mecklenburg im Mai 1968 schreibt Anita Gantlik an Gesine Cresspahl: »Aber, Gesine: dein Mecklenburg trinkt nun schon früh am Tag. Das Restaurant im Hauptbahnhof immer noch geschlossen, der Wartesaal dicht besetzt von Biertrinkern.«
1790-1796 und 1803 Von Dieter Lockenvitz erstellte Namensliste von Opfern der Justiz in Mecklenburg seit 1945.
1837 Gesine erzählt Marie von der Auflösung des Landes Mecklenburg im Juli 1952. »›Mecklenburg‹, das durftest du nun noch sagen in einem sprachlichen, einem volkskundlichen Sinne. Sonst bestand es aus drei Bezirken: Rostock, Schwerin, Neubrandenburg; dahin wurden Landtag und Landesregierung überführt.« – Marie: »Tut es dir leid um die Farben Blau-Gelb-Rot?« – Gesine: »Um die Beseitigung des Blau, wegen des goldenen Greifen auf solchem Grunde; für Rostock. Um rot und gold; für Schwerin. Um das Rot, die Zunge des schwarzen Büffelkopfes für das Gebiet Wenden. Es ist ein Stück Herkunft unkenntlich gemacht worden.«
Eine vollständige Liste mit Stellennachweisen zum Stichwort ›Mecklenburg‹ bietet das Ortsregister des Jahrestage-Kommentars.
Mecklenburg, Alwin Wwe.
Geschäft für Grab- und Ziersteine in Jerichow.
1143 Die Firma soll auf Geheiß des sowjetischen Stadtkommandanten Pontij einen Obelisken für den Jerichower Marktplatz anfertigen, wozu es dann aber nicht kommt.
Mestlin
Gemeinde östlich von Schwerin.
1286 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 kommt der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl an Mestlin vorbei: »Bei Mestlin sollte ihm etwas einfallen, es plagte ihn noch zehn Kilometer weiter, dann erkannte er es als die Abzweigung nach Sternberg und Wismar und Jerichow, von nun an versäumt.«
Methfessel, August
Schlachtermeister in Jerichow.
358-359 Er ist unter den Schaulustigen, die sich am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, vor der Praxis von Dr. Semig in Jerichow aufhalten, dessen Grundstück von SA-Männern blockiert werden soll. Er fängt Oma Klugs kranke Katze wieder ein, die die SA-Leute aus ihrem Korb genommen haben. Der aufgebrachte Baron von Rammin, der nach einem Besuch bei Semig die Absperrung mit seiner Kutsche gewaltsam durchbricht, erkennt Methfessel in der Menge. »Schlachter Methfessel verlor binnen einer Woche drei Adelsgüter als Kunden.« Seine Versuche, sich zu rechtfertigen, schlagen fehl. »Er war ganz ratlos: Zog er die braune Uniform an, hatte er eine sichere Kundschaft und konnte von ihr nicht leben.«
362 Methfessel beginnt zu trinken und lässt sich »eines Abends im Krug vernehmen über die Gerechtigkeit im Neuen Reich«. Er landet für vier Wochen im Konzentrationslager Fürstenberg. »Als er nach vier Wochen zurückkam, wollte er nichts erzählen.«
428-433 Im Herbst 1934 beklagt Methfessel sich über die nachlässige Arbeit des neuen Fleischbeschauers Hauschildt, Nachfolger von Dr. Semig und Parteimitglied. Das Kreisveterinäramt in Gneez muss sich zwar (auf höhere Weisung aus Schwerin) mit dem Fall befassen und Methfessels Vorwürfe zu Protokoll nehmen. Aber gleich darauf nimmt »S.A. in Zivil« den Schlachter »hopp«, und bei seiner Rückkehr findet er sein Kühlhaus wegen angeblicher Salmonellenverseuchung ausgeräumt vor. In der Folgezeit wird er von Hauschildt systematisch schikaniert: Der Tierarzt lässt ihn über Gebühr lange auf die Befunde seiner Untersuchungen warten und »benutzte nun bei Methfessel recht gern den quadratischen Stempel, der nur für bedingte Tauglichkeit des Fleisches galt«, manchmal kam es sogar vor, dass er den »dreieckigen nahm, den für die Untauglichkeit«. Darüber wird Methfessel gemütskrank. Bis dahin hatte seine Schlachterei als die beste in Jerichow gegolten.
458 Methfessel fragt die zweijährige Gesine »mit seiner verschwörerischen Stimme, seinem sanften Gelächle: Möchtest du ein Löwe sein? Kannst du wieder alles essen? Aber vielleicht begriff das Kind bei ihm, daß er keine Antworten mehr benötigte.«
473 Muss seinen Betrieb 1935 seinem ältesten Gesellen übergeben, weil seine Söhne noch zu klein sind. »Es war eine Schande zu sehen, wie der schwere kräftige Mann die Straßen von Jerichow trat und nach Kindern suchte und sie fragen wollte: Möchtest du ein Löwe sein?«
1000 Methfessel wird später von den Nationalsozialisten »in ein Pflegeheim verschleppt und als lebensunwertes Leben nach Führerbefehl zu Tode gespritzt«.
Anhang XI Heinrich Cresspahl 1949 über August Methfessel: »kam für nichts als dummes Reden in ein Straflager, wurde bis zur Arbeitsunfähigkeit geschlagen, wurde mit medizinischen Versuchen getötet. Dessen Kundschaft übernahm Klein.«
Vgl. auch 237. 293. 411. 644. 761. 829. 879.
Methfessel, Frieda
Frau des Schlachtermeisters August Methfessel in Jerichow.
359 Glaubt ihrem Mann nicht, als der versucht, sich für seine Anwesenheit vor Dr. Semigs Haus am Tag des ›Judenboykotts‹ (1.4.1933) zu rechtfertigen.
591 Bei den Ermittlungen zum Prozess gegen Hagemeister und Warning schiebt sie Dr. Semig die Schuld für die Schikanen des neuen Fleichbeschauers Hauschildt (vgl. 428-433) in die Schuhe.
1600 Hält ihren Sohn Ludwig nach 1945 »streng« dazu an, »seinen neuen Lehrern aufs Wort zu folgen«.
1601 Beschwört, auf Methfessels vierwöchige Inhaftierung im Konzentrationslager Fürstenberg anspielend, die »›Schicksalsgemeinschaft‹, in der ihr Mann und Brüshaver einander begegnet seien«, unternimmt aber wenig gegen ihren »störrischen Sprößling« Ludwig, der Brüshavers Konfirmandenunterricht mit Fußballübungen stört.
Methfessel, Ludwig
Sohn von Schlachtermeister August Methfessel in Jerichow.
358 Ein Methfessel gehört zu den Unterzeichnern des Briefes, den Gesine Cresspahl im November 1967 vom Gemeindevorstand des Seebads Rande auf ihre Anfrage, die »Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933« betreffend, bekommt.
943 In ihrem Brief an Gesine Cresspahl vom März 1968 gibt Leslie Danzmann Auskunft über die Unterzeichner des Briefes: »Methfessel hab ich als Kind gekannt, dies Kind mit seinen 35 Jahren, gibt einer alten Frau keine Antwort, läßt sie stehen! Methfessel und die Partei, das ist die Innung und die Partei«.
1600 Wird von seiner Mutter Frieda Methfessel nach 1945 »streng angehalten, seinen neuen Lehrern aufs Wort zu folgen«.
1601 Stört Brüshavers Konfirmandenunterricht mit Fußballübungen.
Vgl. auch 1240.
Methling, Frau
Frau von Wilhelm Methling.
238 »Unter der Kanzel saß Methlings Frau, klein, schmächtig, auffällig älter als er, mit einem vor Verschüchterung fast tauben Blick, mit blanken schwarzen Haaren in einem Dutt, kinderlos.«
Methling, Wilhelm
Pastor in Jerichow von Herbst 1927 bis 1932.
88 An jedem Kirchtag sitzt Lisbeth Papenbrock »in der zweiten Reihe unter der Kanzel«.
105 Wettert 1931 »von der Kanzel herab gegen die Vermessung von jerichower Boden für eine katholische Kirche«. Das Jerichower Handwerk, das »sich einrichtete auf große Stücke aus diesem Auftrag«, denkt darüber anders.
111-112 Er traut Heinrich Cresspahl und Lisbeth Papenbrock am 31. Oktober 1931 in der Petrikirche. Dass Lisbeths Bruder Horst dabei nicht in SA-Uniform erscheinen darf, liegt nicht an Pastor Methling, der durchaus »bereit gewesen war, eine Abordnung uniformierter S.A. für einen vaterländischen Auftritt zu halten«.
235-239 Rückblick auf seine Amtszeit. Methling war stets »sichtbar, fühlbar, hörbar. Sichtbar, ein Mann von bald zwei Metern und noch fast zwei Zentnern, dem der Talar um den Bauch weit genug war, jedoch um die Knöchel zu kurz, so daß er unter dem schwarzen Kittel oft lehmige Stiefel zeigte beim Abschreiten der Stadtstraße«. Er »brachte die Kirche mit zu Festen, die sein Vorgänger zu Hause begangen hatte: Tag der Reichsgründung, Kaisers Geburtstag, Schlacht bei Tannenberg.« – »Er machte sich fühlbar«, indem er sich in alle möglichen privaten und öffentlichen Angelegenheiten einmischte. Setzt »Frakturbuchstaben (statt Antiqua) auf Grabsteinen« durch, »damit ein Deutscher deutsch sei, auch im Verrotten«. In der Stadt gilt Albert Papenbrock als der einzige, der ihm gewachsen ist. – Und »hörbar« machte er sich durch Predigten rassistischen Inhalts: Er »sprach von der Kanzel herab über die völkische Forderung nach reinrassigen Ehen und nannte sie berechtigt. [...] Rasse hielt Methling für eine irdische Schranke, die in der Ewigkeit aufgelöst werde«. – Bezieht nach seiner Pensionierung ein geerbtes Haus in Gneez, von dem aus er weiter das Gemeindeblatt redigiert, das er nach seinem Amtsantritt in Jerichow gegründet hatte.
239 Formuliert 1933 bei einer Einwohnerversammlung in Gneez das Glückwunschtelegramm an den neuen Reichskanzler, »ein alter Mann voll kindlicher Freude, seine Lebensziele nicht übergangen, sondern an der Regierung zu sehen«.
473-474 Er stirbt 1935, »nachdem er das Seine getan hatte für Rasse und Reich«, wird in Jerichow begraben. Auf seinem Sarg liegt »eine Fahne mit dem Hakenkreuz, und sechs Männer der S.A. trugen ihn aus der Petrikirche, und die Schulkinder bekamen frei, damit sie singen konnten«.
Mikolaitis, Freifrau von
Lehrerin für Russisch an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.
1607 Nach einer Auseinandersetzung mit Anita Gantlik über die richtige Aussprache des Russischen lädt die Freifrau, »die ihre baltische Herkunft bei uns als Unterricht im Russischen verkaufen durfte«, Anita zu Privatstunden ein, »aber um von Anita den Fluß des Sprechens zu lernen«.
Milenius, Ite
Bekannte von Gesine Cresspahl, wohnhaft in Lübeck.
139 An sie schickt Gesine die Westwaren, mit denen sie die Rechnungen der Friedhofsgärtnerei Creutz für die Grabpflege bezahlt, »damit Emmy Creutz der Zoll für Sendungen aus den U.S.A. erspart bleibt«. Ite Milenius schickt die Waren auf mehrere Pakete verteilt nach Jerichow weiter. »Dafür wird nun Ite Milenius ihrerseits einen Wunschzettel über Weihnachtsgeschenke bei uns einreichen.«
Mili
Militärbadeanstalt des ehemaligen Flugplatzes Jerichow Nord.
489 Die Kinder nennen sie nach dem Krieg ›Mili‹. Sie wurde vergessen, als der Fliegerhorst von der sowjetischen Besatzung gesprengt und geschleift wurde. Hier hat Gesine Cresspahl schwimmen gelernt.
Milo, Anthony
Angestellter in der Abteilung der Bank im 16. Stock, in die Gesine Cresspahl im Februar 1968 versetzt wird.
820 Er gehört neben Wilbur N. Wendell, James Carmody und Henri Gelliston zu dem neuen Kollegenkreis, mit dem Gesine nach ihrer Beförderung bekanntgemacht wird.
821 Ein Italiener, »der die Sprache seiner Mutter nicht mehr spricht. Mr. Milo, braunäugig, grübelig, mit vergeßlichen Lippen, sprödem trockenem Büschelhaar«.
1313 Sogar »Anthony, der so dringend vergessen machen will, daß er in einem italienischen Armenviertel der Stadt geboren ist, unser Herr mit den streng vollendeten Formen«, verliert am 7. Juni 1968, dem Tag nach Robert Kennedys Ermordung, ein wenig die Fassung, »fläzt sich geradezu über den Tisch im Bemühen, die Zeitung nicht zu knicken«.
1467-1473 Bei einem Arbeitsessen mit de Rosny, Gesine Cresspahl und anderen leitenden Angestellten der Bank, das »in der Art einer Prüfung« abläuft, fällt Milo bei de Rosny durch. – »Anthony, armer Anthony. Er ist wohl doch zu rasch weggezogen aus Brooklyn, von der eben erst eingewanderten Mutter mit dem beschämend bäuerlichen Kopftuch, an der er jetzt täglich vorbeifährt in der Eisenbahn hinaus auf Long Island.«
Mölders, Werner
Offizier der deutschen Luftwaffe (1913-1941), seit 1941 Inspekteur der Luftwaffe. Tod durch Flugzeugabsturz am 22. November 1941.
859-860 Bei einem Treffen mit seinem Verbindungsmann des britischen Geheimdienstes hätte Heinrich Cresspahl den Brief mitbringen sollen, den »der Inspekteur der Jagdflieger Werner Mölders an den Propst von Stettin geschrieben haben sollte, bevor er im November 1941 bei Breslau abstürzte. [...] die Briten hätten ihn gern für ihre Flugblattpropaganda gehabt, ob er nun gefälscht war oder nicht. Den Brief hatte Cresspahl nicht finden können«.
895 Cresspahl schenkt seiner Tochter Gesine zur Tarnung »Bücher wie ›Stukas‹, ›Mölders und seine Männer‹; das Kind sollte in der Schule harmlose Begeisterung für die deutschen Waffen zeigen, insbesondere für die Luftwaffe: Cresspahl bekam seine Mimikry. Das Kind bekam seine Verletzungen.«
Zu der Briefaffäre um Mölders vgl. Jahrestage-Kommentar zu 859, 31-38.
Molten
Bäcker in Jerichow.
105 Hat in seinem Schaufenster ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift: »Deutsche, eßt deutsches Brot!«
Vgl. auch 215.
Mootsaak, Heinz
Bauer aus der Malchower Gegend.
281 Ist bei Berta Cresspahls Beerdigung in Malchow am See im März 1933 einer der Sargträger.
767 Trauergast bei Lisbeth Cresspahls Beerdigung im November 1938.
1292 Wird im August 1947 in das Lager Fünfeichen eingeliefert, in dem auch Heinrich Cresspahl interniert ist. Er steht eines Tages plötzlich in der Tür der Baracke »in Hosen und Hemdsärmeln wie vom Feld weg mitgenommen. [...] er war noch der Bauer, der befangen und höflich eine Stube mit anderer Gesellschaft betritt. Für den stand Cresspahl auf, dem wandte er den Rücken zu, damit er das gegenseitige Erkennen nicht verriet und sie einander später zufällig treffen konnten, ohne Verdacht der anderen.« Aber Mootsack erkennt das »klapprige Gestell in den gemischten Uniformlumpen« nicht, und »am nächsten Morgen war er schon abgegangen in den Bunker«.
Morgen, Konrad
Jurist (1909-1982). Im Krieg Obersturmbannführer der Waffen-SS, seit 1940 Richter am Hauptamt SS-Gericht, 1943 von Himmler am Reichskriminalpolizeiamt Berlin mit der Untersuchung von Korruptionsfällen in Konzentrationslagern beauftragt, verurteilte unter anderem den Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Koch, zum Tode.
50 Die New York Times berichtet am 3. September 1967 über den Selbstmord der »Bestie von Buchenwald«, Ilse Koch, in deren Prozess 1947 auch Konrad Morgen vernommen worden sei.
Moxon, Salt & Co.
Vertretung des Norddeutschen Lloyd in der Regent Street, London.
182 Lisbeth Cresspahl lässt sich Ende Januar 1933 dort eine »Schiffskarte nach Hamburg« reservieren, weil sie das Kind in Deutschland zur Welt bringen will.
Müritz
Größter See der mecklenburgischen Seenplatte, zugleich zweitgrößter See Deutschlands. An seinem nördlichsten Zipfel liegt Waren, im Süden Rechlin.
Vgl. 56. 279. 504. 506. 532. 977. 979. 1018. 1125. 1375. 1744. Anhang I, IV und V.
Mussolini
Benito Mussolini (1883-1945), italienischer Diktator.
271 Besucht bei seinem Staatsbesuch Ende September 1937 auch das Wehrmachtsmanöver in Mecklenburg. Frau Erichson erzählt D.E. und Gesine im November 1967, dass sie ihn »aus zehn Schritt Abstand« gesehen habe.
600 Landgerichtsdirektor Wegerecht besucht zwar das Manöver, versäumt aber den Anblick Mussolinis. »Auf Mussolini war er neugieriger gewesen als auf dessen Begleiter, den Führer und Reichskanzler. Mussolini war doch wenigstens im eigenen Lande etwas geworden.«
1411 Während des Mussolini-Besuchs wird Peter Wulff in Bützow-Dreibergen inhaftiert.
1574 Auch Pagenkopf, der Vater von Gesines Schulfreund Pius, wurde während des Mussolini-Besuchs in »Schutzhaft« genommen.
Vgl. auch 198. 948.
N
N. S., Herr (»Nomenscio Sednondico«)
Justizangestellter am Landgericht Gneez im Mai 1952.
1801 Beim Prozess gegen Dieter Lockenvitz am 15. Mai 1952 informiert er die Schulklasse des Angeklagten unter der Hand über den Gerichtstermin: »zwar sollte im Protokoll etwas stehen von Öffentlichkeit, aber keine anwesend sein im Saal. Hier hatten die Schülerinnen Gantlik und Cresspahl vorgesorgt mit der Straftat einer vollendeten Bestechung an dem Justizangestellten Nomenscio Sednondico, welcher Herr N.S. über Elise Bock die Klasse Zwölf A Zwei so pünktlich verständigte, daß noch vor Beginn der Veranstaltung im Landgericht eine Zusammenrottung junger Bürger im stolzen Blauhemd Einlaß verlangte«.
Nomenscio Sednondico: ›Ich kenne den Namen, sage ihn aber nicht‹.
Nagel, Grete
Bäuerin in Althagen auf dem Fischland.
1494 Während ihres Aufenthalts bei Ille in Althagen im Sommer 1947 holt Gesine jeden Abend Milch bei Grete Nagel und erinnert sich dabei fast jedes Mal daran, wie die Bäuerin früher ihr und Alexandra Paepcke »ein Glas Milch angeboten hatte, jedoch frisch aus dem Euter, und die Kuh wandte ihre Augen um zu ihr. Es fiel ihr jetzt ein wenig schwerer, Milch zu trinken.« (Alexandra ist mit ihrer Mutter Hilde und ihren Geschwistern im März 1945 bei einem Tieffliegerangriff umgekommen).
Vgl. auch 881. 954. 1491.
Naglinsky, Graf (gen. Beatus Nagel)
Österreichischer Freund von Baron von Rammin.
356-357 Bittet seinen Freund Rammin, ihm in Deutschland ein Mittel gegen »Eulwenzwang« zu besorgen, an dem sein Hund nach Auskunft seines österreichischen Tierarztes leide. Rammin holt das Mittel am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, bei Dr. Semig ab. Die Blamage um das missverstandene Wort (Ohrenzwang) versetzt ihn so in Rage, dass er mit seiner Kutsche auf die SA-Männer zu hält, die vor Dr. Semigs Haus Wache stehen. Dabei wird Ossi Rahn verletzt.
545 Aus Dankbarkeit für die Genesung seines Hundes bietet Naglinsky (vermittelt durch Baron von Rammin) dem wegen seiner jüdischen Herkunft gefährdeten Tierarzt Dr. Semig eine Stelle als Veterinär auf seinen Gütern an.
650-652 Im Dezember 1937 folgen Arthur und Dora Semig Naglinskys Angebot, halten es dort aber wegen antisemitischer Anfeindungen im Dorf nur kurze Zeit aus. »Naglinsky hatte sich unwissend verhalten«. Als Semig die »Stellung, die keine gewesen war«, im März 1938 aufgibt, zahlt Naglinsky ihm »in seiner Erleichterung« das Geld aus, »obwohl er den Gegenwert noch gar nicht in Deutschland abgeholt hatte«.
Namen
413-414 Jerichower Gerede über Ottje Stoffregens Namen 1933: »Stoffregen klingt auch nicht arisch. Klingt dir das arisch? Stoffregen. Und dann hat er noch Glück gehabt, daß dieser Kliefoth Bescheid wußte. Was für ein Kleie-am-Fuß. [...] Und Stoffregen, Ottje, er hätte das ja nun selber wissen müssen, als Lehrer, und ein Mensch denkt doch über seinen Namen nach. Ich nicht. Das glaub ich dir, Hünemörder. Und Dr. Kliefoth sagt zu Ottje: Das ist Mittel-Nieder-Deutsch, früher mit ein langen o gesprochn, und es kommt von stôven, und das heißt schnell jagen und bezieht sich auf das Wetter zur Zeit der Geburt. [...] Was heißt denn Stoffregen nu! Das ratet ihr nicht. Dem geb ich einen aus, der das rät. Na? Wolkenbruch heißt es. Platzregen heißt es. Siehst du wohl. Ottje Platzregen.«
544 »War es nicht doch Avenarius, Avenarius Kalter Morgen?« (Avenarius Kollmorgen)
896 Über Gesines Lehrerin Lafrantz: »Dann kam Olsching Lafrantz, stolz auf ihren Nachnamen, erbittert über den, den die Kinder ihr angehängt hatten« (Olsching, d. h. Alte).
913 Der Name des Leiters der Gestapostelle Gneez wird vom Erzähler bzw. von Gesine Cresspahl verschwiegen: »er braucht einen Namen nicht«.
1251-1255 Über den Unterricht in Gneez, 1945: »Zu den Beschäftigungen gehörten Versuche in der Namensforschung. Es war die schlimmste Gelegenheit für den Spitznamen. Die Schülerin Cresspahl wollte nicht angenagelt werden als Kresse am Pfahl, sie mochte aber auch nicht einen Namen als Christ haben, vielleicht von Chrest im Wendischen. Als sie an der Reihe war, erklärte sie ihren Namen als zusammengesetzt aus kross und Pall.« Aber die Lehrerin, Dr. phil. Beese, »sagte: Nichts da. Griechisch grastis, ›Grünfutter‹, Althochdeutsch kresso, dazu falen, Ostfalen. Hatte ich meinen Spitznamen. Grünfutter.«
1290 Im sowjetischen KZ Fünfeichen: »Cresspahl sah einen (er verweigerte den Namen), den quälten seine Nachbarn zum Zeitvertreib«.
1606 Der Bauer in Wehrlich, in dessen »Knechtschaft« Anita Gantlik nach der Flucht aus Ostpreußen von ihrem Vater zurückgelassen wird, bekommt keinen Namen: Anita macht ihre Hausaufgaben in der ehemaligen Stadtbibliothek, weil »ihr Schinder von einem Gastgeber, wir verzichten auf den Namen, sie von den Büchern zum Ausmisten seines Schweinestalls schicken konnte«.
1608 Ihren Vornamen verdankt Anita Gantlik einem »Film mit spanischer Szene« und einem Schlager, den ihre Mutter 1933 gehört hat: »›Juanita‹; ich vergeb's ihr.« Ihr Nachname ist nur der »Stummel« eines ursprünglich polnischen Namens.
1662 »Was immer Übernamen auszusagen vermögen, über eines Menschen Umgang, Pius war beschützt von dem seinen [...]. Die Schülerin Cresspahl hatte keinen; Marie nur einen für das erste Kindergartenjahr 1961/62 (our lil' Kraut).«
1698-1699 Anlässlich der Lektüre von Fontanes »Schach von Wuthenow« in der Klasse Elf A Zwei bekommt der Schüler Nagel den Spitznamen Pinne (nach der Äußerung des Küfers im dritten Kapitel »Is hier allens voll Pinnen und Nägel«). »Hat es tapfer hingenommen. War im Grunde froh, daß er nun auch so etwas Eigenes hatte, einen Spitznamen.«
1705 Schüler Lockenvitz auf die Frage des Kandidaten Weserich nach den denkbaren Gründen für den Titel »Schach von Wuthenow«: »Weil ein Personenname immer die ehrlichste Ankündigung ist [...] (hatte er von Th. Mann).«
1707 Lockenvitz entdeckt, »daß Fontane dem Schach an keiner Stelle einen Vornamen gibt, gewiß nach adliger Sitte, dennoch Anmerkung zur Person«.
1722 Gesine verschweigt den Namen der Stadt, in der Dieter Lockenvitz' Vater Direktor der städtischen Gärten war: »sei unbesorgt. Ich verschweige den Namen der Stadt.«
1723 Lockenvitz: »Ein empfindliches Kind. Wenn man so heißt. Ein Spitzname: Dietchen (gestiftet von Lise Wollenberg). Wenn man in der Tat Locken um den Kopf trägt, blonde ungebärdige Wellen. Hintendran ein Vitz, ein Fitz, ein Fetzchen. [...] Siehe aber auch Goethe: ›Denn der Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen.‹«
1738, 1746 Zornig auf ihren Chef de Rosny, assoziiert Gesine Cresspahl das tschechische Wort ›hrozný‹ (furchtbar, schrecklich) mit seinem Namen: »Hroznýš, die Riesenschlange! Hrozitánský, ungeheuer!«
1751 Über den Vornamen Gesine und Cresspahls Jugendliebe Gesine Redebrecht, nach der Gesine Cresspahl benannt ist.
1751 Der Junge über der Apotheke, ein jugendlicher Verehrer der Schülerin Cresspahl, bekommt keinen Namen: »Und weil ich ihm nun einmal das Gewünschte vorenthalten mußte, gedenke ich wenigstens, seinen Namen zu verschweigen. Überhaupt ist mir, als würd ich nun ungenau sein mit Namen. Denn wenn Cresspahl an Knoop ein dänisches Geschäft gescho – vermittelt hatte, wird auch Gesine zum Begießen eingeladen auf ein Boot, eine Jacht im Hafen von Wismar. Wir wollen dem Menschen keinen Ärger machen«.
1797 Der Schüler Dieter Lockenvitz erklärt den Lesern seiner anonymen Post »die Herkunft des Gefängnisnamens ›Bützow-Dreibergen‹ aus den drei Hügeln an der südwestlichen Ecke des Bützower Sees, auf denen die Unterkunft einst hatte errichtet werden sollen«.
1801 Beim Prozess gegen Dieter Lockenvitz am 15. Mai 1952 informiert ein Justizangestellter die Klasse des Angeklagten unter der Hand über den Gerichtstermin: »zwar sollte im Protokoll etwas stehen von Öffentlichkeit, aber keine anwesend sein im Saal. Hier hatten die Schülerinnen Gantlik und Cresspahl vorgesorgt mit der Straftat einer vollendeten Bestechung an dem Justizangestellten Nomenscio Sednondico [Ich kenne den Namen, sage ihn aber nicht], welcher Herr N.S. über Elise Bock die Klasse Zwölf A Zwei so pünktlich verständigte, daß noch vor Beginn der Veranstaltung im Landgericht eine Zusammenrottung junger Bürger im stolzen Blauhemd Einlaß verlangte«.
1834 Der junge Mann, der die Studentin Gesine Cresspahl in Halle bespitzelt, »verdient keinen Namen«.
1872-1874 Gesine über »die Karriere eines Politikers in der westdeutschen Republik: »Hätt ich je Heimweh nach der westdeutschen Politik, ein Bild hängt ich mir auf von dem.« Marie: »Der kriegt keinen Namen?« Gesine: »Der verdient den Namen, den er sich macht.« Die Rede ist von Franz Josef Strauß.
Namenlose
Vgl. Der Alte, Bauer in Wehrlich, Französischer Kriegsgefangener, Der Junge über der Apotheke, Lehrer für Biologie und Chemie, Lehrer für Latein, Lehrerin aus Marienwerder, Leiter der Gestapostelle Gneez, Mann, alter (Mecklenburg), Mann, alter (New York), Herr N. S., Parkwächter im Riverside Park, Pilot aus England, Spitzel der Staatssicherheit, Tante von Anita Gantlik.
Nathan
Inhaber einer Imbissbude vor dem Bahnhof der Subway an der Stillwell Avenue auf Coney Island.
983 Bei ihm gibt es nach Marie Cresspahls Urteil »die besten Heißen Hunde New Yorks [...], die einzigen nicht vergifteten Würste«.
990 Gesine Cresspahl im Telefongespräch mit Anita Gantlik am 14. April 1968: »Gestern abend waren wir auf Coney Island, bloß um bei Nathan Würstchen zu essen, ach komm doch her. Würd es dir alles zeigen.«
Nationalhymne der DDR
1628-1629 »Denn wessen ein Staat außerdem bedarf, das wurde im November [1949] in den Stunden-Plan der Fritz Reuter-Oberschule eingebunden, das Lied. Im Zweivierteltakt, schlicht symmetrischer Dreiteiligkeit, begleitete es den gereimten Vorsatz eines mehrfachen Subjektes, eines Wir, aus Ruinen auferstanden zu sein, der Zukunft sich zuzuwenden und einem einzelnen Subjekte, ›dir‹, ›Deutschland einig Vaterland‹, zum Guten zu dienen, ›daß‹ (final) die Sonne über diesem Lande scheine ›schön wie nie‹. Das gutmütig pompöse Stück wurde den Klassen eingeübt von Joachim Buck«.
1629-1630 Der Musiklehrer Joachim Buck analysiert das Stück musikalisch und führt die ›staatliche Melodie‹ auf einen Übungswalzer aus der »Theoretisch-praktischen Klavierschule« von Karl Zurschneid zurück. Auch hört er eine »Familienähnlichkeit« mit dem Hans Albers-Song »Good-bye, Johnny« aus dem Film »Wasser für Canitoga« von 1936 (recte: 1939) heraus. Er wird deshalb wegen »Boykotthetze« angeklagt, und »Rektor Kliefoth bekam einen dienstlichen Verweis«.
Neddemin
Gemeinde in Mecklenburg, etwa zehn Kilometer nördlich von Neubrandenburg.
946 Aus Neddemin stammt Eduard Pichnitzek, eines der an dieser Stelle aufgelisteten Opfer der »Justiz in Mecklenburg während des Nazikrieges«.
Neubrandenburg (Nigenbramborg, Nigen Bramborg)
Stadt in Mecklenburg am Nordende des Tollensesees.
633 Im Frühjahr 1938 fahren Lisbeth, Heinrich und die fünfjährige Gesine mit dem Zug nach Podejuch zu den Paepckes. In Neubrandenburg, wo der Zug 5 Minuten hält, kauft Cresspahl seiner Tochter eine Limonade.
947 In Neubrandenburg wurden ein Schneider und seine Frau, die vorbeiziehenden Kriegsgefangenen Wasser gereicht hatten, von der SS abgeholt.
1192 Auf ihrer Flucht aus Pommern kommen Jakob Abs und seine Mutter Marie Abs durch Neubrandenburg.
1288 Bei Neubrandenburg, »vier Kilometer vom Stargarder Tor«, liegt das Lager Fünfeichen, in dem Heinrich Cresspahl von den Sowjets interniert wird. Viele Mitgefangene glauben irrtümlich, im KZ Neubrandenburg zu sein.
1291 Ein Neuzugang im Lager Fünfeichen »erzählte als ein Kriegsverbrechen, daß die Sowjets die Stadt Neubrandenburg in Brand geschossen hätten [...]. Cresspahl sagte da nichts von der verweigerten Kapitulation der Stadt und mühte sich in Gedanken an einer Zeichnung des abgeräumten Rathauses, eines niedlichen Kästchens mit einem Dachreiterchen von Turm in der Dachmitte, indem da sine Buort utsach, as wenn dat vor langen Johrn ut ne Wihnachtspoppenschachtel namen wir un wir up den Markt von de Vödderstadt Nigenbramborg henstellt, dat Magistrat und Börgerschaft dor en beten mit spelen will.« [indem seine Bauart so aussah, als ob es vor langen Jahren aus einer Weihnachtspuppenschachtel genommen und auf den Markt der Vorstadt Neubrandenburg hingestellt worden wäre, damit Magistrat und Bürgerschaft damit ein bißchen spielen sollen.]
Vgl. auch 1280. 1297. 1527. 1597. 1633. 1666. 1795. 1797. 1837.
Bei dem im Text gelegentlich erwähnten KZ Neubrandenburg (1280) handelt es sich nicht um Fünfeichen, sondern vermutlich um eines der beiden in bzw. bei Neubrandenburg gelegenen Außenlager des KZ Ravensbrück. Eines lag in der Ihlenfelder Vorstadt, das andere sog. Waldbau-Lager in einem Waldgebiet zwischen Neubrandenburg und Neustrelitz. – Der niederdeutsche Passus S. 1291 f. ist ein Zitat aus dem 1. Kapitel von Fritz Reuters Roman »Dörchläuchting«.
Neubukow
Stadt in Mecklenburg zwischen Wismar und Bad Doberan.
928-929 Im Sommer 1943 fährt die zehnjährige Gesine Cresspahl ohne Begleitung nach Rerik, wo sie eine Woche Ferien mit den »friedenauer Niebuhrs« verbringen soll. Am Bahnhof von Neubukow steigt sie in einen Bus nach Alt Gaarz um.
997 In Neubukow entkommt Hanna Ohlerich kurz nach Kriegsende der sowjetischen Bewachung und schlägt sich nach Jerichow zu den Cresspahls durch.
Neue Zeit (Zeitung)
Tageszeitung und Zentralorgan der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR von 1945 bis 1990.
1371 Die CDU-Vorsitzende in Jerichow, Käthe Klupsch, liest bei Versammlungen des Ortsvereins die Zeitung vor, »die Neue Zeit, manchmal schaffte ein Exemplar den ganzen weiten Weg von Schwerin nach Jerichow«.
Vgl. auch 1396.
Neues Deutschland (Zeitung)
Tageszeitung, Zentralorgan der SED von April 1946 bis 1989. Hieß von 1945 bis April 1946 »Deutsche Volkszeitung« (1395).
73 Gesine/Johnson nennen sie »den Kettenhund der ostdeutschen Militärbasis, der innerhalb der äußeren Umzäunung wiederum in einem Maschendrahtkraal gesperrt war, so daß er sich mit keinem Zivilisten anfreunden konnte und sich entwickeln mußte zu einem hypochondrischen, introvertierten, schwer irritierten Typ, der noch wenn es junge Hunde regnete vor seiner Hütte stand und geiferte, und macht nicht Eifer ihm die Stimme überschlagen, so war es der Stimmbruch des ›neuen Deutschland‹«.
Vgl. auch 518. 1071. 1269. 1395. 1396. 1820-1821.
Neukloster
Stadt in Mecklenburg, etwa 20 km östlich von Wismar.
1193 Der Vater von Jakob Abs hat in Neukloster am Neuklosterschen Seminar studiert.
Vgl. auch 1214.
Zum ›Neuklosterschen Seminar‹ vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1193,12 f..
Neustadt-Glewe
Stadt in Mecklenburg, etwa 30 km südlich von Schwerin.
968 Heinrich Cresspahl fügt seinen Berichten für die Briten Informationen über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, darunter auch über das KZ Neustadt-Glewe.
Vgl. auch 919. 1254.
Das KZ Neustadt-Glewe war ein Außenlager des KZ Ravensbrück.
Neustrelitz
Stadt in Mecklenburg, in der Mecklenburger Seenplatte, ca. 25 km südwestlich von Neubrandenburg gelegen.
728 Von Neustrelitz aus kommt man »auf einer südwestlichen Nebenstrecke« nach Wendisch Burg.
1147 In Neustrelitz ist D.E. geboren.
1293 In Fünfeichen warnt Cresspahl zwei fluchtbereite Mithäftlinge vor den »ausgedehnten Sperrgebieten der Roten Armee nördlich Neustrelitz«.
1776 In den sechziger Jahren: »In den Wäldern westlich von Neustrelitz schläft und übt die Rote Armee, wie die Erbsen in der Schote sitzen sie da«.
1890 Gesine Cresspahl träumt manchmal davon, nach Mecklenburg zu reisen und die Orte ihrer Kindheit aufzusuchen. »Oder, wenn mir Jerichow untersagt ist, nach Wendisch Burg. Zur Not Neustrelitz, Waren, Malchin, wo Keiner uns kennt«.
Vgl. auch 271. 295. 633. 746. 1254.
New York City
Hauptschauplatz der Gegenwartshandlung des Romans, Wohnort von Gesine und Marie Cresspahl seit April 1961. Wohnung: 243 Riverside Drive. Die Bank, in der Gesine arbeitet, befindet sich in einem Block zwischen der Third und der Lexington Avenue (1055).
11 Gesine Cresspahl auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz: »Die Sohle der Lexington Avenue ist noch verschattet. Sie erinnert sich an die Taxis, die einander am Morgen auf dem Damm drängen, im Einbiegen aufgehalten von einem Verkehrslicht, dessen Rot die Fußgänger zum Gang über die östliche Einbahnstraße ausnutzen können, in dessen Grün sie die wartenden Wagen behindern dürfen. Sie hat nicht gezögert, auf die Verbotsschrift zuzutreten. Sie kommt hier seit vordenklicher Zeit, mit angelegten Ellenbogen, auf den Takt der Nachbarn bedacht. Sie weicht dem blinden Bettler aus, der mit vorgehaltenem Becher klimpert, der unwillig grunzt. Sie hat ihn wieder nicht verstanden. [...] Aus den Seitenstraßen schlägt hitziges Gegenlicht quer. Mit den Augen gegen den blendenden Zement geht sie neben einer Fußfassade aus schwarzem Marmor, deren Spiegel die Farben der Gesichter, Blechlacke, Baldachine, Hemden, Schaufenster, Kleider schwächer tönt. Sie tritt beiseite in einen weißlichtigen Gang, aus dem Ammoniak ins Offene dampft, Biß für Biß abgetrennt von der federnden schmalen Tür. Diesen Eingang kennen nur die Angestellten.«
12-13 »Ich stelle mir vor: Sie kommt am Abend, bei schon abgedecktem Himmel, aus der Ubahnstation 96. Straße auf den Broadway und sieht im Brückenausschnitt unter dem Riverside Drive eine grüne Lichtung, hinter dem fransigen Parklaub den ebenen Fluß, dessen verdecktes Ufer ihn auslaufen läßt in einen Binnensee in einem Augustwald in trockener verbrannter Stille. Sie wohnt am Riverside Drive in drei Zimmern, unterhalb der Baumspitzen. Das Innenlicht ist grün gestochen. Im Norden sieht sie neben dichten Blattwolken die Laternen auf der Brücke, dahinter die Lichter auf der Schnellstraße. Die Dämmerung schärft die Lichter. Das Motorengeräusch läuft ineinander in der Entfernung und schlägt in ebenmäßigen Wellen ins Fenster, Meeresbrandung vergleichbar.«
65-66 Am 9. September 1967 steht in New York die Luft still, »die Inversion hat eine undurchlässige Kuppel über die Stadt gestülpt. Der versammelte Dreck aus Ruß, Flugasche, Kohlenwasserstoff, Kohlenmonoxyd, Schwefeldioxyd dringt ohne Ansehen der Einwohner durch Fensterritzen, in die Augen, in Hautfalten, legt Kehlen trocken, macht die Schleimhäute verdorren, drückt aufs Herz, schwärzt den Tee und würzt das Essen«. – Beim Einkaufen kann Marie an diesem Tag »Gespräche ernten mit dem bloßen Wort pollution, auch den Stolz der New Yorker auf das unvergleichbar schwierige Leben der New Yorker, das gegenseitige Mitleid«.
1882 »1964 fing das an mit dem Heimweh nach New York inmitten New Yorks.«
Für sämtliche Stellennachweise zum Stichwort vgl. das Ortsregister des Jahrestage-Kommentars.
New York Times
Gesine Cresspahls tägliche Informationsquelle, deren wichtigste Meldungen in der Regel am Beginn jedes Tageseintrags notiert sind.
13-14 Gesine kauft die Zeitung wochentags auf dem Weg zur U-Bahn an einem Zeitungsstand auf dem Broadway, an der Südwestecke der 96. Straße. Der »alte Mann mit der speckigen Schirmmütze, der die Morgenschicht arbeitet«, kennt sie: »sie kommt an allen Arbeitstagen um zehn Minuten nach acht aus der sechsundneunzigsten Straße, sie bringt immer die passende Münze, sie versucht die Titelzeilen der New York Times zu lesen, wenn sie die Zeitung unter dem Gewicht hervorzupft. [...] Die Kundin kauft keine Zeitung als die New York Times.«
14 »Am Bahnsteig faltet sie das Blatt einmal und noch einmal längs, damit sie es im Gedränge durch die Ubahntür behält und in der Enge zwischen Ellbogen und Schultern die erste Seite des achtspaltigen Stabs von oben bis unten lesen kann. Wenn sie nach Europa fliegt, läßt sie den Nachbarn seine Exemplare aufheben, zurückgekehrt holt sie die versäumte new yorker Zeit Wochenenden lang nach aus fußhohen Stapeln. In der Mittagspause räumt sie ihren Arbeitstisch frei und liest in den Seiten hinter dem Titelblatt, die Ellenbogen gegen die Tischkante gestemmt, nach der europäischen Manier.«
15 »Sie behält das geknickte, flappige Blatt unter dem Arm bis hinter ihre Wohnungstür und liest beim Essen noch einmal die Berichte aus der Finanz; allerdings aus dienstlichen Gründen. Wenn sie an einem Tag am Strand die Zeitung verpaßt hat, hält sie abends ein Auge auf den Fußboden der Ubahn und auf alle Abfallkörbe unterwegs, auf der Suche nach einer weggeworfenen, angerissenen, bekleckerten New York Times vom Tage, als sei nur mit ihr der Tag zu beweisen. Sie ist mit der New York Times zu Gange und zu Hause wie mit einer Person, und das Gefühl beim Studium des großen grauen Konvoluts ist die Anwesenheit von Jemand, ein Gespräch mit Jemand, dem sie zuhört und antwortet mit der Höflichkeit, dem verhohlenen Zweifel, der verborgenen Grimasse, dem verzeihenden Lächeln und solchen Gesten, die sie heutzutage einer Tante erweisen würde, einer allgemeinen, nicht verwandten, ausgedachten: ihrem Begriff von einer Tante.«
38-39 »Was für eine Person stellt Gesine sich vor, wenn sie an die New York Times denkt wie an eine Tante? Eine ältere Person. Auf der Oberschule in Gneez wurden so Lehrerinnen bezeichnet, vorgeschrittenen Alters, humanistisch gebildet, die in gutem Willen den Lauf der Dinge mißbilligten, in Gesprächen unter vier Augen, wehrlos. [...] Jedoch die New York Times kommt Gesine vor wie eine Tante aus vornehmer Familie. [...] Sie erwartet Respekt so deutlich, fast lädt sie seine Verweigerung ein. Sie ist ein bißchen hartnäckig, fast aufdringlich, wenn sie sich von Jüngeren ausgeschlossen fühlt. Sie gönnt den jungen Leuten ihren Spaß, solange sie es ist, die den Spaß zumißt. [...] Die Tante raucht (Zigarillos), sie trinkt auch von den harten Sachen; sie versteht einen Witz, solange sie im festen Interesse der Allgemeinheit ihn unzulässig zu nennen nicht umhinkann. Sie geht mit der Zeit. Sie kann kochen, sie kann backen. Die Tante ist ledig geblieben, es deutet ihre Ansprüche an. Sie gibt Ratschläge in Ehefragen. [...] Sie ist modern. (In ihrer Familie hat Gesine eine solche Tante nicht.) Wir haben es hier mit einer Person zu tun, mit der man die Pferde stehlen gehen kann an allen Tagen, da die Gesetzgebung den Diebstahl der Pferde vorschreibt. Jedoch ist diese Person nicht nur angenehm.«
73-75 »Wir«, d. h. (mutmaßlich) Gesine und der ›Genosse Schriftsteller‹ empören sich über die Berichterstattung der New York Times über die Stalin-Tochter Swetlana Allilujewa und rekapitulieren bei dieser Gelegenheit die Gründe für ihr Vertrauen in diese Zeitung, blicken zunächst zurück auf ihre früheren Zeitungslektüren vom »Neuen Deutschland«, dem »Kettenhund der ostdeutschen Militärbasis«, über die »großbürgerliche Presse im Bereich des westdeutschen militärischen Stützpunkts« bis zur New York Times, »und wir waren gewiß: nie könnten wir eine ehrliche alte Tante wie die New York Times ganz und gar verachten«. Anfangs, 1961, hatte sie nur 5 Cent gekostet. »Für 5 Cent nicht nur abwechselnd bedrucktes Papier, sondern die begründete Erwartung, daß Nachrichten bei dieser Hausfrau nicht unter den Teppich gekehrt werden, daß schmutzige Wäsche ihr ein Anlaß zum Waschen ist [...]! Diese Person des Vertrauens, sie hat uns ausgerüstet mit Gründen für ein Leben in New York! [...] Wir haben uns an sie gewöhnt wie an eine Person, die im Haushalt einen Sitz hat, und nicht am Tisch des Gnadenbrots, und nicht auf einem Altenteil. [...] Wir sind des Umgangs mit der Tante Times bedürftig, wir geben die Ehrung des Alters drein. [...] Wir achten ihre Objektivität und lassen sie sich selbst bezeichnen als ›eine Zeitung von New York‹. Eine Umstandskrämerin, ja, eine Konfusionsrätin, nein.« – Die Gräfin Seydlitz hält Gesines Erwartungen an die Zeitung für naiv.
1191 Die New York Times: »das Tagebuch der Welt«.
Vgl. auch 176-177. 513-519. 608-612. 647-649. 1507-1509.
Vollständige Stellennachweise im Register des Jahrestage-Kommentars.
Newark
Größte Stadt im Bundesstaat New Jersey.
219 Im Juli 1967 Schauplatz von Rassenunruhen, in deren Folge der Schriftsteller LeRoi Jones wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet wird.
327-329 In Newark übergeben Marie und Gesine Cresspahl im November 1967 das Lösegeld für Karsch und befreien ihn aus einem von den Juli-Unruhen demolierten Friseurgeschäft.
552 Bei den Aufständen in Newark im Juli 1967 kamen 28 Personen ums Leben.
973 Nach der Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 gibt es auch in Newark erneut Aufstände.
1756 Erinnerung an D.E. und seine Ortsbeschreibung von Newark: »Newark besteht an einem Sonntagnachmittag aus einer Kirche, die von anständigen Bürgern mit gefaßter Miene verlassen wird. Es wäre auch eine Statue auf der Rückseite des Bahnhofs zu nennen, die weiß und schmalzig das Andenken der ersten Bürgerin der Vereinigten Staaten verewigt, die jemals und bisher heilig gesprochen wurde: Frances Xavier Cabrini. Die Hauptstraße heißt Broadstreet, ist mit vierhundert Schritten zu erreichen, benimmt sich wie die lokale Idee von Downtown (zu singen), und ist der Schauplatz einer Parade, die polnische Bauernkleidung karikiert. Das heißt P.A.T.H., das sollte doch bekannt sein. Van Cortland Straat, dann links.«
Vgl. auch 110. 177. 325. 342-344. 396. 419. 649. 900. 988. 1072. 1837.
Newton, Miss
Fürsorgerin in Richmond.
192-193 Bei einem seiner Kneipenbesuche in Richmond (nach Lisbeths Abreise im Januar 1933) lacht Cresspahl mit »über die Tiraden, die Miss Newton, eine ältliche Fürsorgerin, vor dem Magistrat gehalten hatte gegen die Verschiebung der Polizeistunde auf halb elf, um eine halbe Stunde«.
Nguyen Ngoc Loan
Südvietnamesischer General, Polizeichef von Saigon (1931-1998).
672-673 Erschießt im Februar 1968 in Saigon ein von seinen Leuten verhaftetes Mitglied des Vietcong auf offener Straße mit einem Kopfschuss. Gesine und Marie Cresspahl sprechen über drei Bilder dieses Vorgangs, die die New York Times am 2. Februar 1968 veröffentlicht.
Es handelt sich um die Ermordung des Vietcong-Mitglieds Nguyen Van Lem am 1. Februar 1968 vor laufenden Kameras. Die in der New York Times veröffentlichten Fotografien stammten von dem AP-Fotografen Eddie Adams, der dafür ein Jahr später den Pulitzer-Preis erhielt. Eines der Fotos wurde darüber hinaus zum »Pressephoto des Jahres« gewählt (vgl. die Abbildung auf der englischen Wikipedia).
Niebuhr, Gertrud
Jüngere Schwester von Heinrich Cresspahl, zweites Kind von Berta und Heinrich Cresspahl sen. Ehefrau von Martin Niebuhr, mit dem sie an der Havelschleuse bei Wendisch Burg lebt. Tante von Gesine Cresspahl sowie Tante und Ziehmutter von Günter und Klaus Niebuhr, den Söhnen von Martins Bruder Peter Niebuhr und seiner Frau Martha, geb. Klünder, die im Sommer 1943 ums Leben kommen.
17 Im August 1931 hat Heinrich Cresspahl »seine Schwester verheiratet an einen Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, Martin Niebuhr. Er hatte das Essen im Ratskeller von Waren gestiftet.«
113 Auf einem Bild von der Hochzeit ihres Bruders mit Lisbeth Papenbrock im Oktober 1931 steht sie »befangen und unbeholfen ob der Ehre des Vorteils« neben ihrer Mutter Berta und wird »erst zu Hause das Fest aufs lebhafteste in Worten wiederholen«.
262-263 Ruft am 11. März 1933, einen Tag vor dem ursprünglich für Gesines Taufe vorgesehenen Sonntag, bei Papenbrocks an, um die Adresse ihres Bruders in Richmond zu erfragen, die sie verlegt hat, »die schußlige Schwester«. Sie will ihm Bescheid geben, »daß es der Mutter ›nicht so gut‹ ging«, und kann nicht fassen, dass sie ihren Bruder am Telefon hat, den sie noch in Richmond vermutet: »Heinrich, du kannst das doch nich sein, der da spricht! Du büst doch in Inglant!«
281 Einige Tage später beerdigen Gertrud und Heinrich die Mutter in Malchow am See.
473 Ende 1935: Gertrud »hätte gern ein Kind adoptiert, wenigstens. Und Lisbeth hatte ihr versprechen müssen, auf nicht weniger als zwei Wochen in jedem Jahr zu Besuch auf die Schleuse zu kommen, mit diesem Kind Gesine.«
721 Im November 1938 reist Cresspahl mit der fünfjährigen Gesine nach Malchow und Güstrow und will bei der Gelegenheit auch »in Wendisch Burg vorsprechen, damit die Schwester nicht gekränkt war«.
728-730 Am 9. November 1938 kommen Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr an. Zu ihrem Haus an der Havelschleuse gelangen sie von Wendisch Burg aus mit dem Postauto, »dessen Fahrer Cresspahl zuliebe mitten in einem kahlen Mischwald anhielt. Dann war zwischen den Baumstämmen ein niedriges rotes Dach zu sehen, in müde schleichendem Nebel. Das war die Havelschleuse Wend. Burg.« Sie treffen dort auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin mit ihrem ersten Kind Klaus an. Hinter dem Haus steht eine Schaukel, »und auch einen Sandkasten hatten die kinderlosen Niebuhrs angelegt«. – Am nächsten Morgen (10.11.1938) erhält Cresspahl telefonisch die Nachricht von Lisbeths Tod.
765 Gesine bleibt drei Tage allein bei den Niebuhrs in Wendisch Burg und fährt dann mit ihnen am Beerdigungstag ihrer Mutter (14. November 1938) zurück nach Jerichow. »Die Niebuhrs hatten ihr nichts sagen mögen, und sie hatte deren gedrücktes Wesen, die mitleidige Streichelei nur aus Gehorsam gegen den Vater ertragen.«
767 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung ärgert sich Lisbeths Mutter Louise Papenbrock über die »Niebuhrs aus Wendisch Burg, weil sie so niedergeschlagen und still dasaßen, als verstünden sie das Trauern doch besser als eine Gastgeberin, die immerhin die Ohren vollhat«.
932 Nach dem Tod von Martha und Peter Niebuhr im Sommer 1943 kommen ihre beiden Söhne Günter und Klaus zu Gertrud und Martin Niebuhr nach Wendisch Burg. »So kamen Gertrud und Martin Niebuhr zu zwei Kindern, die sie noch zehn Jahre lang ihr eigen nennen konnten.«
977 Gertrud Niebuhr bewirtet die beiden Pioniere, die Ende April 1945 im Auftrag der S.S. die Havelschleuse sprengen sollen, um die Rote Armee aufzuhalten, mit einem Abendbrot, und weil sie »nicht in einem fremden Haus war, sondern in ihrem eigenen, ließ sie sich ungeniert aus über das Vorhaben, das ihren eigenen Nachbarn in den südlichen Dörfern Wasser ins Haus und auf die Felder schicken sollte«. Ihr Mann bringt die beiden jungen Leute schließlich dazu, aufzugeben und zu desertieren.
977 Zu derselben Zeit halten die Niebuhrs »einen jungen Panzersoldaten auf ihrem Dachboden versteckt, der desertiert war«. Es ist Karsch.
1753 Im Sommer 1951 ist Gesine Cresspahl vier Wochen bei den Niebuhrs zu Gast und segelt mit Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde »auf dem Oberen und dem Stadtsee von Wendisch Burg«.
Anhang IX-X Heinrich Cresspahl 1949 über Martin und Gertrud Niebuhr: »Ehemals Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, seit 1933 Wärter der Schleuse Wendisch Burg, nicht eben zur Belohnung befördert, sondern zur Versorgung. Seit 1931 verheiratet mit Gertrud Niebuhr, der geborenen Cresspahl, der jüngeren Schwester, der schusseligen Person, die sich schon darauf eingerichtet hatte, in Malchow bei der Mutter zu bleiben, bis sie starb und auch ihr Leben vorbei war. Keine Kinder, und einen Kinderspielplatz hinter dem Haus, für Kinder aus Berlin-Friedenau und Jerichow zu Besuch. Imkerei, Gärtnerei, linkisch in Städten. Dann bekamen sie die Kinder des Bruders.« Martin Niebuhr »sei recht gut versteckt hinter seinem trödeligen Gehabe, und am Ende werde er doch der bessere Vater für die Kinder seines Bruders sein, und Gertrud eine nicht ungeschickte Mutter«.
Vgl. auch 633. 860. 1853.
Niebuhr, Günter
Jüngerer Sohn von Martha und Peter Niebuhr, geboren 1943, Bruder von Klaus Niebuhr. Seine Eltern kommen wenige Monate nach seiner Geburt bei einem Bombenangriff in Rerik ums Leben. Die beiden Brüder wachsen bei Peter Niebuhrs Bruder Martin Niebuhr und seiner Frau Gertrud, geb. Cresspahl, an der Havelschleuse bei Wendisch Burg auf.
930 Während des Bombenangriffs, bei dem Martha und Peter Niebuhr umkommen, sitzt die zehnjährige Gesine Cresspahl mit dem Baby Günter im Luftschutzkeller. »Das Kind Günter schlief, halbnackt, schwer atmend in der Hitze. Gesine blies ihm ab und an übers Gesicht. Es war ein verkniffenes, mühsames Gesicht.«
977 Am 29. April 1945 sitzen die Brüder, »ein zehnjähriger Junge mit einem zweijährigen Bruder«, mit an dem Abendbrottisch, an den Gertrud und Martin Niebuhr die beiden Pioniere geladen haben, die im Auftrag der SS die Havelschleuse sprengen sollen.
Vgl. auch 1018. 1644.
In »Jahrestage« ist Günter Niebuhr nur eine Randfigur. In »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953«, dem erst posthum (1985) veröffentlichten Romanerstling Uwe Johnsons, spielt er als kleiner Bruder des Protagonisten Klaus Niebuhr eine etwas größere Rolle. – Vgl. auch »Eine Abiturklasse« (A 110-111) und »Begleitumstände« (1980): »Nachzutragen ist jemand, der die ganze Zeit dabei war, ein zehnjähriger Günter Niebuhr, der von seinem Bruder und dieser Ingrid lernen möchte, wie man es richtig macht mit achtzehn Jahren; seine Schlussfolgerung, nun wie sie den Besuch einer Schule zu verweigern, reden sie ihm aus mit dem Hinweis: das müsse er erst noch lernen auf der Schule.« (B 86)
Niebuhr, Klaus
Älterer Sohn von Martha und Peter Niebuhr, geboren 1935, Bruder von Günter Niebuhr. Beider Eltern kommen im Sommer 1943 bei einem Bombenangriff in Rerik ums Leben. Die Brüder wachsen bei Peter Niebuhrs Bruder Martin Niebuhr und seiner Frau Gertrud, geb. Cresspahl, an der Havelschleuse bei Wendisch Burg auf. Verlässt 1953 die Oberschule in Wendisch Burg, als seine Mitschülerin und Freundin Ingrid Babendererde wegen der Verteidigung demokratischer Rechte der Schule verwiesen wird, und geht mit ihr in den Westen.
9 Als Gesine 1951, nachdem Jakob Abs sich um ihretwillen geprügelt hatte, von ihrem Vater nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs geschickt wird, holt Klaus sie vom Bahnhof ab. »Sie merkte erst an der Sperre, daß Klaus Niebuhr sie die ganze Zeit in ihrem unschlüssigen Dastehen beobachtet hatte, wortlos, bequem auf das Stangengeländer gestützt, neun Jahre älter als das Kind, das sie erinnerte. Er hatte ein Mädchen namens Babendererde mitgebracht. Sie war eine von denen mit dem unbedachten Lächeln«.
41 Gesines Freund D.E. »hatte dieselbe Schule besucht, von der Klaus Niebuhr und die Babendererde in jenem Frühjahr [1953] vorzeitig abgingen«.
728 Anfang November 1938 sind Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr zu Besuch, wo sie auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin-Friedenau mit ihrem ersten Kind Klaus antreffen. »Mit jenem Klaus Niebuhr, nicht ganz fünf Jahre alt, einem berlinischen Kind, das kaum Plattdeutsch konnte und nicht viel mehr verstand, wurde Gesine auf den Platz hinter dem Haus geschickt. Da stand eine Schaukel, und auch einen Sandkasten hatten die kinderlosen Niebuhrs angelegt. – Ich wohn aber nicht hier, ich wohn in Berlin! sagte der Knabe ...«
882 Der Siebenjährige verbringt im Sommer 1942 Ferien mit den Paepckes und Gesine Cresspahl in Althagen auf dem Fischland. »Der Knabe tat sich viel darauf zugute, daß er allein bis hierher (›auf das platte Land‹) gereist war, aber Eberhardt, Junior, [...] verwies auf Gesine, die auch allein gekommen war. Der Mann Klaus war gekränkt«.
930-931 Bei dem Bombenangriff auf Rerik im Sommer 1943, bei dem seine Eltern umkommen, wird Klaus, der wie seine Eltern im Freien gestanden hat, in die Gasschleuse des Luftschutzkellers geschleudert, was ihm offenbar das Leben rettet.
977 Am 29. April 1945 sitzen die Brüder, »ein zehnjähriger Junge mit einem zweijährigen Bruder«, mit an dem Abendbrottisch, an den Gertrud und Martin Niebuhr die beiden Pioniere geladen haben, die im Auftrag der SS die Havelschleuse sprengen sollen. Klaus bringt dem desertierten, auf dem Dachboden versteckten Karsch heimlich das Abendessen.
1753 Bei Gesine Cresspahls Aufenthalt in Wendisch Burg im Sommer 1951: »Was war Klaus verblüfft, daß ich mit einer H-Jolle umgehen konnte wie ein Mann! Der aber, zu meinem Glück, hatte sich schon zusammengetan mit der Tochter von den Lehrer-Babendererdes, Ingrid ist das. [...] Vier Wochen mit den beiden auf dem Oberen und dem Stadtsee von Wendisch Burg«.
Vgl. auch 886. 1018. 1848. 1853. 1872.
Klaus Niebuhr ist neben Ingrid Babendererde Hauptfigur in »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953«, dem erst posthum (1985) veröffentlichten Romanerstling Uwe Johnsons. – Vgl. auch »Eine Abiturklasse« (1968), S. 109-113, 120 und »Begleitumstände« (1980), S. 77-87.
Niebuhr, Martha (geb. Klünder)
Ehefrau von Peter Niebuhr aus Waren an der Müritz, Mutter von Günter und Klaus Niebuhr. Die Familie lebt in Berlin-Friedenau, daher werden sie die »friedenauer Niebuhrs« genannt (928). Martha und Peter kommen im Sommer 1943 bei einem Bombenangriff im Ostseebad Rerik ums Leben, ihre Söhne wachsen bei Peters Bruder Martin Niebuhr und seiner Frau Gertrud an der Havelschleuse bei Wendisch-Burg auf.
729 Cresspahl schätzt Peter Niebuhr und ihm »gefiel auch die Frau, die der andere sich ausgesucht hatte, die Martha Klünder aus Waren, immer noch ein Mädchen, mit allen schüchtern außer mit dem Mann, gar nicht mehr die Beamtentochter, als die er sie kennen gelernt hatte. Cresspahl sah auf solche Ehe, kaum jünger als seine, nicht ohne Neid hin.«
768 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Crespahls Beerdigung im November 1938 wäre Peter Niebuhr »am liebsten mit Martha vor die Stadt gegangen«, bleibt aber Mr. Smith aus Richmond zuliebe, »der so erfreut war über Marthas Oberschulenglisch; nun konnte er auf seine Frau auch noch stolz sein«.
928-930 Im Sommer 1943 verbringen die friedenauer Niebuhrs ihren Urlaub an der Ostsee in Rerik. In der zweiten Ferienwoche kommt die zehnjährige Gesine auf Niebuhrs Einladung dazu. Martha und Peter sind bedrückt, weil Peter seine UK-Stellung im Landwirtschaftsministerium verloren hat und gleich nach dem Urlaub an die Ostfront muss. »So wie Martha Niebuhr in diesem Sommer war, soll sie sich vorher nie gezeigt haben. Wer sie in der Küche überraschte, sah sie weinen.« Sie verhält sich ungewohnt streng zu ihrem Ältesten Klaus. »Sie sieht aber auf Bildern aus anderen Jahren fröhlich aus, zärtlich, mit vorfreudig halb geöffneten Lippen, ein großäugiges, dunkles Mädchen, das seinen Kopf an Peters Arm hält, wo sie ihn nur erwischen kann.«
930-932 Wenige Tage nach Gesines Ankunft in Rerik, an einem Sonntagnachmittag, kommen Peter und Martha Niebuhr bei einem Luftangriff ums Leben. Ihre beiden Söhne überleben. »So blieb Peter mit seiner Martha zusammen, in einem gemeinsamen Sarg in der Erde von Wustrow.«
Vgl. auch 1594. Anhang IX.
In »Skizze eines Verunglückten« (1982) sind Martha und Peter Niebuhr mit dem Schriftsteller Joachim de Catt und seiner Frau befreundet. Hier dichtet Johnson ausgerechnet der in »Jahrestage« so glücklich verheirateten Martha einen Ehebruch an: Sie wird in einem Salzburger Hotel mit einem Unbekannten gesehen, »der sich zu ihr betragen habe wie ein Liebhaber« (S 38).
Niebuhr, Martin
Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt Mecklenburg, seit 1933 Schleusenwärter an der Havelschleuse bei Wendisch Burg. Ehemann von Heinrich Cresspahls Schwester Gertrud Niebuhr, Onkel und Ziehvater von Günter und Klaus Niebuhr, den Söhnen seines Bruders Peter Niebuhr und seiner Frau Martha, geb. Klünder, die 1943 ums Leben kommen.
17 Im August 1931 hat Heinrich Cresspahl »seine Schwester verheiratet an einen Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, Martin Niebuhr. [...] Er hatte sich Niebuhr zwei Tage lang angesehen, ehe er ihm tausend Mark gab, als Darlehen.«
113 Auf einem Bild von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit im Oktober 1931 sieht man auch »Martin Niebuhr, freundlich und starr in seinem ungelüfteten Festtagsanzug«.
281 Bei der Beerdigung seiner Schwiegermutter Berta Cresspahl im März 1933 in Malchow am See gehören Martin und sein Bruder Peter Niebuhr zu den Sargträgern.
473 Ende 1935 sieht »selbst Martin Niebuhr [...] nun ein, daß das Wasserstraßenamt ihm niemals etwas Größeres geben würde als die Schleuse bei Wendisch Burg«.
728-730 Am 9. November 1938 sind Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr zu Besuch. Zu ihrem Haus an der Havelschleuse gelangen sie von Wendisch Burg aus mit dem Postauto, »dessen Fahrer Cresspahl zuliebe mitten in einem kahlen Mischwald anhielt. Dann war zwischen den Baumstämmen ein niedriges rotes Dach zu sehen, in müde schleichendem Nebel. Das war die Havelschleuse Wend. Burg.« Sie treffen dort auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin mit ihrem ersten Kind Klaus an. Hinter dem Haus steht eine Schaukel, »und auch einen Sandkasten hatten die kinderlosen Niebuhrs angelegt«. – Martin zeigt seinem Schwager »mit bescheidendem Stolz« sein Haus und Grundstück und die Schleusenanlage. – Nach Heinrich Cresspahls Einschätzung hat Peter Niebuhr »an Verstand, Kraft, Stehvermögen, was dem älteren Martin mit Schußligkeit, Trödelei, Bequemlichkeit abging«. – Am nächsten Morgen (10.11.1938) erhält Cresspahl telefonisch die Nachricht von Lisbeths Tod.
765 Gesine bleibt drei Tage allein bei den Niebuhrs in Wendisch Burg und fährt dann mit ihnen am Beerdigungstag ihrer Mutter (14. November 1938) zurück nach Jerichow. »Die Niebuhrs hatten ihr nichts sagen mögen, und sie hatte deren gedrücktes Wesen, die mitleidige Streichelei nur aus Gehorsam gegen den Vater ertragen.«
767 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung ärgert sich Lisbeths Mutter Louise Papenbrock über die »Niebuhrs aus Wendisch Burg, weil sie so niedergeschlagen und still dasaßen, als verstünden sie das Trauern doch besser als eine Gastgeberin, die immerhin die Ohren vollhat«.
932 Nach dem Tod von Martha und Peter Niebuhr im Sommer 1943 kommen ihre beiden Söhne Günter und Klaus zu Gertrud und Martin Niebuhr nach Wendisch Burg. »So kamen Gertrud und Martin Niebuhr zu zwei Kindern, die sie noch zehn Jahre lang ihr eigen nennen konnten.«
975-976 Martin Niebuhr in Heinrich Cresspahls Erinnerung: Ein Bild »von einem geduckten, langarmigen Mann in blauem Maschinistenzeug, der seine Kraft ohne Eile einsetzt, langsam ist im Reden wie in Entschlüssen, nahezu verschlafen«, der aber im April 1945 »überraschend ›aufgewacht‹ ist, nicht nur umsichtig auch schnell handelt, notfalls verschlagen, schließlich richtig«. Anlass dazu gibt die SS, die im April 1945 zwei Pioniere beauftragt, Niebuhrs Havelschleuse zu sprengen, um die kurz vor Wendisch Burg stehende Rote Armee aufzuhalten. Dazu sagt Niebuhr »kurz und endgültig: Dat geit nich.«
977-980 Die Niebuhrs laden die beiden mit der Schleusensprengung beauftragten Pioniere zum Abendbrot ein, danach schenkt Niebuhr ihnen reichlich Schnaps ein und setzt ihnen auseinander, dass eine Sprengung der Schleuse »doch eher gegen die zivile Bevökerung gerichtet sei«. Er ruft den Schleusenwärter der ersten Schleuse südlich von Wendisch Burg an und muss »seinen Hoch- und Landesverrat gar nicht selber einleiten«, denn dort meldet sich ein sowjetischer Offizier, den er über die Verteidigungsmaßnahmen der SS in Wendisch Burg in Kenntnis setzt. So wird die Stadt vor einem verlustreichen ›Endkampf‹ bewahrt. Die beiden Pioniere ziehen »bei Niebuhrs ihre Uniformen aus, verkauften ihm das Dynamit und das Motorrad, zogen zu Fuß durch den Wald in Richtung Müritz, zu einem Dorf, in dem Martin Niebuhr Leute kannte«. Und Cresspahl, von dem Gesine von alledem weiß, »schloß seine Geschichte mit dem Spruch, der in den Balken eines Hauses in der Alten Straße in Wendisch Burg gehackt ist [...]: Allen / zu Gefallen / tut ein / Mallen.« [Allen zu Gefallen handelt ein Narr.]
977 Zu derselben Zeit halten die Niebuhrs »einen jungen Panzersoldaten auf ihrem Dachboden versteckt, der desertiert war«. Es ist Karsch. Der hat »durch die Stubendecke« gehört, dass der sonst so stille, gutmütige Martin Niebuhr beim Gespräch mit den beiden Pionieren am Abendbrottisch sogar laut geworden ist.
1753 Im Sommer 1951 ist Gesine Cresspahl vier Wochen bei den Niebuhrs zu Gast und segelt mit Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde »auf dem Oberen und dem Stadtsee von Wendisch Burg«.
Anhang IX-X Heinrich Cresspahl 1949 über Martin Niebuhr: »Ehemals Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, seit 1933 Wärter der Schleuse Wendisch Burg, nicht eben zur Belohnung befördert, sondern zur Versorgung. [...] Keine Kinder, und einen Kinderspielplatz hinter dem Haus, für Kinder aus Berlin-Friedenau und Jerichow zu Besuch. Imkerei, Gärtnerei, linkisch in Städten. Dann bekamen sie die Kinder des Bruders. Das Beamtentum Martin Niebuhrs, dem die S.S. im April 1945 eine Niederlage verdankte. Wo jetzt die Havel mitten durch einen großen trockenen Fleck fließe, habe Martin Niebuhr Schluß gemacht mit dem Krieg. Er geniere sich ungemein dafür, daß man Aufhebens machen könne von seiner Tapferkeit, und es wäre roh, ihn darauf anzusprechen. Er sei recht gut versteckt hinter seinem trödeligen Gehabe, und am Ende werde er doch der bessere Vater für die Kinder seines Bruders sein, und Gertrud eine nicht ungeschickte Mutter.«
Vgl. auch 633. 1853.
Vgl. Karschs Erinnerungen an den Aufenthalt bei den Niebuhrs und sein Wiedersehen mit Martin Niebuhr an der Havelschleuse 15 Jahre später in »Karsch und andere Prosa« (1964), S. 52-58.
Niebuhr, Peter
Diplom-Forstwirt, Angestellter im Landwirtschaftsministerium. Er lebt mit seiner Frau Martha, geb. Klünder, und den Söhnen Günter und Klaus, in Berlin-Friedenau, weshalb die Familie die »friedenauer Niebuhrs« genannt werden (928). Peter und Martha kommen im Sommer 1943 bei einem Bombenangriff im Ostseebad Rerik ums Leben, ihre Söhne wachsen bei Peters Bruder Martin Niebuhr und seiner Frau Gertrud, geb. Cresspahl, an der Havelschleuse bei Wendisch-Burg auf.
113 Auf einem Foto von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit im Oktober 1931 sieht man auch Peter Niebuhr, »Student der Forstwissenschaften aus Berlin, dem die Brillengläser die Augen verspiegeln, der sich hält als sei er in ein allzu entferntes Land geraten«.
281 Bei der Beerdigung von Martin Niebuhrs Schwiegermutter Berta Cresspahl im März 1933 in Malchow am See gehören Peter und Martin Niebuhr zu den Sargträgern.
472-473 Ende 1935 dient Peter Niebuhr in der Unteroffiziersschule Eiche bei Potsdam; dabei war er früher KPD-Mitglied gewesen. »Wollte er sich rächen, daß der Genosse Stalin nun auch seinen toten Freund Kirow hatte, wie Hitler seinen Röhm, und den Putsch etwas langsamer aufdröselte und in einem fort zerschlug? War es ihm jetzt nicht recht, daß endlich auch die U.S.A. diplomatische Beziehungen mit dem Staate Stalins aufgenommen hatte, daß er unter diesen Umständen gegen die Stimme der Schweiz in den Völkerbund gekommen war? Die Verwandtschaft verstand Peter nicht. Seit Peter zum Studieren nach Berlin gegangen war, war er schwer zu verstehen gewesen.«
607-608 Interveniert von Berlin aus (über einen Ministerialdirektor des Landwirtschaftsministeriums) in den Prozess gegen Hagemeister und Warning vom Oktober 1937, um Arbeitsdienstführer Griem eins auszuwischen, muss aber feststellen, dass er Heinrich und Lisbeth Cresspahl damit »nicht die Freude bereitete, die er sich vorgestellt hatte« (vermutlich weil er damit Dr. Semig in Gefahr bringt, vgl. 729). Daraufhin muss er zurückrudern und die ministerielle »Weisung nach Schwerin umdrehen lassen«.
728-729 Am 9. November 1938 sind Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr zu Besuch, wo sie auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin mit ihrem ersten Kind Klaus antreffen. Peter will dort eine havarierte Jolle in Ordnung bringen, die er günstig erstanden hat, versteht aber wenig von Bootsbau. – Der damals dreißigjährige Peter Niebuhr betrachtet den älteren Heinrich Cresspahl »mit Vorsicht. Er konnte einen solchen Lebenslauf nicht begreifen: Mecklenburg, Auswanderung, Rückkehr zu den Nazis. Er konnte die Geduld nicht fassen, mit der der andere die Fragen zurückhielt, die ihm wohl einfallen konnten: warum ein eingeschriebenes Mitglied der Kommunisten 1934 in die Unteroffiziersschule Eiche kam und von da in Darrés Reichsnährstand.« – Er kommt auf seine Intervention im Prozess gegen Hagemeister/Warning (vgl. 607 f.) und auf Dr. Semig zu sprechen, »nicht ohne Trotz, nur zu der mindesten Entschuldigung bereit«, aber Cresspahl reagiert gelassen: »Es war so gut, wie du es wohl gemeint hast. Ohne dich hätten wir ihn [Semig] ja nicht mal aus dem Land gekriegt.« (Erst die Erfahrungen mit dem Prozess bewegen Semig zur Emigration).
729 »Cresspahl mochte den Jungen. Von den Brüdern Niebuhr hatte er an Verstand, Kraft, Stehvermögen, was dem älteren Martin mit Schußligkeit, Trödelei, Bequemlichkeit abging. Er mochte an Peter, daß ihm nicht wohl war, weil er nicht nur seine Partei aufgegeben hatte, sondern wegen des Brots für die Familie zu einer anderen übergelaufen war. [...] Ihm gefiel auch die Frau, die der andere sich ausgesucht hatte, die Martha Klünder aus Waren«. – Sie tauschen sich nochmals über den Hagemeister/Warning-Prozess aus. – Am Ende soll Peter sein Boot nach Jerichow schicken »und außer den Transportkosten für die Instandsetzung nichts zahlen«.
768 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung im November 1938 wäre Peter Niebuhr »am liebsten mit Martha vor die Stadt gegangen«, bleibt aber Mr. Smith aus Richmond zuliebe, »der so erfreut war über Marthas Oberschulenglisch; nun konnte er auf seine Frau auch noch stolz sein.«
928-930 Im Sommer 1943 verbringen die friedenauer Niebuhrs ihren Urlaub an der Ostsee in Rerik. In der zweiten Ferienwoche kommt die zehnjährige Gesine auf Niebuhrs Einladung dazu. Peter verhält sich ihr gegenüber seltsam fremd, »mit einer allgemeinen Höflichkeit«. In Gesines Erinnerung ist er ein »übers Gewohnte langer Mensch, der am ganzen Leibe mager geblieben war. Unter den Wangenknochen hatte er so wenig Fleisch, daß seine Lippen geschürzt aussahen, wie von etwas Saurem. Die Augen hinter dunklem Glas.« – Erst später erfährt Gesine, dass er seine UK-Stellung im Ministerium verloren hatte und nach dem Urlaub an die Ostfront sollte. »Er hatte Cresspahls Kind eingeladen, weil er da an eine Pflicht glaubte; wäre lieber mit der Familie allein gewesen. Es war das letzte Mal; auch Cresspahl sagte nach dem Krieg, Peter hätte bei der ersten Gelegenheit zu den Sowjets überlaufen wollen.«
930-932 Wenige Tage nach Gesines Ankunft in Rerik, an einem Sonntagnachmittag, kommen Peter und Martha Niebuhr bei einem Luftangriff ums Leben. Ihre beiden Söhne überleben. »So blieb Peter mit seiner Martha zusammen, in einem gemeinsamen Sarg in der Erde von Wustrow.«
Anhang IX Heinrich Cresspahl 1949 über Peter Niebuhr: »Student der Forstwissenschaften in Berlin, Mitglied der Kommunistischen Partei bis November 1932, danach freiwillig in der Unteroffiziersschule Eiche bei Potsdam, von dort beurlaubt zum Reichsnährstand, einer Art Landwirtschaftsministerium. Peter Niebuhr habe über seine Vorgesetzten einen Prozeß in Gang gebracht, der einem Reichsarbeitsdienstführer [Griem] Privatverdienste verleiden sollte, durch den aber Lisbeth Cresspahl gezwungen wurde, vor einem Gericht eine falsche Wahrheit auszusagen, zu einer Zeit, da sie eher Ruhe gebraucht habe. Ein ganz junger Mensch, glücklich versorgt mit seiner Martha Klünder aus Waren, wäre nicht seine Sache mit der K.P.D. in Gedanken doch lebendig geblieben. Im Sommer 1943 zur Wehrmacht gezogen, plante er, zu den Sowjets überzulaufen«.
Vgl. auch 762. 765. 767. 1594.
In »Skizze eines Verunglückten« (1982) sind Martha und Peter Niebuhr mit dem Schriftsteller Joachim de Catt und seiner Frau befreundet. Hier dichtet Johnson ausgerechnet dem in »Jahrestage« so glücklich verheirateten Ehepaar Peter und Martha eine Ehebruchsgeschichte an: Martha wird in einem Salzburger Hotel mit einem Unbekannten gesehen, »der sich zu ihr betragen habe wie ein Liebhaber« (S 38).
Niederdahl, Anna
Die alte Frau, in deren ›guter Stube‹ Heinrich Cresspahl bei seinem Aufenthalt in Lübeck im März 1933 einige Stunden vergebens auf Erwin Plath wartet. Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Ihre kleine Wohnung in der Beckergrube ist in der NS-Zeit ein illegaler Treffpunkt. Sie stirbt im Herbst 1938.
198-199 Im März 1933 sitzt Heinrich Cresspahl, auf Erwin Plath wartend, »lange umsonst an einem Hinterhoffenster, in der Guten Stube einer alten Frau, die ihn behandelte wie einen von vielen Unerwachsenen, die sich aus bloßem Mutwillen in lästige Umstände bringen. Es war zu merken, daß sie in solchen Besuchen geübt war. Sie sprach nur Platt. Sie zwang ihn zum Verzehren einer Scholle, in sehr wenig Butter gebraten.«
674-678 Selbst ihre Beerdigung im Herbst 1938 in Lübeck dient noch einmal, mit Erlaubnis ihrer Tochter, als illegaler Treffpunkt von SPD-Genossen, zu dem auch Heinrich Cresspahl eingeladen wird. Die Trauerrede hält ein bestellter Redner, der Anna Niederdahls Leben resümiert: Fischerstochter aus Niendorf und Witwe eines im Ersten Weltkrieg zum Krüppel geschossenen Niendorfer Fischers, der seine Familie dann mit Gärtnerei in Lübeck unterhalten hat. »Ein Sohn auf See geblieben, eine Tochter in Hamburg verschollen, die andere ›Verfolgungen des Schicksals‹ ausgesetzt.« Letztere, eine aus Breslau angereiste Vierzigerin, überlässt den Leichenschmaus in Erwin Plaths Haus den SPD-Genossen für eine illegale Mitgliederversammlung.
Niemann, Bauer
Bauer in Althagen, wohl der Vater von Inge Niemann (vgl. 884).
1489-1490 Bei ihrem Ausreißer nach Althagen im Sommer 1947 biegt Gesine »ganz richtig ins Norderende ein, als wolle sie sich bei Bauer Niemann für die Ernte vermieten, blieb dann aber stehen vor einem ganz roten Katen«, dem früheren Ferienhaus der Paepckes. – Sie hatte vor, bei Bauer Niemann gegen Arbeit Unterkunft zu finden, wird dann aber von Ille eingeladen, die es »doch wohl eigentümlich« findet, »zu Bauer Niemann in Arbeit und Brot zu wollen, wenn sie einmal angefreundet gewesen war mit Inge Niemann«.
Niemann, Inge
Bauernkind in Althagen, wohl Tochter von Bauer Niemann.
884 Sie ist eines der Kinder, denen die Paepckes in den Ferien im Sommer 1942 dabei zusehen, wie sie abends die Kühe von der Weide nach Hause treiben. Alexander Paepcke »bat Inge, seinem Kind [Alexandra] Kuh und Stock abzutreten«. Aber die Kuh nimmt Alexandra nicht ernst und bleibt stehen.
Vgl. auch 1490.
Niemöller, Martin
Evangelischer Theologe (1892-1984). Im Ersten Weltkrieg U-Boot-Kommandant, gründete 1933 den Pfarrernotbund (Bekennende Kirche), 1937-1945 in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau.
426 Im Januar 1934 »hatte Brüshaver die Erklärung von Niemöllers Pfarrernotbund verlesen: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen«. Im März wurde er von der Superintendentur in Gneez verwarnt, »weil er immer noch nicht aus dem Pfarrernotbund ausgetreten war«.
645 Brüshavers Reflexionen anlässlich des Prozesses gegen Niemöller im Februar/März 1938 und seine Internierung im KZ Sachsenhausen: »Die Herren hatten sich nicht gescheut, einen Pfarrer Niemöller zu verurteilen, einen Seeoffizier, Freikorpskämpfer, der seit 1924 bei jeder Wahl für die N.S.D.A.P. gestimmt hatte.« Brüshaver gefällt nicht, dass Niemöller sich im Prozess »berief auf sein Glückwunschtelegramm an Hitler, wegen Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund, es sah doch etwas händlerisch aus. [...] Unterschreiben wollte Brüshaver von Niemöllers Meinungen am ehesten, daß es von der Schrift her nicht angehe, die Taufe durch den Stammbaum auszuwechseln.«
1612 Gesines Freundin Anita Gantlik, für die eigentlich die Dompfarrei von Gneez zuständig ist, geht in Jerichow zu Brüshavers Konfirmandenunterricht, weil der Dompfarrer gegen Bischof Dibelius hetzt. Brüshaver dagegen »wollte es noch einmal versuchen mit seinem Martin Niemöller, im Rat der E.K.i.D., Unterzeichner der Schulderklärung von Stuttgart und Verfasser der Meinung, sämtliche Besatzungsmächte sollten abziehen aus Restdeutschland und es durch die Vereinten Nationen am Frieden halten«.
Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 426,15 f. und 1612, 29-33.
Nixon, Richard Milhous
Amerikanischer Politiker (1913-1994), Präsident der Vereinigten Staaten 1969-1974.
1314 Nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy im Juni 1968: »Wetten wir auf Richard Milhous Nixon, der so schön weinen kann?«
1877 Nach Lyndon B. Johnsons Verzicht auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur: »Sein Nachfolger könnte ein Nixon werden, ein Tricky Dickie, nix on with him, der hat für 1968 als Motto verkündet, statt über die Niederlage der U. S. A. solle verhandelt werden, ›wie wir noch mehr Druck für unseren Sieg ausüben können‹.«
Vgl. auch 423. 514. 850. 1128.
Nonnenhof
Halbinsel des Liepssee in Mecklenburg bei Neubrandenburg.
1293 Cresspahl warnt zwei Mitgefangene, die aus dem Lager Fünfeichen fliehen wollen, vor »bewaffneten Streifen in der Forst Rowa, den nassen Wiesen von Nonnenhof, den ausgedehnten Sperrgebieten der Roten Armee nördlich Neustrelitz«.
norddeutsch (›norddeutsche Art‹)
Marie Cresspahl möchte herausfinden, was »die norddeutsche Art‹ ist und ob sie etwas davon geerbt hat.
149 Heinrich und Lisbeth Cresspahls Eheleben in Richmond 1932/1933: »Cresspahl konnte das auch, wortlos und blicklos neben ihr leben, nachdem Zureden mehrmals an ihr vorbeigegangen war, und was sie in solchen Auseinandersetzungen zusammenhielt, waren die eingeführten Zeiten für die Mahlzeiten, die Zeit für das Aufstehen und nur ein heikle, quecksilbrige Zeit für die Versöhnung, und nicht ein Wort vorher, auf die norddeutsche Art. – Das ist die norddeutsche Art? sagte das Kind. – Das habe ich nicht geerbt: sagt Marie, überzeugt und erlöst.«
170 Gesine Cresspahl auf Maries Frage, was Heinrich Cresspahl und Peter Wulff aneinander fanden: »Vor allem, sie konnten einer des anderen Nähe ertragen, bei einander sitzen, auch ohne Gespräch. Und beide hatten Spaß am gegenseitigen Aufziehen, und konnten es ertragen. Cresspahl hatte sein schweigendes Vergnügen gehabt, wenn Meta Wulff ihrem Mann vor Wohlwollen und Billigung den Rücken rieb, und der hatte vor Cresspahls Augen den Kopf etwas verquält verkanten müssen. Cresspahl hatte Meta Wulff reden lassen müssen über Ehen mit sehr großem Unterschied im Alter, und Peter Wulff hatte ihn offenbar gleichmütig beobachtet, mit Genuß an seinem wehrlosen Zustand.« Darauf Marie »Ist das wieder nordeutsch?« Gesine: »Es ist mecklenburgisch, und du hast es geerbt.« Marie: »Wenn es praktisch ist, bin ich einverstanden.«
Novotný, Antonín
Tschechoslowakischer Politiker (1904-1975). Von 1953 bis 4.1.1968 Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPČ, abgelöst von Alexander Dubček, von 1957 bis 22.3.1968 Präsident der ČSSR, abgelöst von Ludvík Svoboda.
523 Die New York Times berichtet am 28. Dezember 1967 von dem sich anbahnenden Rücktritt Novotnýs vom Parteivorsitz.
554 Am 6. Januar 1968 berichtet die New York Times, dass Novotný den Parteivorsitz an Alexander Dubček abgegeben hat.
849 Gesine Cresspahl liest die New York Times vom 10. März 1968: Die tschechoslowakischen Kommunisten beraten darüber, »wie sie den Präsidenten Novotný loswerden können ohne die Mittel Stalins, in denen Novotný so firm war«.
852 »Antonín Novotný wird aufgefordert, doch einmal die Bevölkerung selbst zu fragen, ob sie ihm denn vertrauen.«
889 »Die Kommunisten in der Č.S.S.R. mögen und mögen nicht ihren Antonín Novotný mit Gewalt loswerden. Sie erwähnen ihn in der Parteizeitung als schlichten Herrn statt Genossen, sie lassen ihn nicht beim Fernsehen auftreten, aber das Zurücktreten soll er selbst besorgen«, liest Gesine Cresspahl in der New York Times vom 19. März 1968.
904 Am 23. März 1968 berichtet die New York Times von Novotnýs Rücktritt. »Das Parteipräsidium der Kommunisten nimmt die Zahl der Justizopfer aus den Jahren 1952 bis 1964 mit 30 000 an.«
927-928 »Antonín Novotný mag für seine Person nicht anerkennen, daß die Partei immer recht hat, und zwar immer, und nämlich jedenfalls.« – Sein Nachfolger wird Ludvík Svoboda.
937-938 Gesine Cresspahl liest die New York Times vom 31. März 1968: »Was für ein Gesicht machte Antonín Novotný, als sein Nachfolger gewählt wurde? Ein steinernes.«
1281 Gesine Cresspahl liest die New York Times vom 4. Juni 1968: »mit Erlaubnis der neuen Kommunisten in der Č.S.S.R. dürfen die Bürger nun auch noch von Amts wegen wissen, daß der große und gütige Antonín Novotný nicht nur im Jahr 1952 politische Verfahren gefälscht hat, sondern auch 1954, 1955, 1957 und 1963«.
Vgl. auch 831. 836. 867. 1364-1365. 1421-1422. 1537.
O
O'Brady, Eileen
Betreibt einen Zigaretten- und Zeitungsstand in New York, an dem Gesine Cresspahl gewöhnlich ihre Zigaretten kauft.
213 »Aber Mrs. O'Brady am Zigarettenstand wollte uns Zigaretten nur verkaufen gegen ein Gespräch über die Gefährlichkeit von Zigaretten«.
695 Empört sich über die im Nachrichtenmagazin Time vom 9. Februar 1968 veröffentlichten Fotografien von Toten nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Saigon: »Aus der Hand haben sie mir die Hefte gerissen! [...] Es gibt Leute, die geilen sich daran auf!«
Vgl. auch 700. 1543. 1579.
O'Driscoll, Jim und Linda
Freunde von Gesine Cresspahl in New York, zwei Kinder, Patrick und Patricia. Wohnten früher in Gesines Nachbarschaft an der Upper Westside, vor fünf Monaten nach Greenwich Village umgezogen.
849-852 »Im amerikanischen Sinne des Wortes sind Jim und Linda Freunde.« – Am Sonntag, 10. März 1968 sind Gesine und Marie Cresspahl zur Besichtigung der neuen Wohnung in einem Souterrain in Greenwich Village eingeladen. – Linda stammt aus Griechenland, Jim hat sie vor fünf Jahren nach New York geholt. – Er ist Psychologe, erarbeitet Verkaufsstrategien für die Spielzeugindustrie. – Gespräche über Politik und Literatur. Jim vergleicht den Holocaust mit dem Genozid an den nordamerikanischen Indianern. »Jetzt war es nicht mehr ›Dschi-sain‹, sondern die Deutsche, die versuchen sollte, Himmler zu erklären.« – Am Abend gehen sie gemeinsam in einen Filmclub in Brooklyn, gezeigt wird u. a. »Nacht und Nebel«. – Gesine verlässt den Saal, holt Marie aus der O'Driscollschen Wohnung und fährt nach Hause. – »Es sind gute Freunde von mehreren Jahren. Sie sehen mich, und sie denken an die Verbrechen der Deutschen. Ohne die Absicht der Kränkung. Es ist ihnen selbstverständlich, natürlich. So verhält es sich.«
Bei dem Film »Nacht und Nebel« handelt es sich um den französischen Dokumentarfilm »Nuit et brouillard« von Alain Resnais (1955).
Ohlerich, Hanna
Mädchen aus Wendisch Burg. Ihre Eltern schicken die Vierzehnjährige kurz vor Kriegsende zu Verwandten, den Ohlerichs in Warnemünde, und erhängen sich anschließend aus Angst vor den Russen. Hannah schlägt sich im Juli 1945 zu den Cresspahls nach Jerichow durch, wo sie bis zum Herbst 1946 bleibt. Geht danach mit ihren Warnemünder Verwandten in den Westen.
994 Hanna und Gesine erkranken im Sommer 1945 beide an Typhus. Gesine hält sie im Fieber für Alexandra Paepcke. Hanna und Gesine schlafen in einem Bett, dem Ehebett, das Cresspahl einst für sich und Lisbeth getischlert hatte.
995-997 Hannas Geschichte: Die Irrfahrt auf dem Schiff ihres Onkels von Warnemünde über Wismar nach Gedser, von dort nach Niendorf und über Travemünde und Wismar zurück nach Warnemünde, wo sie mit anderen Fischern von den Russen festgenommen und nach Verhören auf einen Fußmarsch nach Neubukow geschickt wurden. In Neubukow »besann sich Hanna auf Cresspahl, der ihre Eltern in Wendisch Burg besucht hatte, und lief der Bewachung weg und kam mit Laufen und Ducken [...] durch die sowjetischen Linien und nach Jerichow«.
1082-1083 Gesine ist eifersüchtig auf Hanna, weil sie glaubt, Jakob würde Hanna vorziehen. »Neben einer solchen Hanna mußte man nachts liegen, und so breit das Bett war, der Abstand war nie groß genug.«
1196 Beide Mädchen werden von Frau Abs liebevoll versorgt. »Hanna Ohlerich war gleich zu ihr übergelaufen«. Sie war »selber ein Gast bei Cresspahl, sie verriet gelegentlich mit blicklosen, verengerten Augen, daß sie sich wegdachte, dem Kind war schon beliebig, mit wem es leben mußte«.
1231 Nach Cresspahls Verhaftung im Oktober 1945 bleibt Frau Abs wegen Gesine und Hanna in Jerichow. »Sie mußte der Gesine einen Morgen und Abend einrichten wie vor dem Verschwinden des Vaters. Sie mußte Ohlerichs Tochter ausreden, daß Cresspahls Haus nun auch zu den unsicheren gehörte.« Hanna geht in dieser Zeit in Jerichow zur Schule.
1236-1237 Hanna erklärt Jakob, der nun Familienvorstand in Cresspahls Haus ist, dass sie nicht auf eine weiterführende Schule, sondern nach Abschluss der Volksschule bei Cresspahl in die Tischlerlehre gehen will, um die väterliche Werkstatt in Wendisch Burg weiterzuführen. »Und wenn Cresspahl nicht zurück war bis Ostern 1946? Zu Plath. Wenn dessen Gewerbe aber nicht das Tischlern war, war es Hanna auch beliebig, daß sie zu den Fischern kam.«
1266 Als Cresspahl zu Ostern 1946 nicht zurück ist, beginnt Hanna, Briefe an die Warnemünder Verwandten zu schreiben, »nicht einmal heimlich, Frau Abs sollte es sehen«. Jakob darf ihre Zettel lesen, »die mehr ihn angehen sollten als die warnemünder Verwandtschaft«. Gesine beobachtet eifersüchtig ihre Spaziergänge mit Jakob.
1267-1269 Gesine und Hanna teilen alles miteinander. Gesine ist dennoch weiterhin von Eifersucht geplagt.
1269-1277 Zur Ernte schickt Jakob die beiden Mädchen im Sommer 1946 auf Johnny Schlegels Hof, wo sie gleich angestellt werden, »aber zum Essen von Dickmilch mit Zucker, und gewiß durften wir mit Inge zu allen ihren Arbeiten über den Hof ziehen, nur keine anfassen«. Später bestehen sie darauf, in der Ernte mitzuhelfen. Beide sind eifersüchtig auf Jakobs Freundin Anne-Dörte. Nachts, neben Hanna liegend, hört Gesine Hanna mit erboster Stimme rufen: »Ich bin kein Kind mehr. Es klang entschlossen, reuelos, und ich haßte sie, weil sie nicht genug litt an einem Unglück, das ich für sie so ungeheuer glaubte wie für mich. Wieder war sie älter als ich.«
1280-1281 Jakob reist nach Warnemünde, um mit Hannas »Fischerverwandtschaft« zu sprechen. Die »war bei den Gemeindewahlen mit der Volkspolizei ins Gedränge gekommen« und will über die Ostsee in den Westen. »Damit die Abreise zu den Briten nicht auffiel, sollte Hanna vor Rande zusteigen.« Gesine begleitet sie nach Rande, fährt auch noch mit ihr in Ilse Grossjohanns Kutter zu dem Treffpunkt mit dem Kutter der Warnemünder Verwandten auf See und kann noch Tage danach »in den Armen das Gefühl wiederkommen lassen, mit dem sie Hanna auf das andere Boot hinübergestoßen hatte«.
1551 Hanna schickt im Sommer 1948 aus Neustadt (in Holstein) ein Päckchen, »in dem sie neben Tee und Tabak kein einziges Kleidungsstück für ein Mädchen unterbrachte, wohl aber ein Hemd, das Jakob saß wie nach Maß«.
Vgl. auch 1526.
Ohlerichs (Warnemünde)
Die Warnemünder »Fischerverwandtschaft« der Ohlerichs in Wendisch Burg, Onkel und Tante von Hanna Ohlerich, die mit ihnen im Herbst 1946 in den Westen flieht.
995 Hanna Ohlerichs Eltern schicken die Vierzehnjährige kurz vor Kriegsende zu den Ohlerichs in Warnemünde »damit das Kind während der letzten Kriegshandlungen auf See sicher war«, und begehen kurz darauf aus Angst vor den Russen Selbstmord (vgl. 1001 f.).
995-997 Hannas Onkel läuft mit ihr und der Familie auf seinem Kutter am 1. Mai 1945 aus. Es folgt eine Irrfahrt über Wismar nach Gedser, von dort nach Niendorf und über Travemünde und Wismar zurück nach Warnemünde, wo sie mit anderen Fischern von den Russen festgenommen und nach Verhören auf einen Fußmarsch nach Neubukow geschickt werden. In Neubukow entkommt Hanna der Bewachung und läuft nach Jerichow zu Cresspahls.
1266 Hanna schreibt 1946 Briefe an die Warnemünder Verwandten, bekommt aber keine Antwort.
1280-1281 Im Herbst 1946 reist Jakob Abs nach Warnemünde, um mit den Ohlerichs über Hannas Verbleib zu sprechen. Die Familie »war bei den Gemeindewahlen mit der Volkspolizei ins Gedränge gekommen« und will nun über die Ostsee in den Westen fliehen. »Damit die Abreise zu den Briten nicht auffiel, sollte Hanna vor Rande zusteigen.« Ilse Grossjohann fährt Hanna in ihrem Kutter zu dem Treffpunkt auf See, wo Hanna in das Boot der Ohlerichs umsteigt.
1551 Ein Päckchen, das Hanna im Sommer 1948 aus Neustadt (in Holstein) an die Cresspahls schickt, gibt kund, dass die Flucht geglückt ist.
Ohlerichs (Wendisch Burg)
Ehepaar aus Wendisch Burg, Inhaber einer Tischlerwerkstatt, Eltern von Hanna Ohlerich.
995 Sie schicken die vierzehnjährige Hanna kurz vor Kriegsende zu ihrer »Fischerverwandtschaft«, den Ohlerichs in Warnemünde, »damit das Kind während der letzten Kriegshandlungen auf See sicher war«.
1001-1002 Sobald die Tochter aus dem Haus ist, erhängen sie sich in Wendisch Burg aus Angst vor den Russen. Karsch, der sich bis Kriegsende bei Gertrud und Martin Niebuhr versteckt gehalten hat und dann nach Jerichow zu den Cresspahls kommt, bei denen Hanna gestrandet ist, »hatte es ihr nicht sagen mögen, als er sie ihm Fieber sah«.
1030 Die Angst der Ohlerichs vor der Roten Armee ist eine Folge der antisowjetischen Propaganda der Nazis: Sie »hatten der Reichsregierung nicht viel geglaubt als eben dies Letzte und hängten sich auf am Hals: vor der Zeit, bevor sie die Fremden aus dem Osten mit eigenen Augen, eigenen Ohren wahrgenommen hatten: sagten die Überlebenden«.
1266 An Hannas Verhalten in Cresspahls Haus war ungefähr »zu erraten, was für einen Hausstand die alten Ohlerichs geführt hatten. Was auf sie zukam, hatte der Alte angenommen, was nach außen getan wurde, entschied er. Die Mutter hatte die Küche, den Keller, die Wohnung verwalten dürfen, doch unter seiner Aufsicht. Sein Wort war das letzte, und blieb hinlänglich erklärt durch seinen Willen, noch bis zu dem Strick, den er ihr gab, und dem, den er für sich nahm. Streng, auch zärtlich, leicht zu bewundern von einem Kind.«
Ohr, Axel
Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune« (1274).
1512-1516 Als der aus Fünfeichen entlassene Heinrich Cresspahl im Mai 1948 entkräftet auf Johnny Schlegels Hof landet und stundenlang in einem Wassertrog badet, bekommt er den Auftrag, Cresspahls Kleidung zu verbrennen, und stellt sich dabei ungeschickt an. – Er fühlt sich von Johnny Schlegel schlecht behandelt. Dabei hätte das »weggelaufene Stadtkind [...] mit seinen sechzehn Jahren begreifen dürfen, daß er so gut wie adoptiert war bei den Schlegels und beiläufig fast alles gelernt hatte, was bei Friedrich Aereboe über allgemeine landwirtschaftliche Betriebslehre geschrieben stand«. – Mittags bekommt er Auftrag, Gesine mit Jakobs ›Voss‹ vom Zug in Jerichow abzuholen und zum Wiedersehen mit dem Vater auf den Schlegel-Hof zu bringen. – Am Abend dieses Tages bringt er Cresspahl und Gesine im Pferdewagen nach Jerichow.
1554 Gesine Cresspahl macht im Sommer 1948 in dem Kinderheim hinter Johnny Schlegels Wäldchen Besuche »Axel Ohr zuliebe, denn so konnte er mitkommen, ohne daß es aussah, er sei verliebt in eine Elisabeth aus Güstrow, er, Axel Ohr!«
1678 Axel Ohr, inzwischen achtzehn Jahre alt, will zum Pfingsttreffen der FDJ im Mai 1950 mitfahren, »drei Kilo Elektrolytkupfer« im Gepäck, das er in Westberlin verkaufen will, um Bindegarn für die Kornernte zu kaufen. Er wird verhaftet. »Axel war die volle Strafe angedroht, fünf Jahre Zuchthaus.«
1703 Er bekommt tatsächlich 5 Jahre Zuchthaus.
Vgl. auch 1525. 1551. 1661. 1843.
Onkel Humphrey
276 Erfundene Figur, ein »Grobian und Raufbold«, dessen Anwesenheit in der Wohnung Marie Cresspahl bei Telefonanrufen vorzuschützen lernt, mit denen Kriminelle die Gegebenheiten für einen Einbruch auszukundschaften versuchen.
Opfer der Justiz in Mecklenburg (NS-Zeit)
945-950 Auflistung von 35 Namen mit Kurzbeschreibung ihrer »Vergehen« und Bestrafung. – Der »Hinrichtungskeller in den Haftanstalten Dreibergen-Bützow wird heute als Museum gehalten. [...] Ich kann Cresspahl träumen an diesen Ort.«
Opfer der Justiz in Mecklenburg seit 1945
1789-1797 Die erste von Dieter Lockenvitz im Oktober 1951 an »ausgesuchte Haushalte in Gneez« per Post verschickte »vorläufige Liste zur Justiz in Mecklenburg seit 1945«. Gesine Cresspahl und/oder der Genosse Schriftsteller ergänzen die Liste um die Namen von Peter Wulff und Bauer Utpathel, deren Fehlen ihnen verräterisch erscheint: Dem Urheber der Liste gehe zweifellos »das Vorgehen von Strafkammern gegen Oberschulen näher«, er halte »nur die rein politischen, die ideologischen Bestrafungen eines Mitteilens für wert«, und »daran würden sie ihn fangen, dazu seine Abschreiber: sagte Jakob, nahm Cresspahls Tochter solche Notizen weg«.
1803 Nach Dieter Lockenvitz' Prozess und Verurteilung zu 15 Jahren Zuchthaus im Mai 1952: »Im September begann die Fortsetzung der unterbrochenen Korrespondenz«.
Original Maids of Honour
Restaurant in Richmond.
130 Lisbeth Cresspahl schreibt 1932 nach Hause von einem Essen mit Cresspahl im Original Maids of Honour »für 3 Schilling pro Person; sie schrieb von Restaurants wie von allwöchentlichen Zielen«.
Zur Geschichte des traditionsreichen Bäckerei- und Restaurantbetriebs und des Gebäcks, nach dem es benannt ist, vgl. die Internetseite seiner heutigen Betreiber. Über eine Werbeanzeige aus dem Herbst 1932 für ein 3-Schilling-Menü im ›Original Maids of Honour‹ berichtet der Jahrestage-Kommentar zu 130, 25.
P
Paap, Alwin
Altgeselle in Cresspahls Tischlerei in Jerichow bis 1939. Verlobt mit Johnny Schlegels Tochter Inge Schlegel.
540 Bewohnt ein Vorderzimmer in Cresspahls Haus. »Er war noch bis 1939 im Haus, Altgeselle. Deswegen ging er in sein Zimmer doch auf dem Umweg über den hinteren Flur, bedienstet, wie er sich vorkam.«
767 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung bei Papenbrocks fühlt Alwin Paap sich »ungeheuer bedienstet und wünschte sich weg«.
808-809 Während Cresspahls geheimnisvoller Abwesenheit im November/Dezember 1938 vertritt er seinen Meister; seither kommt er sich »weniger bedienstet vor und begegnete den Kunden nun aus eigenem so fest und selbstbewußt, wie Cresspahl ihm das für die Zeit seiner Abwesenheit angeraten hatte«. Außerdem hat er nun ein Mädchen, Inge Schlegel, die er mit Cresspahls Erlaubnis in sein Giebelzimmer mitnehmen darf, in das er inzwischen umgezogen ist. Als Pastor Wallschläger Cresspahl deswegen zur Rede stellt, setzt Alwin Paap ihn kurzerhand vor die Tür. Alwin Paap hielt jetzt den Kopf hoch und sah so groß aus, wie er war. [...] Alwin war neuerdings nicht gesonnen, andere Leute in seine Sachen hineinreden zu lassen, und schon gar nicht in den Termin einer Eheschließung. – Du måkst di: sagte Cresspahl, als er zurückkam«, worauf »Herr Paap doch noch rot wurde«.
854 Wird 1939 zur Wehrmacht eingezogen.
1272 Im Sommer 1946 trägt Inge Schlegel immer noch den Verlobungsring von Alwin Paap am Finger.
1510 Bei Cresspahls Rückkehr aus Fünfeichen im Mai 1948 ist von »Inge Paap, geb. Schlegel« die Rede. Demnach ist Alwin Paap aus dem Krieg zurückgekehrt und hat seine Verlobte Inge geheiratet.
Vgl. auch 568. 577. 692. 711. 741. 742. 748. 754. 759. 762. 782. 783. 814. 835.
Paepcke, Alexander
Ehemann von Lisbeth Cresspahls Schwester Hilde, geb. Papenbrock, Vater von Ulrike (Alexandra), geb. 1933, Eberhardt, geb. 1935, und Christine, geb. 1937. Promovierter Jurist, ehemals Rechtsanwalt und Notar in Krakow am See. Hatte (wohl Anfang der dreißiger Jahre) Geld veruntreut und wurde daraufhin aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Trinkt oft und reichlich. Von den Darlehen seines Schwiegervaters Albert Papenbrock tilgt er nicht seine Schulden aus der Veruntreuung, sondern pachtet eine Ziegelei in Krakow, die 1932 abbrennt. Wird daraufhin der Brandstiftung und des Versicherungsbetrugs verdächtigt. Ende 1933 Umzug nach Jerichow, mit Papenbrocks Hilfe Pächter der Ziegelei in Jerichow, die schon bald rote Zahlen schreibt. Wenige Jahre später (wohl Ende 1935 oder Anfang 1936) Umzug mit der Familie nach Podejuch bei Stettin, Arbeit in der Heeresintendantur Stettin. Im Laufe des Krieges wird er für die Zivilverwaltung im besetzten Frankreich eingesetzt, wechselt dann zur Organisation Todt, Einsatz in der Gegend um Kiew; im Sommer 1944 wird er zur Wehrmacht zurückgeschickt und nach Südfrankreich beordert, wo er im September 1944 fällt.
50 Imaginiertes Gespräch zwischen Heinrich Cresspahl und Lisbeth Papenbrock im Sommer 1931: »Meine Schwester ist verheiratet in Krakow mit einem Rechtsanwalt, der Geld veruntreut.«
112 Kommt betrunken zu Lisbeth und Heinrich Cresspahls Hochzeit am 31. Oktober 1931.
114 Auf einem der Hochzeitsfotos sieht man den Bräutigam Heinrich Cresspahl »im Gespräch mit einem Rechtsanwalt aus Krakow, der Hilde Papenbrocks Erbteil vertrunken hat und ihr ein Unglück nach dem andern beibringt; und diesem Menschen, ausgestoßen aus der Mecklenburgischen Anwaltskammer, der unerschrocken seinen schwarzen Scheitel hinhält, vergnügt und womöglich nur verschmitzt mit seinen verkniffenen Augen, seinem festen Backenfleisch, dem trinkt Cresspahl zu mit Cognac«.
158 Hilde Papenbrock »stellte sich nicht gegen ihren Dr. Paepcke, ehemals Rechtsanwalt und Notar, nicht einmal wenn er mit Schwiegervaters unwiderruflich letztem Darlehen nicht seine Veruntreuungen bereinigte, sondern eine Ziegelei in Pacht nahm. Sie hatte sich einreden lassen, daß da genug Gewinne gegen die Schulden ins Haus standen, und ließ sich für die Angst entschädigen mit Ausflügen nach Berlin, Besuchsfahrten von Gut zu Gut, Festen im Kurhotel Krasemann am See. Das Gerücht beschrieb sie in einer anbetenden Haltung vor ihrem Alexander; wirklich mochte sie ihn nur keinen Spaß entbehren lassen.«
159 Über den Brand der Ziegelei in Krakow. Die Kriminalpolizei »wollte den Herrschaften aus der eben erst angehobenen Versicherung eine Anwesenheit und Brandstiftung nachsagen. Hilde Paepcke wurde gefragt: ob sie Hindenburglichter kenne. Sie hatte das dann zu rasch und rundheraus abgestritten.« – Heinrich Cresspahl in einem (imaginierten) Gespräch mit seiner Frau Lisbeth: »Die stellen ein Hindenburglicht auf Ziegelboden. Den Brandherd erkennt ein Kind.« – Vgl. auch Anhang XV: Danach hat Hilde den Brand gelegt, weil sie nicht mit ansehen konnte, »daß Alexander in Verlegenheit war«.
261-262 Im Frühjahr 1933 ist Hilde Paepcke schwanger (mit Alexandra): »Sie wollte noch Kinder haben, ehe Alexander sich ganz und gar durch den Boden des Bürgertums gescheuert hatte; sie wollte etwas ›aus der Konkursmasse retten‹.«
281 Bei der Beerdigung von Cresspahls Mutter Berta im März 1933 in Malchow am See ist Alexander Paepcke einer der Sargträger.
367 Im Sommer 1933 holt Albert Papenbrock seine Tochter Hilde nach Hause: »Alexander Paepcke sollte erst einmal etwas Solides vorweisen, ehe er sie hier wieder abholen durfte.«
401 Hilde Paepcke meint, ihr Vater sollte Alexander für die Jerichower Bürgermeisterwahl im Oktober 1933 vorschlagen. Was der alte Papenbrock »der fürsorglichen Ehefrau Paepckes nicht antworten mochte«, sieht man ihm an der Nasenspitze an. »Dr. Paepcke als oberster Herr über die Stadtkasse von Jerichow gesetzt, es war auch für Cresspahl erheiternd, solange es dazu nicht kam.«
412 Geburt des ersten Kindes Ulrike, genannt Alexandra, 1933. – Gerede der Jerichower im Dezember 1933: »Denn weißt du wohl, was Hilde Papenbrock, Hilde Paepcke, zu Weihnachten und zur Geburt ihres Kindes geschenkt gekricht hat? Jawohl, die Pacht der Ziegelei. [...] Paepcke, Hildes Mann, der hatte ja wohl was angestellt. Wenn sie einen nich einsperren, dann war nichts. Na, wart du man. Wart du man, bis die Ziegelei auch in Jerichow brennt.«
417-418 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ zählt auch der, dass Schwager Paepcke keinen »Unfug« anstellen möge mit der Ziegeleipacht. In seinen Augen ist Alexander ein »umgänglicher Mann, ein gut erträglicher Nachbar, aber kein Geschäftsmann. Seine Bücher waren in einem Zustand, es konnte einem angst und bange werden.« Alexander verspielt ganze Nachmittage mit seiner Familie im Garten, und »die Ziegeleiarbeiter brauchten nur ans Tor zu treten, da konnten sie auf der anderen Seite der Straße sehen, wie ihr Chef den lieben Gott einen guten Mann sein ließ. Da war Alexander gar nicht empfindlich. Und er fuhr nach Gneez zu gar nichts als zum Tennisspielen.« – »Es war angenehm, den beiden [Alexander und Hilde] zuzusehen, wie sie lebten, so unbefangen wie Kinder; es war unheimlich, daß die jetzt schon vergessen hatten, mit welch genauer Not sie durch Papenbrock gerettet worden waren. Cresspahl wünschte sich also, die Ziegelei möge nicht unverhofft abbrennen.«
473 Geburt des zweiten Kindes Eberhardt im August 1935. – Von dem Bau des Flugplatzes Jerichow Nord 1935 profitiert auch Alexander: »Sogar aus Alexander Paepcke hatte die aufgeregte Nachfrage nach Baumaterial für Jerichow Nord einen Geschäftsmann gemacht, der verbrachte die Tage im Ziegeleihof und im Büro und nicht auf dem Gneezer Tennisplatz.«
507 Rückblick: Alexander und Hilde Paepcke haben im Juni 1928 in Jerichow geheiratet; damals studierte Alexander noch.
530-531 Der Umzug nach Podejuch aus der Sicht der Jerichower 1937: »Alexander Paepcke hatte es fertig gebracht, bei einem auf Jahre gesicherten, unersättlichen Ziegelbedarf für den Flugplatz Jerichow Nord rote Flecken in seine Bücher zu bekommen, rote Löcher geradezu, und hatte sich eingeschüchtert verzogen in den östlichsten Zipfel des Wehrbereichs II, in die Heeresintendantur Stettin [...]. Podejuch, wie das schon hieß, wenn es das überhaupt gab, wenn das am Ende nicht ein ›Rio de Janeiro‹ [wie bei Hildes Bruder Robert Papenbrock] war.«
570 Besorgt seinem Schwager Horst Papenbrock 1937 über Korpsbrüder seiner Studentenverbindung Leonia eine Stelle bei der Landesbauernschaft in Güstrow.
631-635 Über Ostern 1938 besuchen Heinrich, Lisbeth und Gesine Cresspahl die Paepckes in Podejuch. Ein Jahr vorher wurde Paepckes drittes Kind, Christine, geboren. – Alexander ist nun Major der Reserve, redet zu Lisbeths Bedrückung von einem kommenden Krieg. – Bei einem Ausflug in die Buchheide liegen in einer Lichtung »mit einem Mal unterhaltsam versteckt bunt bemalte Ostereier; Alexander Paepcke, der Künstler im Leben wie im Zaubern«. – Am zweiten Abend »bei Bier, Mosel und Aussichten des nächsten Krieges« setzt Hilde »die jeweils neuen Gläser etwas hart auf den Tisch«.
767 Auf Lisbeth Cresspahls Beerdigung hadert Alexander mit sich selbst, »weil er die Uniform aus Eitelkeit angezogen hatte und ihn doch jeder als einen Verwaltungsoffizier erkannte«.
827-830 Nach Lisbeth Cresspahls Tod bringt Cresspahl die fünfjährige Gesine zu den Paepckes nach Podejuch, wo sie mehr als ein halbes Jahr bleibt (vgl. 836). – Alexander »war nun geradezu feist im Gesicht, hatte früher so abgearbeitet nicht ausgesehen, war langsamer; aber er mußte sich nur Mühe geben, dann war er für Kinder der Zauberer, Spaßmacher und Spaßopfer in einem«. – In den ersten Tagen versucht Alexander vergebens, Gesine aufzuheitern, und beschwört Cresspahl am Telefon, sie wieder nach Hause zu holen. Er »traute sich eine Tröstung des Kindes nicht zu, weil es nach Cresspahl schlug und eigensinnig bleiben würde auch in der Trauer«. – In der Nacht findet er Gesine auf dem Dachboden, »wo sie im Dunklen zwischen Koffern und Körben hockte, um in Ruhe weinen zu können. Paepcke war so aufgebracht, er schrie außer dem Kind alle ohne Unterschied an, auch das Dienstmädchen holte er dazu aus dem Bett, und am Morgen erzählte die Regierungsratswitwe Heinricius im ›Kolonialwaren‹laden, daß Paepcke in der Nacht habe seine Frau umbringen wollen, es seien Schüsse gefallen, und die Feuerwehr sei gekommen.« – Am darauffolgenden Abend kommt er nicht nach Hause und betrinkt sich in der Bahnhofswirtschaft von Podejuch. »Paepcke mochte nicht zusehen, wenn es Kindern übel geht. Es war so; es hat ihm später den Tod eingebracht. Und wenn gesoffen werden mußte, tat er es noch lieber auswärts.«
836-841 Über Gesines Leben bei den Paepckes 1938/1939. – »Bei Paepckes hatte ein Kind keine Pflichten, keine Beschwernis.« – »Mit ihrem Alexander hatte Hilde es, so habe ich es nicht wieder gesehen.« Sie versteht ihn wortlos. Er revidiert seine Bemerkung, sie habe schöne Beine: »Lebendige Beine hast du! Den beiden machte es nichts, daß die Kinder das anhörten. Übriggeblieben ist ein Gefühl ansteckender Begeisterung, von dem Vergnügen, bei solchem Leben dabeizusein.« – Liest den Kindern aus Fontane vor. – »Bei Paepckes lernten die Kinder fühlen, wer sie waren.« – Im Sommer 1939 verbringen die Paepckes ihre Ferien mit Gesine auf dem Fischland in Althagen. Am letzten Tag holt Cresspahl Gesine ab und nimmt sie wieder mit nach Jerichow.
860 Im März 1942 besuchen Cresspahl und Gesine die Paepckes in Podejuch. Cresspahl und Alexander hören Sendungen des BBC. »Wohl wurden die Kinder weggeschickt, wohl blieb er am Empfänger stehen, um die Nadel unverzüglich auf eine andere Station schieben zu können; aber wenn Heinrich mal wissen wollte, wie das war, London hören, den Gefallen sollte er haben.«
878-887 Im Sommer 1942 verbringen die Paepckes ihre Ferien mit Gesine und dem siebenjährigen Klaus Niebuhr in Althagen auf dem Fischland. – Alexander Paepcke »bediente [...] den Krieg nun in der Zivilverwaltung der besetzten französischen Gebiete«. – »Alexander brachte den Kindern das Schwimmen bei, auch indem er ihnen einredete, sie könnten es bereits.« – Bei Regen spielt er »mit ›seinen‹ Kindern Mensch Ärgere Dich Nicht«, lässt die Kinder gewinnen, und »am Ende starrte er wortlos mit bösem Blick auf seine verlorene Partie, und war ein Mensch, Der Sich Ärgert«. – Hat seine Ferien seit seinem sechsten Lebensjahr in Althagen verbracht, das Haus gehört der Familie, wurde schon 1902 von seinem Großonkel gekauft (880). Alexander »sprach das Fischländer Platt wie die Fischländer und duzte sich durchs ganze Dorf«. – Ende Juli kommt Cresspahl für eine Woche nach Althagen. Alexander beobachtet sein Treffen mit seinem Verbindungsmann Fritz. – Cresspahl leiht Alexander Geld. »Sie sprachen obenhin von Rückzahlungen. Cresspahl verließ sich darauf, daß Gesine ein Anteil an Paepckes althäger Haus überschrieben würde, wenn Alexander es von seinem Großonkel erben sollte. Es galt nicht, aber Alexander hat sich daran gehalten und schrieb es in Kiew in sein Testament.« – Kurz vor Ende der Ferien bekommen die Kinder Geschenke, die Alexander aus Frankreich mitgebracht hat.
951-956 Sommer 1944: Alexander Paepcke ist inzwischen zur Organisation Todt gewechselt mit Einsatz in der Gegend um Kiew. Als er dort »Zivilpersonen zur Arbeit einweisen« muss und sich »ein wenig gegen die Annahme eines Trupps von fünfzig Juden wehrt, weil darunter Kinder waren«, wird er im Sommer 1944 zur Wehrmacht zurückgeschickt, die ihn nach Südfrankreich beordert. Entgegen seinem Befehl steigt er in Ribnitz aus, um seine Familie und die aus Jerichow anreisende Gesine nach Althagen zu bringen. Er verbringt eine Nacht mit seiner Familie in Althagen und reist in den Morgenstunden nach Frankreich weiter. Die Kinder erfahren nichts über die Gründe seiner Abreise. Seine Abwesenheit irritiert sie: »Es erwies sich, daß Ferien zu erfinden waren, hatte man sie einmal von Alexander gelernt.«
1000-1001 Die Nachricht von Alexander Paepckes Tod im September 1944 erreicht Cresspahl im Sommer 1945: Ein »wandernder Soldat« bringt ihm einen Brief, den Alexander schon im Juni 1944 in Kiew geschrieben hat. Darin verspricht er seiner Nichte Gesine einen Anteil am althäger Haus »für den Fall, daß er es erben würde«. Im September 1944 hat er »den Brief noch einmal geöffnet und Cresspahl dringlich gebeten, er möge Hilde dazu bringen, daß sie mit den Kindern vom rechten Ufer der Oder auf das linke ziehe, am besten zurück nach Mecklenburg. Alexander bat Cresspahl, seine Familie ins Haus zu nehmen, wenn er gefallen sei. Um die Blutflecken auf dem Brief herum war von einem Franzosen geschrieben, der Inhaber sei am 29. September 1944 gestorben, aber nicht, wo er begraben ist.«
1619-1620 Gesine erzählt ihrer Freundin Anita Gantlik eine Nacht lang von »Alexander Paepcke, zum Trösten gut noch im Verstorbensein«.
Anhang XIV-XVI Cresspahls Erinnerungen an Alexander Paepcke. »Einer von den großmächtigen Paepckes aus Schwerin. In der Familie habe es einen Bankier gegeben, auch Abgeordnete zum Deutschen Reichstag vor dem Ersten Krieg. Die Paepckes gingen zu Hofe bei ihrem Großherzog. Unverhofft war die Familie mit ihrem Alexander, Jahrgang 1898, an einem Ende.« – Heiratete Hilde Papenbrock 1928. – Über seine Veruntreuung und den Ausschluss aus der Anwaltskammer: »Einmal vergaß Alexander eine Verlegenheit rechtzeitig nach Schwerin zu melden, und er konnte einem Mandanten nicht gleich den Prozeßvorschuss auszahlen, der wegen Vergleichs fällig geworden war. Der Mandant war ein Großgrundbesitzer und gab sich mit einer verspäteten Zahlung nicht zufrieden. Alex wurde durch eine Saumseligkeit seiner Kumpane in der Burschenschaft Leonia wahrhaftig aus der Anwaltskammer von Mecklenburg ausgeschlossen«. – »Alexander sei zugrunde gegangen, weil er im besetzten Rußland fremden Kindern habe helfen wollen. Seine eigenen starben mit Hilde im Frühjahr 1945 in Vorpommern in einem Militärlastwagen, der unter dem Beschuß von Tieffliegern ausbrannte.«
Vgl. auch 298. 355-356. 467. 762. 767. 835. 930. 1489. 1494. 1593. Anhang V, XVII-XVIII.
Dass Paepckes schon zu Ostern 1935 in Podejuch wohnen, wie Hildes Einladungen an ihre Schwester Lisbeth »zu Ostern 35, 36, 37« implizieren (631), widerspricht der Auskunft, dass Alexander Paepcke zunächst von dem Bau des Flugplatzes in Jerichow Nord, der 1935 beginnt, profitiert und die Ziegelei zum Zeitpunkt der Geburt des Sohnes Eberhardt im August 1935 noch betreibt (473). – Einige der im Anhang XIV-XVI zu Band 2 (»Mit den Augen Cresspahls«) genannten Zeitangaben stimmen nicht mit den in Gesines Erzählungen genannten Daten überein (Alexandras Geburt: 1934 vs. 1933; Übernahme der Ziegeleipacht in Jerichow: 1931 vs. 1935).
Paepcke, Christine
Drittes und jüngstes Kind von Hilde und Alexander Paepcke, geboren 1937 in Podejuch, gestorben mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern Alexandra und Eberhardt bei einem Tieffliegerangriff im Frühjahr 1945 in Pommern.
952 Sommer 1944: An dem letzten Abend, den Alexander Paepcke mit seiner Familie im Ferienhaus in Althagen verbringt, führt er Christine vor, »wie sie mit zwei Jahren aus einem Becher getrunken hatte. War er voll, hielt sie ihn fest in beiden Händen, den leeren hatte sie achtlos fallen lassen. Christine war nun sieben Jahre alt und sah begeistert an, daß sie als kleines Kind einen Finger vom Becher abgespreizt hatte, auf die vornehme Art, bevor sie ihn als unbrauchbar aufgab, so wie Alexander«.
Paepcke, Eberhardt
Zweites Kind von Hilde und Alexander Paepcke, geboren im August 1935 in Jerichow, gestorben mit seiner Mutter und seinen Geschwistern Alexandra und Christine bei einem Tieffliegerangriff im Frühjahr 1945 in Pommern.
828 Als Gesine Cresspahl nach dem Tod ihrer Mutter für mehr als ein halbes Jahr bei den Paepckes in Podejuch verbringt, wird sie von Alexandra und Eberhardt »genau darauf angesehen, ob sie ihnen etwas wegnahm. Sie nahm ihnen nichts weg. Alexandra behielt ihren Platz neben der Mutter, Dick Eberhardt mußte seinen neben ihr nicht opfern«.
882 Ferien in Althagen im Sommer 1942 mit Geschwistern und Eltern und mit Gesine und Klaus Niebuhr: Als der siebenjährige Klaus sich rühmt, ganz allein aus Berlin angereist zu sein, macht der gleichaltrige Eberhard ihm einen Strich durch die Rechnung: »Eberhardt, Junior, zu lange mit den drei Mädchen zusammen, hatte sich eine neue Sicht auf die Welt zugelegt. Er unterstützte nicht die männliche Seite, sondern verwies auf Gesine, die auch allein gekommen war. Der Mann Klaus war gekränkt«.
1478 Nach dem Krieg träumt Gesine Cresspahl häufig von Alexandra und davon, das Baby »Dick Eberhardt Paepcke« im Arm zu haben, »der war auch nicht tot, der schlief bloß und träumte, wie sie«.
Paepcke, Hilde (geb. Papenbrock)
Ehefrau von Alexander Paepcke, geb. 1904; Mutter von Ulrike (Alexandra), geb. 1933, Eberhardt, geb. 1935, und Christine, geb. 1937. Sie ist die älteste Tochter von Louise und Albert Papenbrock und Schwester von Lisbeth Cresspahl, Robert und Horst Papenbrock. Heiratet ihren Alexander Paepcke im Juni 1928, lebt mit ihm bis Ende 1933 in Krakow am See, dann in Jerichow. Wenige Jahre später (wohl Ende 1935 oder Anfang 1936) siedelt die Familie nach Podejuch bei Stettin um. Kommt im März 1945 bei einem Angriff sowjetischer Tiefflieger auf einer Straße in Vorpommern mit ihren drei Kindern ums Leben.
50 Imaginiertes Gespräch zwischen Heinrich Cresspahl und Lisbeth Papenbrock im Sommer 1931: »Meine Schwester ist verheiratet in Krakow mit einem Rechtsanwalt, der Geld veruntreut.«
58 Imaginiertes Gespräch Gesine Cresspahls mit ihrer toten Mutter Lisbeth: »Als Robert siebzehn war, mußte Hilde ihn immer zwei Stunden vor Schulanfang wecken, damit Louise Papenbrock nicht das Dienstmädchen in seinem Bett fand.«
114 Auf einem der Hochzeitsfotos sieht man den Bräutigam Heinrich Cresspahl »im Gespräch mit einem Rechtsanwalt aus Krakow, der Hilde Papenbrocks Erbteil vertrunken hat und ihr ein Unglück nach dem andern beibringt«.
158 Hilde »stellte sich nicht gegen ihren Dr. Paepcke, ehemals Rechtsanwalt und Notar, nicht einmal wenn er mit Schwiegervaters unwiderruflich letztem Darlehen nicht seine Veruntreuungen bereinigte, sondern eine Ziegelei in Pacht nahm. Sie hatte sich einreden lassen, daß da genug Gewinne gegen die Schulden ins Haus standen, und ließ sich für die Angst entschädigen mit Ausflügen nach Berlin, Besuchsfahrten von Gut zu Gut, Festen im Kurhotel Krasemann am See. Das Gerücht beschrieb sie in einer anbetenden Haltung vor ihrem Alexander; wirklich mochte sie ihn nur keinen Spaß entbehren lassen.«
159 Über den Brand der Ziegelei in Krakow 1932, die Alexander Paepcke nach seinem Ausschluss aus der Anwaltskammer gepachtet hat. Die Kriminalpolizei »wollte den Herrschaften aus der eben erst angehobenen Versicherung eine Anwesenheit und Brandstiftung nachsagen. Hilde Paepcke wurde gefragt: ob sie Hindenburglichter kenne. Sie hatte das dann zu rasch und rundheraus abgestritten.« – Heinrich Cresspahl in einem (imaginierten) Gespräch mit seiner Frau Lisbeth: »Die stellen ein Hindenburglicht auf Ziegelboden. Den Brandherd erkennt ein Kind.« – Vgl. auch Anhang XV: Danach hat Hilde den Brand gelegt, weil sie nicht mit ansehen konnte, »daß Alexander in Verlegenheit war«.
261-262 Im Frühjahr 1933 besucht sie ihre Schwester Lisbeth in Jerichow, um ihr gerade geborenes Kind Gesine zu sehen. Sie ist schwanger (mit Alexandra): »Sie wollte noch Kinder haben, ehe Alexander sich ganz und gar durch den Boden des Bürgertums gescheuert hatte; sie wollte etwas ›aus der Konkursmasse retten‹.« – Geht in dieser Zeit öfter mit ihrem Schwager Cresspahl im Seebad Rande spazieren, »Arm in Arm, in ganz plötzlicher, nie beredeter Vertrautheit. Als Cresspahl endlich wahrnahm, daß sie nicht aus Versehen ihn Brust und Hüften spüren ließ, einigten sie sich in einem ganz unverhohlenen, vergnügten Seitenblick, und Hilde sagte übermütig, ohne jede Trauer: Dascha nu bannig schåde. [Das ist ja nun sehr schade.] – Was ein nich allns verpaßt [Was man nicht alles verpasst]: sagte Cresspahl.«
355-356 Will sich am 1. April 1933, dem Tag des »Judenboykotts«, in Gneez »beim alten Tannebaum« einen »gebrauchten Pelzmantel« kaufen. »Eine Tochter von Papenbrock ließ sich nicht vom Betreten eines Ladens abhalten durch irgend welche Leute in Uniform, die Gereimtes aufsagen und Pappschilder schwenken.« Sie kauft den Mantel dann doch nicht, wird aber beim Verlassen des Ladens »empfangen mit einem Sprechchor, der sie eine Verräterin am deutschen Volk nannte«. Dabei wird sie von einem SA-Posten fotografiert und muss befürchten, dass das Bild in der Zeitung erscheinen wird. Aus Angst vor ihrem Vater fährt sie zurück nach Krakow zu ihrem Mann.
367 Im Sommer 1933 holt Albert Papenbrock seine Tochter Hilde nach Hause: »Alexander Paepcke sollte erst einmal etwas Solides vorweisen, ehe er sie hier wieder abholen durfte.«
412 Geburt des ersten Kindes Ulrike, genannt Alexandra, 1933. – Gerede der Jerichower im Dezember 1933: »Denn weißt du wohl, was Hilde Papenbrock, Hilde Paepcke, zu Weihnachten und zur Geburt ihres Kindes geschenkt gekricht hat? Jawohl, die Pacht der Ziegelei. [...] Paepcke, Hildes Mann, der hatte ja wohl was angestellt. Wenn sie einen nich einsperren, dann war nichts. Na, wart du man. Wart du man, bis die Ziegelei auch in Jerichow brennt.«
417-418 Hilde und Alexander leben unbeschwert in Jerichow. – »Es war angenehm, den beiden zuzusehen, wie sie lebten, so unbefangen wie Kinder; es war unheimlich, daß die jetzt schon vergessen hatten, mit welch genauer Not sie durch Papenbrock gerettet worden waren.«
473 Geburt des zweiten Kindes Eberhardt im August 1935 in Jerichow.
505 Die Jerichower über die Papenbrocks: Als junges Mädchen war Hilde »ein wenig von oben herab, wenn sie bei Tisch etwas nachforderte oder Einheimischen eine Antwort nicht verweigern durfte; die hielt den Namen Papenbrock offensichtlich für großartig«.
507 Für seine Mädchen fand Papenbrock »Jerichow nicht gut genug, nicht einmal Gneez. Hilde hatte er auf eine Töchterschule nach Lübeck gegeben. Lisbeth hatte Wissenschaften und obendrein den Haushalt in Rostock lernen müssen.« – Die Hochzeit mit Alexander Paepcke fand im Juni 1928 in Jerichow statt.
530-531 Umzug der Familie nach Podejuch bei Stettin (1936 oder 1937). Da Alexander Paepcke mit seiner Jerichower Ziegelei rote Zahlen schreibt, verzieht er sich mit seiner Familie »in den östlichsten Zipfel des Wehrbereichs II, in die Heeresintendantur Stettin«.
631-635 Über Ostern 1938 besuchen Heinrich, Lisbeth und Gesine Cresspahl die Paepckes in Podejuch. Ein Jahr vorher wurde Paepckes drittes Kind, Christine, geboren. – Am zweiten Abend »bei Bier, Mosel und Aussichten des nächsten Krieges« setzt Hilde »die jeweils neuen Gläser etwas hart auf den Tisch«.
827-830 Nach Lisbeth Cresspahls Tod bringt Cresspahl die fünfjährige Gesine zu den Paepckes nach Podejuch, wo sie mehr als ein halbes Jahr bleibt (vgl. 836).
836-841 Über Gesines Leben bei den Paepckes 1938/1939. – »Bei Paepckes hatte ein Kind keine Pflichten, keine Beschwernis. Wenn Gesine und Alexandra sich anboten für einen Gang zum Kaufmann, gab Hilde sich ein grüblerisches Aussehen und war imstande, abzulehnen, wenn sie erst noch ein neues Spiel für die Kinder gefunden hatte.« – Über ihr Verhältnis zu ihrem Mann aus Gesines Sicht: »Mit ihrem Alexander hatte Hilde es, so habe ich es nicht wieder gesehen. [...] Hilde sah von weitem, an welchen Abenden er nicht einmal mit Worten angehalten werden wollte. Dann kümmerte Hilde sich um nichts, als daß das Abendbrot rasch lief, die großen Mädchen mußten das kleine versorgen, alle bekamen noch eine Hand übers Haar, an die Backe; dann aber ging Hilde zu ihrem Mann ins Wohnzimmer und war für den Rest der Nacht nicht zu haben.« – Alexander revidiert seine Bemerkung, sie habe schöne Beine: »Lebendige Beine hast du! Den beiden machte es nichts, daß die Kinder das anhörten. Übriggeblieben ist ein Gefühl ansteckender Begeisterung, von dem Vergnügen, bei solchem Leben dabeizusein.« – Schreibt für Alexandra und Gesine, die einen Impftermin haben, einen Entschuldigungsbrief: »Am 21. März können meine Kinder nicht kommen, da feiern wir den Frühlingsanfang.« – Auch die Geburtstage der Katzen werden bei Paepckes »heftig gefeiert«. – »Bei Paepckes lernten die Kinder fühlen, wer sie waren.« – Im Sommer 1939 verbringen die Paepckes ihre Ferien mit Gesine auf dem Fischland in Althagen. Am letzten Tag holt Cresspahl Gesine ab und nimmt sie wieder mit nach Jerichow.
840 Hilde »trug ihr Haar gern im Kopftuch nach hinten gebunden, wie die Schnitterinnen. Nähte vieles selber, trug gern Hosen, erwiderte tadelnde Grüße mit harmloser Freundlichkeit, als hätte sie nicht verstanden.«
860 Im März 1942 besuchen Cresspahl und Gesine die Paepckes in Podejuch. Cresspahl und Alexander hören Sendungen des BBC.
878-887 Im Sommer 1942 verbringen die Paepckes ihre Ferien mit Gesine und dem siebenjährigen Klaus Niebuhr in Althagen auf dem Fischland.
951-956 Sommer 1944: Alexander Paepcke ist von der Organisation Todt wieder zur Wehrmacht zurückgeschickt worden, die ihn nach Südfrankreich beordert. Entgegen seinem Befehl steigt er in Ribnitz aus, um seine Familie und die aus Jerichow anreisende Gesine nach Althagen zu bringen. Er verbringt eine Nacht mit seiner Familie in Althagen und reist in den Morgenstunden nach Frankreich weiter. – Hilde »sprach nicht viel, gab Alexander mit halben Sätze Stichworte, drückte manchmal mit beiden Zeigefingern gegen ihre Nasenwurzel, als müsse sie gegen einen Schmerz angehen. Den Kindern kam sie nur müde vor, und keines ahnte ein Unglück.« – Alexanders Verwandtschaft meint, »daß Hilde in diesem Sommer nicht allein bleiben sollte«, und kommt umschichtig nach Althagen.
973 Hildes Tod im März 1945: »Im März wurde ein Lastwagen der Heeresintendantur Stettin auf einer Landstraße in Vorpommern von sowjetischen Tieffliegern beschossen und brannte halb aus. Bis auf den Fahrer wurden alle Insassen getötet. Cresspahl bekam das Telegramm erst, als Hilde Paepcke mit Alexandra und Eberhardt und Christine schon begraben waren in einem Grab, das wir nach dem Krieg nicht finden konnten.«
1343-1344 Das Mädchen Slata, das Robert Papenbrock aus der Sowjetunion nach Jerichow geschickt hat, unterhält sich gern mit Cresspahl über Hilde Paepcke, »die das Haar im Kopftuch trug wie sie, offenbar eine Person, die ihm auch gefiel«.
Vgl. auch 57. 279. 281-282. 317. 319. 400-4001. 415. 424. 455. 467. 692. 760. 767. 813. 853. 911. 936. 937. 1001. 1140. Anhang V, XV-XVI.
Dass Paepckes schon zu Ostern 1935 in Podejuch wohnen, wie Hildes Einladungen an ihre Schwester Lisbeth »zu Ostern 35, 36, 37« implizieren (631), widerspricht der Auskunft, dass Alexander Paepcke zunächst von dem Bau des Flugplatzes in Jerichow Nord profitiert, der 1935 beginnt, und dass er seine Ziegelei zum Zeitpunkt der Geburt des Sohnes Eberhardt im August 1935 noch betreibt (473). – Einige der im Anhang XIV-XVI zu Band 2 (»Mit den Augen Cresspahls«) genannten Zeitangaben stimmen nicht mit den in Gesines Erzählungen genannten Daten überein (Alexandras Geburt: 1934 vs. 1933; Übernahme der Ziegeleipacht in Jerichow: 1931 vs. 1935).
Paepcke, Ulrike (gen. Alexandra)
Erstes Kind von Hilde und Alexander Paepcke, geboren 1933 in Jerichow, gestorben mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern Eberhardt und Christine bei einem Tieffliegerangriff im Frühjahr 1945 in Pommern.
635 Alexandra ist vier Monate jünger als Gesine, demnach im Juli 1933 geboren.
828-829 Als Gesine Cresspahl nach dem Tod ihrer Mutter für mehr als ein halbes Jahr bei den Paepckes in Podejuch verbringt, wird sie von Alexandra und Eberhardt »genau darauf angesehen, ob sie ihnen etwas wegnahm. Sie nahm ihnen nichts weg. Alexandra behielt ihren Platz neben der Mutter, Dick Eberhardt mußte seinen neben ihr nicht opfern«.
878-887 Ferien in Althagen im Sommer 1942 mit Gesine und dem siebenjährigen Klaus Niebuhr. – Alexandra kann beim ›Mensch ärgere dich nicht‹-Spiel schlecht verlieren, »in ihrer Haut schlug das Erröten ganz tief durch, und dafür schämte sie sich noch«. – Alexandras Erlebnis mit der Kuh von Bauer Niemann.
936 Bei Gesine Cresspahls Übergang aufs Gymnasium soll sie zwischen Gneez und Stettin wählen. »Alexandra Paepcke wäre gern mit mir zusammen auf die Kaiserin Auguste Viktoria-Schule in Stettin gegangen, nicht allein, weil die nach den großen Angriffen auf Stettin als Landschulheim nach Rügen evakuiert wurde. Ich hätte Alexandra den Gefallen tun mögen; Alexandra war mein liebstes Kind unter allen.« Gesine möchte in der Nähe des Vaters bleiben.
951-956 Ferien in Althagen im Sommer 1944, zum ersten Mal ohne den Vater.
973 »Im März [1945] wurde ein Lastwagen der Heeresintendantur Stettin auf einer Landstraße in Vorpommern von sowjetischen Tieffliegern beschossen und brannte halb aus. Bis auf den Fahrer wurden alle Insassen getötet. Cresspahl bekam das Telegramm erst, als Hilde Paepcke mit Alexandra und Eberhardt und Christine schon begraben waren in einem Grab, das wir nach dem Krieg nicht finden konnten.«
994-995 Als Gesine im Sommer 1945 an Typhus erkrankt, hält sie die neben ihr liegende, ebenfalls am Typhus erkrankte Hanna Ohlerich im Fieber für Alexandra Paepcke, »ohne Angst, obwohl sie doch tot war«. – Vgl. auch 1275.
1478 Gesine »hatte dies Kind nicht aufgeben können, in Träumen kam Alexandra wieder und war am Leben [...]. Alexandra in einem fremden Land, ein Kopftuch um die Haare, so daß zwei helle Bögen sich abhoben über der Stirn, sagte auf Ukrainisch: Gesine, nimm mal. Halt mal diesen Kerl, und richtig hatte Gesine dann Dick Eberhardt Paepcke im Arm, der war auch nicht tot, der schlief bloß und träumte, wie sie.«
1494 Bei ihrem Aufenthalt in Althagen im Sommer 1947 muss Gesine jeden Abend beim Milchholen daran denken, wie »Grete Nagel Alexandra und ihr ein Glas Milch angeboten hatte [...]. Es fiel ihr jetzt ein wenig schwerer, Milch zu trinken. [...] Sie hörte Alexandras Stimme nicht. Sie versuchte, beschreibende Ausdrücke zu finden für Alexandras Stimme in jenem Augenblick; da entging ihr fast die Ahnung davon. [...] Es war wie damals. Es war fest und undurchdringlich über das Andenken Alexandras gedeckt; übrig blieb nur ein Wissen, daß sie darunter verborgen war.«
1496 Imaginiertes Zwiegespräch Gesines mit der toten Alexandra.
Vgl. auch 415. 633. 830. 837-839. 1275. 1492. 1589. Anhang XVII.
Pagels, Charlotte (Lottie, Charlie)
Lehrerin für Russisch am ehemaligen Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez nach 1945, später an der Brückenschule in Gneez, Schwester von Fifi Pagels.
1217 Nach der Wiederaufnahme des Schulunterrichts nach Kriegsende am 1. Oktober 1945 (vgl. 1207) lernt Gesine Cresspahl am ehemaligen Gustaf Adolf-Lyzeum Russisch bei Charlotte Pagels.
1252-1253 Schon vor Kriegsende pensionierte, nach Kriegsende für den Schuldienst reaktivierte Lehrkraft, hält sich ohne Grund für ein Opfer nazistischer Willkür, hat »nichts dazugelernt für den Umgang mit Zwölfjährigen.« – »Lotti, auch Charlie genannt, lernte jeweils zwei Russischstunden im voraus von einem Herrn Krijgerstam, privat«. Veraltete pädagogische Zielsetzungen. »Wir sollten weiterhin für den bürgerlichen Haushalt erzogen werden.«
1452 Gesine Cresspahl lernt 1947 an der Brückenschule »im dritten Jahr Russisch, immer noch bei Charlotte Pagels«.
1689 Übersetzt die Dokumente für den Interzonenpass von Frau Abs ins Russische. »Achtundzwanzig Mark nahm Lotte Pagels dafür, ihre krijgerstamschen Fehler eingerechnet.«
Pagels, Fifi
Lehrerin am ehemaligen Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez nach 1945, später an der Brückenschule in Gneez, Schwester von Gesines Russischlehrerin Charlotte Pagels.
1252-1253 Schon vor Kriegsende pensionierte, nach Kriegsende für den Schuldienst reaktivierte Lehrkraft, hält sich wie ihre Schwester ohne Grund für ein Opfer nazistischer Willkür, hat »nichts dazugelernt für den Umgang mit Zwölfjährigen«. – »Fifi konnte mitten im Rechnen die Hände hochwerfen und rufen: Ihr schlechten, schlechten Kinder! Sie war unter Lotties Knute mürbe geworden«.
1453 Ruft die Kinder zur Ordnung, »verletzt in ihrem Traum von artigen Kindern etwa um 1912«.
Pagenkopf, Helene
Mutter von Gesines Schulfreund Pius, Ehefrau von Herrn Pagenkopf.
1574 Eine »Bauerntochter mit Grundschulabschluß«; ihr Mann betrügt sie mit »aparten Damen« in Schwerin.
1585 Sie ist weit entfernt vom Typ der Ehefrau eines Parteifunktionärs, »war keine vornehme Frau, elegant an Frisur und Kostüm, Aktivistensprüche auf den Lippen«; stattdessen »krumm, dicklich, abgearbeitet« und »so sparsam angezogen wie Jakobs Mutter. Sie zog die Schultern zusammen, als sei viel Angst übrig aus den zwölf Hakenkreuzjahren und neue Sorgen lebendig wegen ihres Mannes schweriner ›Lebenswandel‹«.
1586 Ihr »wortkarges Wesen« missdeuten ihre Nachbarn als Rache für die NS-Zeit, in der ihr Mann wegen seiner SPD-Mitgliedschaft benachteiligt wurde. – Von der Freundin ihres Sohnes spricht sie »als ›din Gesin‹, im Ton zärtlichen Beklagens«, mit Gesine selbst spricht sie selten. »Da aber Pius nun einmal mich ausgesucht hatte, fand sie alsbald einen Reim: Röbbertin sin Gesin.« – »Es war, als ob sie in der Küche wohnte; sichtbar war Pius' Mutter am deutlichsten an den unentwegt geputzten Fenstern, den gebohnerten Dielen, den sorgfältig hergerichteten Wurstbroten, die Pius aus der Küche holte mit dem Tee.« – War vor ihrer Heirat Dienstmädchen.
1759 »Helene Pagenkopf blieb Wochen lang am Weinen«, als Pius 1951 die Schule abbricht und sich zur ›Bewaffneten Volkspolizei‹, zum Aero-Club in Cottbus meldete.
1763 Nach Gesines Weggang in den Westen (1953) sind Pius' Briefe an die Mutter auch an Gesine adressiert; Helene Pagenkopf hätte sie lieber behalten »als sie gehorsam weiterzugeben an Röbbertin sin Gesin«.
1765 Nach Pius' Tod im Dezember 1964 einigen sich »die sozialistischen Eltern« auf eine katholische Beerdigung.
Vgl. auch 1651. 1724.
Pagenkopf, Herr
Vater von Gesines Schulfreund Pius, Ehemann von Helene Pagenkopf.
1573 Pius Pagenkopf wird in der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez seiner Herkunft nach der ›Fortschrittlichen Intelligenz‹ zugerechnet, weil er einen Vater »mit leitender Funktion in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und hohem Amt in der mecklenburgischen Landesregierung« hat.
1574 Vor 1933 Leiter des Finanzamtes in Gneez, Mitglied der SPD. Im April 1933 entlassen, muss er sein reduziertes Ruhegeld durch Arbeit in der »Frachtgutabteilung des Bahnhofs aufbessern«. Wurde während des Staatsbesuchs von Mussolini 1937 in »Schutzhaft« genommen. – Nach 1945 zunächst Dolmetscher für den britischen Stadtkommandanten, unter den Sowjets Bürgermeister von Gneez, was die Gneezer ihm übelnehmen. Setzt sich für die Vereinigung von KPD und SPD in der SED ein. Wechsel zur Landesverwaltung in Schwerin, wo er fortan überwiegend lebt; Amouren mit »aparten Damen, jünger, auch wendiger im Gespräch als Frau Pagenkopf, eine Bauerntochter mit Grundschulabschluß«. – Mit »einem solchen Vater im Rücken« kann Pius es sich leisten, Ämter in der FDJ und andere Verpflichtungen abzuwehren.
1759 Hat Angst um seinen Sohn, als der 1951 die Schule abbricht und sich zur ›Bewaffneten Volkspolizei‹, zum Aero-Club in Cottbus meldet.
1765 Nach Pius' Tod im Dezember 1964 einigen sich »die sozialistischen Eltern« auf eine katholische Beerdigung, aber Pagenkopf verweigert die Heilige Kommunion, »stocksteif blieb der alte Pagenkopf stehen, schuldbewußt«.
Vgl. auch 1575. 1576. 1585. 1586. 1588. 1658.
Pagenkopf, Robert (Pius, Röbbertin, Rœbbing)
Schüler der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. Freund von Gesine Cresspahl. Geht ein Jahr vor dem Abitur von der Schule ab zum »Aero-Club« der »Bewaffneten Volkspolizei«, der späteren Luftwaffe der Nationalen Volksarmee. Stirbt als Testpilot für die sowjetische Luftwaffe im Dezember 1964 in der UdSSR.
419 Gesine fährt im Traum mit ihrem toten Jugendfreund Pius durch Mecklenburg; »als der lebte, war er General der sowjetischen Luftwaffe und fuhr einen alten Studebaker aus dem Pacht- und Leihabkommen mit den U.S.A.« Dann sitzt sie (im Traum) in einem sowjetischen Flugzeug, das vom Flugplatz Newark abhebt, da »beugt einer sich vor zu mir, und während ich ihn erkenne, sagt er: Gesine, tu doch nicht so. Tu nicht so fremd. Du bist genau wie wir zum Absturz verurteilt.«
1557-1559 Mitschüler Gesines in der Neun A Zwei der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, in die Gesine im Herbst 1948 von der Brückenschule umgeschult wird. »Pius Pagenkopf, ein Langer, Dunkler, der Älteste der Klasse«, verliebt sich wie viele Mitschüler in Gesines Banknachbarin Lise Wollenberg. Gesine überlässt ihm ein Passbild von Lise, das er eines Tages vor deren Augen zerreißt. – Alle wollen Pius zum Klassensprecher, aber nach einer Bemerkung Lise Wollenbergs zieht er seine Kandidatur zurück.
1573 In der »Neuen Schule« werden die Kinder nach ihrer Herkunft beurteilt: »Wie die Schülerin Cresspahl die Tochter eines Handwerkers war, so hing Pius Pagenkopf ein Vater an mit leitender Funktion in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und hohem Amt in der mecklenburgischen Landesregierung. Rückständiger Mittelstand und Fortschrittliche Intelligenz, wie konnten die an einem Tisch sitzen, vom Januar 1949 bis zum Abitur?«
1573 »Pius ... bei der Deklination dieses Adjektivs war er einmal stecken geblieben; ihm mußte das als Übername lieber sein als eine hochdeutsche Übersetzung seines Nachnamens (Pferdehaupt). Zudem war er in unserer Klasse der einzige Katholik.« – Gesines Erinnerung an Pius' Äußeres ist lückenhaft, stützt sich vor allem auf ein Foto: »Da waren wir neunzehn und achtzehn [...]. Da steht ein schmaler langer Junge mit hartem Kopf [...]. Und das Foto will mir einreden, Pius sei immer so fertig gewesen im Gesicht. [...] Dabei sehen wir aus wie ein eingespieltes Ehepaar, und kannten einander weit gründlicher als unsere Väter wahrnehmen wollten.«
1576-1578 Pius setzt sich mitten im ersten Schuljahr an der Fritz Reuter-Oberschule von Dagobert Haase weg, Gesine ihrerseits von Lise Wollenberg, beide setzen sich an einen Tisch in der hintersten Ecke des Klassenraums. »So begann die erste Arbeitsgemeinschaft in der Fritz Reuter-Oberschule zu Gneez, zwei Jahre vor der amtlichen Einführung, und es war ein Skandal.« Aber Direktor Kliefoth akzeptiert den Platzwechsel. – Sie gelten bald als ein Liebespaar. Sie machen nachmittags gemeinsam Schularbeiten bei Pagenkopfs, er holt sie morgens oft vom Bahnhof zur Schule ab.
1585 Zarah Leanders Schlager »Kann denn Liebe Sünde sein?« wird in der Neun A Zwei von Januar 1949 an »getrommelt und gepfiffen auf die Tochter Cresspahls und Pius Pagenkopf. Wir waren Das Paar.« Die gekränkte Lise Wollenberg bemerkt gehässig, »bei so einem Vater sei die Cresspahl ja klug beraten, sich an die neue Herrschaft zu hängen«.
1585-1590 Über Pius' und Gesines Gemeinschaft. Er tritt ihrem Schwimmverein S.V. Forelle bei, sie seiner FDJ und der »Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft«. Er wird zu Beginn der 10. Klasse (1949/50) Vorsitzender der FDJ-Klassengruppe, Gesine sein Stellvertreter. – Gemeinsames Schwimmen im Gneezer Stadtsee: Sie sind »die, die trockneten sich an einem Handtuch ab, das Paar«. – Beide melden sich im Frühjahr 1950 auf Betreiben von Herrn Pagenkopf zu Aufräumarbeiten auf dem Bahnhof Gneez. – »Er hatte mir vom Typhustod seiner älteren Schwester erzählt, ich ihm von Alexandra Paepcke. Wir haben gewiß sagen dürfen: Wir wissen etwas von einander.« – Gemeinsame Ausflüge und Ferien. Aber »Das Paar« vermeidet Berührungen: In einem Zwiegespräch zwischen Gesine und dem toten Pius sagt er: »Aus Spaß, Gesine, das wäre mir zu wenig.« Sie: »Wo keine Liebe wächst, gedeiht die Sünde schlecht.« Pius: »Sag ihren Namen nicht, Gesine.« Sie: »Frag mich nicht nach Jakob.«
1652-1653 Bei Gesines ›Badeanzug-Streit‹ mit Bettina Selbich vermasselt Gesine ihm »das mannhafte Beschützen«.
1658-1662 Fährt im Sommer 1950 mit zum Pfingsttreffen der FDJ in Berlin, in der Tasche eine bei Horst Stellmann in Jerichow geliehene Kamera, mit der er Bettina Selbich vor einem Schaufenster in Berlin-West fotografiert, so daß sie keinem der heimlich in die Westsektoren gefahrenen Schüler »friedensverräterisches« Verhalten vorwerfen kann. Stellmann entwickelt das Foto, ohne Bettina zu erkennen. »Dabei beließ die Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf/Cresspahl den Stand der Kampagne gegen Bettina Selbich«. Marie fragt Gesine, ob sie »so gemein« gewesen wären, das Foto gegen die Lehrerin einzusetzen. Gesine: »In einem Notfall, gewiß.«
1716 Spielt Gesine ein Exemplar des inkriminierten Flugblattes zu, das an der Schule nach Pfingsten 1950 verteilt wurde (vgl. 1669-1680). Gesine: »Nachdem ich zu Ende gelesen hatte, hing zwischen uns ein Blick, solchen kriegst du im Leben, wenn es hoch kommt und gut gegangen ist, vielleicht drei Mal. [...] Seit dem Augenblick hatte ich noch einen Bruder.« Marie protestiert: »An einem Handtuch trocknet ihr euch ab! Wand an Wand schlaft ihr! Aber vertrauen tut ihr einander erst, wenn du ihn ins Zuchthaus bringen könntest.«
1758-1759 Meldet sich im Frühjahr 1951, ein Jahr vor dem Abitur, »zur Bewaffneten Volkspolizei, zum Aero-Club in Cottbus. [...] Da wir eben bloß taten wie ein Ehepaar, hatte er dies für sich allein entschieden.« – In einer imaginierten Zwiesprache mit dem toten Pius werden Gründe genannt: Er habe allein sein und dem verlogenen Leben an der Schule, »alln dissn Schiet und Friedenskrampf«, entkommen wollen. Gesine muss das letzte Schuljahr in der Zwölf A Zwei allein an einem Tisch absitzen.
1761 In den letzten gemeinsamen Schulwochen: »Schale um Schale fiel seine Zugehörigkeit zu uns von ihm ab.« Er verbringt ohne Wissen seiner Mutter Abende im Dänschenhagen (einem anrüchigen Viertel von Gneez) und ist Gast in »Lokalen der Eisenbahner von Gneez, auch im Lindenkrug, wo die Schaffnerinnen schon mal auf den Tischen tanzten«. – Am Ende des Schuljahres 1950/51 schlägt Gabriel Manfras der FDJ-Schulgruppe vor, sie möge Pius Pagenkopf »zum Dienst bei der bewaffneten Polizei delegieren; Pius betrachtete ihn aufmerksam so lange, bis Manfras, dem der Mumm zu solchem Dienst abging, ein Mal doch rot wurde im Gesicht. Pius wurde von den Schülern und der Lehrerschaft verabschiedet.«
1761-1765 Über sein Leben als Flieger und seinen bis zu seinem Tod 1964 aufrechterhaltenen Briefwechsel mit Gesine, der seit Gesines Wechsel in den Westen (1953) über Pius' Mutter geht. 1954 wird er Berufsoffizier, 1956 werden die Aero-Clubs der »Bewaffneten Volkspolizei« in die NVA integriert. Im selben Jahr wird er Testflieger für die sowjetische Luftwaffe, »ein Testpilot, wertvolles Material, als Kader gehütet. Ärztliche Untersuchung alle vier Wochen, Kuren in den Sanatorien, die reserviert sind für Leute vom Minister aufwärts. Und unerreichbar.« – Nach der Ermordung John F. Kennedys »schrieb Pius einen Brief, der sollte eine Gesine in New York City trösten. Der Form halber, abschätzig, erwähnte er ›meinen Lieben‹ eine kurze Ehe mit einer Masha, einer Marie. Der war endgültig allein.«
1765-1766 Über seinen Tod und seine Beerdigung im Dezember 1964. »Und weil er den Sowjets lieb geworden war mit seinen Verdiensten um das Verbessern ihrer fliegenden Waffenträger, schickten sie im Dezember 1964, statt ihn an Ort und Stelle zu begraben, einen zugeschweißten Sarg nach Gneez, Mecklenburg. Der wäre nur mit industriellem Gerät zu öffnen gewesen. Fast dreiunddreißig Jahre alt ist Pius geworden.«
Vgl. auch 1610. 1615. 1671. 1675. 1682. 1694. 1705. 1722. 1730. 1752. 1760. 1780. 1784-1785. 1800-1801. 1816. 1830. 1831. 1855.
Pahl
Schneider in Jerichow.
364 Im Jahr 1933 betet Lisbeth Cresspahl, »daß Pahl nicht so sich den Nazis an den Hals schmeißen möchte mit seinen Maßuniformen zu Freundschaftspreisen«.
723 Als Oskar Tannebaums Laden in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört wird: »Das kost jo kein Geld, seggt de Buer, un verprügelt sin' Jungen. Das sagte Pahl, für den der Jude eine ärmliche Konkurrenz gemacht hatte. Es war weniger bösartig als pädagogisch gemeint; der Jude sollte ein für alle Male erzogen werden.«
1000 Als die Briten die Verwaltung Mecklenburgs an die Sowjets übergeben (1.7.1945), begeht er mit seiner Familie Selbstmord: »Schneider Pahl hatte seine Verwandtschaft im brennenden Hamburg verloren. Er mochte nicht in die Fremde und leben müssen von einer Hilfsbereitschaft der verschworenen Deutschen, wie er sie obdachlosen Flüchtlingen verweigert hatte. Er ging mit seiner Familie ins Bruch, und alle ertränkten sich im Moor.«
Vgl. auch 105. 215. 293. 294. 355. 473. 561-562. 711. 1031.
Panzenhagen
Eigentümer eines Sägewerks in Gneez.
1556 Bei den verordneten Demonstrationen gegen Tito vor dem Rathaus in Gneez im Herbst 1948 kommen die Arbeiter vom Sägewerk Panzenhagen regelmäßig zu spät.
1760 Der Vater des Schülers Eckart Pingel ist Sägemeister bei Panzenhagen.
1852 Am 17. Juni 1953 »hatten die Arbeiter des Sägewerkes Panzenhagen die Keller unter dem Landgericht geöffnet mit dem Ruf: Wir wollen unseren Ausbeuter wiederhaben!«
Vgl. auch 1434. 1762.
Panzenhagen, Frau
1499 Bei seinen (kurzfristigen) Gefängnisaufenthalten in den Kellern unter dem Gneezer Landgericht in den späten vierziger Jahren lässt Emil Knoop »Essen aus der Stadt kommen (von Frau Panzenhagen, deren Küche er der seiner Mutter vorzog)«.
Papenbrock, Albert
Gesine Cresspahls Großvater mütterlicherseits, geboren 1868; Ehemann von Louise Papenbrock, Vater von Lisbeth Cresspahl, Hilde Paepcke, Robert und Horst Papenbrock. Wohlhabender Unternehmer, früher Landwirt und Gutspächter, zuerst auf einem Gut bei Crivitz, später auf Gut Vietsen bei Waren an der Müritz. Dann Getreidehandlung und Bäckerei in Jerichow, »König von Jerichow«. Hauptmann a. D. Als Parteigänger der Deutschnationalen Volkspartei verliert er in der NS-Zeit an Einfluss, als Vater des strammen Nationalsozialisten Robert Papenbrock im Juli 1945 von den Sowjets verhaftet, zunächst als Verwalter des Gutes Alt Demwies eingesetzt, später bei den Waldheim-Prozessen zum Tode verurteilt und am 4. Dezember 1950 hingerichtet.
17-18 Als Heinrich Cresspahl sich im August 1931 in Lisbeth Papenbrock verguckt, die mit ihrer Familie in einem Gartenlokal in Travemünde sitzt, beobachtet er auch seinen künftigen Schwiegervater: Der »lag mit seinem ganzen Gewicht gegen seine Lehne und quengelte mit dem Kellner, oder mit seiner Frau, wenn die Bedienung an anderen Tischen stand. Meine Großmutter, das Schaf, sagte wie in der Kirche: Ja, Albert. Gewiß, Albert.«
33 Am Tag darauf sieht Cresspahl, der sich in Lisbeths Heimatstadt Jerichow umschaut, »den alten Papenbrock durchs offene Fenster am Schreibtisch, schwitzend über seinem behaglichen zarten Bauch, so heftig nickend vor Höflichkeit, als dienerte er im Sitzen. Offenbar handelte er mit der vornehmen Kundschaft nicht gern«. – Er ist nach Cresspahls Vermutung knauserig, da er »sich einen Personenwagen nicht leistete und die Familie im Lieferauto zum Kaffeetrinken nach Travemünde fuhr«.
34 Papenbrock ist »mit seiner Getreidehandlung, seiner Bäckerei, seinen Lieferungen aufs Land der reichste Mann in Jerichow«, verleiht außerdem Geld.
56-57 War bis 1922 Gutspächter auf Vietsen bei Waren an der Müritz, wo er sich »fünf Baltikumer als Hauslehrer, Eleven und Sekretär hielt«. – Während des Kapp-Putsches 1920 beherbergt Papenbrock, damals 52 Jahre alt, Soldaten und Waffen der Reichswehr in seinem Haus. Nachdem Waren durch den Baron Stephan le Fort unter Beschuss genommen worden ist, wobei es fünf Tote gegeben hat, suchen aufgebrachte Landarbeiter die umliegenden Güter nach Waffen ab. Als sie in Vietsen anrücken, schickt Papenbrock die Soldaten durch den Garten weg. Aber die vierzehnjährige Lisbeth verrät arglos das Waffenversteck, so finden die Arbeiter »neun Infanteriegewehre und zweihundertzehn Schuß Munition in Gurten«. Lisbeth »wurde für zwei Wochen auf Wasser und Brot gesetzt. Papenbrock sprach von Verrat durch sein eigen Fleisch und Blut. Seine Frau sprach von der Liebe des Christen zur Wahrheit. Papenbrock rutschte die Hand aus an ihre Schläfe, und er ging den Sommer über nicht in die Kirche.«
57-58 In einem der Zwiegespräche Gesines mit ihrer toten Mutter spricht Lisbeth über die Zeit in Vietsen: »In Vietsen hatten wir Mädchen jedes für sich ein Dienstmädchen. / Dann gab es noch die von der Plättstube, der Küche, der Waschküche, die zum Saubermachen, und die Mamsell. / [...] Wenn Papenbrock verreisen wollte, telefonierte er mit dem Vorstand des Dorfbahnhofs und ließ ihn den gewünschten Zug auf freiem Feld beim Gut anhalten. Der Mann sagte: Ja, Herr. Für zwei Weihnachtshühner. / Und wenn Papenbrock zurückkam, zog er beim Gut die Notbremse und zahlte die zweihundert Mark Strafe und stieg in den Kutschwagen, mit dem Fritz nach dem Fahrplan auf dem Feldweg angefahren kam. / [...] Papenbrock hat Vietsen aufgegeben, weil die Adligen ihn seit März 1920 schnitten.«
68-72 Politisiert mit Cresspahl, der ihn »um eine Unterredung angegangen war«, um ihn um Lisbeths Hand zu bitten. »Papenbrock konnte sich nicht zu dem Mann entschließen«, weil Cresspahl mit Leuten wie Peter Wulff und dem jüdischen Tierarzt Dr. Semig Umgang hat und keinen Hut trägt. Schließlich gibt er doch klein bei und stimmt der Verlobung zu. »Lisbeth Papenbrock hatte sich meinen Großvater gut erzogen.« Danach begießt er die Verlobung mit »Cognac und Mosel durcheinander«.
112 Papenbrock weigert sich, Robert, seinem ältesten Sohn »in ›Rio de Janeiro‹« eine Einladung zu Lisbeths Hochzeit zu schicken. – Schenkt seinem Schwiegersohn zur Hochzeit einen Hut, »damit er auf der Schwelle der Kirche etwas zum Abnehmen trug«.
114 Auf einem der Hochzeitsfotos erkennt Gesine ihren Großvater »an seinem birnigen Schädel, auch seine etwas unterwürfige Strenge, mit der er sich zur Dame an seiner Rechten lehnt«, einer Adeligen, Verwandten der Bothmers.
203-204 Nach Gesines Geburt im Papenbrockschen Haus bringt er seiner Tochter Lisbeth auf Strümpfen Tee ans Wochenbett und umarmt seinen Schwiegersohn, »sagte ihm etwas in glucksenden Tönen [...] und zog ihn fast zärtlich ins Nebenzimmer und setzte ihn vor eine Flasche Rotspon und trank auch ein Glas, immer noch mit verrutschter Miene, wie ein trostbedürftiges Kind«.
214-215 Zieht am Tag nach Gesines Geburt mit Cresspahl durch die Stadt und lässt sich zur Enkelin beglückwünschen. – »Papenbrock wurde überdies zu seinem Sohn beglückwünscht, der durch ein Ereignis namens Umschwung an die Staatsmacht herangekommen war [...]. Papenbrocks Empfindungen schwankten zwischen Stolz auf den Jungen, der nun doch ein forsches und fast militärisches Kommandieren gelernt hatte, und andererseits der Sorge, er selbst werde für die Unternehmungen seines Sprößlings haften müssen«.
250-253 Überschreibt seiner wenige Tage alten Enkelin Gesine am 11. März 1933 Haus und Grund am Ziegeleiweg: »einen Bauernhof am Stadtrand, mit Land, Scheune und Nebengebäuden, bis zu ihrer Mündigkeit zu verwalten von ihrem Vater, Heinrich Cresspahl«. Er macht seinem Schwiegersohn »die Mitteilung von der Schenkung in Gegenwart seiner Tochter. Er vertraute darauf, daß mit bettlägerigen Wöchnerinnen nicht geschrien wird.« Cresspahl bleibt reserviert, durchschaut Papenbrocks Plan, ihn zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen.
259 »Cresspahl mochte ein Leben in Jerichow nicht einmal denken. Es wäre ein Leben mit den Papenbrocks gewesen.«
261 »Es ging Cresspahl gegen den Strich, wie der Alte seinen Sohn, sein jüngstes Ei beobachtete, auf eine trübe und krählustige Weise, als strenger und nachgiebiger Vater, immer noch nicht entschieden, ob Horsts Verwandtschaft mit der neuen Macht gut war für das Geschäft oder mißlich, im Grunde aber bedenkenlos bereit für den einen wie den anderen Entschluß.« – Cresspahl findet es »erheiternd zu beobachten, wie Papenbrock die Verschlagenheit seiner Geschäfte auch gegen die eigene Familie bewies«. – »Es hatte Papenbrock schon Spaß gemacht, dem verschollenen Sohn [Robert] den Willen zu verlegen; mochte der Spaß bei diesem weniger handfest sein. Hingegen von seinen Töchtern hatte er sich jedes Mal ›die Butter vom Brot nehmen lassen‹. Die Töchter sollten es leicht haben, ihn zu mögen.«
262 »Papenbrock mochte sich noch so unschuldig als Vorstand seines Haushalts begreifen, es war Louise, die ihn lenkte, den Alten an langer Leine, die Kinder an kurzer.«
273 Er lässt den Tod von Cresspahls Mutter im Gneezer Tageblatt anzeigen (mit falschem Vornamen): »Er wollte seinen Schwiegersohn wohl festbinden an Jerichow, und wenn er mit dem Gedächtnis der Jerichower anfangen mußte.«
279 Schickt seine Tochter Hilde zur Beerdigung von Cresspahls Mutter, damit seine Familie vertreten ist (Lisbeth liegt noch im Wochenbett).
293-294 Im März 1933 gilt Papenbrocks Wort in Jerichow noch. Er sorgt dafür, dass die öffentlichen Gebäude in Jerichow vom 13.-15. März nicht nur, wie angeordnet, mit der Reichsfahne (Schwarz-Weiß-Rot) und der Hakenkreuzfahne beflaggt werden, sondern daneben auch die mecklenburgische Landesflagge (Blau-Weiß-Rot) aufgezogen wird, und bestellt bei Schneider Pahl sogar noch drei weitere Fahnen. »Er hatte zwar nicht sagen wollen, wozu, aber es war so gut wie sein Wort, daß das Land Mecklenburg-Schwerin auch noch diese siebente Reichsregierung binnen eines Jahres überstehen würde.«
306-309 An einem Märzabend 1933, zwei Wochen nach Gesines Geburt, kommen Albert Papenbrock und Heinrich Cresspahl zu Rechtsanwalt Kollmorgen, um die Überschreibung des Hauses am Ziegeleiweg auf die Enkelin Gesine zu besprechen. Kollmorgen beobachtet mit größtem Vergnügen, wie Cresspahl sich gegen die Zumutungen von Papenbrocks Schenkungsvertrag verwahrt. »Avenarius Kollmorgen schritt noch lange nach Mitternacht durch seine drei Zimmer, weniger aufrecht, und manchmal krümmte er sich ein bißchen vor Vergnügen. [...] Er hatte Papenbrock bei einer Niederlage beobachtet. [...] Es war ein schöner Abend für Avenarius K. gewesen.«
318 Nach dem Termin bei Kollmorgen sitzt Papenbrock noch lange mit seinem Schwiegersohn im Lübecker Hof, »nur um schweigend in Cresspahls Gesellschaft zu brüten«. Am nächsten Tag, Gesines Tauftag (19. März 1933), sitzt er »da wie der Regent des Ganzen, aber wie ein unzufriedener, unter dessen eigener Nase etwas Mißliebiges aufgeführt wird. Er kochte gar nicht Wut auf Cresspahl gar, obwohl Cresspahl das annehmen wollte.« – Er brüllt seinen Sohn Horst zusammen, weil der in SA-Uniform zur Taufe gehen will.
319-320 Beim Mittagessen nach dem Taufgottesdienst befiehlt er »Söhner« Horst, nach Südamerika zu reisen und nach seinem Bruder Robert zu suchen, und weist alle Einwände Horsts unerbittlich zurück. »Der Alte mißtraute der neuen Reichsregierung, und er wollte nicht über Horsts Taten bei der S.A. in einen Zusammenbruch des Regimes hineingezogen werden. Womöglich auch wollte er Horst schützen mit diesem Befehl zu einer Weltreise.«
366-367 »Ende Juni [1933] hatte Papenbrock sich angewöhnt, zu beliebigen Gelegenheiten den Kopf zu schütteln und zu sagen: Nè. [...] Denn Papenbrock war nicht mehr an der Macht beteiligt. Die Büros der Deutschnationalen Volkspartei waren genau so von der Polizei besetzt und durchsucht worden wie die der Kommunisten und Sozialdemokraten; am 21. Juni löste sie sich selbst auf, am 29. schied Hugenberg aus der Regierung aus.« – Anfang Juli erhält er die Nachricht, dass der frühere Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling, ermordet aufgefunden worden ist. »Papenbrock sagte nicht zu, an der heimlichen Trauerfeier für Stelling teilzunehmen; Papenbrock holte seine Kinder von der Straße«: Horst reist nach Brasilien ab, Hilde wird nach Jerichow beordert, Schwiegersohn Alexander Paepcke »sollte erst einmal etwas Solides vorweisen, ehe er sie hier wieder abholen durfte«. Später entschließt er sich doch, an der Trauerfeier für Stelling teilzunehmen (vgl. 400).
399-402 Papenbrock ist »etwas verwirrt. Er fand nicht ohne Mühe hindurch zwischen den neuen Sachen und Worten, die aus Berlin nach Jerichow geschickt wurden.« Er findet keine klare Haltung zum Regime, hält viele Maßnahmen der Regierung für vernünftig, der Mord an Stelling sitzt ihm allerdings »immer noch in den Knochen«. Dass man ihn, den Weltkriegsoffizier, die »Stütze der Wirtschaft«, bei der Trauerfeier für Stelling nicht verhaftet hat, beruhigt ihn. »Das sind doch wohl Leute, die wissen, was sich gehört.« – In Jerichow hat er nach wie vor Einfluss auf Bürgermeister und Stadtrat. Auf seinen Wunsch wird im Ziegeleiweg eine Gasleitung gelegt.
412-413 Jerichower Gerede über Papenbrock und seinen Einfluss.
471-172 Auch 1935 findet Papenbrock »zu jeder verdächtigen Handlung des Führers und Reichskanzlers wie eh und je eine, die er nicht verdächtigte«. – Noch einmal über Papenbrocks Teilnahme an der Trauerfeier für Johannes Stelling und deren Gründe: Als Ministerpräsident hatte Stelling »die Freikorps nicht behindert, die auf den mecklenburgischen Gütern saßen und auf die Arbeiter losgingen. Ohne ihn hätte Papenbrock seine Pacht in Vietsen leicht noch früher verloren. [...] Dem wollte Papenbrock wohl eine Ehre erweisen, wenn auch die letzte.«
504-507 Rückblick auf die Ansiedelung der Papenbrocks in Jerichow, ihren Einzug in den »Palast« der Adelsfamilie Lassewitz am Markt im Dezember 1923 und über Papenbrocks wirtschaftlichen Erfolg. – Papenbrock kauft zahlreiche Häuser und Grundstücke in Jerichow auf, deren Eigentümer durch die Inflation in Schwierigkeiten geraten waren, darunter auch die Schwenn'sche Bäckerei.
508 Jerichower Beobachtungen über Papenbrocks Verhältnis zu seiner Tochter Lisbeth, die sich nach 1933 mehr und mehr in ihre Schuldvorstellungen verrennt: »Und Papenbrock sieht drei Jahre lang zu, wie seine Tochter in einer Stadt mit ihm lebt wie krank«, steht mit ihr nach dem Weihnachtsgottesdienst vor der Kirche, »will ihr was sagen und kann nicht und sackt so zusammen in einem Seufzen und geht krumm ab, als wüßte er nun nicht mehr«. Mit Bezug auf seine Einflussnahme auf Lisbeths (und Cresspahls) Rückkehr nach Deutschland: »Kann das sein, daß Papenbrock ein Mal uns' Lisbeth zu etwas Falschem gebracht hat?«
530-531 Papenbrock im Urteil der Jerichower 1937: Über seinen wenig anständigen Anfang in Jerichow vor 15 Jahren, seine engen Beziehungen zum Adel des Winkels. »Wenn er aber den heimlichen König von Jerichow machen wollte, so sollte er endlich aufstehen und sich kenntlich machen und nicht zulassen, daß ein Friedrich Jansen Bürgermeister war [...]. Papenbrock scheffelte lieber im Stillen ein; es half nichts, daß Gerissenheit etwas galt in Jerichow.«
545-546 Ist nicht behilflich, als es darum geht, Semigs Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu retten. »Papenbrock hatte Angst. Der alte Mann saß krumm da, legte die Zigarre angewidert weg, biß am Fingerknöchel und hatte sich endlich so weit, daß er auf die Juden zu schimpfen anfing, mit einer hackenden, fast keifenden Stimme, mit abfälligem Handschwenken, sehr begierig auf das Ende der Unterredung. Er war so geniert, er mochte Cresspahl nicht ansehen.«
569-570 Als sein Sohn Horst ihm im Sommer 1937 ankündigt, aus der Firma austreten und zur Wehrmacht gehen zu wollen, setzt er ihn voller Zorn aufs Pflichtteil.
767 Möchte sich anlässlich von Lisbeths Beerdigung am 14. November 1938 mit Horst versöhnen, aber Horst fährt zum Ärger des Alten noch am Abend mit seiner Frau nach Güstrow zurück.
999 Als bekannt wird, dass die Sowjets am 1. Juli 1945 die Besatzung Mecklenburgs von den Briten übernehmen werden, erwarten die Jerichower, dass die alten Papenbrocks in den Westen gehen würden, und verstehen ihr Bleiben nicht. »War es möglich, daß Albert in seiner umfassenden Weisheit versäumt hatte, Land und Geld in der britischen Zone zu verstecken? Papenbrock hielt sich nicht mehr gut, wenn er auf der Straße zu sehen war, ging er mit krummen Schultern, ließ die Haare wirr wachsen unterhalb der Glatze, die nun nicht mehr elegant aussah sondern krank. Wenn Papenbrock blieb, war es seine erste Ungeschicklichkeit.«
1123-1124 Mitte Juli 1945 wird Albert Papenbrock von den Sowjets »abgeholt«.
1125-1127 Papenbrock gilt zunächst als verschollen, erst gegen Ende des Jahres 1945 spricht sich in Jerichow herum, dass die Russen ihn als Verwalter von Gut Alt Demwies im Fürstentum Ratzeburg eingesetzt haben. »Wenn den Berichten zu glauben war, so betrug er sich nicht wie ein Greis von siebenundsiebzig Jahren, er fuhrwerkte mit den Landarbeitern wie ein Inspektor aus den alten Zeiten«. – Im August macht Jakob einen Umweg über Alt Demwies und weiß dies und das zu berichten. Die Kommandanten des Gutes, die ›Herren‹ Wendennych, genannt die Zwillinge, »hatten seinen Namen nicht verstanden und nannten ihn den Popen; er wehrte sich nicht. Im Dorf hieß er der Pastor, weil er so milde sprechen konnte bei der Arbeitsausgabe am Morgen und so wild toben am Abend, wenn das Pensum nicht erreicht war. Das Gut war Jakob vorgekommen als fast nach dem Muster geführt [...]. Die Landarbeiter achteten den P. dafür, sie waren unter ihm versorgt mit Deputat und Wohnrechten wie unter der geflüchteten Herrschaft.« Jakob hat den Alten aber nur von fern gesehen, »er war ihm fahrig vorgekommen, und Jakob mochte ihn nicht mit Besuch aus Jerichow erschrecken«.
1127 Papenbrock hätte nun lieber auf seinen Schwiegersohn Cresspahl gehört. Der hatte ihm im Juni angekündigt, »daß die Sowjets suchen würden nach dem Vater von Robert Papenbrock, der in der Ukraine für die Hinrichtung von Geiseln bekannt geworden war«.
1279 Ein Jahr später weiß Jakob zu berichten, dass Papenbrock »versetzt«, d.h. erneut verhaftet worden ist.
1687 »Im Sommer 1950 begannen die Prozesse in Waldheim, am 4. November waren die Hinrichtungen dran. Cresspahl trug keinen Trauerflor wegen des Menschen, den er erinnern mochte als seinen Schwiegervater.«
Vgl. auch 356. 417. 467. 555-559. 578-579. 760. 775. 783. 1001. 1140. 1193-1194. 1243. 1351.
Zu den Waldheim-Prozessen vgl. den Jahrestage-Kommentar zu 1687, 4.
Papenbrock, Horst (Sœhner)
Jüngerer Sohn von Albert und Louise Papenbrock, geb. 1900; Bruder von Lisbeth Cresspahl, Hilde Paepcke und Robert Papenbrock, verheiratet (seit 1937) mit Ilse Papenbrock, geb. Lieplow. Gilt nach dem Verschwinden des älteren Bruders Robert nach Südamerika als Erbe. Schließt sich schon früh den Nazis an, Mitglied der SA, in zahlreiche Schlägereien verwickelt. Im März 1933 schickt ihn sein Vater nach Brasilien, um den Bruder Robert zurückzuholen. Tritt 1937 aus der Firma seines Vaters aus, der ihn daraufhin aufs Pflichtteil setzt. Heirat mit Elisabeth (Ilse) Lieplow, Stelle bei der Landesbauernschaft in Güstrow. 1942 in der Nähe von Stalingrad gefallen.
33 Aus Cresspahls Sicht (August 1931): »Zwischen fliehendem Kinn und fliehender Stirn war Horsts Gesicht so spitz wie ein Fisch.« – »Cresspahl wußte, daß Horst Papenbrock und der Ackerbürger Griem Nazis waren und zu ihren Schlägereien nach Gneez mußten, weil die Sozialdemokraten in Jerichow ihre Nachbarn, Verwandten, Stadtverordneten waren.«
73 Am Verlobungsabend seiner Schwester Lisbeth mit Heinrich Cresspahl im August 1931 ist er nicht dabei. Gesine: »Darauf hatte meine Mutter geachtet. Der hatte Kameradschaftsabend bei den Gneezer Nazis.«
87 Cresspahl verbringt im August 1931 einen Abend mit Horst in der Jerichower Bahnhofswirtschaft, dem Lokal der Nazis, »und ließ ihn lärmen über den Dawes-Plan und die Reichstagswahl vom vorigen September und trank ihm vor, halbe Liter Kniesenack und großen Weizenkorn, und trug den taumelnden, fröhlichen, weinerlichen Erben Papenbrock über den Marktplatz um Mitternacht und lehnte ihn gegen das Tor seines Vaters«.
105 Lisbeth über ihren Bruder Horst bei ihrem heimlichen Besuch in Richmond im September/Oktober 1931: »Sie machte ihren Bruder komisch, um Cresspahl einen Gefallen zu tun: Horst Papenbrock, der im braunen Hemd und Schulterriemen zum Abendbrot kommt [...] Horst Papenbrock, der in der S.A. nichts werden kann, weil sein Vater keine Lastwagen für Propagandafahrten übers Land herausrückt. Horst Papenbrock, der eine kleine, nahezu weiche Stimme bekommt, wenn er seinen Vater um Spenden für die S.A. anfleht. Vadding du kannst doch nich wolln daß dein Sohn als gewöhnlicher Sturmmann rumlaufen muß.«
112 Albert Papenbrock verbietet ihm, zur Hochzeit seiner Schwester Lisbeth am 31. Oktober 1931 in SA-Uniform zu erscheinen. – Horst nennt Cresspahls Verwandtschaft »Proleten«.
159 Ist geknickt über das Abschneiden der Nazis bei der Reichstagswahl am 6. November 1932. Schickt seiner Schwester Lisbeth ein Foto von Elisabeth Lieplow nach Richmond.
215 Am Tag nach Gesines Geburt im März 1933 bekommt Albert Papenbrock nicht nur Glückwünsche zur Geburt seiner Enkelin, sondern wird auch »zu seinem Sohn beglückwünscht, der durch ein Ereignis namens Umschwung an die Staatsmacht herangekommen war [...]. Horst hatte sich in Gneez eine Abteilung Polizei gekeilt und suchte mit der Vollmacht und den Listen des Kreisleiters nach einer kommunistischen Sache, die Umtriebe hieß.« Der alte Papenbrock schwankt zwischen Sorge und »Stolz auf den Jungen, der nun doch ein forsches und fast militärisches Kommandieren gelernt hatte«.
222-223 Lässt am Montag nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 die Hakenkreuzfahne auf dem Jerichower Schulhof hissen und sie von einem Doppelposten bewachen. Als Bürgermeister Erdamer den Stadtpolizisten Ete Helms schickt, »deckte Horst den Doppelposten mit gezogener Pistole, und Ete Helms stand bis kurz vor Mitternacht am Schulhofzaun«, bis Erdamer ihn nach Hause schickt. Horst Papenbrock fühlt sich als Sieger.
259-260 Über Horst Papenbrocks Verhältnis zu seinem Schwager Cresspahl. – Über sein zunehmendes Selbstbewusstsein durch seine Rolle in der Jerichower SA. – Aber Albert Papenbrocks Arbeiter, die Horst schon früher nicht ernstgenommen und seinen Spitznamen »Söhner« übernommen haben, wenden sich jetzt »halb weg, wenn das Militärische an seiner Befehlsgeberei sie zum Lachen brachte«. – Cresspahl hat im Krug gehört, »der junge Papenbrock habe das Auto gesteuert, aus dem Voss in Rande auf die Straße geworfen wurde, übrigens nicht mit Knüppeln, sondern mit Peitschen kaputtgeschlagen. [...] Horst hatte Voss in Rande abgestritten. Er befasse sich nicht mit Kroppzeug.«
318 Albert Papenbrock verbietet seinem Sohn, zur Taufe seiner Nichte Gesine (am 19. März 1933) in SA-Uniform zu erscheinen.
319-320 Beim Mittagessen nach dem Taufgottesdienst befiehlt Albert Papenbrock seinem »Söhner«, nach Brasilien zu reisen und nach seinem Bruder Robert zu suchen. Er weist alle Einwände Horsts unerbittlich zurück. »Der Alte mißtraute der neuen Reichsregierung, und er wollte nicht über Horsts Taten bei der S.A. in einen Zusammenbruch des Regimes hineingezogen werden. Womöglich auch wollte er Horst schützen mit diesem Befehl zu einer Weltreise.«
366 Anfang Juli 1933 reist Horst nach Brasilien ab. »Beim Abschied von der Familie hatte er ein sonderbar erleichtertes Wesen gezeigt.«
473 Ist 1935 wieder in Jerichow: »Und Horst Papenbrock war nicht nur zurück aus ›Rio de Janeiro‹, er hatte auch seinen Bruder Robert mitgebracht.«
531-532 Gerede der Jerichower 1937: »Er war länger als ein Jahr auf der Reise geblieben, er kam breiter in den Schultern zurück, gab sich nicht mehr als das eifrige Kerlchen, hielt den Kopf nicht mehr verkniffen hoch, sondern gleichmütig«. War seitdem nur noch gelegentlich bei SA-Übungen dabei, hatte auf der Heirat mit Elisabeth Lieplow bestanden und sich »auf ausdrückliche Anweisung um sein Erbe in Jerichow gebracht« (vgl. 569 f.).
532 An seiner Hochzeit in Kröpelin (wohl 1936 oder 1937) nimmt Cresspahl nicht teil.
567-570 Im Sommer 1937 will er sich freiwillig zur Wehrmacht melden und kündigt dem Vater seinen Austritt aus der Firma an. Daraufhin enterbt der alte Papenbrock ihn und setzt ihn aufs Pflichtteil. – Die Wehrmacht nimmt ihn nicht, er bekommt mit der Hilfe seines Schwagers Alexander Paepcke eine Stelle bei der Landesbauernschaft in Güstrow, wo er für die »Verwaltung von Saatgut in einem nationalsozialistischen Sinne« zuständig ist. Zieht mit seiner Frau nach Güstrow um, verwendet einen Abschlag auf sein Pflichtteil für die Einrichtung einer »ansehnlichen Wohnung«.
767 Entzieht sich einem Versöhnungsversuch des Vaters, indem er nach Lisbeths Beerdigung am 14. November 1938 nicht in Jerichow bleibt, sondern noch am Abend mit seiner Frau nach Güstrow zurückfährt.
910 Fällt 1942 bei Stalingrad.
Anhang VIII-IX Cresspahls Erinnerung: »Bei diesem Sohn habe der Alte es mit Schurigelei versucht, um nicht noch einen Erben nach Übersee oder an ein Gefängnis zu verlieren. Die erste Flucht unternahm Horst 1917 in die Armee. 1919 wurde er als Offiziersanwärter entlassen, und der Alte schlug ihn doch, wenn er nur das Geringste in der Wirtschaft versäumt hatte.« Weitere Strafen: Ausgehverbot, Hofdienst am Sonntag. Horsts zweite Flucht: zu den illegalen Freikorps. Dann einer der ersten Mitglieder der NSDAP und SA in Jerichow. Wurde weiterhin vom Vater »verspottet und schikaniert«. Cresspahl hält es nicht für erwiesen, eher für unwahrscheinlich, dass Horst an der Ermordung von Voss in Rande beteiligt war. »Die letzte Flucht war der Versuch, in die neue Armee zu kommen, und nachdem Papenbrock so oft mit der Enterbung gedroht hatte, führte ihm die Wut dabei die Hand.« Seine Frau Elisabeth Lieplow habe der Alte nicht in seine Familie aufnehmen wollen. »Horst soll im Kessel von Stalingrad um sein Leben gekommen sein, ein ältlicher Leutnant, dem nicht einmal in der Todesnachricht vom Vorgesetzten Tapferkeit bescheinigt wurde.«
Vgl. auch 50. 164. 172. 204. 205. 226. 261. 293. 444. 505. 506. 555. 556. 557. 558. 563. 567. 571. 604. 633. 762. 768. 1000. 1352. Anhang V, VI, VII, XI.
Papenbrock, Ilse (geb. Lieplow)
Ehefrau von Horst Papenbrock (seit 1936 oder 1937), aus Kröpelin stammend. BDM-Führerin. Rufname eigentlich Elisabeth, lässt sich später bei ihrem zweiten Vornamen Ilse nennen (vgl. Anhang IX).
159 Im November 1932 legt Horst Papenbrock einem Brief an seine Schwester Lisbeth in Richmond ein Foto von ihr bei: »Das war eine füllige Brünette, fast anmutig vor Jugend, hätte sie ihr Gesicht nicht so starr gehalten. Elisabeth Lieplow hieß sie, aus Kröpelin. Sie zeigte sich in einem ärmellosen weißen Turnhemd, auf dem Busen das Enblem [sic] des Bundes Deutscher Mädchen, mit dem Hakenkreuz.«
172 BDM-Führerin. Fällt an einem Sonntag im Frühjahr 1932 unangenehm auf, weil sie ihren BDM-Mädchen auf dem Brink (Dorfplatz) von Beckhorst »das Entkleiden zur Gymnastik befahl, eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes, so daß die Kirchgänger alle vorbeimußten an einem Haufen knapp bekleideter Mädchen, die sich abzappelten mit Grätsche und Brücke rückwärts«.
319 Tochter eines Steueramtmanns.
532 Die Hochzeit mit Horst Papenbrock findet in Kröpelin (wohl 1936 oder 1937) statt.
569 Sommer 1937: Albert Papenbrock »hatte nicht versucht, jene Elisabeth Lieplow aus Kröpelin ins eigene Haus zu ziehen, obwohl sie nun eine Papenbrock war«.
570 Umzug nach Güstrow, wo Horst eine Stelle bei der Landesbauernschaft angenommen hat. Einrichtung einer »ansehnlichen Wohnung« mit dem Abschlag, den Horst nach dem Zerwürfnis mit seinem Vater auf sein Pflichtteil bekommen hat.
1000 Nach Kriegsende heißt es von ihr, »sie sei als Lastkraftwagenfahrerin der Wehrmacht bei Danzig in Gefangenschaft gekommen«.
1352 Arbeitet nach ihrer Rückkehr in der von ihrer Schwiegermutter weiter betriebenen Bäckerei in Jerichow: Zwar glaubt Louise Papenbrock sich vor Übergriffen der Sowjets auf den Papenbrockschen Besitz sicher, aber für alle Fälle »hielt sie Horsts Witwe in der Hinterhand, zwar von geringer Abkunft aus der Schusterstadt, dennoch eine Schwiegertochter, vorbestimmt zum Nachrücken in der Verwaltung des Erbes«.
Anhang IX Cresspahl erinnert sich: »Ihr voller Name laute Elisabeth Ilse Friederike Papenbrock, geborene Lieplow. Seit sie in Jerichow Louises Angestellte sei, nenne sie sich Ilse und wolle darauf hinweisen, daß sie Cresspahl nicht an den Vornamen Lisbeth erinnern wolle. Sie halte sich für taktvoll, indem sie die Möglichkeit einer Verwechslung anzeige.«
In »Mutmaßungen über Jakob« (1959) gehört Louise Papenbrocks Bäckerladen im Jahr 1953 einer Ilse bzw. Lisbeth Papenbrock (vgl. M 15, 175, 208). Da Louise Papenbrock in »Jahrestage« nach der Hinrichtung ihres Mannes 1951 in den Westen geht (vgl. 1750), passen beide Informationen zusammen.
Papenbrock, Louise (geb. Utecht)
Gesine Cresspahls Großmutter mütterlicherseits, geboren 1871 in Güstrow; Ehefrau von Albert Papenbrock, Mutter von Robert und Horst Papenbrock, Hilde Paepcke und Lisbeth Cresspahl. Steht der Bäckerei ihres Mannes am Markt in Jerichow vor. Mitbegründerin der Jerichower CDU nach 1945. Geht nach dem Tod ihres Mannes 1950 in den Westen, in die Nähe von Lüneburg.
17-18 Als Heinrich Cresspahl sich im August 1931 in Lisbeth Papenbrock verguckt, die mit ihrer Familie in einem Gartenlokal in Travemünde sitzt, beobachtet er auch seine künftigen Schwiegereltern: Papenbrock »quengelte mit dem Kellner, oder mit seiner Frau, wenn die Bedienung an anderen Tischen stand. Meine Großmutter, das Schaf, sagte wie in der Kirche: Ja, Albert. Gewiß, Albert.«
33 Am Tag darauf sieht Cresspahl, der sich in Lisbeths Heimatstadt Jerichow umschaut, »meine Großmutter in der Bäckerei verkaufen helfen, eine ergebene flinke Alte mit einer etwas süßlichen Redeweise, besonders zu Kindern«.
33 In einem Totengespräch mit ihrer Enkelin sagt sie: »und ich war nie ein Schaf, Gesine«. Darauf Gesine: »Dich haben sie auf die Seite geschmissen, dir haben sie die Pfoten zusammengebunden, dir haben sie den Hals mit Knien gegen die Tenne gedrückt, dir haben sie mit einer stumpfen Schere die Wolle abgerissen, und du hast das Maul nicht aufgemacht, Louise, geborene Utecht aus der Hageböcker Straße in Güstrow, du Schaf.«
34 Ihr Mann ist »mit seiner Getreidehandlung, seiner Bäckerei, seinen Lieferungen aufs Land der reichste Mann in Jerichow«.
57 In einem der Zwiegespräche Gesines mit ihrer toten Mutter spricht Lisbeth über die Zeit in Vietsen: »In Vietsen hatten wir Mädchen jedes für sich ein Dienstmädchen. / Dann gab es noch die von der Plättstube, der Küche, der Waschküche, die zum Saubermachen, und die Mamsell. / Eine Zeit lang hatte Louise Papenbrock einen Hausgeistlichen.«
204 Marie Cresspahl möchte die »Geschichte mit der Tassenwanne« erzählt bekommen, die sie in Zusammenhang mit der Geburt ihrer Mutter bringt. Gesine stellt richtig: »Das war Louise Utecht, die so winzig ausgefallen war, und es war 1871 in der Hageböcker Straße in Güstrow. Das ist nicht meine Geschichte.«
262 »Papenbrock mochte sich noch so unschuldig als Vorstand seines Haushalts begreifen, es war Louise, die ihn lenkte, den Alten an langer Leine, die Kinder an kurzer. Die Kümmelflasche, die Papenbrock in großer Heimlichkeit leertrank, wechselte Louise gegen eine neue aus. Wieviel das Haus Papenbrock der Kirche spendete, bestimmte Louise, und sie ließ den neuen Pastor Brüshaver spüren, daß sie seinen Mangel an Innigkeit beim Predigen mißbilligte. Auf den Tisch kam, was sie für gut hielt, und beten tat sie so lange wie ihr danach war.«
319 Als Papenbrock bei seiner Tischrede an Gesines Tauftag am 19. März 1933 auf seinen ›verschollenen‹ Sohn Robert zu sprechen kommt, sieht Louise Papenbrock »etwas kommen. Sie krümmte sich ein wenig, sie legte die Hände im Schoß zusammen, um notfalls fürs Beten vorbereitet zu sein.« Gleich darauf erteilt Papenbrock dem jüngeren Sohn Horst den Auftrag, seinen Bruder Robert in Südamerika zu suchen und nach Hause zu holen.
417 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ gehört auch, dass Papenbrock seine Frau an den ständigen Besuchen bei Cresspahls hindern möge. »Wenn sie wenigstens wegen des Kindes [...] kommen würde! Sie kam aber, um ihre frommen Sprüche zu verbreiten. Für all und jedes Unrecht wußte sie einen biblischen Befehl zur Geduld und eine kommende Richtigstellung durch das gerechte Wirken Gottes.« Cresspahl befürchtet (zu Recht) einen unguten Einfluss auf Lisbeths Gemütsverfassung.
504-507 Rückblick auf die Ansiedelung der Papenbrocks in Jerichow und ihren Einzug in den »Palast« der Adelsfamilie Lassewitz am Markt im Dezember 1923 aus der Sicht der Jerichower. Louise Papenbrock, die für »herrschaftlich« gehalten wurde, erwarb sich Respekt dadurch, dass sie sich nicht zu schade war, in ihrem Bäckerladen selbst Hand anzulegen: »Die konnte ja arbeiten!«
530-531 Louise Papenbrock im Urteil der Jerichower 1937: »Und Papenbrocks Louise tat nicht nur, als gehöre ihr die Stadt, sondern obendrein, als könne die Petrikirche ohne sie den Turm nicht halten.«
579 Ihre Einflussnahme auf Lisbeth vor dem Prozess gegen Hagemeister und Warning.
760 Bei Pastor Brüshavers Predigt am 13. November 1938, dem Sonntag vor Lisbeth Cresspahls Beerdigung, kann Louise »es auch jetzt nicht lassen [...], mit steifer Haltung und angehobenem Kinn Stolz zu zeigen darauf, daß schließlich niemand Anderem die jüngste Tochter gestorben war«.
767-768 Beim Leichenschmaus nach Lisbeths Beerdigung ärgert sie sich über die »Niebuhrs aus Wendisch Burg, weil sie so niedergeschlagen und still dasaßen, als verstünden sie das Trauern doch besser als eine Gastgeberin, die immerhin die Ohren vollhat«. Behandelt die Niebuhrs bei der Unterbringung in ihrem Haus als zweitrangige Gäste.
829 Cresspahl will die fünfjährige Gesine nach Lisbeths Tod nicht »unter die Fuchtel von Oma Papenbrocks Religion« geben, weil er meint, »daß die eigene Frau davon gelernt hatte, zu Grunde zu gehen; es war der Papenbrockschen zu gönnen, daß sie das hatte anhören müssen, ohne daß der Alte oder Hilde ihr geholfen hätten. Sie hatte dagesessen wie ein großer gekränkter Vogel, fett und gesträubt. Geweint hatte sie obendrein«.
869-870 Nach dem schweren Bombenangriff auf Lübeck im März 1942 muss sie auf Druck von Bürgermeister Tamms Ausgebombte aufnehmen. Sie kümmert sich um die ungebetenen Gäste »auf eine fromme, barmende Art, und es war nicht leicht, ihr dankbar zu sein«.
910 Behandelt Slata, die russische Freundin ihres Sohnes Robert, als Dienstmädchen.
1194 Nach Kriegsende, aus Sicht von Frau Abs, die sich auf Cresspahls angeheiratete Verwandtschaft einen Reim zu machen versucht: »Nun war der reiche Mann Papenbrock abkommandiert als Verwalter auf ein Sowjetgut südlich von Gneez, und seiner Frau war das Haus aus der Hand genommen von Flüchtlingen und russischen Soldaten, die in den Nächten das große Gesellschaftszimmer als Tanzsaal einrichteten. Cresspahl war Bürgermeister, er hätte der Schwiegermutter beistehen können; sie kam ihn um nichts bitten, er ging an ihrem Haus vorbei. Cresspahls Kind hatte ein paar Jahre lang seine Großmutter nicht besuchen dürfen. So hieß es.«
1351-1352 Bewirtschaftet auch nach Papenbrocks Festnahme ihren Bäckerladen und Papenbrocks Getreidespeicher (mit Kägebeins Hilfe) weiter. »Wenn Louise für das Brot nur 43 Reichspfennige kassieren durfte, ließ sie eben Kleie untermischen, bis sie auf einen Anteil kam von dem Preis.« Sie rechnet fest mit Papenbrocks Rückkehr und befürchtet von der sowjetischen Besatzungsmacht weniger als von einem heimkehrenden Papenbrock, dem sie »hatte das Eigentum nicht bewahrt, geschweige denn abbröckeln lassen«. Für alle Fälle holt sie sich Horst Papenbrocks Witwe Ilse ins Haus, um ein Familienmitglied in der »Hinterhand« zu haben »zum Nachrücken in der Verwaltung des Erbes«. – Sie erkennt schnell, dass es unter den Sowjets nicht mehr opportun ist, Umgang mit dem Adel des Winkels zu pflegen, auf den sie früher so erpicht war. Nun verhält sie sich distanziert und »sprach mit frommer Stimme von der Gerechtigkeit«.
1357-1358 Mitbegründerin der Ortsgruppe der CDU.
1369 »In diese Union war sie eingetreten ihrem Papenbrock zuliebe, seinem eingebildeten Befehl folgend, bloß ihm wollte sie einen Platz halten darin.« – Sie muss den gerade erst von den Besatzungssoldaten zurückeroberten großen Saal im Erdgeschoss für CDU-Versammlungen hergeben, »die herrschaftliche Halle« mit der »halbmannshohen Eichentäfelung, den lassewitzschen Faunen und Nymphen darüber, dem hohen Jagdszenenstuck, dem rückwärtigen Erker ganz aus Kristallglastüren und dem gartengrünen Licht überall«. – Mit Pastor Brüshaver, der auch Mitglied der CDU ist, kommt sie nicht zurecht, weil er ständig »von deutschen Fehlern, von ehrlicher Besserung« redet. »Louise wollte ihm vergeben, er hatte sich das im Nazilager so ausdenken müssen; wie aber kam es, daß sie immerfort sich gemeint fühlte?«
1402 Ihre Enkelin Gesine weicht vor ihr bei Begegnungen auf die andere Straßenseite aus.
1526 Nach Cresspahls Rückkehr aus sowjetischer Haft im Mai 1948 grüßt Gesine »die Olsch Papenbrock« wieder.
1534-1535 Als ihre Bankguthaben am Tag vor der Währungsreform eingezogen werden, überwindet sie ihre »Verachtung« gegen Cresspahl und bittet ihn um Rat. Cresspahl »versicherte ihr wider bessere Vermutung, daß die Sowjetmacht nur von lebenden Angeklagten das Guthaben einziehe und verschonte sie mit der Aussicht, daß sie an Alberts Freilassung nicht im Traum denken durfte. [...] mit zierlich angehobenem Doppelkinn drehte sie sich um, fast genau auf der Stelle, gab ihm nicht die Hand, befriedigt über ihre vorausgesehene Enttäuschung, für die allerdings beschreibende Worte gefehlt hätten. (Sie war zum ersten Mal seit 1943 im Haus.)«
1601-1602 Verweigert Brüshaver ihren Saal für den Konfirmandenunterricht: »Frau Albert Papenbrock hatte den größten Saal von Jerichow (und den steilsten Glauben an die evangelische Landeskirche, hörte man sie); mit Anwärtern auf die Kirche in ihrem Haus fürchtete sie den Unwillen von Alberts Gefängniswärtern aufzurühren. Sie rang die Hände vor ihren Bedenken, sie barmte, leise jaulend: immer werde es von ihr verlangt, immer mehr als von den anderen...«
1750 Nach Albert Papenbrocks Hinrichtung im November 1950 werden »Stadtpalast samt Speicher« eingezogen. Sie rechnet darauf, in Cresspahls Haus unterzukommen, aber dafür »riskierte Cresspahl keinen Finger. Wir hätten ja kirchliche Herrschaft ins Haus bekommen.« Daraufhin geht Louise Papenbrock in den Westen, »nach Lüneburg, da war noch übrig von Alberts Grundbesitz«. Cresspahl und Gesine bringen sie an die Eisenbahn: »Die wollte mir wenig wohl, dennoch sagte sie wider Willen: Wenigstens hast du unser Haar.«
Vgl. auch 48-49. 58. 72. 112. 203-204. 214-215. 260. 400. 467. 525. 556. 561. 760. 853. 1236. 1252.
Papenbrock, Robert
Ältester Sohn von Albert und Louise Papenbrock, geboren 1895; Bruder von Lisbeth Cresspahl, Hilde Paepcke und Horst Papenbrock. Verschwindet im Mai 1914 nach Südamerika, kehrt 1935 zurück, nachdem Albert Papenbrock ihn von seinem Bruder Horst hatte suchen lassen. Dient sich sogleich den Nationalsozialisten an, zieht nach Schwerin, bekommt dort ein Parteiamt, wird Mitglied der SS. 1937/38 im Auftrag der NSDAP in Nordamerika zur Anwerbung von Nazis. Im Krieg als »Sonderführer S.S.« für die Hinrichtung von Geiseln in der Ukraine verantwortlich. Aus Russland schickt er eine junge Frau, Slata, mit der er ein Kind hat, nach Jerichow zu seinen Eltern. 1947 kommt er heimlich durch Jerichow. Kann sich schwimmend nach Westdeutschland durchschlagen. Lebt in Lübeck.
58-59 Lisbeth Cresspahl in einem von Gesines Totengesprächen über das wilde Leben ihres großen Bruders vor seinem Verschwinden: »Als Robert siebzehn war, mußte Hilde ihn immer zwei Stunden vor Schulanfang wecken, damit Louise Papenbrock nicht das Dienstmädchen in seinem Bett fand. / Das Mädchen hieß Gerda, und war so alt wie ich. Sie hat ins Dorf geheiratet, denn schwanger war sie. / Und Papenbrock zahlte die Aussteuer.« – »Robert hat ein Pferd in einem Wettrennen mit einem Auto totgeritten.« – Bedrohte seine kleine Schwester Lisbeth mit einem Revolver, sie entkam dem Schuss nur durch Zufall. – Robert »kam betrunken zur Schule, machte Schulden in Restaurants, schoß auf Spatzen in der Stadt und traf Fensterscheiben. Als er die Tochter eines Lehrers geschwängert hatte, mußte er nach Parchim getan werden«, wo er ein luxuriöses Leben führt. »Er saß in der Goldenen Traube in der Langen Straße bei Ente und Rotwein und sah vor dem Fenster den Rektor mit seiner Frau und lud das bestürzte Paar ein zu Ente und Rotwein. Das war sein Ende in Parchim.« – »Von Parchim ging er nach Hamburg.« – »In Vietsen wurde gesagt: Er lernt Import und Export in Rio de Janeiro.«
473 Kommt mit dem Bruder Horst nach Deutschland zurück, wohnt in Schwerin in einer beschlagnahmten Villa.
532 Was Horst Papenbrock seit seiner Rückkehr mit dem älteren Bruder »den Nazis verweigerte, das bekamen die von Robert Papenbrock«, der inzwischen ein Parteiamt in Schwerin innehat. Es geht »die Rede, er habe neben seiner braunen, der ›Amtswalter‹-Uniform, noch eine andere, die schwarze der Geheimpolizei«.
555-556 In Jerichow hält sich das Gerücht, der aus Südamerika Zurückgekehrte sei gar nicht Robert Papenbrock. Über die Unterschiede zwischen dem jungen Robert Papenbrock und dem Zurückgekehrten. Auffällig ist auch, »daß er nicht einmal gefragt hatte nach dem Kind, das er der Tochter seines Französischlehrers gemacht hatte«.
557-558 Seine Erzählungen von seinem Leben in Süd- und Nordamerika. Sein Urteil über Nordamerika: »Durch und durch verjudet und verniggert, die Amerikaner. Diesen Krieg gewinnen wir.« – Über seinen schnellen Aufstieg in der Partei nach seiner Rückkehr.
559 »Lisbeth hatte es nicht gefallen, daß der Fremde sie nach mehr als zwanzig Jahren umarmen wollte, als sei sie nicht seine Schwester.«
570 Erfährt durch Horst Papenbrock von dem Gespräch zwischen Hagemeister und Warning über Griem, das seine Schwester Lisbeth in der Eisenbahn mitgehört hatte, tut unbeteiligt, initiiert aber den Prozess gegen Hagemeister und Warning, bei dem Lisbeth aussagen muss (vgl. 571, 1481).
570-571 Reist im Auftrag der NSDAP nach Nordamerika, um, wie man später erfährt, für den Nationalsozialismus zu werben (vgl. 1481). – Er hat die Anzeige gegen Hagemeister und Warning wegen »Verunglimpfung eines nationalsozialistischen Amtsträgers« (d.i. Reichsarbeitsdienstführer Griem) erstattet. – Er wird »nicht vor Anfang 1938 aus den Staaten zurückerwartet«.
910 Im Krieg als »Sonderführer« in der Sowjetunion eingesetzt. Von dort schickt er den Eltern ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen (Slata). »Die Eltern sollten sie für ihn in Jerichow aufbewahren. Louise behandelte sie als Dienstmädchen.«
1000 Nach Kriegsende gibt es von Robert Papenbrock zunächst »keine Nachricht, als daß die Sowjets ihn umbringen würden, hätten sie ihn erst«.
1127 Cresspahl hatte Albert Papenbrock nach 1945 frühzeitig angekündigt, »daß die Sowjets suchen würden nach dem Vater von Robert Papenbrock, der in der Ukraine für die Hinrichtung von Geiseln bekannt geworden war«.
1193-1194 Aus Sicht von Frau Abs, die sich auf Cresspahls angeheiratete Verwandtschaft einen Reim zu machen versucht: Papenbrock »hatte einen toten Sohn [Horst], für den durfte er eine Gedenktafel aufstellen im Familienbegräbnis, der andere sollte verschwiegen werden, Kinder hatte der umgebracht in der Ukraine, Dörfer angezündet. Dennoch hatte bei den Papenbrocks ein Mädchen aus der Ukraine gelebt, anfangs als Dienstmädchen, von Dezember 1944 an ausdrücklich als Verlobte«.
1479-1481 In ihrem Tagebuch aus dem Jahr 1947 macht Gesine Cresspahl unter der Chiffre »R.P.« einige Einträge. »Ein Strich zwischen den beiden Buchstaben hatte daraus die Formel für Requiescat In Pace gemacht. Das half wenig, den Vorfall zur Ruhe zu bringen«. Der Vorfall: Sie hatte den als Kriegsverbrecher gesuchten Robert Papenbrock, der eines Tages heimlich nach Jerichow gekommen war, in der Küche mit Jakob und Frau Abs sitzend angetroffen und energisch aus dem Haus gewiesen: »Raus! schrie sie. – Du sast rut hier!« [Du sollst raus hier!] Danach hatte sie Jakob und seiner Mutter von Roberts Untaten erzählt und beide billigten ihr Verhalten. Aber am nächsten Tag überkamen sie ›eisige Zweifel‹.
1481 Gerät nach diesem Vorfall am Dassower See in einen Posten der Roten Armee und rettet sich »mit einer beträchtlichen Fleischwunde an einem seiner fetten Beine« schwimmend ans westliche Ufer. Schreibt seiner Nichte einen Brief aus Lübeck, in dem er sich als »zum Krüppel geschossen« bezeichnet und schließt den Brief mit dem »feierlichen Nachsatz: Somit enterbe ich dich denn.«
Anhang VIII Aus Cresspahls Erinnerung: Robert »wurde zunächst in der Auslandsorganisation der N.S.D.A.P. beschäftigt, als Tagungsredner, als Dolmetscher für Werberedner in Übersee; dann übernahm ihn der S.D.«.
Vgl. auch 50. 320. 560. 600. 606-607. 613. 616. 767. 785. 1345. 1524. 1526. Anhang V, VII-VIII.
Parchim
Stadt in Mecklenburg, etwa 40 km südöstlich von Schwerin.
58-59 An die Schule in Parchim musste Robert Papenbrock ausweichen, nachdem er die Tochter eines seiner Lehrer geschwängert hatte. Von dort ging er nach Hamburg und schiffte sich nach Übersee ein.
555 Im Mai 1914 war Robert Papenbrock aus Parchim ›weggelaufen‹.
Parkwächter im Riverside Park
132-133 Zu den ›Geräuschen des Sonntags‹ am Riverside Drive gehört auch das »leise Klicken, das entsteht, wenn der Parkwächter sich mit seinem ganzen Gewicht an die Ketten der Kinderschaukeln hängt«, um ihre Tragfähigkeit zu prüfen. »Wir meinen den stillen Parkwächter, den sechseinhalb Fuß langen, den mageren und wortkargen, der die Kinder grüßt, als seien sie seine Arbeitgeber«, nicht den »Puertorikaner, der die grüne Dienstkleidung des Gartenbauamtes zwischen den Müttern spazierentrug wie eine Uniform«, sondern »den Neger, dessen Overall die Arbeit anzusehen ist [...]. Wir kennen von ihm nicht einmal seinen Vornamen.«
Partikel, Alfred
Landschaftsmaler (1888-1945), lebte seit 1921 in Ahrenshoop auf dem Darß. Professor der Staatlichen Kunstakademie Königsberg seit 1929. Verschwand bei einem Spaziergang in Ahrenshoop am 20. Oktober 1945 spurlos, seine Überreste wurden nie gefunden.
1493 Bei Gesine Cresspahls Aufenthalt in Althagen im Sommer 1947 erwähnt Ille, dass die Rote Armee sogar einen Suchtrupp losgeschickt hatte, »als Alfred Partikel verschütt gegangen war«. Gesine schließt daraus, dass die Sowjetische Besatzung es offenbar »mit diesem Landstrich anders angefangen« hatte (als in Jerichow).
Pascal, Reggie
Verstorbener Vorbesitzer der Tischlerei »Pascal und Sohn« in Richmond, die Heinrich Cresspahl 1928-1933 verwaltet.
94-95 »Reggie Pascal, ohne Nachkommen und selbst schon der Sohn im Firmennamen, hatte das Geschäft der Tischlerinnung von Richmond zugedacht«. Ein »entfernter Neffe«, Albert A. Gosling, hatte die Verfügung angefochten und die Tischlerei in seinen Besitz gebracht, wollte sie verkaufen, ließ sie dann aber auf Anraten seiner Anwälte verwalten. Als Verwalter wurde Heinrich Cresspahl eingestellt.
Vgl. auch 145. 334. 378-379. 812. Anhang II-III.
Pelzer
Vikar, Hilfsprediger in Rande. Vertritt den im November 1938 verhafteten Pastor Brüshaver kurze Zeit in Jerichow.
806 »Vikar Pelzer ließ allgemein für Verfolgte und Bedrängte beten, nicht namentlich für Brüshaver, einmal aus Vorsicht, zum anderen aus Mißbilligung für Brüshavers Mangel an Vorsicht«.
Penzlin
Kleinstadt in Mecklenburg, ca. 28 km östlich von Waren an der Müritz.
1288 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 muss der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl auch durch Penzlin gekommen sein, hat aber keine Erinnerung daran.
Vgl. auch 1292.
Petersdorf
Gemeinde in der Nähe von Malchow am See.
1826 Gesines Lehrer Kliefoth über seine Jugend in Malchow: Kinder von den umliegenden Gütern kamen zu Fuß zur Schule in Malchow, »Bewohner von Ortschaften an den Seen (Petersdorf, Göhren, Nossentin) kamen (sonntags) meistens per Kahn in die Stadt«.
Pienagel, Else
Bürgerin von Jerichow.
411 Eine der ersten Kundinnen Heinrich Cresspahls nach der Einrichtung seiner Tischlerei in Jerichow 1934. Gibt ihm aus Neugier einen alten Nähtisch zur Restaurierung und »denkt, sie fällt auf den Rücken! war ein Schmuckstück geworden! [...] Was Cresspahl genommen hat? ach das war so ganz ebenmäßig. Das ging.«
433 Ihre Fenster gehen auf Schlachter August Methfessels Hof hinaus. Im Herbst 1934, nachdem Methfessel durch KZ-Aufenthalt und durch die Schikanen des Fleischbeschauers Hauschildt gemütskrank geworden ist und sich beim Schlachten merkwürdig benimmt, hat Else Pienagel »oft Besuch, der zu nichts kam, als um am Fenster zu stehen, wenn bei Methfessel Schlachttag war«.
Vgl. auch 469. 857. 1034.
Piep
Sozialdemokratischer Stadtverordneter in Jerichow bis März 1933.
225 Tritt wie alle anderen Sozialdemokraten (Upahl, Stoffregen und Piepenbrink) im Jerichower Stadtrat nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zurück. Daraufhin verlässt Bürgermeister Dr. Erdamer die Sitzung.
Piepenbrink
Sozialdemokratischer Stadtverordneter in Jerichow bis März 1933.
225 Tritt wie alle anderen Sozialdemokraten (Upahl, Stoffregen und Piep) im Jerichower Stadtrat nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zurück. Daraufhin verlässt Bürgermeister Dr. Erdamer die Sitzung.
Pilot aus England
Von Marie Cresspahl erdachte Figur.
859-862 Marie gefällt nicht, dass ihr Großvater Heinrich Cresspahl im Krieg für die britische Abwehr gearbeitet haben soll (vgl. 809-814). Gesines Beweisstück, ein britischer Half Penny mit dem Prägejahr 1940, in dessen Besitz Cresspahl mitten im Krieg gekommen ist (vgl. 810, 986 f., 1870), macht es ihr schwer, den Großvater von dem in ihren Augen schmählichen Makel des Landesverrats zu befreien. Nach zehn Tagen hat sie eine Lösung: Ein bei Jerichow abgestürzter britischer Pilot könnte ihn in der Tasche gehabt haben, und »es waren die Deutschen, die ihn damit köderten! Womöglich hat er die ganze Zeit für die gearbeitet, und nicht für die durch und durch verluderten Engländer: sagt Marie, nicht sehr bestimmt, jedoch hoffnungsvoll.« Gesine erzählt ihr darauf weitere Fakten, die für Cresspahls Agententätigkeit sprechen, bis Marie sich schließlich geschlagen gibt und Gesine sie spöttelnd fragt: »Brauchst du nun noch eine Geschichte von einem abgeschossenen Piloten aus England, der sich nachts in Cresspahls Haus findet und für eine Weile in der Bodenkammer lebt, hinter einer Wand aus undurchdringlichem Ofenholz [...]?«
Pingel (Oll Pingel)
Sägemeister im Sägewerk Panzenhagen, Vater von Eckart Pingel.
1760 Ist nach sozialistischer ›Soziologie‹ aufgrund seiner Stellung als Sägemeister »proletarischer Adel«, weshalb sein Sohn Eckart, Schüler an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, mit einem blauen Auge davonkommt, als Lehrerin Bettina Selbich ihm wegen einer antisowjetischen Bemerkung ein Disziplinarverfahren anhängen will.
1762 Die »ganze Familie Pingel« geht nach Eckarts »Einjährigem« in den Westen.
1839 In der Zeit, in der sein Sohn fast von der Schule geflogen wäre, hielt er jeden für »einen Günstling des Neuen Staates« und »Verbündeten der Obrigkeit«, der in der DDR studieren darf.
Pingel, Eckart
Schüler der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez in Gesine Cresspahls Parallelklasse.
1760 Bemerkt in einer Gegenwartskunde-Stunde der Elf A Eins: »In der Sowjetunion haben sie auch die größten Schweine!« Daraufhin strengt Bettina Selbich ein Disziplinarverfahren gegen ihn an. Da aber sein Vater, Sägemeister Pingel, nach sozialistischer ›Soziologie‹ zum ›proletarischen Adel‹ gehört und weil zudem unter den Arbeitern in Gneez darüber gesprochen wird, dass Pingels Sohn von der Schule fliegen soll, »bloß weil er die Wahrheit gesagt hat«, darf er sich »vor der Lehrerkonferenz herausreden auf die sowjetischen Zuchterfolge am gemeinen Hausschwein«. Dafür hatte ihn seine Klasse mit einem zoologischen Lehrbuch präpariert. – Alle Schüler lachen über die Geschichte, auch Pius Pagenkopf, der allerdings mit leiser Geringschätzung, für Gesine ein Zeichen, dass er sich der Schule schon nicht mehr zugehörig fühlt (er geht wenig später ab und zur Bewaffneten Volkspolizei).
1762 Nach Eckarts »Einjährigem« geht die »ganze Familie Pingel« in den Westen.
Vgl. auch 1839.
Pinter, Laszlo
Mitglied der Ungarischen Delegation bei den Vereinten Nationen in New York.
1210-1214 Am 23. Mai 1968 im Church Center spricht Dr. Laszlo Pinter als Gast der »Amerikanischen Gesellschaft für das Studium der Deutschen Demokratischen Republik« über »Die Abrüstung in Europa und die beiden deutschen Staaten«. Gesine besucht den Vortrag und lässt sich auf den Eintrittspreis (99 Cent) einen Cent herausgeben »als Andenken«. Am Ende der Veranstaltung legt sie den Cent auf den Spendenteller, »wünschend, er wäre rot.«
Vgl. auch 1188.
Plath, Erwin
Sozialdemokrat, wohnhaft in Lübeck (St. Lorenz Nord), verheiratet mit Gerda Plath. Früher Parteigenosse von Heinrich Cresspahl. Beide kennen sich 1933 seit etwa 20 Jahren.
194-201 Anfang März 1933, auf der Fahrt von London nach Jerichow zur Geburt der Tochter, unterbricht Heinrich Cresspahl die Reise in Lübeck, um Erwin Plath aufzusuchen, der aber nicht zu Hause ist. Er trifft ihn dann in der Stadt und bringt für ihn zwei illegale Pässe zu einer konspirativen Adresse, obwohl er 1922 aus der SPD ausgeschlossen worden ist. Später werden er und Erwin Plath festgenommen. Am nächsten Morgen, während in Jerichow Tochter Gesine geboren wird, kommen sie frei, weil Cresspahl dem vernehmenden Kommissar mit seinem Militärdienst im »Holsteinischen Artillerie-Regiment 24 zu Güstrow, 2. Batterie« Eindruck macht.
674-678 Im Herbst 1938 schickt er Cresspahl die Todesanzeige von Anna Niederdahl. Der Leichenschmaus in Erwin Plaths Haus dient als illegaler Treffpunkt von SPD-Genossen, zu dem auch Heinrich Cresspahl eingeladen wird. Cresspahl folgt der Einladung. Dabei »wurde ihm aufgegeben, den Umgang mit Peter Wulff abzubrechen, am besten mit einem Streit unter Zeugen«.
767 Ist mit einigen anderen Lübeckern Trauergast bei Lisbeth Cresspahls Beerdigung.
1160-1164 Im August 1945 kommt Erwin Plath über die grüne Grenze nach Jerichow. Er und Cresspahl begehen das Wiedersehen »wie Kinder, eifrig, ohne Mißtrauen, einer am anderen vergnügt«. – Plath befasst sich freundlich mit Gesine und Hanna Ohlerich, die lange bei den beiden Männern sitzen. – Cresspahl fragt ihn nach den Lebensbedingungen im Westen aus. Plath kann nichts Gutes über die britischen Besatzer berichten. Er lebt nicht mehr in Lübeck, es hat ihn nach Itzehoe verschlagen, wo die Briten übel hausen. – Zuletzt rückt Plath mit dem eigentlichen Zweck seines Besuchs heraus: Er möchte Bürgermeister Cresspahl dazu bewegen, die anstehende Neugründung der Kommunistischen Partei zu übernehmen, um dabei möglichst viele alte SPD-Genossen darin unterzubringen, weil er voraussieht, »daß die Kommunisten die sozialdemokratische Partei nur aufbauen wollten, um sie später in einem Bündnis zu schlucken«. Er sei »nun gekommen, die richtigen Leute gleich bei den Kommunisten unterzubringen. [...] Kommunisten der ersten Stunde, und doch heimliche Posten der Sozialdemokratie.« Mit Alfred Bienmüller habe er schon gesprochen, der »wollte das Opfer bringen«. Cresspahl will nicht heran und ist enttäuscht. »Er hatte gedacht, Plath wäre einmal seinetwegen gekommen, nicht der Sache zuliebe. [...] Den Kindern aber war der Besuch erfreulich gewesen«. Hanna Ohlerich, die nach einem neuen Zuhause Ausschau hält, lässt sich von Cresspahl die Adresse »dieses umgänglichen Menschen aus Itzehoe« aufschreiben.
1359-1362 Im Dezember 1945 kommt Erwin Plath noch einmal nach Jerichow zu einem Treffen und räumt ein, »daß die Eroberung von geheimen Einflußbereichen in der K.P. mißlungen ist.« Bienmüller, der an dem Treffen teilnimmt, beschränkt sich darauf, Erwin Plath Unbestimmtes anzudrohen für den Fall, dass er sie noch einmal »Kinnings« nennt, und fragt sich laut: »Wie Cresspahl bloß darauf gekommen ist. Daß er so eine gute Meinung von dir hatte.«
Vgl. auch 202. 375. 786. 811. 834. 1237. 1266. 1363. 1524.
Plath, Gerda
Frau von Erwin Plath, wohnhaft in Lübeck, nach dem Krieg in Itzehoe.
195-196 Fertigt Heinrich Cresspahl in ängstlicher Aufregung an der Haustür ab, als der im März 1933 ihren Mann besuchen will. Als Cresspahl dabei zufällig seine beiden oberen Mantelknöpfe öffnet, flüstert sie ihm plötzlich eine geheime Nachricht für ihren Mann zu. Später stellt sich heraus, dass das Aufknöpfen ein verabredetes Zeichen unter den illegal arbeitenden SPD-Genossen ist.
677 Richtet den Leichenschmaus für Anna Niederdahl aus, der zugleich für ein konspiratives Treffen von SPD-Genossen genutzt wird.
Plauer See
Einer der größten Seen Mecklenburgs, westlich von Malchow und der Müritz.
1018 Gesine zählt die Seen auf, in denen sie in 35 Jahren geschwommen hat: »Allein, auf dem Wege von Jerichow, Nordwesten, nach Wendisch Burg, Südosten Mecklenburgs: im Schweriner See bis zur Insel Lieps, im Goldberger See, im Plauer See, in der Müritz.«
Vgl. auch 1845.
Plessen
Adelsfamilie, Gutsbesitzer im Jerichower Winkel.
164 Ein junger von Plessen spendet Gutspächter Kleineschulte Beifall, der im Herbst 1932 den »angeberischen Gedenkkranz« der SA vom Kriegerdenkmal hat entfernen lassen.
237 Die Freifrau von Plessen wird von Pastor Methling herablassend gegrüßt.
358 Am Sonntag nach dem Vorfall vor Dr. Semigs Tierarztpraxis am 1. April 1933, bei dem Baron von Rammin den Boykott-Posten der SA mit seinem Kutschgespann durchbrochen hatte, »wurde das Ehepaar Semig von einer Familie Plessen zum Mittagessen gebeten«.
474 Im Jahr 1935: »Die Plessens und die Bothmers und Konsorten hatten sich mitsamt ihren Reitervereinen in die S.S. übernehmen lassen.«
1329 Die Herren Wendennych, die Kommandanten Jerichows ab 1946, »hätten recht gut welche von den Plessens sein können. Gutsbesitzer von Adel, und wie einmal die Plessens verwalteten sie Jerichow.«
1352 Gesine Cresspahls Großmutter Louise Papenbrock erkennt nach dem Krieg schnell, dass es unter den Sowjets nicht mehr opportun ist, Umgang mit dem Adel des Winkels zu pflegen, auf den sie früher so erpicht war. »Es verschlug nichts mehr, sich etwas einzubilden auf ein Bündnis mit den Plessens, den Oberbülows«.
1839 Die Rittergüter des Winkels werden von den Russen nach 1945 aufgesiedelt. Nur das Gut der Plessens und das ehemals Kleineschultesche Gut bleiben erhalten und werden von der Roten Armee zur eigenen Versorgung genutzt.
Vgl. auch 1100.
Plückhahn (Apotheken-Plückhahn)
Apotheker in Jerichow.
1357 Wird 1945 Mitglied der von Böhnhase gegründeten Ortsgruppe der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands.
Podejuch
Ort in der Nähe von Stettin. Hier wohnen Alexander und Hilde Paepcke mit ihren Kindern seit etwa 1936.
531 Gerede in Jerichow: »Podejuch, wie das schon hieß, wenn es das überhaupt gab, wenn das am Ende nicht ein ›Rio de Janeiro‹ war.« (›Rio de Janeiro‹ war der von den Papenbrocks jahrelang vorgegebene Aufenthaltsort des verschollenen Sohnes Robert Papenbrock, vgl. 59).
631-635 Ostern 1938 besuchen Heinrich und Lisbeth Cresspahl mit Gesine die Paepckes in Podejuch. Cresspahl wird »drei Häuser weiter im Hinterzimmer der Witwe Heinricius« untergebracht. Man unternimmt Spazierfahrten in die Buchheide, einen Spaziergang an der Ost-Oder und nimmt am letzten Tag einen Frühschoppen und das Mittagessen im Terrassenhotel in Stettin.
827-830 Nach Lisbeth Cresspahls Tod im November 1938 bringt Cresspahl die 5-jährige Gesine zu den Paepckes. Ihr Aufenthalt in Podejuch dauert mehr als ein halbes Jahr (vgl. 836).
836-841 Gesines Leben bei den Paepckes in Podejuch 1938/39.
860 Im März 1942 besuchen Cresspahl und Gesine die Paepckes in Podejuch. Cresspahl und Alexander hören Sendungen des BBC.
Vgl. auch 671. 692. 767. 853. 1083. 1192. 1197. 1479. Anhang XVI.
Dass Paepckes schon zu Ostern 1935 in Podejuch wohnen, wie Hildes Einladungen an ihre Schwester Lisbeth »zu Ostern 35, 36, 37« implizieren (631), widerspricht der Auskunft, dass Alexander Paepcke zunächst von dem Bau des Flugplatzes in Jerichow Nord, der 1935 beginnt, profitiert und die Ziegelei zum Zeitpunkt der Geburt des Sohnes Eberhardt im August 1935 noch betreibt (473).
Podhoretz, Norman
Amerikanischer Intellektueller, Redakteur und Schriftsteller (geb. 1930 in New York); 1960-1995 Chefredakteur der vom American Jewish Committee gegründeten Monatsschrift »Commentary«; zeitweise befreundet mit Hanna Arendt.
874 Im Roman ist er ein Bekannter von Gräfin Seydlitz. Bei einer Gesellschaft in ihrem Penthouse am 16. August 1968 macht sie ihn mit Anselm Kristlein bekannt.
Podjeraizka, Slata
Mädchen aus der Sowjetunion, Geliebte von Robert Papenbrock, von dem sie einen Sohn (Fritz bzw. Fedja) hat. Robert Papenbrock schickt sie im Herbst 1942 nach Deutschland zu seinen Eltern. Nach Kriegsende arbeitet sie für die sowjetische Verwaltung in Gneez, wird dann aber verhaftet und im Herbst 1945 mit ihrem Kind in ein Straflager in der Sowjetunion deportiert.
910 Robert Papenbrock, als »Sonderführer« der SS in der Sowjetunion eingesetzt, schickt seinen Eltern ein Mädchen, »zweiundzwanzig Jahre alt, blond, groß. Die Eltern sollten sie für ihn in Jerichow aufbewahren. Louise behandelte sie als Dienstmädchen« und schickt dafür Edith weg.
911 Aus der Sicht der Jerichower: Slata »konnte genug Deutsch, um einzukaufen in Jerichow. Sie betrug sich nicht wie eine Kriegsgefangene, und es war nicht heraus, was die Papenbrocks nun wieder sich ausgedacht hatten. Also wurde mit ihr höflich gesprochen, auch freundlich. Es blieb ärgerlich, daß sie sich das gefallen ließ wie ein Recht.« – Heinrich Cresspahl fühlt sich durch Slata an Hilde Paepcke erinnert, auch weil sie wie sie das Haar in einem Kopftuch trägt.
1185 Nach Kriegsende: Slata ist bei der Kreiskommandantur in Gneez tätig.
1193-1194 Aus der Sicht von Frau Abs, die sich auf die Papenbrocks einen Reim zu machen versucht: Robert Papenbrock hatte, wie man ihr erzählt, »Kinder [...] umgebracht in der Ukraine, Dörfer angezündet. Dennoch hatte bei den Papenbrocks ein Mädchen aus der Ukraine gelebt, anfangs als Dienstmädchen, von Dezember 1944 an ausdrücklich als Verlobte, und die Deutschen hatten sie gegrüßt, der Familie zuliebe. [...] Jene Slata war von der Roten Armee nicht ›nach Sibirien‹ deportiert worden, sie arbeitete auf der Kreiskommandantur als Assistentin, ›Engel von Gneez‹ sollte sie sich als Namen verdient haben, und in Jerichow wurden neuerdings die Gerüchte abgestritten, wonach sie vor dem K.A. Pontij niedergekniet sei und ihm die Hände geküßt habe.«
1220 Dem im Oktober 1945 inhaftierten Cresspahl wird mitgeteilt, dass Slata in die Sowjetunion gebracht worden sei.
1342-1347 Slatas Geschichte vom Kriegsende bis zur Deportation in die Sowjetunion: Den »ersten Sowjets in Papenbrocks Diele« sei sie entgegengegangen, »als wollte sie mitgenommen werden aus diesem Haus, weg von solcher Familie«. – Arbeitet für J. J. Jenudkidse, den Stadtkommandanten von Gneez, als Dolmetscherin und Assistentin. – In Gneez ist kaum bekannt, »daß ein N.S.-Sonderführer sie als Braut nach Mecklenburg geschleppt hatte, mit einem Kind und zu Schwiegereltern, die der Luftwaffe wie der Partei durch geschäftliche Gewinne verbunden waren«. – In Gneez nennt man sie den »Engel von Gneez«, denn »viele wollten es gerade ihr danken, wenn sie heil zurückkamen aus einem sowjetischen Verhör«. – Sie hilft Jenudkidse »widerlich genau bei der Beaufsichtigung der gneezer Geschäftswelt [...]; in diesen gebildeten Kreisen galt ihre künftige Verwandtschaft von ehemals als moralischer Schaden aufbewahrt, weiterhin als Fallstrick, vorläufig nicht zu verwenden aus Rücksicht auf den guten Kompagnon Albert [Papenbrock] von Jerichow«. – Wohnt mit ihrem Sohn Fedja bei Alma Witte im Hotel Stadt Hamburg. – Dort verliebt sich Gerd Schumann in sie. – Sie bearbeitet Cresspahls Anträge nicht bevorzugt, »obwohl der unter den Nazis ihr mehr Gespräch geboten hatte als die Tageszeit«. – Ihre äußere Erscheinung, die der zwölfjährigen Gesine gefällt. – Über ihr plötzliches Verschwinden erfährt Gesine von Alma Witte, die sie kurz nach Slatas Verhaftung im Hotel Stadt Hamburg besucht: Alma Witte zeigt ihr Slatas durchwühltes und zerstörtes Zimmer. Jenudkidse hat Slata und ihr Kind am Morgen mit vier bewaffneten Soldaten abgeholt. – Gesine glaubt nicht, dass Slatas Verhältnis mit Robert Papenbrock der Grund der Verhaftung war; Jenudkidse habe davon auch vorher schon gewusst. – Slata »ist nicht zurückgekommen. Fedja hat noch die Fahrt in die Sowjetunion überstanden, im Lager ist er gestorben.« – Alma Witte, die an ihr und dem Kind gehangen hat, hat durch diesen Vorfall ihren Stolz verloren.
1381-1382 »Slata war nicht mit den Briten weggelaufen. Sie hatte auf ihre Landsleute gewartet.« – Über Gerd Schumanns Verhältnis zu Slata.
1408 Gerd Schumann meidet Jerichow bei seiner Wahlkampftour: »Hier hatte Slata drei Jahre lang gelebt, im Haus eines kapitalistischen Großhändlers, vorgesehen als Ehefrau eines faschistischen Mordbrenners; er wollte das Haus nicht sehen«.
Vgl. auch 1349. 1395. 1412. 1420. 1428. 1481. 1607. Anhang VIII.
Vorbild dieser Figur ist eine Ukrainerin namens Slata Kriwussjawa, deren Geschichte Johnson aus Erinnerungen der Güstrower Beltz und Senf kannte; vgl. Bernd Neumann: Uwe Johnson. Hamburg 1994, S. 805-807. Vgl. auch Jahrestage-Kommentar zu 910,32.
Poel
Ostseeinsel vor Wismar.
1174-1175 Aus Kirchdorf auf der Insel Poel stammt Julius Kliefoths Frau. Als sie im August 1845 stirbt, versucht er, sie in ihrem Heimatdorf zu beerdigen, findet aber keinen Fischer, der ihn mit dem Sarg überzusetzen bereit ist.
Vgl. auch 886. 929. 995. 996. 1114. 1552.
Pohl, Fräulein
Lehrerin für Mathematik und Geographie an der Brückenschule in Gneez 1946.
1477 Sie ist eine »von denen, die zeit ihrer Laufbahn Fräulein heißen, obwohl sie über die Fünfzig war und an keiner Stelle ihres Leibes noch zierlich. Kräftig rotbraunes Haar im Bürstenschnitt, Jettaugen, voll in den Backen, voll im Kinn. Im immer einzigen grünen Jägerkostüm, gelegentlich mit dem passenden Hut. Vorwerk nannten wir ihren Busen; den Ausdruck erkannte sie nicht, Flüchtling aus dem Schlesischen. Die war der Welt böse über ihren Anteil an den deutschen Verlusten, das saß hinter ihrer gleichmäßig verdrucksten Miene.« – Unterrichtet ohne pädagogisches Interesse.
Vgl. auch 1529.
Pompa, Dr.
Italienischer Diplomat, Leiter der Italienischen Delegation bei den Vereinten Nationen in New York, befreundet mit Karsch.
282-283 Unterzeichnet einen Passierschein für das Gebäude der Vereinten Nationen für Gesine und Marie Cresspahl, die hier mit Karsch zum Mittagessen verabredet sind. Sie treffen ihn in Gesellschaft Dr. Pompas an.
330 Nach Karschs Entführung schickt er Gesine einen Scheck über 2000 Dollar.
1446 Am 28. Juni 1968 besorgt Gesine sich bei Dr. Pompas Sekretärin Signora Sabatino den vollständigen Text des Manifests der »Zweitausend Worte«.
Pontij, K. A.
Major der Roten Armee, vom 2. Juli 1945 an sowjetischer Stadtkommandant von Jerichow. Kommandantur in der Ziegeleivilla. Geht im Sommer 1946 zurück in die Sowjetunion, seine Nachfolge treten (nach einem dreiwöchigen Interim mit dem ungenannten »Platzhalter«) die Herren Wendennych an.
1002-1003 Pontij ist »ein alter Mann, stämmig und fest am Leibe, traurig. Er seufzte viel.« Gleich an seinem ersten Abend in Jerichow kommt er mit drei Flaschen Wodka in Cresspahls Haus, um den Bürgermeister kennenzulernen. Die von der Typhuserkrankung noch geschwächte Gesine muss ihm mehrfach nachsprechen: »Ich Faschist«.
1042-1043 Lässt ein Achtel des Stadtgebiets, in dem die Kommandantur liegt, mit einem Bretterzaun umgeben.
1046-1047 Lässt sämtliche elektrische Geräte sowie Münzen, Goldbarren und Wertpapiere sequestrieren. Die Jerichower lasten seine Befehle ihrem Bürgermeister Cresspahl an.
1059-1068 Cresspahl, der Pontijs Befehle umsetzen muss, versteht den Sinn seiner Maßnahmen nicht. Er beobachtet ihn, ohne sich einen Reim auf ihn machen zu können: »K. A. Pontij mit seinem muschelfarbenen Blick, ohne Brauen und mit stumpfer Naturglatze, schwerfällig von Alter oder Schulterschuß, er mochte in Cresspahls Jahren sein, wenig jünger. Das beständige, unachtsame Seufzen, es mochte aus Krankheit oder Trauer rühren, hinfällig machte es ihn nicht.« – Gespräche mit Pontij werden oft zu Verhören. – Er scheint leicht in blinde Wut zu geraten, kann dann aber übergangslos vergnügt sein. »Cresspahl fand ihn nicht heraus, nicht einmal von außen.« – Gibt vor, alle möglichen Kenntnisse in unterschiedlichsten Gebieten zu haben, was sichtlich nicht stimmt. – Macht bei den Sequestrierungen keinen Unterschied zwischen Nazis und Nazi-Gegnern. – Behält die sequestrierten Wertsachen für sich und setzt sie in Wodka um, den er an Gäste und Untergebene verteilt. – Verhält sich gegenüber Cresspahl willkürlich und sehr wechselhaft. Schenkt ihm Dr. Berlings Superhet-Radio, holt ihn nachts aus dem Bett, um Wodka mit ihm zu trinken. – Weist Cresspahls Meldungen über Vergewaltigungen zurück, verlangt »Name, Rang, Truppenteil und Einheitsnummer des Täters« und droht »für nicht belegbare Verleumdungen der Roten Armee« Todesurteile an. – Befiehlt den Jerichowern, jeden Angehörigen der Roten Armee zu grüßen, »auch stehende Kraftfahrzeuge auf Verdacht«.
1077-1079 Gibt volkswirtschaftlich absurde Befehle zur Besteuerung und Enteignung von Vermögen und Grundbesitz. Cresspahl weiß nicht, wovon er die Angestellten der öffentlichen Einrichtungen bezahlen soll.
1098-1106 Über Pontijs Anordnungen und Cresspahls Versuche, die Versorgung der Stadt sicherzustellen, ohne mit dem Militärkommandanten aneinander zu geraten. Cresspahl lernt, auf Pontijs Drohungen zu reagieren wie die Katze von Cheshire (aus »Alice in Wonderland«) auf die »wildgewordene Herzkönigin«.
1139-1143 Pontij möchte auf dem Jerichower Marktplatz einen »Ehrenfriedhof« für Angehörige der Roten Armee anlegen. Cresspahl versucht vergeblich, ihm andere Plätze schmackhaft zu machen. Am nächsten Tag wird ein Rotarmist auf dem Marktplatz beerdigt.
1208 Nachdem es Cresspahl halbwegs gelungen ist, das Leben der Stadt wieder in Gang zu bringen (vgl. 1204-1208), setzt Pontij ihn am 22. Oktober 1945 ab und verfügt seine Verhaftung.
1209 Pontijs Sohn ist im April 1945 in Deutschland, nicht weit von Jerichow, gefallen.
1279 Im Sommer 1946 verlässt Pontij die Stadt: Als Gesine Cresspahl und Hanna Ohlerich im Spätsommer 1946 von den Ferien auf Johnny Schlegels Hof nach Jerichow zurückkehren, sind die Herren Wendennych Kommandanten der Stadt. Vorher hatte ein ungenannter Offizier, der »Platzhalter«, für drei Wochen die Kommandantur von Pontij übernommen (vgl. 1379). Die Wendennychs »waren also seit K. A. Pontij die dritte Besatzung«.
1355-1357 Verfügt im Herbst 1945 die Gründung »bürgerlicher« Parteien (LDPD, CDU, SPD).
Vgl. auch 1076. 1111. 1116-1117. 1119. 1123. 1127. 1160. 1162. 1163. 1164. 1170-1171. 1178. 1180. 1181-1183. 1184. 1186. 1194. 1195. 1198. 1204-1207. 1209. 1219. 1227. 1233. 1330. 1343. 1370. 1373. 1523. 1524. 1531.
Popov
Erster Sekretär der sowjetischen Botschaft in Washington 1967.
25 Am 26. August 1967 berichtet die New York Times von der Verhaftung zweier Unteroffiziere der US-Army, die geheime Dokumente an den ersten Sekretär der sowjetischen Botschaft, Popov, und an den Berater der sowjetischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen, Krejew, übergeben haben sollen. Popov und Krejew seien ausgewiesen worden, »die Herren sind zu Luft außer Landes.«
47 Am 2. September 1967 wird berichtet, dass die Sowjets nach der Ausweisung von Popov und Krejew ihrerseits zwei Diplomaten der USA ausgewiesen haben.
Laut New York Times heißt der Mann Nikolai F. Popov; vgl. dazu den Wortlaut der Zeitungsberichte im Jahrestage-Kommentar zu 25,30 und 47,36.
Poskrebyshew, Alexander N.
Sowjetischer Parteifunktionär und Militär, Stalins Privatsekretär (1891-1966).
138-139 Die New York Times berichtet am 3. Oktober 1967 »über die Auswirkung der Säuberung, die Stalin unter seinen Genossen durch Beria und Alexander N. Poskrebyshew anstellen ließ. Poskrebyshew war zuverlässig. Auch gegen die Erschießung seiner Frau, eines langjährigen Parteimitglieds, unternahm er nichts.« Er starb »seinen eigenen Tod im Herbst vorigen Jahres, umhegt im Krankenhaus des Kreml«. Dort erzählt er eine Anekdote von Beria: »Sitzt jener Verdiente Genosse noch: wurde Beria gefragt. Beria grinste. – Ne: sagte er. – Der sitzt nicht mehr. Der liegt flach auf dem Fußboden. Beim Vortragen dieser Anekdote brach General Poskrebyshew ebenfalls in brüllendes Gelächter aus.«
Prange, E.P.F.
Düngemittelhandlung an der Bahnhofstraße in Jerichow.
506 Das Geschäft ist in den Inflationsjahren nach dem Ersten Weltkrieg Konkurs gegangen, wurde Anfang der zwanziger Jahre von Albert Papenbrock aufgekauft.
Prasemann
Gastwirt des Schützenhauses in Jerichow.
719-720 Im Saal des Schützenhauses führt die Gaufilmstelle Anfang November 1938 zwei Propagandastreifen vor, »Schwert des Friedens« und »Juden ohne Maske«, die bei dem Publikum nicht recht ankommen. Viele gehen vor Schluss, was Gastwirt Prasemann verdrießt, weil er dem Publikum »hinterher hätte Bier und Korn verkaufen wollen«.
723 In der Nacht der Judenpogrome vom 9. auf den 10. November 1938 ist Prasemann der erste, der Hand an Oskar Tannebaums Laden anlegt: Er »legte einen Finger auf den Mund, und erst als es in der engen Straße fast still war, hob er die Axt und schlug damit ins Glas der Ladentür«.
S. 1371 erscheint er als ›Krasemann‹, ein Druckfehler.
Prause
Kreisleiter der NSDAP in Gneez.
354 Weil ortsansässige SA-Leute doch hätten »weich werden können unter dem Zureden von Freunden, von Verwandten«, schickt er am Tag des ›Judenboykotts‹ am 1. April 1933 zwei ortsfremde Posten, Max Breitsprecher und Ossi Rahn aus Gneez, nach Jerichow zur Wache an Oskar Tannebaums Laden.
Prchlik, Vaclav
Generalleutnant der tschechoslowakischen Armee (1922-1983). Leiter der staatlich-administrativen Abteilung des ZK der KPČ, Befürworter des Reformkurses des Prager Frühling, 1971 von einem Militärgericht zu drei Jahren Haft verurteilt.
1635 Kritisiert im Sommer 1968 die Alleinherrschaft der Sowjets im Warschauer Pakt und verliert daraufhin alle Parteiämter, wie die New York Times am 26. Juli 1968 meldet. »Wenn ein tschechischer General anregt, es möge der Oberbefehl über die Truppen des Warschauer Paktes auch einmal an einen anderen Staat gehen als den sowjetischen, schnaubt sich Moskau und verklagt ihn wegen Verrats militärischer Geheimnisse. Das Präsidium der K.P. in der Č.S.S.R., Prag kriegt den Schnupfen, löst das Parteiamt des Generalleutnants Vaclav Prchlik auf und schickt ihn zurück zur Armee.«
Preetzer See
See in der Nähe von Preetz (Landkreis Plön in Holstein).
675 Im »Preetzer See« wird im Herbst 1938 eine unbekannte Tote gefunden. In Jerichow weiß man davon, bevor es in der Zeitung steht, und rätselt, wer die Tote wohl sein könnte.
Einen »Preetzer See« gibt es nicht. In der Nähe von Preetz gibt es den Kirchsee, den Postsee und den Lanker See. Die Tote wurde im Postsee gefunden, wie der Lübecker Generalanzeiger in einer Sonderausgabe vom 16. Oktober 1938 berichtet; vgl. Jahrestage-Kommentar zu 675,26.
Prince, Clarissa
Tochter von Gesine Cresspahls Kollegin Naomi Prince, im Mai 1968 fünf Jahre alt.
1244 Nimmt an dem Ferienwochenende teil, das Gesine und Marie Cresspahl Ende Mai 1968 mit Naomi Prince und Amanda Williams am Sund von Long Island verbringen.
1255-1256 Auf der Rückfahrt versucht Marie, Clarissa mit Bugs Bunny- und Lil'Abner-Cartoons zu unterhalten, aber die Kleine findet kein Gefallen daran.
Prince, Naomi
Kollegin von Gesine Cresspahl in New York, Typistin im Schreibzentrum der Bank. Geschieden, Mutter der fünfjährigen Clarissa.
1244-1246 Ende Mai 1968 verbringen Gesine und Marie Cresspahl ein Ferienwochenende mit Naomi, Clarissa und Amanda Williams im Haus von Naomis Vater, Mr. Gehrig, am Sund von Long Island. Gesine fühlt sich hier heimisch: »Als ob wir nach Hause gekommen wären.«
1255-1265 Naomi hat ein schmales Gesicht, das sie zu einer »anmutigen Eulenmaske« zusammenziehen kann, ihre Stimme hat einen »vorsichtigen Mädchenton«. – Beim Frühstück stellen die drei Frauen sich vor, wie »wir alle leben könnten in diesem Haus an der See«. Meinungsverschiedenheiten über die Organisation einer solchen Wohngemeinschaft und Gesines bevorstehende Pragreise stören das Gedankenspiel, und zuletzt sitzen die Drei stumm am Tisch, »von Freundlichkeit gerührt bis zu Feuchtigkeit in den Augenwinkeln, von Enttäuschung gereizt bis zur Wut«. Sie reisen früher als nötig nach New York zurück.
Vgl. auch 161. 288. 803. 821. 1250. 1336. 1564.
Prinz, Joachim
Deutscher Rabbiner (1902-1988), 1926 bis zu seiner Emigration in die USA 1937 Rabbiner in Berlin, 1939 bis 1977 Rabbiner in Newark (New Jersey), 1958-1966 Vorsitzender des American Jewish Congress.
253-257 Diskutiert mit dem Schriftsteller Uwe Johnson am 16. Januar 1967 bei einer Veranstaltung des American Jewish Congress im Ballsaal des Hotels Roosevelt. Johnson lässt sich »sehen neben dem Löwenhaupt des Rabbi Joachim Prinz (früher Berlin-Dahlem)«, der, als das Mikrofon ausfällt, »komisch die Arme hob und ausrief mit verzweifelter Donnerstimme: Sie sind überall (die Deutschen. Die Nazis)! Sie sind auch hier!« Johnson »sah mit Neugier empor an dem fröhlichen, sorgenlosen Sprecher, der ihn bei den Juden vorstellte«.
Probandt, Lisette von
Schülerin der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, Freundin von Gollantz, der zusammen mit seinem Mitschüler Sieboldt im Oktober 1950 angeklagt wird, für die Flugblattaktion an der Schule nach Pfingsten (vgl. 1669-1680) verantwortlich zu sein.
1718 Gesine hält es für möglich, dass Lisette ihren Freund verraten hat: »Gollantz galt öffentlich für verlobt mit einer Lisette von Probandt, einem Mädchen in seiner Abiturklasse. [...] Wenn man ein Mädchen in Haft nimmt, es peinlich befragt –«.
1721 Gollantz wird zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, aber schon nach 5 Jahren in den Westen entlassen. »Und die Lisette, die hat gewartet ihre sieben Jahr. Die hat ihren Gollantz geheiratet«. – Marie: »So verzeihen, könnte ich nie.« Gesine: »Kannst du. Lernst du.«
Proseken
Ortschaft in Mecklenburg, westlich von Wismar.
858 In der Nähe von Proseken wurde der Pole Henrik Grudinski, flüchtiger Zwangsarbeiter in der Papierfabrik von Wismar, gesehen, nachdem er im März 1941 »den Kriminalsekretär Engelhardt eine Treppe hinuntergeworfen« hat. Die Jerichower machen sich Gedanken: »Da muß er doch über das Eis der Wismarschen Bucht gegangen sein und ist durch Jerichow gekommen, stell dir vor durch meinen Hinterhof!«